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Duncan Ward, Leitung
MYSTIZISMUS WIE BEI WAGNER
VON BENJAMIN HERZOG Für den 1989 geborenen britischen Dirigenten Duncan Ward ist Hans Huber ein verkannter Mystiker. Einer von vielen zu Unrecht vergessenen Komponisten. Ward hat zwei Jahre lang bei Sir Simon Rattle in Berlin assistiert. Und mit dem berühmten Vorbild auch schon mal blosse Luft dirigiert.
BH Sie dirigieren gerne auswendig. Was ist der Vorteil? Hat man das Stück dann besser intus? DW Man sollte ein Stück intus haben, ob man es auswendig oder mit Noten dirigiert. Doch wenn ich etwas auswendig dirigieren kann, habe ich eine hundertprozentige Verbindung zum Orchester und kann so alle meine Energie in die Kommunikation mit den Musikern geben. die Seiten umblättern muss. Ich liebe es einfach, dieses Gefühl zu haben, mit einem Orchester zu fliegen. Frei von der Mechanik einer Partitur. Wenn ein Stück aber zu neu ist für mich oder zu riskant, nehme ich lieber die Noten zur Hand.
BH Stimmt es, dass Sie einmal mit Simon
Rattle und Matthias Pintscher an einem Tisch Luftdirigieren geübt haben bei einer Flasche Bordeaux? DW Ja, das stimmt. Wir haben für Stockhausens Gruppen geprobt. Ein Stück, das drei Dirigenten braucht, die alle etwas Verschiedenes dirigieren. Dafür haben wir diese Probe gemacht und am Tisch zusammen in der Luft herumgewedelt und dazu gesungen.
BH Hat der Wein dabei geholfen? DW Wein hilft immer.
BH Als Sie Gruppen in der Turbinenhalle der Tate Modern in London aufführten, ist das Publikum dabei herumspaziert. Begrüssen Sie das? DW An diesem besonderen und sehr halligen Ort und mit einem Stück wie Gruppen ist das sicher in Ordnung. Die Akustik in der Tate ist so verrückt, dass man je nach Ort eine ganz andere Hörperspektive hat. Aber es ist meistens besser, sich klassische Musik sitzend anzuhören. Auch das Huber-Oratorium!
INTERVIEW BH Simon Rattle war zwei Jahre lang Ihr
Mentor in Berlin. Was haben Sie von ihm gelernt? DW Ich habe für ihn vor Uraufführungen mit dem Orchester geprobt oder solche Stücke mit sehr vielen Beteiligten. Als wir Schönbergs sehr gross besetzte Gurrelieder probten, bat er mich in der Generalprobe, einen Teil selbst zu dirigieren. Er wollte im Saal zuhören. Da war ich dann plötzlich für das Ganze verantwortlich. Simon hat mir stark vertraut.
BH War das Vertrauen das Wichtigste? DW Ja. Einmal, als ich Simon bei Wagners Walküre assistierte, machte ich ihn auf ein Detail aufmerksam, eine Phrasierung in den Streichern, die ich anders empfand als er. Als ich ihm das sagte, gab er mir sofort recht. Und dann hat er es genauso dirigiert, wie ich ihm es vorgeschlagen hatte. Simon hat mich nicht gelehrt. Wir standen in einem Dialog. Das war das Schöne.
BH Sie sind seit dieser Saison Chefdirigent bei der Philharmonie Zuidnederland. Für drei Jahre. Was wollen Sie mit dem Orchester in dieser
Zeit erreichen? DW Ich möchte deren Repertoire erweitern. Mein Vorgänger hat viel russische Musik dirigiert. Ich habe mit Debussys Jeux begonnen und möchte mehr Französisches dirigieren. Auch Rameau zum Beispiel. Musik, die das Orchester noch nie gespielt hat.
BH Barockmusik mit einem modernen Orchester. Ist das nicht ausgefallen? DW Schon, aber wir werden auch Uraufführungen spielen. Oder Musik, die von anderen Kulturen beeinflusst ist. In diesem Jahr ist es Indien. Denn ich habe bei dem Sitar-Spieler und Komponisten Ravi Shankar einst klassische indische Musik studiert. Eine unglaublich intensive Erfahrung. Aber wir spielen natürlich auch traditionelles Repertoire wie etwa Brahms.
DUNCAN WARD
10 Ich möchte den Klangsinn des Orchesters schärfen und seinen Sinn für kammermusikalisches Zusammenspiel.
BH Kommen wir noch auf Hans Huber zu sprechen. Seinerzeit gefeiert, heute ein weitgehend Unbekannter.
Warum ist das so? DW Man muss sehen, dass es eine ganze Menge genialer Komponisten gibt, die heute gar nicht oder nur wenig gespielt werden. Huber ist einer von ihnen. Ein bisschen wie Franz Schreker oder die Komponistin Louise Farrenc. Das hat auch immer etwas mit der herrschenden Mode zu tun.
BH Hubers Oratorium Weissagung und Erfüllung war bei seiner Uraufführung 1913 ein Riesenerfolg. Was ist besonders an diesem Stück? DW Schon die zweiteilige Struktur, die ja im Titel anklingt, ist einzigartig. Dann diese spätromantische, schon sehr chromatische Tonsprache, dieser Mystizismus. Das erinnert mich ein bisschen an Wagner. Und doch ist Huber dabei ganz aufrichtig. Ich freue mich sehr auf die Aufführung.