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Wasserstoff, oder was der Schweiz fehlt
from ChemieXtra 6/2023
by SIGWERB GmbH
Der strittige Energieträger spielt in der Schweiz bislang praktisch keine Rolle. Wer Mitte Mai im Verkehrshaus Luzern die Powerfuel Conference zum Thema alternative Energiesysteme besucht hat, weiss, dass sich das bald ändern könnte. Eine Bestandesaufnahme.
Luca Meister
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Im Rahmen der Powerfuel Days widmete sich die Powerfuel Conference und das Synfuels Forum den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Schweizer Energieversorgung. Und diese sind vor dem Hintergrund der vorerst kaltgestellten Energiekrise nicht unbedeutend. Unter anderem, da die Schweiz gemäss dem Pariser Klimaabkommen, das 2030 die Halbierung der Emissionen gegenüber 1990 verlangt, ihr Ziel um ein Prozent verfehlt hat: 2020 wurde anstelle von 20 Prozent nur eine Reduktion von 19 Prozent erreicht. Das scheint nur auf Anhieb wenig. Da die Reduktionskurve mit den Jahren immer steiler ausfällt, vergrössern sich die geforderten Einsparnisse überproportional.
So erinnert Patrick Dümmler von Avenir Suisse daran, dass 68 Prozent des Energiemix noch ersetzt werden müsse. Kurz: Wir befinden uns erst am Anfang der Transformation.
Das Warten auf die Wasserstoff-Strategie Insbesondere im Bereich Wasserstoff hinkt die Schweiz hinterher. Während Deutschland 2020 seine Wasserstoff-Strategie bekannt gab und die EU mit dem «European Hydrogen Backbone» voranschreitet, könnte die Schweiz den Anschluss an das neue europäische Gasleitungsnetz riskieren. Dass eine von Ita lien nach Süddeutschland führende Leitung über Österreich geführt werden soll, obwohl die Schweiz über eine wasserstofftaugliche
Transitgasleitung verfügt, ist ein realistisches Szenario. Das Bundesamt für Energie soll sich aktuell um eine Anbindung bemühen. Eine anspruchsvolles Unterfangen, da das fehlende Energieabkommen mit der EU die energiepolitische Verhandlungsposition der Schweiz beeinträchtigt. Hoffnung geben allerdings die Pläne über einen Anschluss an die andere Leitung, welche die Schweiz tangiert und von Südfrankreich nach Süddeutschland geführt werden soll. Diese könnte die Schweiz über die Grenzgemeinde Oltingue versorgen. Dass die nationale Wasserstoff-Strategie frühestens im Herbst 2024 vorgestellt werden soll, stösst auf Kritik. Nach dem Referat von Markus Bareit vom Bundesamt für Energie machten Stimmen aus dem Fachpublikum auf die «ungünstigen oder fehlenden Rahmenbedingungen» aufmerksam. Die Industrie verlangt gleichlange Spiesse und eine technologieneutrale Vorgehensweise vom Bund, der «aktuell die Elektrifizierung bevorzuge». So wurde bislang zum Beispiel keine Bedarfserhebungsumfrage bezüglich dem Einsatz von Wasserstoff in der Industrie durchgeführt. Auch Studien zu einer möglichen Wasserstoffnetzregulierung und einen möglichen Fördermechanismus für den Markthochlauf stehen noch an. Immerhin verfügt die Schweiz über ein Gasnetz von über 20 000 Kilometern, dessen Grossteil wasserstofftauglich wäre.
Stromnetzprobleme verhindern
Dass Wasserstoff bei der Energietransformation nicht die Hauptrolle einnehmen wird, ist klar. Doch der unsichtbare Energieträger eignet sich ideal für verschiedenste Ergänzungsanwendungen wie beispielsweise als Speicher für überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Mit dem wachsenden Bedarf durch Elektroautos und Co. kann damit das Stromnetz entlastet respektive Stromnetzprobleme verhindert werden. Weiter steht der aus Prozessen der Chemieindustrie oder Kehrichtverbrennungsanlagen gewonnene «weisse Wasserstoff» kostenlos zur Verfügung. Bei dessen Verwendung würde die Rechnung selbst mit den oft als zu niedrig geschimpften Wirkungsgraden wiedergutgemacht werden. Das Anwendungsspektrum des Gases reicht sogar bis zum Rohstoff für synthetische Kraftstoffe. Um in einem wirtschaftlichen Rahmen zu bleiben, erachten Energiespezialisten als aktuell günstigste Variante den Import von Wasserstoff. Da dessen Speicherung viel Platz in Anspruch nimmt, würde die Versorgung über ein Leitungsnetz Sinn machen. Die Forschung stellt laufend neue Ansätze bereit, die in der Privatwirtschaft getestet werden. So zum Beispiel ein Solarreaktor der EPFL, der nutzbare Wärme und Sauer stoff produziert und darüber hinaus Was serstoff mit einer für seine Grösse beispiel losen Effizienz erzeugt. In anderen Worten: Innovative Verbrauchermodelle, die alle ihren Beitrag zu Nettonull leisten, werden an Relevanz gewinnen und an eine landes weite Infrastruktur angewiesen sein.
Neben der Transformation der Wertschöp fungskette, der Schliessung von Stoffkreis läufen und der Entwicklung systemischer Ansätze standen an der Powerfuel Conference auch Antriebsarten im Schlaglicht. Migros testet aktuell mit der Empa drei LKW mit verschiedenen alternativen Antrieben auf Herz und Nieren. Dabei wird der Warentransport mit Biogas, Elektrobatterie und Wasserstoff miteinander verglichen, um die geeigneten Einsatzbereiche der einzelnen Fahrzeugtypen festzulegen hinsichtlich Umweltfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit. Nach den zahlreichen Referaten über Energiekonzepte hörte es sich an wie aus einer anderen Zeit, als der Kollege nebenan in der Pause ins Telefon sagte: «Meine Batterie ist bald durch, ciao!» https://powerfuel.ch
Labor 4.0