ZUM W ER K RUDOLF LU TZ Präludium – Orgelimprovisation
14
EINIGE GEDA NK EN ZUR ORGELIMPROV ISATION
VON RU DOL F LU TZ
Seit es Orgeln gibt, gibt es auch Orgelimprovisation; sicher auch schon mit Wasserorgeln bei der musikalischen Begleitung der Gladiatorenkämpfe im alten Rom. Auch in der Messe geht es darum, an der richtigen Stelle das Stück zu beenden oder auf den Höhepunkt zuzuschreiten, beim tödlichen Biss durch den Löwen die scharf schreienden Akkorde zu setzen, beim Sanctus das euphorische ‹Heilig, heilig, heilig› zu intonieren,bei der Kommunion die Gemeinde in Andacht zu versetzen – und dies während einer vorher nicht abzuschätzenden Dauer.
Natürlich kann man auch versuchen, komponierte Stücke in der Länge anzupassen, was dann gerne klingt wie eine Amputation. Geschickt improvisierende Organistinnen oder Organisten bringen es hingegen im besten Fall (und mit der nötigen Ausbildung und Fertigkeit) ‹auf den Punkt›. Es sind wunderbare Momente – wie im Zirkus, wenn nach einem mehr oder weniger lang andauernden Trommelwirbel das Zirkusorchester den ersehnten Tusch punktgenau zum erhofften Gelingen einer halsbrecherischen Performance auf dem Trapez setzt. HISTOR ISCHE ORGEL I MPROV ISATION
Nun, im Laufe der Jahrhunderte hat sich auch in der lutherisch-reformierten Welt eine hohe Kunst der Orgelimprovisation herausgebildet. Für die Bestallung einer wichtigen Orgelstelle im 17. und 18. Jahrhundert mussten sich die Bewerber in dieser Kunst ausweisen, und nicht etwa im Literaturspiel! So wurden modulierende Präludien, Doppelfugen mit gegebenen Themen, Choralvorspiele in diversen Formen und Registrierungen verlangt – ich denke da zum Beispiel an die Aufgabe, die Choralmelodie nicht nur im Sopran, sondern auch im Bass oder in einer Mittelstimme erklingen zu lassen. Auch das Generalbassspiel und das Spielen auf ostinaten Bässen (Chaconne und Passacaglia) wurde ex tempore geprüft, das heisst nur