2 minute read

ORTSGESCHICHTEN

Next Article
Pekka Kuusisto

Pekka Kuusisto

BR AHMS IN KARLSRUHE

VON SIGFRIED SCHIBLI Johannes Brahms wurde in Hamburg geboren und war ein echter Sohn des Nordens. Als «grossen nordischen Deutschen» haben ihn dann auch die Nazis gefeiert. Und wo Ideologen Geschichtsschreibung betreiben, geht es meistens nicht ohne Geschichtsklitterung. In Wirklichkeit unterhielt Brahms intensive Kontakte nach Süddeutschland und in die Schweiz, und er arbeitete häufig mit jüdischen Künstlerinnen und Künstlern zusammen. Das lässt sich am Beispiel der Stadt Karlsruhe und ihrer Hofkapellmeister illustrieren.

Karlsruhe wird aufgrund des fächerförmigen Grundrisses auch ‹Fächerstadt› genannt. Im frühen 19. Jahrhundert wirkte dort mit Friedrich Weinbrenner ein Architekt, der für das Stadtbild eine ähnliche Bedeutung hatte wie ein halbes Jahrhundert später Johann Jakob Stehlin für Basel. Weinbrenner entwarf zahlreiche repräsentative Bauten der Stadt, unter anderem das Konzertgebäude der Museumsgesellschaft. In diesem 1814 vollendeten Konzertsaal wurde die 1. Sinfonie von Johannes Brahms uraufgeführt. Das Gebäude an der Kaiserstrasse 90, in welchem sich die Museumsgesellschaft befand, wurde 1918 durch einen Brand bis auf die Grundmauern zerstört. Das ‹Museum›, wie man es abgekürzt nannte, wurde aber nach dem Brand weitgehend originalgetreu wiederaufgebaut. Heute befindet sich dort eine Filiale der Deutschen Bank.

W ICHTIGSTER MUSIK KOPF DER STA DT: HERMANN LEVI Johannes Brahms war mit dem Karlsruher Hofkapellmeister Hermann Levi befreundet, der 1865 bei der Erstaufführung des Horntrios von Brahms in Karlsruhe mitwirkte. Später hat sich Levi dem BrahmsKonkurrenten Richard Wagner zugewandt und ist als Uraufführungs-Dirigent der Oper Parsifal in die Musikgeschichte eingegangen. Der Regisseur Barrie Kosky hat

ORTSGESCHICHTEN Levi, den Sohn des hessischen Landesrabbiners Benedikt Levi, in seiner spek takulären Bayreuther Meistersinger-Inszenierung (Première 2017) in der Figur des jüdischen Stadtschreibers Sixtus Beckmesser auf die Bühne gebracht.

Im Haus Hermann Levis wurde 1864 das Klavierquintett in f-Moll von Brahms uraufgeführt; damals spielten Clara Schumann am Klavier sowie Mitglieder der Hofkapelle. In die Ära Levi fielen auch die Uraufführungen der Altrhapsodie von Brahms sowie von zehn der achtzehn Liebeslieder-Walzer op. 52. 1866 weilte Brahms mehrere Wochen lang im Haus des Kupferstechers und Fotografen Julius Allgeyer an der Langen Strasse in Karlsruhe. Dort komponierte er mit dem Lied Die Mainacht nach einem Text von Ludwig Heinrich Christian Hölty eines seiner beliebtesten Lieder überhaupt.

BRAHMS’ W EGGEFÄ HRTE UND MUSIK A LISCHER A LLROUNDER: FELIX OTTO DESSOFF Damit nicht genug der Karlsruher Bezüge von Brahms: Auch die Uraufführung des Schicksalslieds für gemischten Chor und Orchester fand 1871 in Karlsruhe statt, diesmal unter der Leitung des Komponisten. Bekanntlich hat sich Brahms mit der Komposition seiner 1. Sinfonie ausserordentlich schwergetan. Als sie am 4. November 1876 endlich in einem Museumskonzert in Karlsruhe uraufgeführt werden konnte, war Hermann Levi schon nicht mehr Hofkapellmeister. Seine Nachfolge hatte Felix Otto Dessoff angetreten, der ebenfalls aus einer jüdischen Familie stammte und als einer der besten Dirigenten seiner Zeit galt. Er hatte sich schon während seines Studiums am Leipziger Konservatorium mit Brahms angefreundet und wirkte vor seiner Karlsruher Zeit als Musikdirektor in mehreren Städten, in Düsseldorf, Kassel, Aachen, Magdeburg und Wien. Dort unterrichtete er unter anderem Dirigenten wie Arthur Nikisch und Felix Mottl, was seinen Rang als Lehrer unterstreicht. Die Namen seiner begabtesten Schüler überstrahlten den Namen ihres Lehrers Dessoff, wie es bei einflussreichen Pädagogen nicht selten der Fall ist.

Hermann Levi

This article is from: