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LIVERPOOL – MEHR ALS FUSSBALL

VON SIGFRIED SCHIBLI

Suchmaschinen wie Google speichern das weltweite

Wissen. Könnte man jedenfalls meinen. Wenn man

‹Liverpool› dort eingibt, erscheinen zuerst Mitteilungen über den FC Liverpool, seinen Trainer Jürgen Klopp, seine Stars wie Mohamed Salah, seine vielen Erfolge und wenigen Misserfolge auf dem grünen Rasen. In der Häufigkeit an zweiter Stelle ploppen Informationen und Bilder über die Beatles auf, die einst in der ‹Hauptstadt des Pop› gross geworden sind und von dort ihren Siegeszug durch die Musikwelt angetreten haben. Paul

McCartney ehrte die Beatles-

Stadt, indem er zu Beginn der 90er-Jahre das Liverpool Oratorio schrieb, das aus

Anlass eines Orchester jubiläums in der Kathe drale von Liverpool uraufgeführt wurde.

Dass Fussball und Gesang eine enge Verbindung eingehen können, zeigt sich vor allem im Lied You’ll Never Walk Alone, das jeweils von den Fans des FC Liverpool angestimmt wird und zu den bekanntesten Fussballhymnen der Gegenwart geworden ist. Es stammt allerdings nicht aus der Grossstadt im Nordwesten Englands, sondern aus einem amerikanischen Broadway-Musical, aus Carousel von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein. Die etwas sentimentale, in ruhigem Puls schreitende choralartige Melodie hat sich als vielseitig verwendbar erwiesen. Nicht selten wird sie zu Beerdigungen angestimmt. So war es etwa, nachdem der deutsche Nationaltorhüter Robert Enke 2009 seinem Leben ein Ende gesetzt hatte. Die erste Songzeile wurde noch im letzten Jahr vom deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz häufig zitiert, sei es im Zusammenhang mit dem Krieg in der

Ukraine, sei es mit gravierenden sozialen Problemen in Deutschland. Es ist schon erstaunlich, dass ein und dieselbe Melodie bald ein Fussballteam anspornen und bald einer trauernden Gemeinde Trost spenden kann!

Seit 2015 trägt Liverpool den von der UNESCO verliehenen Titel ‹City of Music›. Doch seine Musiktradition reicht viel weiter zurück. 1840 wurde das damalige Liverpool Philharmonic Orchestra gegründet. Sein erster Dirigent war der aus Zürich stammende Geiger und Orchesterleiter Jakob Zeugheer; ihm folgten mehrere deutsche Dirigenten wie Julius Benedict, Max Bruch und Charles Hallé. Auch der Österreicher Walter Weller, der frühere künstlerische Leiter der Allgemeinen Musikgesellschaft Basel und faktisch Chefdirigent des damaligen Basler Sinfonie-Orchesters, ist mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra verbunden; er leitete es von 1977 bis 1980. Heute ist Domingo Hindoyan als Nachfolger von Vasily Petrenko Chefdirigent. Dem Orchester angegliedert ist ein professioneller Chor, zu dessen beliebtesten Repertoirewerken – wenig überraschend – Händels Oratorium Messiah zählt. Rund hundert Jahre nach seiner Gründung erhielt das Orchester mit dem Konzertsaal ‹Liverpool Philharmonic Hall› eine neue feste Heimstätte. Deren Bau war notwendig geworden, nachdem die alte Philharmonic Hall durch einen Grossbrand zerstört worden war. Der neue, 1939 eröffnete Saal verbindet architektonische Elemente von Jugendstil und Bauhaus. Hier finden seither die grossen Orchesterkonzerte von Liverpool statt, aber auch ausgewählte Pop-Events und grosse Shows. Und hier war vor anderthalb Jahren die Uraufführung des Bratschenkonzerts von Anders Hillborg zu hören, das von mehreren Orchestern – unter ihnen das Sinfonieorchester Basel – sowie dem ‹Viola Commissioning Circle› in Auftrag gegeben worden war und nun zum ersten Mal in der Schweiz erklingt.

Gespräch VORGESTELLT

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