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von Benjamin Herzog

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by Bart de Vries

by Bart de Vries

B WIE BÜHNENMUSIK

VON BENJAMIN HERZOG Es sei der Nervenkitzel, verrät mir ein Orchestermusiker. Gewohnt, in Sichtkontakt mit den Dirigent*innen zu spielen, versteckt er sich immer wieder gerne in den Kulissen des Theaters. Er und Mitspielende, die dann dort die Bühnenmusik spielen und sind. Beides. Das Italienische ist da genauer. ‹Banda sul palco› heisst diese Extratruppe. Auf der Bühne, öfters aber unsichtbar dahinter. Und da sollte dann ein Monitor stehen, der nicht im entscheidenden Moment ausfällt. «Wir wussten, es kommt ein Applaus vor unserem Einsatz, und danach haben wir einfach blind losgespielt», erzählt der Musiker noch heute lachend. Verdi, La Traviata, 1. Akt, im Hause Violettas wird ein tönendes Fest gegeben. Doch wie stellt man Musik in der Musik dar? Dazu braucht’s die zweite Ebene. Für solche Feste, Tänze, für das ‹Jagdgetön› der Hörner im Tristan. Mozart hat das Multidimensionale in der Ballszene seines Don Giovanni auf die Spitze getrieben. Hier spielen drei Bühnenmusiken gleichzeitig. Theoretisch. Aus praktischen Gründen bleiben die Musiker*innen heute meist im Graben sitzen. Der Adel tanzt da sein Menuett, die Leute vom Land einen ‹Teutschen› und Giovanni den neuen bürgerlichen Kontratanz. Mit diesem chaotisch-raffinierten Quodlibet verkuppelt Mozart Melodien, Rhythmen und auch Stände und mischt so, zwei Jahre vor der Französischen Revolution, die Karten der Gesellschaft schon mal neu.

Bühnenmusik kann aus einem einzelnen aus der Ferne erklingenden Trompetensignal bestehen wie in Beethovens Fidelio. Wenn schon sichtbar, dann gleich richtig, sagte sich dagegen Verdi, der für den Triumphmarsch in Aida extra lange Trompeten bauen liess; die sogenannten ‹Aida-Trompeten›. Pittoresk auch die Kuhhörner, die in Grétrys Guillaume Tell Lokalkolorit versprühen oder die legendäre Bühnenorgel, die neben einer Donnermaschine sphärisch in Meyerbeers Robert le diable hineintönt. Gleich ein ganzes Orchester hievte Stockhausen für den Samstag seines Zyklus Licht auf die Bühne. Womit sich allerdings der Effekt einer vom Orchester getrennten Bühnenmusik in sich selbst auflöst. Vor 400 Jahren hingegen setzte Marco da Gagliano, Komponist der Oper La Dafne, noch voll auf Illusion. Ein Sänger soll sich hier auf der Lira da braccio (eine Weiterentwicklung der mittelalterlichen Fidel) begleiten. Heute gibt es singende Geigerinnen, damals entschied man sich, zwischen den Kulissen Streicher*innen zu positionieren, die die mythologischen Bratschenklänge diskret fingieren sollten. Noch bei Wagner tönt’s illusorisch aus dem Graben, wenn Beckmesser seinen Meistersingern auf der Laute altmodische Gesangsregeln erklärt. So klampfig schlecht

© Janine Wiget

klingt das, dass es hierfür geradezu Talent braucht. Und Profis an der Gitarre.

Damit stach Wagner, vielleicht unbewusst, in ein Wespennest, denn oft wurde die Bühnenmusik tatsächlich nicht von den ersten Kräften gespielt. Ausgehend von den vorhandenen personellen Möglichkeiten lag auch die Ausgestaltung in den Händen der Theaterleitung. Warum also nicht gleich die zweite Garde verpflichten? In der italienischen banda schwingt dieser Semiprofessionalismus mit. Orchestermusiker*innen, die zu Bühnenmusik verknurrt wurden, fühlten sich oft richtiggehend strafversetzt. Womit wir wieder beim Nervenkitzel einer solchen, modern gesprochen, Band wären. Denn deren etymologische Fäden gehen bis in die Geschichte der Söldner zurück, die sich gegenseitig an ihren Stoffbändern erkannten. Gleiche Farbe hiess: Wir spielen zusammen und erschiessen uns nicht.

→ Das nächste Mal: C wie Choral

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