#26
SLEAZE
Trash mit Substanz
SLEAZE
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Flower power.
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SLEAZE
E D I T O R I A L
Liebe Gemeinde! „My boss was in the USA, and all I got was this dirty magazine!“ ...wäre, was ich gerne geschrieben hätte, aber ich hab NIX bekommen! Okay, außer ein paar klebrigen, zerdetschten US-Süßigkeiten. Dabei hatte Yanah versprochen, mir ein Schmuddelblättchen mit dicken Titten mitzubringen – die laue Ausrede: „Der Sex-Shop hatte schon zu...“ Pah. Die Enttäuschung sitzt tief. Tut mir leid, dass ihr das jetzt abkriegt, liebe Leser, aber irgendwohin muss der Frust. Deshalb präsentiere ich euch jetzt lauter Sachen, die ihr in diesem Heft enttäuschenderweise NICHT nachlesen könnt, wie z.B.: ––wie das jetzt nochmal genau war mit der Finanzkrise (meine Analyse: kompliziert) ––warum der Sommer so scheiße war (eigentlich klar: weil Gott uns hasst) ––wie man einen Windsor-Knoten macht (wer das wissen muss, liest aber auch eh kein SLEAZE) ––welche verschiedenen Ethnien sich in Zukunft um die Vorherrschaft in Libyen prügeln werden (Verdacht: es sind viele und es wird hässlich) ––was es über deine Persönlichkeit sagt, wenn du Loriot nie witzig fandest (Vermutung: nichts Gutes) Zugegeben, es gibt vermutlich noch ein, zwei Dinge mehr, die in diesem Heft nicht drinstehen. Alles Andere aber könnt ihr hier bei uns nachlesen, z.B.: –– warum Yanah dringend eine Samenspende braucht –– wieso Roboter plötzlich retro sind –– wie Frauen sind –– wie man jedes noch so komplexe Phänomen auf 2 Dimensionen runterbricht, ohne mit der Wimper zu zucken –– warum Amy Winehouse tot ist Und noch jede Menge mehr. Schwacher Trost, wenn man pornolos dasteht, aber wie bereits Aristoteles wusste: Life‘s a bitch and then you die. Bis dahin: Gott hasst euch, der Euro macht‘s nicht mehr lange, und wir sind bei euch. Alles also wie immer... Daniel S.
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INHALT 6 11 33
MAGAZIN
ab Seite
MODE
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MEDIEN
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LEBENSKUNST
ab Seite
58
MUSIK
ab Seite
70
UNTERWEGS
ab Seite
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„Das hässliche Tier“
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Liebe Männer glaubt es ruhig...
11
Shooting
18
Urbaner Darwinismus
33 Comics 34
Der super Superband
36
1000 Liter Tinte
38
Game Previews
39
Games Geflüster
40 Kino 43
Endlich: SLEAZE erklärt euch die Welt!
46
Alain Bieber
51
Gentle Giants
52
Samenspender gesucht!
53
Grafikerplatz
56
Erfinderladen, Berlin
58
Mythos „Club 27“
60 Casper 62
20 Jahre fick dich
64
Die neue Unmittelbarkeit
66
Musik
70
SLEAZE beetlet in der Welt herum
76
Indien
78
Social Media sei dank
79
Ein geheimer Garten öffnet sich
80 Verlosungsaktion 82 Impressum
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D A S
H Ä S S L I C H E
T I E R
„ICH muss meinen Rüssel nicht überall reinhalten!“
STECKBRIEF
Wer sich jetzt angesprochen fühlt…
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SLEAZE
Nick: Sam Name: Saiga tatarica Geschlecht: männlich Beruf/Beschäftigung: Hufaprüfer Wohnort: Kaschastan Größe: 82 cm Hobbys/Interessen: Wer braucht so einen Quatsch? Motto: Generation Melancholeriker
Wir haben die Rubrik ins Leben gerufen, weil Ungerechtigkeit herrscht – wieder einmal. Die süßen, niedlichen, ach so knuffigen Tiere werden häufiger erforscht als die Einäugigen, Zweinasigen, Dreibrüstigen, kurz – die Freaks unter uns. Wusstet ihr das? Gut, das muss nichts Schlechtes sein. So landet man auch seltener im Tierlabor. Ungerecht ist es trotzdem. Eher Euthanasie als Darwin. Und außerdem: Frauen dürfen inzwischen auch ganz emanzipiert dumme „männliche“ Sachen machen wie Krieg führen. Also fordern wir endlich auch bei der Forschung Gleichberechtigung. Menschen sollten in Versuchslabors zu gleichen Bedingungen wie Affen zugelassen werden, hässliche Tiere genauso erforscht wie süße. Da das allerdings noch in weiter Ferne liegt, sind die Tiere gefährdet. Wir steuern hiermit entgegen. Mit der ersten Kontaktsuchseite für die VERMEINTLICH HÄSSLICHEN UNTER UNS.
