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PICCOLOSTADT BASEL
Von Lea Vaterlaus
Maruša Grošelj erhielt mit acht Jahren ihren ersten
Querflötenunterricht in Slowenien und setzte ihre musikalische Ausbildung in Ljubljana am Konservatorium für Musik und Ballett und an der Musikhochschule bei Matej Zupan fort. Für ihr Masterstudium zog sie nach Freiburg im Breisgau, wo sie 2016 ihren Abschluss machte. Ab 2013 war sie als regelmässige Aushilfe beim Philharmonischen Orchester Freiburg tätig und in der Saison 2015/16 als Praktikantin im SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg angestellt. Seit der Saison 2017/18 hat Maruša Grošelj die Position der Solo-
Piccolistin und 2. Flötistin beim Sinfonierochester Basel inne. Ein Gespräch über hohe Töne, interkontinentale Opern und ätherische Musik.
LV Maruša Grošelj, Du bist Solo-Piccolistin in Basel – eine Stadt, in der dieses Instrument durch die Basler Fasnacht einen hohen Stellenwert hat. MG Ja, das Piccolo spielt hier wirklich eine grosse Rolle! Ich war zwar noch nie an der Basler Fasnacht, habe aber natürlich schon einiges davon gehört. Speziell war für mich insbesondere das Vermittlungskonzert ‹Vo Bärg und Tal› in der letzten Saison, bei dem wir unter anderem das Baslerlied Z’Basel an mym Rhy spielten. Die Basler Piccoli sind ein bisschen anders gebaut und werden anders gespielt als die Orchesterinstrumente, es ist aber schön zu wissen, dass das Publikum mein Instrument bereits so gut kennt.
LV Das Piccolo wird mit dem Klischee verbunden, besonders hoch und laut zu klingen. Musst Du auf Dein Gehör achten, wenn Du Piccolo übst?
MG Beim Spielen nimmt man den Klang und die Lautstärke eines Instruments natürlich immer anders wahr als beim Zuhören. Das Piccolo erreicht aber wirklich hohe Frequenzen, und ich muss zugeben, dass ich meinen Gehörschutz viel zu selten trage. Bei lauten Tutti-Stellen im Orchester oder wenn ich zu Hause nur technische Stellen übe, setze ich ihn ein – bei Soli und der Arbeit mit Klangfarben nicht, da ich mich dann gut hören muss. Grundsätzlich möchte ich dem vorgefassten Bild, das Piccolo sei laut und quietsche, entgegenwirken und zeigen, wie wunderschön dieses Instrument klingen kann.
LV Aus welcher Musikepoche gibt es für Dein Instrument die meiste Literatur?
MG Für die Flöte gibt es in jeder Musikepoche ein grosses Repertoire. Bereits im Barock wurden Konzerte für die Traversflöte geschrieben und auch in der Klassik gibt es viele Solowerke. Die meisten Flötenkonzerte stammen aber aus der Romantik. Für das Piccolo werden erfreulicherweise fortlaufen neue Stücke geschrieben.
LV Auf dem Programm des aktuellen Konzerts steht ein romantisches und ein zeitgenössisches Werk. Was verbindest Du mit Bruckner und Hillborg?
MG Bruckner und Basel sind für mich eng verbunden – mein erstes Projekt mit dem Sinfonieorchester Basel war die Aufführung von Bruckners 3. Sinfonie im Basler Münster! Die Neunte habe ich selbst noch nie gespielt und bin deshalb besonders gespannt auf das Werk. Bruckners Musik ist wunderbar, und es ist beeindruckend, wie er es schafft, so viele komplexe Stimmen in allen Registern zusammenzuführen, sodass stets neue Melodien entstehen. Die einzelnen Stimmen an sich sind oft nicht wirklich spannend; Soli werden schnell unterbrochen, und es gibt viele lange Töne. Bei Bruckner ergibt sich die Musik erst im grossen Ganzen, indem Melodien zwischen den Instrumenten weitergegeben und Harmonien geschaffen werden. Hillborgs Musik auf der anderen Seite ist eine sehr ätherische Musik, die mit Klangwolken arbeitet. Ich freue mich auf das Bratschenkonzert, das ja erst vor Kur zem uraufgeführt wurde, und bin gespannt, ob es ähnlich klingt wie die anderen Werke des schwedischen Komponisten, die wir in dieser Saison bereits kennen lernen durften.
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LV Du stammst aus Slowenien, wo Du auch Dein Bachelorstudium absolviert hast, bist für Dein Masterstudium dann aber nach Deutschland gekommen. Was hat Dich nach Freiburg im Breisgau geführt?
