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TEXTE UND TÖNE

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ORTSGESCHICHTEN

ORTSGESCHICHTEN

VON ELKE HEIDENREICH Mitte März hatte Corona zugeschlagen: Lesungen, Moderationen, Reisen, Auftritte, die LitCologne, Europas grösstes Literaturfestival, das ich mit einer wunderbaren Gala und tollen Künstlern in der Kölner Philharmonie am 13. März eröffnen wollte – abgesagt, alles abgesagt, erst nur März, dann April, Mai, bis in den Herbst hinein: abgesagt. Wir alle: fassungslos.

Nun haben wir September. Ich schreibe diesen Text aber viele Wochen früher für Ihr Programm-Magazin. Ich weiss nicht (keiner weiss das genau), wie es in unserer Welt, in unseren Konzertsälen, bei Ihnen in Basel im September aussehen wird. Aber ich kann Ihnen von meinem ersten Termin nach langem Hausarrest erzählen: Es war ein Konzert in Kaisers lautern am 28. Mai. Auf dem Programm standen Mendelssohn und Schumann. Ich wurde in eine keimfreie Garderobe geführt, nestelte mir selbst ein desinfiziertes Mikrofon ans Kleid, winkte von fern den Musikerinnen und Musikern, die ich nicht kannte und die ihrerseits in keimfreien Garderoben verschwanden. Ich ging auf die Bühne und sah etwa 150 Leute verteilt in einem Saal, der 700 fasst. Sie sassen da mit Masken, und es schnürte mir den Hals zu. Ich habe meine Texte zu Mendelssohn und Schumann abgeliefert, ohne zu leuchten, gerade mal so mit Fassung und Routine, ich sah kaum Reaktionen, Masken, Masken. Dann sass ich wieder in der keimfreien Garderobe, während Musikerinnen und Musiker, die ich immer noch nicht kennengelernt hatte, auf der Bühne standen. Danach keine Umarmung, keine gemeinsame Freude, kein Glas Wein. Rückfahrt im Auto, in der Nacht (bloss nicht in den Zug!) zweieinhalb Stunden nach Köln, es gab eh kein Hotel.

So stelle ich mir den Beruf, so stelle ich mir die Kunst, ihre Schönheit, das Verbindende nicht vor. Und am nächsten Tag bin ich denn auch gleich im Bett geblieben und hab mich und uns alle bemitleidet. Und Dr. Christoph Dammann, Direktor des Kulturreferats Kaiserslautern, rief mich an und sagte: Das war schön! Das war wichtig! Die Zuhörer waren dankbar und glücklich! Ich hielt dagegen, aber er sagte: Es ist doch ein Anfang! Man muss anfangen.

Von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen allen heute Abend: einen richtigen Anfang. Ich wünsche Ihnen ein Konzert, das dem Orchester Freude macht und das Publikum erreicht. Da oben und da unten gehören nämlich zusammen, es ist ein Geben und Nehmen.

‹Duell› heisst das heutige Programm. Duell für Publikum und Künstler, Duell gegen Corona, Duell, bei dem die Lebensfreude wieder siegt, siegen muss. Jawohl, Trommel, grosses Orchester bei Liebermann, Wärme und Lebensfreude bei Helena Winkelman und die 1. Sinfonie von Brahms, über welche Clara Schumann einst an den Geiger Joseph Joachim schrieb: «Man geniesst so recht in vollen Zügen, ohne an die Arbeit erinnert zu werden.»

Geniessen Sie bitte so recht in vollen Zügen, ohne an Corona erinnert zu werden!

© Bettina Flittner

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