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Webinar «Logistikeinkauf neu gedacht»
Dachser Chem Logistics hat am 19. April 2023 ein Webinar unter dem Motto «Logistikeinkauf neu gedacht» durchgeführt. Dabei stellte Prof. Dr. Christian Kille, Professor für Handelslogistik und Operations Management an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS), seine aktuelle Studie «Einkauf von Logistikdienstleistungen in der Chemie» vor und gab damit überraschende Impulse in eine lebhafte Diskussionsrunde aus Entscheidern der Branche (Einkauf, Logistik, Supply Chain Management). Am Ende war man sich über eines einig: In den vergangenen drei Jahren hat sich in der Chemielogistik derart viel geändert, dass ein grundsätzliches Umdenken und Umsteuern nötig wird.
Insbesondere hat sich die Chemielogistik von einem Käufermarkt zu einem Angebotsmarkt gewandelt. Damit sind die Zeiten, in denen eine einkaufende Person mit der Entscheidung für den niedrigsten Preis in der Regel nicht schlecht lag und die Dienstleistung als top vorausgesetzt wurde, vorbei. Heute geht es tendenziell häufiger um eine ganzheitliche Nutzenmaximierung unter gleichzeitiger Berücksichtigung vieler Faktoren, wie etwa die Stabilität ganzer Lieferketten, Gefahrguthandling, auf hohem Niveau schwankende Energiepreise, mehr Transparenz durch digitale Technologien. Als Lohn für die sorgfältige Auswahl von Dienstleistungen bzw. eines zentralen Dienstleisters winkt die Aussicht, sich mit einem durchdachten Logistikkonzept vom Wettbewerb zu differenzieren. Denn das ist Chemielogistik heute: eine Möglichkeit, sich aus dem Feld der Mitbewerber herauszuheben.
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Weshalb die eigene Logistikexpertise mehr zählt Prof. Dr. Kille und seine Mitautoren Dr. Andreas Backhaus (ehem. Senior Vice President bei BASF) und Constantin Reuter (Camelot Management Consultants) haben für ihre Studie über den Logistikwettbewerb in der chemischen Industrie Markt-, Güter- und Prozessanalysen durchgeführt sowie 27 Chemieunternehmen befragt. Demnach zwingen hohe Energie - preise, Rohstoffknappheit, fragile Lieferketten, Kriege und andere geopolitische Rahmenbedingungen Chemieunternehmen, ihre Logistikpartner und Verlader zu einer Reorganisation.
In dieser «neuen Welt» sind Liefertreue und -fähigkeit keine Selbstverständlichkeiten mehr, müssen potenziell entgangene Umsätze oder Mehrkosten durch eine schlechte Logistikperformance stets mitkalkuliert werden. Denn die Qualität der eingekauften Logistik beeinflusst nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens.
Darum riet Prof. Dr. Kille in seinem Vortrag den Fachpersonen des Einkaufs eines Chemieunternehmens zum Aufbau eigener, spezifischer logistischer Expertise. Dabei seien die Produktion, die Energieversorgung, die Kunden und andere Bedarfs träger in den Mittelpunkt zu stellen und bei der Ausschreibung lieber zu Anfang mehr Zeit und Mühe zu investieren (z. B. Ziel-Identifizierung, Definition der Anforderungen im Detail, Nutzung von Gestal tungsspielräumen). Das sei besser als sich mit einer formal billigeren, aber bei etwaigen Störungen zu wenig robusten Logistikdienstleistung einem zunehmend unberechenbaren Markt stellen zu müssen.
Amazon, Militär und Vermögensanlage als Ideengeber
Als ein überraschendes Ergebnis hält die Studie fest: In der Chemiebranche nimmt die Logistik im Vergleich zu anderen Schlüsselindustrien in Deutschland einen hohen Anteil an den Gesamtkosten ein.
Transparenz durch digitale Technologien: Wer weiss, wann Rohstoffe geliefert werden, kann seinem eigenen Kunden genauer sagen, wann der mit den Produkten rechnen kann – ein marktrelevanter Wettbewerbsvorteil.
Demnach sollte diese Branche auch bei Logistik-Innovationen die Nase vorn haben. Stattdessen ist hier noch viel Luft nach oben.
