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VORGESTELLT
«WIR MACHEN KUNST. DA HAT JEDER SEINE FREIHEIT.»
VON ROBIN KELLER Seit Februar gehört Chia-Chen Lin dem Kontrabassregister des Sinfonieorchesters Basel an. Trotzdem hat sie bis dato lediglich eine Handvoll Dienste absolviert – bei der Opernproduktion Peter Grimes –, dann kam der Corona-Lockdown. Ursprünglich kommt sie aus Taiwan, ist aber seit zwölf Jahren in Europa und kennt die drei deutschsprachigen Länder beinahe wie ihre Westentasche. Im Interview spricht sie über die Rolle des Kontrabasses und die gelegentlichen Probleme mit dem Transport.
RK Du sprichst ziemlich gut Deutsch ... CCL Ich habe mein Deutschzertifikat in Graz parallel zum Studium gemacht. Vormittags war ich in der Schule, um Deutsch zu lernen, und nachmittags habe ich an der Uni studiert.
Deine musikalische Karriere begann in Graz, jetzt bist Du hier in Basel.
Wie sah Dein Weg hierhin aus?
Nach drei Jahren Vorbereitungsstudium in Graz wechselte ich an die Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Dort habe ich sechs Jahre weiterstudiert und Orchestererfahrung gesammelt. Ich spiele auch heute noch als Aushilfe bei den Wiener Philharmonikern. Mit zwanzig war Zeit für eine Neuorien tierung. Bei der Staatskapelle Berlin wurde eine Akademiestelle frei, für die ich das Probespiel gewann. Berlin hat meine Augen noch einmal mehr geöffnet.
Inwiefern?
Berlin hat mich vor allem musikalisch weitergebracht, ich durfte mit einigen der bedeutendsten Musikern der Welt zusammenarbeiten. Ich habe bei der Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim unglaublich viel gelernt, schliesslich un terscheidet sich der Berliner Klang wesentlich vom wienerischen.
VORGESTELLT
Warum spielst Du eigentlich Kontrabass?
Ich habe zuerst Klavier gespielt und wollte Cello als Zweitinstrument lernen. Allerdings gab es an unserer musikalisch ausgerichteten Schule keinen Platz mehr für weitere Cellisten. Da hat unsere Lehrerin mir den Kontrabass vorgeschlagen. Ich war zunächst skeptisch, aber dann hat das Instrument so gut zu mir gepasst, dass ich den Kontrabass zu meinem Hauptinstrument gewählt habe.
Einen Kontrabass zu transportieren, stelle ich mir ziemlich umständlich vor.
Es ist schon manchmal harte Arbeit! Aber ich bin es mittlerweile gewohnt. Als ich nach Europa kam, habe ich mir erst mal ein Gestell mit Rädern gekauft. Wenn man allerdings Tram oder U-Bahn fahren will, fühlt es sich an wie mit einem überdimensionierten Koffer. Und im Flugzeug ist es natürlich schwierig. Einmal in meinem Leben durfte ich den Kontrabass mit in die Kabine nehmen. Alle haben mich mit riesigen Augen angestarrt!
Ich dachte, Kontrabässe muss man in grossen Transportkisten, den
‹Flight Cases›, als Gepäckstück aufgeben.
Das würde ich nie machen! Zwei Freunde von mir haben ihr Instrument so transportiert und nach dem Flug waren die Bässe kaputt. Das Risiko ist mir einfach zu gross.
Du bist oft unterwegs. Nimmst Du
Deinen Bass jedes Mal mit auf
Reisen?
Glücklicherweise gibt es im Orchester sogenannte Dienstbässe, man muss also den eigenen Bass nicht mitbringen. Hier in Basel habe ich sogar zwei Dienstbässe, einen für Orchesterkonzerte und einen für das Theater.
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Der Kontrabass wird generell als männlich angesehen. Stimmt das, oder ist es doch eher ein weibliches
Instrument?
Jeder Bass ist unterschiedlich, jedes Holz klingt anders. Mein Solo-Kontrabass ist sehr weiblich, er klingt in den hohen Lagen sehr weich. Das Probespiel für Basel habe ich auf einem sehr männlichen, dunkler singenden Bass gespielt.
Jedes Instrument ist anders. Trotzdem herrscht bei Geigen, Bratschen und Celli ein Kult rund um Geigenbauer mit berühmten Namen – Stradivari oder Guarneri. Ist das bei Kontrabässen ähnlich?
Es gibt schon berühmte Bassbauer, die jedoch beinahe niemand kennt. Daher kosten Kontrabässe weniger als Geigen oder Celli. Aber es geht nicht unbedingt um den Namen des Erbauers, sondern um die Qualität und Eigenschaft des Instruments selber – und natürlich darum, wie man darauf spielt.
Ein Kontrabass kostet also weniger als die Verwandten der Streicherfamilie, obwohl er grösser ist und mehr Holz verbaut wird. Hat das auch damit zu tun, dass der Kontrabass allgemein weniger Aufmerksamkeit erhält?
Ich denke schon. Man kennt den Bass nicht als Soloinstrument, sondern hauptsächlich als Begleitinstrument. Dabei ist der Kontrabass so vielseitig, wir können in hohen Tenorlagen spielen, erreichen aber auch profunde Tiefen. Und wenn in einem Orchester der Bass fehlt, dann gibt’s ein Problem. Wir sind nicht nur die Begleitung. Wir sind essenziell!
Gibt es Komponisten, die Du besonders magst? Vielleicht weil sie tolle
Kontrabass-Passagen komponiert haben ...
Ich mag die Sinfonien von Gustav Mahler. Ausserdem schaue ich sehr gerne Ballett. Josephs Legende von Richard
Es gibt in der nächsten Saison beim Sinfonieorchester Basel einige Uraufführungen. Wie stehst Du dazu? Bei Sacre du printemps von Igor Strawinsky hat es Jahrzehnte gedauert, bis die Leute das Stück akzeptiert haben. Auch heute verlassen manchmal Konzertbesucher den Saal und kommen erst nach der Pause für den ‹klassischen› Teil des Programms wieder. Generell denke ich, ist es gut, dass man sich traut, Neue Musik aufzuführen. Ich denke aber auch, dass es Zeit braucht, bis sich diese Stücke etablieren.
Wie ist das denn für Euch Musiker?
Sind neue Orchesterwerke spannend zu spielen?
Es kommt auf die Komponisten an. Es ist wie bei den Malern: Jeder hat seinen eigenen Stil. Wir machen Kunst, da hat jeder seine Freiheit.
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Noch zwei Fragen zum Schluss. Die erste wäre: deutsche oder französische Bogenhaltung?
Deutsche! Ich habe aber beide Haltungen gelernt. In Taiwan habe ich erst die französische Haltung gelernt – man hält den Bogen von oben, wie beim Cello. Als ich nach Europa kam, musste ich auf die deutsche wechseln, bei der man den Bogen von unten hält.
4 Saiten oder 5 Saiten? 5 Saiten. Diese Tiefe, die man mit der fünften Saite erreichen kann, ist einfach ein tolles Gefühl!
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