Liebe Freunde, Saigis und Menschenliebhaber, seit ich in einem Leserbrief angerüffelt wurde, dass wir zu niedliche hässliche Lebewesen vorstellen, grübel ich jedes Mal, ob die Bewerber nun angemessen hässlich sind. Das ist aber eigentlich blöd, und darum stelle ich heute ganz bewusst einen Vierbeiner vor, den ich optisch ausgesprochen niedlich finde. Ich hoffe, meine Damen, Sie sehen das ähnlich. Zu seiner Art, ähm, nur so viel: Man muss ihn zu nehmen wissen. Gruß mit Paarhufer-Victoryzeichen hufilo Kurz etwas zu meiner Person: Mein Therapeut hat mich als latent aggressiv eingestuft. Der Stümper. Keine Ahnung, aber macht auch schlau. Auch so eine der Sachen, die mich echt traurig machen. Ich mein, es muss doch… ach, ist ja auch egal. (hat eine Träne im Auge, Anm. d. Red.) Ich seh mich jedenfalls eher als Melancholiker, also als cholerisch melancholisch. Und wehe, da versucht jemand, mir das Wort im Maul umzudrehen. Dem zieh ich den Rüssel lang. Wen ich suche: Eine Frau, die auf ihren eigenen Hufen steht und weiß, ihren Kopf ein- und durchzusetzen. Ansonsten ein sonniges Gemüt mit dem schönsten Rüssel der Welt. Die nicht dummschwafelt und weiß, wo ihr Platz ist – an meiner Seite. Bei Interesse kannst du Kontakt aufnehmen unter der Chiffre „alte Heule“ mit einer Mail an danilo@sleazemag.de.
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L E B E N S w e i s h e i t e n
Liebe Männer glaubt es ruhig... … und lasst euch in das verhängnisvolle Netz der Schwarzen Witwen ziehen. Vielleicht überlegen wir uns im Laufe des Artikels einen anderen Namen, der das hinterhältige und scheinheilige Brunftverhalten der gemeinen Frau beschreibt. Oder wir kommen am Ende zu dem Schluss, dass jede Frau eine bezaubernde kleine Elfe ist, die es wert ist, auf Händen getragen zu werden. Wer weiß? Lest weiter. „Männer sind alle gleich.“ Kann das sein? Kluge Weisheiten, die auf Pauschalisierungen basieren, können grundsätzlich nicht wahr sein. Folglich müssten wir diese Floskel als Lüge abtun. Tun wir aber nicht. Wir formulieren sie schlicht und ergreifend um. Was nicht passt, wird passend gemacht. Hier also die Sleaze-Floskel:
„Männer finden das Gleiche anziehend.“ Definition von „das Gleiche“: Männer mögen es unkompliziert. Die potenzielle Partnerin soll um Gotteswillen keine Zicke sein. Keine Diva. Keine Prinzessin. Sportlich soll sie sein. Auch mal locker die 10 km am Wochenende mitjoggen, ohne zu jammern. Die Kumpels soll sie witzig finden. Ideal wäre immer ein kesser Spruch. Aber bei aller Lockerheit darf sie nicht wirken wie ein Proll - oder besser gesagt wie eine Prollette. Und genau das bekommen die ahnungslosen Männer. Wir nennen es eine meisterhafte Verwandlung. Diese hält aber nur einen bestimmten Zeitraum. Superhelden verwandeln sich schließlich auch in die Normalos zurück, die sie mal waren, bevor sie von irgendetwas gebissen, verstrahlt oder von Bombensplittern verletzt wurden. Wären Frauen Superhelden, würde jede einzelne LADY UNCOMPLICATED heißen, und ihre Superkräfte würden ihnen folgende Eigenschaften verleihen: –– sie sind total locker –– offen für alle neuen Sportarten –– legen keinen Wert auf Romantik
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–– starren niemals auf ihre Mobiltelefone oder E-Mail Fächer und warten auf Antwort von einem Mann. Lächerlich. –– hat sich der Typ zwei Tage nicht gemeldet, gehen sie am Dritten völlig easy ans Telefon und tun so, als wäre es ihnen gar nicht aufgefallen, dass er sich nicht gemeldet hat –– ob es sie stört, dass seine extrem heiße beste Freundin bei ihm schläft? Pah, an dem Abend hätten sie ohnehin keine Zeit. Donnerstags ringen sie mit einem Riesen-Alligator. Einfach so zum Spaß. Und die Krönung all unserer Macht ist: –– selbstverständlich sehen sie immer hervorragend aus und verbringen nie mehr Zeit vor dem Spiegel als jeder Mann.