MG Bevor ich nach Deutschland kam, besuchte ich bei der Soloflötistin des TonhalleOrchesters Zürich, Sabine Poyé Morel, einen Meisterkurs in der Schweiz. Ihr Unterricht und ihr Spiel gefielen mir so gut, dass ich innerhalb von zwei Tagen alle notwendigen For mulare ausfüllte, um bereits mein letztes Bachelorsemester als Austauschsemester an der Hochschule für Musik in Freiburg zu machen, wo sie als Vertretung für einige Semester engagiert war. Für mein Bachelorkonzert kehrte ich noch kurz nach Slowenien zurück – führte mein Masterstudium dann aber gleich wieder in Freiburg weiter.
LV Nach Deinem Studium warst Du an Projekten in Japan und Nigeria beteiligt. Was konntest Du von diesen Erlebnissen mitnehmen?
MG Die Reisen nach Japan und Nigeria waren sehr lehrreich, und ich genoss es, andere Kulturen kennenzulernen. Der Unterschied zwischen Slowenien und Deutschland war für mich bereits gross gewesen – Slowenien ist ein Land mit einem reichen kulturellen Erbe, die einzige Musikhochschule befindet sich aber in der Hauptstadt Ljubliana, während man in Deutschland in jeder Kleinstadt schnell im Zentrum des musikalischen Geschehens ist. In Japan war ich Teil des ‹Schubertiade›-Festivals und durfte in Kindergärten, Tempeln und Konzertsälen mein Instrument präsentieren und Konzerte spielen. In Nigeria veranstaltete ein befreundeter Cellist aus Freiburg eine halbszenische Produktion der Zauberflöte mit einem Chor aus Abuja, Solisten und unserer kammermusikalischen Orchesterbesetzung. Der Zugang zu Konzerten und Opern ist in Nigeria nicht selbstverständlich, und es war schön, dem Publikum eine Freude zu machen.
LV Seit Februar 2018 bist Du beim Sinfonieorchester Basel. Wie bist Du nach Basel gekommen?
MG Es war Zufall, dass ich zu diesem Orchester kam! Nach meinem Studium bewarb ich mich wie die meisten Musiker*innen auf so viele Probespiele wie möglich. Auf das Sinfonieorchester Basel kam ich schliesslich durch Julia Morgan, die Soloflötistin des Orchesters. Bei einem gemeinsamen Projekt mit einem anderen Orchester erzählte sie mir von der freien Stelle, auf die ich mich daraufhin erfolgreich bewarb.
LV Begleitet Dich die Musik auch in Deiner Freizeit?
MG Gemeinsam mit meinem Freund, einem Akkordeonisten, mache ich oft Kammermusik. Ansonsten bin ich aber froh, wenn sich in Gesprächen ausserhalb der Arbeit nicht alles um die Musik dreht und ich ein wenig Ablenkung habe. Ich backe und koche deshalb auch sehr gerne oder tanke Kraft in der Natur.
LV Maruša Grošelj, herzlichen Dank für das Gespräch!
VON BENJAMIN HERZOG
Zwei Musiker*innen gehen an einer Bar vorbei ... Das ist ein Witz. Humor blüht in vielen Berufssparten. In keiner jedoch ist er ausgeprägter als bei Orchestermusiker*innen. Hier noch einer: Erste Probe nach der Sommerpause. Der Bratschist öffnet seinen Instrumentenkasten, schaut hinein und sagt verärgert: «Schon wieder verschimmelt!» Dazu muss man wissen, dass Bratschist*innen lange Zeit als gescheiterte Geiger*innen angesehen wurden (und einige es wohl auch waren). Das ist heute anders. Und doch gibt es den Bratschenwitz nach wie vor. Auch wer Kontrabass spielt oder Tuba bekommt immer wieder sein Fett ab. Wegen der angeblichen Schwerfälligkeit dieser Instrumente und, gleichgesetzt mit ihnen, ihrer Spieler. Aus einer Perspektive, die das Orchester von oben her betrachtet, von den ersten Geigen, vom gottgleichen Konzertmeister, stehen die Tubist*innen und Kontrabassspieler*innen sprichwörtlich unten. Es hilft bekanntlich, wenn man trotzdem lacht. Trotz der nach wie vor hierarchischen Regeln im Orchesterbetrieb, trotz der Diskrepanz zwischen freier Kunst und der im Orchester nötigen Einordnung in ein übergeordnetes Ganzes, an dessen Spitze der Dirigent steht und öfters auch eine Dirigentin. Apropos: Intensive Orchesterprobe, der Dirigent (oder die Dirigentin) ist hoch konzentriert. Da schlägt der Paukist in die Generalpause. Dirigent irritiert: «Wer war das?»
