MEDIZIN
Die Naturwissenschaften machen es vor
Rückführbar messen – auch in der Medizin Rückführbare Messungen sind in der Physik und zum Teil auch in der Chemie eine Selbstverständlichkeit. In der Labormedizin steht das Thema erst seit einigen Jahren an der Tagesordnung. Dabei ist die Anwendung metrologischer Prinzipien der Weg der Wahl, um die Vergleichbarkeit und Messgenauigkeit von Messresultaten zu verbessern. Das Eidgenössische Institut für Metrologie (Metas) baut hierzu eigene Kapazitäten auf.
Der Gang zum Arzt ist wohl den wenigsten eine reine Freude – und doch für viele eine Alltäglichkeit. Bei etwa 70 Prozent aller Behandlungen wird der Arzt dabei zur Entscheidungsfindung oder zur Kontrolle des Behandlungserfolges auch Messungen und Analysen durchführen. Diese reichen von den einfachen Blutdruck- und Körpertemperaturmessungen bis hin zu hochkomplexen genetischen Analysen. Wenige Milliliter einer einzelnen Probe, z. B. von Blut oder Urin, reichen dabei für eine Vielzahl möglicher Analysen aus. Insgesamt sind es etwa 1200 verschiedene Analysen, die den behandelnden Ärztinnen und Ärzten in hunderten Spitälern und tausenden Arztpraxen in der Schweiz zur Verfügung stehen.
Über 100 Millionen Labor-Analysen Das während der Behandlung gesammelte Probenmaterial des Patienten wird nur in den wenigsten Fällen vom behandelnden Arzt untersucht. Meistens werden die Proben entweder von den zentralen Laboratorien der Spitäler oder von entsprechend befähigten Privatlaboren analysiert. Dort sind hoch ausgebildete Laborspezialisten mit der Analyse beschäftigt. Nach relativ kurzer Zeit – bei Notfallanalyten auch innert Minuten oder weniger Stunden – werden den Ärzten die Resultate mitgeteilt und dem Patienten kann in vielen Fällen nachhaltig geholfen werden. Da jährlich in der Schweiz eine grosse Anzahl an labormedizinischen Analysen durchgeführt wer-
¹ Metas, Bern-Wabern
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Bilder: Metas
Kai N. Stölting ¹, Karin Stettler ¹
Bild 1: Grundlage der Vergleichbarkeit ist die Verwendung von Referenzmaterialien höherer Ordnung (Rückführbarkeit). Volle Vergleichbarkeit gibt es erst, wenn sich alle Messverfahren für einen bestimmten Analyten auf denselben Standard, idealerweise eine SI-Einheit (Startpunkt 1 in der Grafik), beziehen. Für die meisten Analysemethoden in der Labormedizin existiert eine rückführbare Kette bis zu den Kalibratoren der Hersteller (Punkte 6–8). Oft fehlen aber primäre und sekundäre Referenzmaterialien- und Methoden (Punkte 2–5).
den – 2018 waren dies deutlich über 100 Millionen – verwundert es nicht, dass hierfür automatisierte, zum Teil sehr unterschiedliche, Analyseverfahren eingesetzt werden. Wie gut das Messen im Labor funktioniert, zeigt ein unlängst dem Bundesrat zum Thema vorgelegter Bericht.
Verschiedene Analysesysteme In der Praxis können Messungen derselben Patientenprobe auf verschiedenen Analysesystemen durchaus deutlich unterschiedliche Messwerte ergeben. Diese Situation kennt man zum Beispiel beim Gang von einer zur nächsten Arztpraxis bei komplexeren Fällen: Bei Überstellung vom
Hausarzt zum Spezialisten oder von einem Spezialisten zum nächsten werden oft die genau gleichen Messwerte noch einmal erhoben – zum Teil eben einfach auch, weil die Vergleichbarkeit der Messergebnisse nicht automatisch gewährleistet ist. Das ist eine Situation, die erstaunt: Ein Kilogramm Früchte aus dem Supermarkt ist und bleibt ein Kilogramm – egal wo es auf die Waage gelegt wird. Dessen ungeachtet ist die Qualität der Laboranalysen in der Schweiz hoch – und sie wird für die wichtigsten Analyten auch regelmässig durch die Schweizerische Kommission für Qualitätssicherung im medizinischen Labor zum Beispiel mit entsprechenden Ringversuchen kontrolliert. Beim Blick auf die Resultate solcher Laborvergleiche wird 11/2020