So und nicht anders läuft es, unsere lieben Damen und Herren. Vor allem unsere Herren. Jetzt übersetzten wir die Superkräfte mal für diejenigen, die noch nicht verstanden haben, worum es hier geht! Frauen sind nicht unkompliziert. Da müssen wir euch leider enttäuschen. Zugegeben, es gibt verschiedene Stärkegrade der Kompliziertheit, die Frau an den Tag legen kann. Aber in den Tiefen ihrer Herzen sind alle Frauen gleich. Habt ihr es gelesen?! Verallgemeinerungen sind unsere Spezialität. Anfänglich passen wir altbewährte Sprichworte unserem Leben an, wie wir sie benötigen. Und zack, bist du nur noch eine von Milliarden anderen. Das ist aber nicht schlimm.
Ganz im Gegenteil. Du, als junge, schöne, intelligente, talentierte und erfolgreiche junge Frau beweist damit nur dein Können und deine tatsächlich vorhandenen Superkräfte. Du bist unkompliziert. Aber eben nur, solange du Mann betören möchtest. Hier jetzt die Übersetzung für alle Normalos oder auch Männer: –– Locker ist gar nichts. Schon gar nicht am Anfang. Da geht es Auge um Auge, Zahn um Zahn. Und lockerer werden wir auch nicht! Wären wir locker, wärt ihr uns egal. Also freut euch, dass wir es nicht haben können, wenn ihr uns von Megan Fox vorschwärmt und ihren tollen Kurven. Sie ist im Übrigen auch nicht unkompliziert und trinkt literweise Dosenbier. –– Suchst du dir eine unsportliche Freundin, akzeptiere das. Egal, was sie zu erzählen versucht. Sie lügt. Hat sie vorher keinen Sport getrieben, wird sie das auch nicht in deiner Ära beginnen. Und sie wird es auch nicht cool finden, mit dir Bundesliga zu schauen. Das passiert allerhöchstens mal in den ersten Monaten der Kennenlernphase aka Superheldenphase. Ehrenwort. –– Legen keinen Wert auf Romantik? Hahahahhahahaha hhahahahahahhahaha ja genau! Wenn ein Typ auf die innovative Idee kommt, Rosenblätter übers Bett zu streuen und Kerzen anzuzünden, bricht hoffentlich jede geschmackvolle Frau in Gelächter aus. Aber uns in der richtigen Situation an sich zu ziehen und uns zu küssen, hat noch keine Frau in schändliches Gelächter verfallen lassen. –– Sich nicht zu melden, ist so ziemlich das Schlimmste, was man einer Frau antun kann. Ignoranz ist die größte Strafe. Tut sie am Anfang so, als wäre das kein Problem, kostet sie das so viel Kraft, als würde sie ihr Auto in eine Parklücke heben.
–– Beste Freundinnen sind genauso ein Störfaktor wie Ex-Freundinnen. Wer lädt sich denn auch freiwillig die Konkurrenz ins eigene Haus ein? Alles andere ist die Lüge des Jahrtausends. –– Natürlich sehen wir Frauen immer fantastisch aus. Wir sind Frauen. Und zusätzlich unterstreichen wir nur gerne unsere Vorzüge mit ein wenig Make-up. Sonst nichts. Nein, wir stellen uns nicht den Wecker früher, um nach dem ersten Aufwachen schon etwas Wimperntusche aufzulegen, bevor du in unser Antlitz blickst. Und die leichte, zauberhafte Röte auf unseren Wangen ist kein Rouge. Das ist unser Teint. Die Liste von Dingen ist also lang, die es uns ermöglichen, den Männern zu suggerieren, dass wir unglaublich perfekte Wesen sind. Da wir ausschließlich Journalismus produzieren möchten, der Hand und Fuß hat, haben wir mit unzähligen Wesen der weiblichen Art gesprochen und sie in ihrer natürlichen Umgebung beobachtet. Wir möchten es fast eine Studie nennen.
