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von Chiara Selva & Timo Waldmeier

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DEMNÄCHST

DEMNÄCHST

INWIEFERN STEHT HANS HUBERS ORATORIUM IN DER TRADITION BACHS?

VON CHIARA SELVA & TIMO WALDMEIER

Die Annahme, Hubers Oratorium Weissagung und Erfüllung sei aus barocken Bausteinen gefügt, führt zu der Frage, was unter barocker Moderne zu verstehen ist. So bezeichnet werden im 20. Jahrhundert entstandene Werke, die in ihrer Form und Textverwendung am hochbarocken Stil orientiert sind. Harmonik, Spielweise und Interpretation stehen meist in einer modernen Tradition. Im besten Fall kombinieren diese Werke barocke Stilistik mit modernen Ideen der Aufführungspraxis sowie mit aktuellen Einflüssen der Instrumentation, der Harmonik und des Konzertkontextes.

In Hubers Weissagung und Erfüllung haben neobarocke Stilelemente einen grossen Stellenwert. Gerade der 1. Satz ruft eine Assoziation mit dem Eingangschor in Bachs MatthäusPassion hervor. Nicht etwa durch den Text, die Taktart oder den Melodiecharakter, vielmehr über die Vielschichtigkeit der zwei dialogisch geführten Chöre und die einstimmige Choralmelodie im Knabenchor, die stark an barocke Stilistik erinnert. Der erste Chor beginnt und preist das Licht («Mache dich auf, werde Licht»). Es folgt der zweite Chor, der in einem barock gehaltenen Fugeneinsatz («Denn siehe, die Finsternis bedecket das Erdreich») das Dunkel und die Finsternis besingt, dann wieder der erste Chor, erneut mit dem Lichtmotiv. Auffallend sind hier der bildhafte, textbezogene Oktavsprung abwärts (bzw. aufwärts im Bass) zu Beginn dieses neuen Themas («Doch über dir gehet auf Jehova und seine Herrlichkeit scheinet über dir») und der anschliessende Aufstieg zu «Jehova» und «Herrlichkeit». Der Schluss des 1. Satzes wird mit dem Einsatz beider Chöre und dem Knabenchor gekrönt, und auch hier zeigen sich einige barocke Merkmale: Mit dem Text «Und die Völker werden hinwallen zu deinem Licht und Könige zum Glanze, der über dir aufgeht» verbindet Huber musikalisch das himmlische Licht und die Finsternis auf Erden durch das dialogische Zusammenführen der Chöre und leitet so geschickt zur Geburt Jesu, des Erlösers, über.

Parallelen zu Bach lassen sich auch in der Wahl der Tonart finden. Weissagung und Erfüllung wird durch den ersten Chor in D-Dur eröffnet, Bachs Weihnachts Oratorium beginnt im ersten Teil ebenfalls mit dem ersten Chor in D-Dur. Auch wenn sich in Hubers Werk viele an Bach erinnernde neobarocke Stilelemente finden lassen, zeigt ein Vergleich, dass sich Huber in weiten Teilen von Bachs Kompositionsansätzen abgrenzte.

Huber plädiert für eine reflektierte Betrachtung der Werke Bachs. Indem er in Weissagung und Erfüllung seine ästhetischen und technischen Ideale umsetzt, macht er einen Vorschlag zur Neuinterpretation und Erweiterung der alten Formen und Traditionen.

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