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HOLLÄNDISCHE HARMONIELEHRE

VON CHRISTA SIGG

Sie sind kein Fall für die Oper. Da kriegen sich Brüder gerne in die Haare, doch dafür verstehen sich Lucas (30) und Arthur (26) Jussen einfach zu gut. Und sie leiden auch noch mit ein und demselben Verein: Ajax Amsterdam. «Es geht schon wieder aufwärts», seufzt Arthur. Spätestens, wenn die zwei am Klavier sitzen, ist der Fussball sowieso vergessen. Nicht ganz. Die beiden spielen sich so phänomenal die Bälle zu, dass man hört und staunt. Schön also, dass sie mit dem Sinfonieorchester Basel Felix Mendelssohn Bartholdys

Konzert für zwei Klaviere in E-Dur spielen. Auch bei der Uraufführung sassen zwei Geschwister einträchtig an den Tasten–der Komponist und seine Schwester Fanny.

CS Lucas und Arthur, Sie wirken überaus harmonisch. War das immer so?

AJ Ja! Als jüngerer Bruder hatte ich aber auch Glück, dass mich Lucas immer mitspielen liess. Am Klavier und genauso mit den Freunden. Wir kennen einige Geschwister, die ganz schön streiten, doch wir können sehr gut miteinander.

CS Eigentlich sind Sie doch auch Konkurrenten.

LJ Anders, wir haben einander immer beflügelt. Ich weiss von Arthur, dass er hundertprozentig vorbereitet ist, und Arthur weiss das von mir. Wir wollen beide einfach sehr gut sein, das hat nichts mit Rivalität, sondern mit Motivation und Inspiration zu tun.

CS Bei so viel Harmonie müsste Ihnen Mendelssohns E-Dur-Konzert für zwei Klaviere doch auf den Leib geschrieben sein?

AJ Wir spielen das Konzert wirklich gerne, es steckt so viel Energie und Fröhlichkeit in dieser Musik. Felix war vierzehn Jahre alt, als er es 1823 für seine Schwester Fanny geschrieben hat, unfassbar! Wenn man die spätere Entwicklung kennt, spürt man zwar, dass er noch nicht so recht weiss, wohin er will. Aber man realisiert sofort sein grosses Talent.

LJ Es ist wie bei einem ausserordentlich talentierten Fussballspieler, der zum ersten Mal in der 1. Liga spielen darf. Der rennt und versucht, alles zu zeigen, was er draufhat. Manchmal ist es aber besser, nicht alles einzubringen. Und dennoch sind die Melodien unglaublich schön. Wenn man mit vierzehn Jahren so etwas schreiben kann, ist man ein Wunderkind! Im Vergleich dazu sind wir das überhaupt nicht.

CS Das Konzert scheint zunächst nicht sonderlich kompliziert, ist das gerade die Schwierigkeit?

AJ Die Themen mögen einfach klingen, aber es ist technisch wirklich anspruchsvoll, gerade im 1. und 3. Satz. Und man merkt einfach, dass Mendelssohn ein toller Pianist war. Wie Rachmaninow oder Chopin. Auch die haben für ihr Niveau geschrieben. Wir müssen also viel proben, um das gut zu spielen.

CS Die Partitur lag lange vergessen im Mendelssohn-Nachlass im Osten Berlins und kam erst in den 1960er-Jahren wieder ins Bewusstsein der Konzertbesucher. Welchen Stellenwert hat das Stück für Sie – auch im Vergleich zu Mozart?

LJ Seit etwa zwei Jahren spielt es eine wichtige Rolle in unserem Repertoire. Wir haben die beiden Mozart-Doppelkonzerte häufig gespielt – sie werden auch viel angefragt. Aber für uns ist dieses Mendelssohn-Konzert jetzt sehr erfri- schend. Obwohl hier noch viel Mozart mit reinspielt, geht es schon deutlich in Richtung Romantik. Das Publikum ist übrigens jedes Mal positiv überrascht und verlässt den Saal auffallend froh gestimmt.

CS Es gibt Überlegungen, die beiden Stimmen den Geschwistern zuzuordnen. Etwa im langsamen Mit telsatz den lyrischen Part der Schwester, den ‹zupackenderen› dem Bruder. Wie sehen Sie das?