Die Sleaze-Studie kam zu folgendem Schluss: Das zauberhafte Wesen Frau lässt sich nicht in Unterarten einteilen. Die Sache ist nämlich viel zu einfach. (Achtung, jetzt kommt noch eine schlimme Verallgemeinerung. Sollte eine/r von euch ein Problem mit Schubladen haben, jetzt wird’s hart.) FRAUEN SIND ALLE KOMPLIZIERT. Jede auf ihre ganz eigene Art. Doch die Superheldinnenkräfte, die den Männern anfänglich suggerieren, dass wir unkompliziert sind, die besitzt jede. Und das auf ihre ganz unkomplizierte LADY UNCOMPLICATED Art und Weise.
CoCo
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LEAZ e d o M
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Shooting
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Urbaner Darwinismus
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f u s s m o d e
SHOOTING Konzept und Bildideen: Celine Van de Velde, Anna Lederle Organisation: Anna Lederle Fotos: Celine Van de Velde WWW.GEPERSTPAPIER.WORDPRESS.COM
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SCHUHE: ONITSUKA TIGER
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SCHUHE (im Uhrzeigersinn von oben links):
REEBOK, REEBOK, KEDS, SUPRA, SUPRA
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SCHUHE: CONVERSE
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SCHUHE: REEBOK KAMIKAZE III
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SCHUHE: NIKE
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SCHUHE: VANS
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„Urbaner Darwinismus – oder die Jagd nach der Gesichtswurst “ Konzept, Organisation, Umsetzung: Anna Lederle Bildideen: Anna Lederle, Lena Obst Styling: Anna Lederle Fotos: Lena Obst, WWW.LENAOBST.DE Model Catarina von ROCKSTAR MODELS
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Model: Catarina Kleid: St端ssy Wickeljacke: Prancing Leopard
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Model: Jelena Jacke: Converse Hose: Wrangler Schuhe: Reebok
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Model: Dominik Hose: Dickies Schuhe: Nike Savage Beast
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Model: Catarina Hose: Herrlicher Jacke: St端ssy Top: St端ssy Schuhe: Osiris
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Model: Jelena Top: Black Market Clothing, gesehen bei www.asailorsgrave.de Rock: Wrangler Schl端ppi: Own Schuhe: Keds
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Model: Dominik Shirt: Chud Jacke: Wrangler G端rtel: Wrangler Hose: Wrangler Schuhe: Converse
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Model: Catarina Shirt: Wemoto Jacke: St端ssy Rock: Dickies Schuhe: Converse
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Models: Jelena und Dominik Shirts: Mexican Mob, gesehen bei www.superskull.de
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Model: Dominik Jacke: Converse Hose: St端ssy Schuhe: PUMA by Hussein Chalayan
Model: Marie Kleid: Melodica
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LEAZ es m a G he r c 端 B e Fi l m DVD cs i Com
33 Comics 34
Der super Superband
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1000 Liter Tinte
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Game Previews
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Games Gefl端ster
40 Kino
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Hau die Bässe rein, Bruno! von Benjamin Vogt
