ChemieXtra 11/2020

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VERFAHRENSTECHNIK

Bedürfnisse der Life-Science-Branche in der Schweiz

Kalibrierung – im Wandel der Zeit Ohne regelmässiges Kalibrieren stünden ganze Branchen still – allen voran die Life-Science-Industrie. Denn was nützt einem das neueste und genaueste Messgerät, wenn dessen Werte nicht der Realität entsprechen? Ralph Schöpflin und René Lippuner von der Endress+Hauser (Schweiz) AG erklären im Interview, welche Irrmeinungen sich hartnäckig halten, wo überraschende Wissenslücken verborgen liegen und worauf die Pharmaindustrie in punkto Kalibrierung besonders achten sollte.

«So viel wie nötig – so wenig wie möglich» lautet wohl die Devise bei jeder Kalibrierung. In der Life-Science-Industrie wird dies nicht anders sein. Worin unterscheiden sich aber die Bedürfnisse dieser Industrie besonders von anderen, wenn es um die Kalibrierung geht? René Lippuner: In der Life-Science-Industrie ist die Kalibrierung im Vergleich zu anderen Branchen am anspruchsvollsten. Dies hat im Wesentlichen mit den hohen Sicherheitsanforderungen an die Produkte zu tun. Auch in der Lebensmittelindustrie sind die Anforderungen ähnlich streng, aber dennoch nicht in diesem hohen Masse. Die hohen Ansprüche an die Produktesicherheit führen dazu, dass die kritischen Messstellen im Produktionsvorgang entsprechend evaluiert und definiert werden. Die Werte dieser kritischen Messstellen sind wichtig für die Produktionsqualität. Man muss nachweislich sicherstellen, dass der gemessene Wert der Realität entspricht. Um diese zu erreichen, werden die Messstellen in einem festgelegten Zeitintervall – viele tun dies einmal im Jahr – kalibriert. Mit einer Kalibrierung macht man im Endeffekt nichts anderes, als festzustellen, ob sich die Messwerte der Messstellen innerhalb der festgelegen maximalen Abweichung befinden. Dies erfolgt im Vergleich zu einem Bezugsnormal. Befinden sich die Werte nach einer Kalibrierung ausserhalb der definierten Toleranzen, könnte dies rückblickend negative Einflüsse auf die Produktion haben. Es stellt sich unmittelbar die Frage, was im Zeitraum zwischen der letzten «guten» Kalibrierung und der jetzt «schlechten» Kalibrierung geschehen ist. In einem solchen 11/2020

Bilder: Endress+Hauser (Schweiz) AG

Roger Bieri

Ralph Schöpflin ist Leiter der Marketingabteilung der Endress+Hauser (Schweiz) AG. Er war zuvor unter anderem auch im Produktionswerk der Firma tätig.

Fall werden Massnahmen notwendig. Mit einer Risikobetrachtung wird Zeitpunkt und Auswirkung der Toleranzverletzung ermittelt. Solche Aktionen können schnell sehr teuer werden, vor allem die Auswirkungen können erhebliche finanzielle Kosten und auch Image-Schäden verursachen, denken wir an eine mögliche Gefährdung der Patientensicherheit und die dadurch notwenigen Rückrufe von Produktionschargen. Abhilfe schaffen kürzere Kalibrierintervalle, je kürzer desto kleiner das Risiko, aber desto höher die Kosten für die Kalibrierung und die damit verbundenen Stillstandszeiten der Produktionsanlagen. Auch hier gilt es, Kosten und Risiken entsprechend abzuwägen und die richtige Balance zu finden. Würden Sie die Aussage: «Die Life-Science-Industrie ist eher eine konservative Branche», so unterschreiben? Ralph Schöpflin: Ja. Ich denke, die LifeScience-Industrie ist schon sehr konserva-

tiv und zurückhaltend. Wobei dies in erster Näherung nicht etwas Schlechtes ist, sondern erst einmal so sein muss. «Konservativ» heisst ja frei übersetzt «bewahrend», also an Bewährtem festhaltend. Die Branche bedient sich hoher Sicherheitsstandards. Hinter diesen Standards stehen viele Audits und Inspektionen. Die Patientensicherheit steht immer im Vordergrund. Alles läuft streng nach Good Manufacturing Practice (GMP) oder nach Regeln, welche im Schweizer Heilmittelgesetz verankert sind. Die Sicherheit und die Risikominimierung stehen eindeutig im Vordergrund. Daher kann man schon sagen, dass die Branche konservativ ist. Ist es denn bei einer Branche, die konservativ und bewahrend ist, nicht sehr schwierig, innovative Lösungen einzubringen? Schöpflin: Die Umsetzungsgeschwindigkeit ist einfach eine andere. Auf der Marketingseite ist es wichtig, dass man Innovationen immer wieder kommuniziert und 37


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