LJ In unserer Zeit sind solche Typisierungen nicht mehr so angebracht. Aber ich verstehe natürlich, wie das gemeint ist. Es gibt dieses zweite Thema, das etwas schwerer, etwas tiefer ist als das erste, das eher einen naiven, lieblichen Klang hat. Das erste Thema wäre demzufolge ‹weiblicher›, das zweite ‹männlicher›. Mir fallen gerade Powerfrauen wie Martha Argerich ein, der würde ich eher das zweite Thema zuordnen.

CS Und wer von Ihnen spielt nun ‹Fannys Part›?

LJ Wenn man Fanny den ersten Part zuordnet, dann spiele ich den. Sagen wir es mal so: Ich beginne den 2. Satz –ich bin der Ältere, aber trotzdem der Kleinere. Und dann kommt Arthur.

CS Wer entscheidet das?

AJ Wir werfen bei jedem neuen Stück eine Münze.

CS Sie haben beide bei Jan Wijn und Maria João Pirez studiert, es gab dann auch unterschiedliche Lehrer. Wie wirkt sich das aus?

AJ Sehr gut sogar. Als Lucas mit dem Abitur fertig war, ist er nach Amerika gegangen, um bei Menahem Pressler zu studieren. Viele haben uns gewarnt und gesagt, das sei schlecht fürs Duo. Dabei war es genau richtig. Wir haben uns beide in dieser Zeit persönlich weiterentwickelt. Und als wir wieder zusammenkamen, war alles wie immer. Das Zusammenspiel verlernt man nicht. Dafür hatten wir beide frische Ideen und uns einfach in der Mitte wieder getroffen. Wir proben übrigens zu 90 Prozent alleine. Jeder muss seinen eigenen Part genau erkunden und die vollkommene Kontrolle über ihn gewinnen.

CS Worin liegt der Vorteil, mit dem Bruder zu spielen?

LJ Es war schon immer sehr einfach, zusammen zu proben. Das ist die praktische Seite, aber Arthur ist einfach auch ein sehr guter Freund für mich. Wenn wir reisen, sind wir nie allein. Nach einem Konzert trinkt man ein Bier zusammen und hat eine Erfahrung und überhaupt etwas, das man teilt. Wir können übrigens auch sehr direkt zueinander sein, uns kritisieren. Da brauchen wir keinen Höflichkeitsfilter.

CS Und jetzt bitte die Nachteile.

LJ Wir teilen immer ein Hotelzimmer, weil wir das gemütlich finden. Aber wenn man dann zusammen am Waschtisch steht, um sich die Frisur ein bisschen zu modellieren, fehlt der Platz. AJ Mir geht es genauso!

CS Na, wenn das alles ist … Sie betonen, dass Sie ganz normal aufgewachsen sind. Geht das überhaupt, wenn man mehrere Stunden am Tag Klavier übt?

AJ Wir haben eine ganz normale Schule besucht und Fussball und Tennis gespielt – und mit Freunden gefeiert. Vielleicht nicht so viel, man kann ja nicht alles haben im Leben. Das geht aber nicht nur uns so. Durch das Klavierspielen haben wir viel zurückbekommen –und Erfolg. Ich kann allen Kindern und jungen Leuten nur sagen, dass es wunderbar ist, für etwas richtig zu arbeiten und dann zu erleben, dass es klappt.

CS Dafür gibt es ja Social Media. Ist das wichtig für Sie?

LJ Wir reden oft über dieses Thema und kommen immer häufiger zum Ergebnis, dass das gar nicht so wichtig ist. Klar, wir machen es nebenbei und auch mal ganz gerne. Man kann Dinge ausprobieren, die etwas weniger ernsthaft sind. Aber wir wollen damit auch nicht so viel Zeit verlieren wie einige Musiker.

CS Können Sie sich vorstellen, getrennte Wege zu gehen?

AJ Wir spielen auch manchmal getrennt. Vor allem in Holland, wo man uns regelmässig zu einem Soloabend einlädt. Ausserdem machen wir zwischendurch Projekte wie etwa alle Klavierkonzerte von Beethoven. Da spielt ja auch nur einer. Die Mischung, die wir jetzt haben –hauptsächlich zusammen, ab und zu solo –, ist perfekt. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass wir nur noch getrennt spielen. Wir fühlen uns so wohl und so stark zusammen, und wir bieten etwas, das es nicht so oft gibt. Jedenfalls sind wir noch lange nicht fertig.

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