Liest man ein Werk des Comickünstlers Baru, weiß man mittlerweile, woran man ist. Der Franzose versteht sich auf Milieustudien, er skizziert das Leben in den französischen Vorstädten, berichtet von Losern, gefallenen Champions, Kleinkriminellen und fängt damit die Tragik des gesellschaftlichen Lebens Frankreichs immer wieder aufs Neue so gut ein wie kaum ein anderer Autor. Dabei lässt es sich Baru jedoch trotz realistischer Darstellung nicht nehmen, jedem seiner Comics eine spezifische Genrenote zuteil werden zu lassen. Im Falle seines neuen Werks Hau die Bässe rein, Bruno! schuf er einen verwobenen Krimi mit leicht komödiantischem Einschlag. Der Comic folgt zwei Handlungen, die im Laufe der Geschichte miteinander verknüpft werden: In der ersten Geschichte geht es um den jungen Slimane, der in einem afrikanischen Dorf als Fußballtalent entdeckt wird und sich daraufhin in den Laderaum eines Flugzeugs schmuggelt, um nach Frankreich zu gelangen und Karriere zu machen. Dort erwartet ihn jedoch das harte Leben als illegaler Einwanderer, der sich mit Gelegenheitsjobs durschlagen muss. Die zweite Handlung fokussiert sich auf Zizou (ein Namensvetter des berühmten Fußballers Zinedine Zidane, hier wird bereits der Brückenschlag zu Slimane sichtbar), der frisch aus dem Gefängnis entlassen bereits seinen nächsten großen Coup plant. Doch für den Überfall auf einen Geldtransporter muss Zizou sich ausgerechnet auf ein paar alternde Ganoven verlassen. Baru spinnt die beiden Ebenen auf ruhige Weise fort und vernetzt sie nach und nach miteinander. Das ist für den Leser an einigen Stellen etwas verwirrend, aber nicht weniger interessant. Am Ende des gewohnt seicht kolorierten, rasant gestalteten Bandes ergibt sich eine schlüssige Auflösung. Souverän, wie man es von vorherigen Arbeiten Barus in vergleichbarem Stil (z.B. Wut im Bauch und Elende Helden, beide Edition 52) kennt, strukturiert der französische Künstler seine Einzelelemente zu einem stimmigen Ganzen. Am Bemerkenswertesten ist jedoch, dass er dabei
sogar soziokulturelle Themen wie Migration und das Älterwerden subtil in seine Verbrecherstory mit einfließen lässt. Gelungener Comicband, der bewährte Motive aufgreift und ihnen auf kluge Weise neue Aspekte abzuringen vermag. erschienen bei Edition 52, 22,- Euro
Smoke City 1 von Jons Marek Schiemann
Auf zwei Bände angelegt, erzählt der erste Band von Smoke City eine klassische Heist-Story: Eine Bande von Kriminellen, deren Mitglieder sich zur Ruhe gesetzt haben, wird reaktiviert, um aus einem Museum eine Mumie zu stehlen. Die eine Hälfte des Albums dreht sich ganz genregerecht um die Vorstellung der Figuren und die Animositäten innerhalb der Gruppe. In der zweiten Hälfte geht es dann, wieder ganz genregerecht, um den Coup an sich, der zunächst natürlich alles andere als planmäßig verläuft, da ansonsten ja auch keine Spannung aufkommen würde. Verrat und Liebe spielen selbstverständlich auch eine Rolle. So weit ist das alles bekannt. Wenngleich nichts Besonderes, ist es doch immerhin recht kurzweilig und spannend zu lesen. Der Clou der Macher besteht aber nun darin, dass es mit der gestohlenen Mumie mehr auf sich hat, als es zunächst den Anschein hat. Dies wird direkt zu Beginn klar gemacht, aber das vergisst der Leser schnell, da er eine Geschichte aus einem ganz anderen Genre zu lesen bekommt. Erst im allerletzten Panel wird dieser Aspekt wieder aufgegriffen. Wohin die Reise im nächsten Band gehen wird, ist noch nicht absehbar, da die Story im Grunde erstmal abgeschlossen ist. Hier im ersten Band hat man einen Krimi vorliegen, aber was kommt im nächsten? Horror? Fantasy? Der Phantasie ist genügend Spielraum gegeben.
