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ZWISCHEN BERIO UND BEATLES
VON GEORG RUDIGER
Der britische Bratschist
Lawrence Power (geboren
1977) ist Professor an der Zürcher Hochschule der Künste. Ein Gespräch über seine Begeisterung für Neue Musik, den besonderen Charakter der Viola und darüber, was er seinen Student*innen gerne mitgeben möchte.
GR Sie haben eine grosse Leidenschaft für zeitgenössische Musik. Bei Ihrem Auftritt mit dem Sinfonieorchester Basel spielen Sie das Konzert für Viola und Orchester des schwedischen Komponisten Anders Hillborg, das 2021 für Sie geschrieben wurde, in einer Schweizer Erstaufführung. Woher kommt bei Ihnen diese Liebe zur Neuen Musik?
LP Ich liebe die Zusammenarbeit mit Komponist*innen. Ich habe eine tiefe Zuneigung zu Menschen, die etwas aus dem Nichts erschaffen können. Mir gefällt auch bei zeitgenössischer Musik, dass die Tradition keine Rolle spielt. Alles ist neu. Diese Reinheit, diese Unvoreingenommenheit fasziniert mich.
GR Ist es nicht mühsam, immer wieder neue Partituren zu entdecken und zu dechiffrieren?
LP Einerseits natürlich schon, andererseits gehört das einfach zu meinem Beruf. Es ist unsere Aufgabe, neue Musik in die Welt zu schicken. Das hält auch frisch.
GR Welcher Art ist das Violakonzert von Anders Hillborg?
LP Das Konzert trägt viele unterschiedliche Einflüsse in sich. Der Beginn mit einem unerbittlichen Tremolo der Viola ist eine Hommage an Luciano Berios Zyklus
Sequenze . Dann wird der Raum geöffnet für wunderschöne melodische Linien zwischen Viola und Orchester. Das pulsierende Herz des Werks ist ein Zitat aus einem Beatles-Song. Das Violakonzert wurde in Liverpool uraufgeführt – deshalb die Hommage an die Beatles. Das Werk hält wirklich viele Überraschungen bereit.
GR Das Hillborg-Konzert ist Teil des ‹Viola Commissioning Circle›. Mit diesem Projekt möchten Sie insgesamt zehn neue Violakonzerte in Auftrag geben – jedes Jahr eines. Funktioniert dieses ambitionierte Projekt gut?
LP Ich bin sehr zufrieden. Für mich ist es wichtig, neues Repertoire für mein Instrument entstehen zu lassen. Dabei habe ich mich von grossen Persönlichkeiten wie dem Cellisten Mstislaw Rostropowitsch und dem weltbekannten Basler Musikmäzen Paul Sacher inspirieren lassen. Ohne diese grossartigen Förderer wären viele spannende Kompositionen gar nicht entstanden.
GR Sie sind Professor für Viola an der Hochschule der Künste Zürich. Was möchten Sie Ihren Student*innen mitgeben?
LP Die ganze Musiklandschaft verändert sich gerade. Natürlich sollen meine Schüler*innen ihr Instrument ausgezeichnet spielen können. Ich hoffe, ich kann ihnen aber auch Neugier, Offenheit und Flexibilität vermitteln. Das ist für mich das Entscheidende in der klassischen Musik.
GR Sie spielen auch Violine, aber Viola ist Ihr Hauptinstrument. Was mögen Sie an der Viola?
LP Grundsätzlich mag ich alle Streichinstrumente. Mit dem Violaspiel habe ich im Alter von acht Jahren angefangen. Die Viola ist meine Muttersprache. Violine spiele ich erst seit ungefähr sieben Jahren. Die Viola ist innerhalb der Streicherfamilie eine ganz besondere Stimme, die auf Ausgleich bedacht ist. Sie ist keine perfekte Stimme wie die Violine oder das Violoncello. In gewisser Weise ist die Viola ein Kompromiss – zwischen Höhe und Tiefe, zwischen Vordergrund und Hintergrund. Ich liebe ihren Charakter und ihr Pathos.
GR Als Gründer und künstlerischer Leiter des West Wycombe Chamber Music Festival in England stellen Sie spezielle Konzertprogramme zusammen. Im Konzert mit dem Sinfonieorchester Basel wird nach dem HillborgKonzert die 9. Sinfonie von Anton Bruckner gespielt. Gibt es für Sie einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Werken?
LP Die Sinfonie von Bruckner kenne ich nicht besonders gut. Grundsätzlich finde ich es interessant, alte und neue Werke in einem Konzertprogramm zu vereinen.
GR Domingo Hindoyan wird das Sinfonieorchester Basel an diesem Abend dirigieren. Wie wichtig ist ein Dirigent für einen Interpreten?
LP (lacht) Das ist eine grosse Frage. Manch mal ist es sehr wichtig, einen Dirigenten zu haben – manchmal zerstört er mehr als zu unterstützen. Bei Bruckner ist der Dirigent alles. Ohne einen Dirigenten ist es unmöglich, dieses riesige Orchesterschiff durch alle Klippen der Partitur zu steuern. Aber für eine Mozart-Sinfonie braucht man ihn eigentlich nicht. Bei dem Violakonzert von Hillborg dagegen ist ein Dirigent sehr hilfreich. Die Rolle des Dirigenten ist also immer eine andere.
GR Die deutsche Geigerin Julia Fischer spielt manchmal im zweiten Teil eines Konzerts im Orchester im Tutti mit, nachdem sie im ersten ein Solokonzert gespielt hat. Was machen Sie im zweiten Teil Ihres Basler Konzerts?
LP Wahrscheinlich werde ich die Gelegenheit nutzen, die Bruckner-Sinfonie im Publikum anzuhören.
GR Also kein Bier nach dem Auftritt?
LP Vielleicht ist es auch möglich, beides zu machen. (lacht) Ein Bier trinken und danach die Sinfonie hören. Ich bin mir sicher, das würde auch Anton Bruckner gefallen.