Aber jetzt, aufgepasst. Würden Sie auch lachen, wenn Ihr Kind aus der Schule kommt und das Alphabet plötzlich so aufsagt: A, H, C, D, E, F ...? Ein ‹Alpha-Het›?! Nun, Musiker*innen hierzulande arbeiten täglich damit. Es gibt sogar ganz wunderbare Musik in H-Dur (Brahms, Klaviertrio op. 8) und in h-Moll (Dvořák, Cellokonzert). Dass sich dieses H so frech zwischen A und C eingeklemmt hat, hängt mit der mittelalterlichen Musiktheorie zusammen, die statt in ganzen Oktaven in Hexachorden rechnete, also in Gruppen von nur sechs Tönen. Man käme hier vom Hundertsten ins Tausendste, versuchte man das im Ganzen zu erklären. Soviel nur: Es gab vom Ton B, je nach Hexachord, zwei Varianten. Das tiefere B rotundum, also das runde B. Und die höhere Variante: das B quadratum, geschrieben wie ein H. Dieses H ist heute der Standardton. Das B die um einen Halbton tiefere Variante. Allerdings nur im deutschen Sprachgebrauch. Englischsprachige Musiker*innen gebrauchen für unser H den Tonnamen B und für die tiefere Variante B flat. Im lateinischen Sprachraum ist die auf den Benediktinermönch Guido von Arezzo zurückgehende Bezeichnung si für das H gebräuchlich. Eine Konsequente Lösung haben die Niederländer gefunden: Sie sagen B und Bes!
Der Tonname H ist aber doch eine praktische Erfindung. Johann Sebastian Bach spielte mit ihm (B-A-C-H-Motiv) und auch Dmitri Schostakowitsch. Die Signatur seines Namens, D-Es-C-H, taucht in vielen seiner Werke auf. Auch Alban Berg, verliebt in eine gewisse Hanna Fuchs, gestand ihr diese Liebe nicht mit Rosen, sondern gleich mit einer ganzen Komposition, einem wahren Theater der Töne: der hochexpressiven Lyrischen Suite . Der Komponist Alban Berg und Hanna Fuchs, beziehungsweise ihre Kürzel in Tonnamen, A-B und H-F, umschlingen einander hier vielfach. Dass das Intervall H-F ein Tritonus ist, der scharf klingende ‹diabolus in musica›, sei hier am Rande aber doch erwähnt.
Blättern wir ein weiteres Mal um, so entdecken wir neben dem befreienden Lachen im Orchestergraben eigentliche humoristische Seiten in der sonst ja gern als ernst bezeichneten Kunstmusik. Im Mittelalter verschaffte sich das Volk in sogenannten Eselsmessen «iah» schreiend Luft. Heinrich Ignaz Franz Biber liess in einer Geigensonate Frösche hüpfen. Und in Joseph Haydns 60. Sinfonie ‹vergessen› die Musiker*innen ihr Publikum und stimmen im Finalsatz kurzerhand ihre Instrumente neu. Der Name der Sinfonie: Il distratto, der Verwirrte. Apropos Haydn: Mit ihm begann sich das Scherzo als spielerisch scherzhafter Satz gegenüber dem betulicheren Menuett zu behaupten. In Streichquartetten, sowie ab Beethoven dann auch in der Sinfonik. Über das in sich selbst verbissene Scherzo der 7. Sinfonie Beethovens schrieb Robert Schumann, man höre im abrupten Schluss den Komponisten förmlich «die Feder wegwerfen».
Er musste es wissen. Schumann hat im Fahrwasser des Schriftstellers Jean Paul den Begriff der Humoreske in die Musik eingeführt. Gemäss Jean Paul ist Humor das Gefühl einer Entzweiung von Ich und Welt, dem am besten mit einem Lachen zu begegnen ist, «worin noch ein Schmerz und eine Grösse ist». Weltmeister wohl im Ausdrücken dieses Entfremdungsgefühls ist Gustav Mahler, der sowohl seine Wunderhorn -Lieder wie auch die 4. Sinfonie ursprünglich als Humoresken bezeichnen wollte. Das Lachen im Sinne dieses ‹trotzdem› ist, wie oben erwähnt, in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Und wer im Orchester täglich Dienste leistet, dem dürfte dieses Entfremdungsgefühl durch die Musik öfters gleich doppelt erscheinen. Darum an dieser Stelle noch ein letzter Witz: Welches Instrument spielt Gott? Die Tuba. Heisst es doch im wichtigsten Gebet der Christenheit: «Vater unser, der tu-bist im Himmel ...»
→ Das nächste Mal: I wie Improvisation
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