angedeutet, dass etwas geschehen wird, was nicht geschehen soll. Dass Krähen auch als Unglücksvögel gelten, passt dazu. Vielleicht auch schon eine kleine Anspielung auf The Crow von James O‘Barr? Die Frage, ob man schon einmal mit dem Teufel im fahlen Mondlicht getanzt habe, entstammt dem ersten Batman-Film von Tim Burton und zeigt deutlich, dass die titelgebende „Smoke City“ ein ebensolcher Moloch wie Gotham City ist. Der Titel erinnert nicht nur phonetisch an Sin City von Frank Miller, auch die Flucht eines Helden erinnert ein bisschen an die Flucht von Marv aus dem ersten Sin City-Band. Und die asiatische Ninja-Kämpferin, die hier auftaucht, könnte auch Frank Millers Noir-Epos stammen. Hier wird aber nicht plagiiert, da alle drei genannten Elemente sehr versteckt sind. Vielmehr werden sie als Zitat eingebaut, um die Story inhaltlich zu verorten: Mystik (Krähe), gotischer Einfluss (Batman), Großstadtsaga, Krimi, Action und verführerische Frauen (Sin City). Passend zur düsteren Story sind die Bilder von Benjamin Carré zum größten Teil in sehr blassen, kalten, düsteren Farben gehalten, die nur selten aufgehellt oder farblich intensiviert werden. Die Hintergründe führt er manchmal sehr detailliert aus, was mit der sehr rudimentären und glatten Figurenzeichnung bisweilen störend kollidiert. Hier hat man einen naturalistischen Ansatz und da sehr flächig gestaltete Figuren, die bisweilen unfertig wirken. Der Stilbruch lässt sie deplatziert wirken, was immerhin zu Verbrechern passt, die sich nicht in die Gesellschaft einordnen (wollen), aber es befremdet etwas zu Beginn. Dennoch sind die Zeichnungen für ein Debüt recht gelungen, wenn man sich nicht daran stört, dass sie erkennbar auf Fotovorlagen basieren. Finstere Noir-Story, die inhaltlich nicht viel Neues erzählt, aber viel verspricht für den zweiten Band. erschienen im Splitter Verlag, 13,80 Euro
jetzt erhältlich: Das Comicgate-Magazin #6: Erotik
in
Comics.
Jede
Menge Artikel und Interviews zum Thema (und
Kleine, gut versteckte Zitate deuten dabei in eine grobe Richtung. Das Eröffnungspanel lebt nicht nur von dem ersten Blick auf die moderne Großstadt, ganz in metallenes Grau getaucht, sondern auch von dem Kontrast mit einer Krähe, die mit bedrohlich geöffnetem Schnabel durch die Luft fliegt. Da sich die Krähe nicht in ihrer gewohnten Umgebung befindet, wird schon
Comics). Zu bestellen über www.comicgate.de
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C o m i c
Der super Superband
Denk ich an Superman, Flash, The Green Lantern und Batman, denk ich an meine Kindheit. An unzählige Stunden, die ich auf dem Sofa mit verschlissenen Heftchen, Filmen und Fernsehserien verbracht habe. Und an die Kindheit meines Vaters, dem es in seiner Kindheit schon ganz genauso ging. Und die (aktuelle) Kindheit des Kindes einer Freundin, das seit einem halben Jahr begeistert das DC-Comic-Universum bereist und erforscht. Mehrere Generationen Leser aller Kontinente, unterschiedlicher Religionen und sozialer Herkunft wurden durch die Comics, Filme und Cartoons von DC geprägt und durchs Leben begleitet. Wie entstanden die ersten DC-Comics, wer hat sie gemalt und warum hat der erste Green Lantern eine Schwäche gegen Holz, während alle Nachfolger machtlos gegen Gelb sind? Diesen und einer ganzen Menge weiteren Fragen geht „75 years of DC COMICS – The Art of modern Mythmaking“ auf den Grund. Anlässlich des, logisch, 75-jährigen Jubiläums von DC Comics hat der Taschen-Verlag einen wahrhaft dicken Wälzer (DIN A3 und über 700 Seiten!!!!) herausgebracht, um dem Urgestein DC seinen Tribut zu zollen. Klar gibt es gefühlte Millionen Comic-Seiten und Cover zu sehen, dazu widmet sich dieses Buch aber vor allem der Geschichte, der Produktion und auch den Machern der unzähligen Comic-Helden und dem Haus, in dem sie entstanden. Und es versucht, deutlich zu machen, welchen Einfluss Comics auf unsere Gesellschaft und
