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Präludium – Orgelimprovisation

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Gabriela Montero

Gabriela Montero

ZUM WERK RUDOLF LUTZ Präludium – Orgelimprovisation

EINIGE GEDANKEN ZUR ORGELIMPROVISATION

VON RUDOLF LUTZ Seit es Orgeln gibt, gibt es auch Orgelimprovisation; sicher auch schon mit Wasserorgeln bei der musikalischen Begleitung der Gladiatorenkämpfe im alten Rom. Auch in der Messe geht es darum, an der richtigen Stelle das Stück zu beenden oder auf den Höhepunkt zuzuschreiten, beim tödlichen Biss durch den Löwen die scharf schreienden Akkorde zu setzen, beim Sanctus das euphorische ‹Heilig, heilig, heilig› zu intonieren, bei der Kommunion die Gemeinde in Andacht zu versetzen – und dies während einer vorher nicht abzuschätzenden Dauer.

Natürlich kann man auch versuchen, komponierte Stücke in der Länge anzupassen, was dann gerne klingt wie eine Amputation. Geschickt improvisierende Organistinnen oder Organisten bringen es hingegen im besten Fall (und mit der nötigen Ausbildung und Fertigkeit) ‹auf den Punkt›. Es sind wunderbare Momente – wie im Zirkus, wenn nach einem mehr oder weniger lang andauernden Trommelwirbel das Zirkusorchester den ersehnten Tusch punktgenau zum erhofften Gelingen einer halsbrecherischen Performance auf dem Trapez setzt.

HISTORISCHE ORGELIMPROVISATION Nun, im Laufe der Jahrhunderte hat sich auch in der lutherisch-reformierten Welt eine hohe Kunst der Orgelimprovisation herausgebildet. Für die Bestallung einer wichtigen Orgelstelle im 17. und 18. Jahrhundert mussten sich die Bewerber in dieser Kunst ausweisen, und nicht etwa im Literaturspiel! So wurden modulierende Präludien, Doppelfugen mit gegebenen Themen, Choralvorspiele in diversen Formen und Registrierungen verlangt – ich denke da zum Beispiel an die Aufgabe, die Choralmelodie nicht nur im Sopran, sondern auch im Bass oder in einer Mittelstimme erklingen zu lassen. Auch das Generalbassspiel und das Spielen auf ostinaten Bässen (Chaconne und Passacaglia) wurde ex tempore geprüft, das heisst nur

ZUM WERK mit einer kurzen Vorbereitungszeit von fünf bis zehn Minuten. Allerdings mussten die Kandidaten die improvisierten Stücke innerhalb einiger Tage schriftlich nachliefern.

Natürlich gibt es auch in anderen Ländern eine grosse Tradition der komponierenden und improvisierenden ‹Titulaires›; denken wir nur an Frankreich, zum Beispiel an Olivier Messiaen, Marcel Dupré oder auch an César Franck.

Diese jahrhundertealte Tradition der Orgelimprovisation ist nie gänzlich ausgestorben. In Basel durfte sie sogar seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts eine erfreuliche Renaissance erleben, und zwar durch die Ausweitung des Kursangebots an der Schola Cantorum Basiliensis. Es war dem Schreibenden vergönnt, dort die historische Improvisation zusammen mit dem ehemaligen Direktor Peter Reidemeister zu einer neuen Blüte zu bringen. Derzeit unterrichten fünf Kollegen zahlreiche Studentinnen und Studenten in Improvisation auf den verschiedensten Instrumenten! So hat vor Kurzem eine Flötistin bewiesen, dass auch Fugen solissimo erfunden werden können. ViolinMasterabschlüsse gibt es alle paar Jahre, auch in anderen Fächern wie Cello, Laute und Cembalo. Alle Studierenden müssen den Grundkurs besuchen. Besteht eingehenderes Interesse, können sie sich für weiterführende Angebote entscheiden und eine Prüfung zum ‹Specialized Master› ablegen. Klassenvorspiele und Konzerte ergänzen das Angebot.

IMPROVISATION ÜBER VOLKSLIEDER Die Improvisation über Volkslieder hat einen speziellen Zauber: Es sind allgemein bekannte Melodien, welche durch das Hineinversetzen in ungewohnte stilistische und formale Umgebungen einen ganz besonderen Reiz erfahren, so zum Beispiel eine barocke Fuga über Vo Luzern gäge Weggis zue, ein Ragtime über Z’Basel an mym Rhy oder auch die Verbindung des Themas aus dem 1. Satz von KV 491 mit dem doch eigentlich bereits volkstümlichen Thema der Beethoven’schen Elise.

Die Improvisation über Volkslieder hat eine lange Tradition. Denken wir zum Beispiel an die letzte Variation der Bach’schen Goldberg-Variationen mit dem höchst kunstvollen Quodlibet zweier handfester Volksgesänge («Kraut und Rüben fressen meine Buben, hätt’ meine Mutter Fleisch gekocht, wäre ich geblieben» und «Ich bin so lang nicht bei dir gwest»).

Wohl noch von ganz anderer Bedeutung ist die Verwendung bekannter Choralgesänge der Gemeinde in Choralkantaten, in Passionen und Oratorien. Dies war – nebst Luthers Bibelübersetzung – die Muttermilch der Bach’schen Gemeinde. Das Erklingen einer bekannten Choralmelodie gab ihr dieses sichere Gefühl von ‹ZuHause-Sein›.

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