Zu den aktuell wichtigen Innovationsfeldern zählen zum Beispiel niedrigwassertaugliche Binnenschiffe, digitale Systeme zum Supply Chain Management inklusive automatisierte Ladestellenplanung, Robotereinsatz bei Gefahrgut-Transporten und autonome Fahrzeuge im Werkverkehr. Dynamisch geplante Transportketten, wie von Amazon und von fortschrittlichen Militärs vorgeführt, sind im Chemiebereich teilweise schon Realität, insbesondere im Bereich von Produkten für die Landwirtschaft. Ein weiteres Vorbild kann die Vermögensanlage abgeben: der Mix machts –die Balance zwischen «Kapazitäten sichern» und «Kosten minimieren». Die Studie betont, dass sich durch eine solche intelligente Logistik die Transportkosten erfahrungsgemäss um fünf bis zehn Prozent senken liessen.
Fragen beantwortete Prof. Kille mit Beispielen aus der Praxis
An den Vortrag schloss sich eine Fragerunde an. Dabei erläuterte Prof. Kille verschiedene Details im Einzelnen und brachte dabei interessante Beispiele aus der Praxis. Eines davon betrifft die Massgabe «Kostenvermeidung statt Kosteneinsparung» und wie ein Chemieunternehmen sie durch die Bereitstellung von Daten wie der ETA («estimated time of arrival») mit Leben füllt: Wer weiss, wann Rohstoffe geliefert werden, kann seinem eigenen Kunden genauer sagen, wann der mit den Produkten rechnen kann – ein Wettbewerbsvorteil durch transparente Logistik. Auf die Frage nach der Art der Zusammenarbeit zwischen Chemieunternehmen und Logistikdienstleister antwortete Prof. Kille: «Es gibt in der Realität alle Modelle, zum Beispiel 3PL und 4PL. Der Transport wird heute allerdings praktisch immer extern vergeben, während zum Beispiel die Lager haltung gern im eigenen Betrieb verbleibt.» Bei der 3rd-Party-Logistik (3PL) lagert das Chemieunternehmen Transport und Logistik zwar aus, behält aber die Kontrolle; bei der 4th-Party-Logistik (4PL) übernimmt der Logistikdienstleister die gesamte Lieferkette.
Wie von Amazon für den Konsumenten-Bereich vorgeführt: Dynamisch geplante Transportketten sind in der Chemielogistik teilweise schon Realität, insbesondere im Bereich von Produkten für die Landwirtschaft.
Die Zuhörer interessierte ausserdem, inwieweit es infolge der Corona-Pandemie zu einem Aufbau höherer Lagerbestände und grösserer Produktionskapazitäten in Europa kommen werde. Einschätzung von Prof. Kille: «Nicht heute oder morgen – es ist ein stetiger Prozess. Zurzeit werden vie le strategische Entscheidungen zu Produk tionsstandorten und Lagern getroffen. Inner halb von fünf Jahren erwarte ich den Aufbau grösserer Kapazitäten, besonders in Osteuropa.»
Einen enormen Schub für die Optimierung der Chemielogistik erwartet Prof. Kille von der Künstlichen Intelligenz (KI), weil sie verborgene Muster erkennen kann. Ein aus dem Leben gegriffenes Beispiel: Eine englische Supermarktkette hat mit KI ermittelt, dass sich unter 18 Grad Aussentemperatur mehr Broccoli verkaufen und über 25 Grad Aussentemperatur tendenziell mehr gewaschener Salat. Analog dazu wird auch für die Chemie- und Pharmaindustrie die KIMustererkennung überraschende Ergebnisse zutage fördern – und zwar viel schneller und mit deutlich weniger Personal als man sich das heute vorstellen kann. Insbesondere für ein nachhaltigeres Wirtschaften erwartet sich Prof. Kille von KI einen spürbaren Beitrag.
So gewann das Publikum eine Reihe neuer Ideen und freut sich schon auf eine mögliche Fortsetzung dieses ansprechenden Formats von Dachser Chem Logistics zum Austausch über Fragen der Chemielogistik.
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DACHSER Spedition AG selina.hipp@dachser.com dachser.ch