unsere Vorstellungen von richtig und falsch, vom Heldentum und den essentiellen Dingen des Lebens haben. Denn sie sind mehr als schnell vergessene Kinderunterhaltung, sie sind das, was für unsere Ahnen Mythen, Volkslieder und Märchen waren: die Basis von Kultur. Auch auf die Gefahr hin, dass mein Bücherregal unter der Last dieses Buchs zusammenbricht: Seit ich es in den Händen hatte, muss ich es haben! 75 Years of DC Comics: The Art of Modern Mythmaking Paul Levitz Hardcover, 29 x 39.5 cm, 720 Seiten Texte in Englisch und Deutsch
Anna Motz
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T A T T O O
1000 Liter Tinte
Vor fast genau einem Jahr wurde an dieser Stelle das opulente Werk „Black Tattoo Art“ aus der Edition Reuss vorgestellt. Auf Hunderten Seiten war das ganze Universum des Tribal-TattooHandwerks zu bestaunen. Dieses Jahr wird der riesige Kosmos der Tätowierungen durch ein weiteres höchst beeindruckendes Werk aus dem Hause Reuss erweitert. Dieses Mal geht es um Farbe, genauer gesagt, um alles Farbige, was die Stile New School, Comic, Cartoon, Manga und Pin-Up hergeben. In einem Bildband, der von Größe und Gewicht her auch gut die Illustration der Bibel sein könnte, tummelt sich niedlichGruseliges, Grafitti-Angehauchtes, lustig-Kurioses und natürlich jede Menge an Figuren, die entweder direkt einem Comic entsprungen sind oder die Vorlage für einen neuen Cartoon sein könnten. In Abgrenzung zu den anderen großen Tattoo-Bereichen Tribal, Japanisch und Oldschool bedienen sich die Künstler in „Color Tattoo Art“ eigentlich alle gegenwärtiger Kunstformen wie Graffiti, Comic und Lowbrow-Art jeglicher Couleur. Dabei mischt sich altbewährte Tattoo-Kunst mit Cartoon-Figuren aus der eigenen Kindheit, gruseligen, aber gleichzeitig Muffinsüßen Dämonen - alles ist möglich, Hauptsache bunt und schrill.
Zwischen der wirklich astronomisch riesigen Auswahl an Bildern wird mit einer gut verständlichen Einleitung und jeder Menge Interviews mit Tattoo-Künstlern das nötige Hintergrundwissen vermittelt, um den Wesenskern dieser Stile zu verstehen. Wer Tattoo-Literatur sammelt, MUSS dieses Buch (wie die anderen Tattoo-Bücher aus der Edition Reuss) eigentlich im Schrank stehen haben. Aber auch jedem Anderen, der sich für farbige Tätowierungen interessiert, sei dieses leider ein wenig unhandliche, aber dafür umso ergiebigere Buch ans Herz gelegt. Color Tattoo Art Marisa Kakoulas Hardcover, 24,5 x 31,5 cm 496 Seiten Texte in D, E, FR
Anna Motz
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Game Previews
von Pascal
Rage Shooter | Xbox 360, PlayStation 3, PC | Bethesda Softworks | Oktober 2011 Rage ist die große Hoffnung von id Software, doch noch auf den aktuellen Videospiele-Zug aufzuspringen. Der Doom-Macher hat die Entwicklung lange verschlafen. Wobei das nicht ganz stimmt: Rage ist schon seit vielen Jahren in der Mache, wurde aber immer wieder verschoben. Die Wartezeit scheint sich allerdings zu lohnen, denn das bislang gezeigte Material sieht wirklich fantastisch gut aus. Es scheint so, als ob die ausgelutschte Unreal Grafikengine 3 endlich eine starke Alternative erhält. Id Software hat für den Shooter extra einen komplett neuen Grafikmotor auf die Beine gestellt, die id Tech 5 Engine. Einige Entwicklerstudios wollen die Engine jedenfalls schon lizenzieren, um ihrerseits neue Games zu realisieren. Aber zunächst zeigt der neue Endzeit-Shooter von den Ego-Shooter-Pionieren höchstpersönlich, was technisch auf aktuellen Konsolen und PCs machbar ist. Das Setting des Spiels erinnert ein wenig an Mad Max, und neben Ego-Shooter-Elementen dürfen wir uns auch hinter das Steuer eines Buggys klemmen und die weitläufigen Areale erkunden. Die Technik-Hoffnung verlangt übrigens ordentlich Speicherplatz. Selbst auf der Xbox 360 wird eine Installation von satten 22 GB auf der Festplatte fällig. Jeder, der nur die Arcade-Version ohne Festplatte von Microsofts Konsole Zuhause hat, sollte also sich im Klaren darüber sein, dass er Rage nur spielen kann, wenn er sich zusätzlich eine Festplatte kauft.
Driver San Francisco Action-Rennspiel | Xbox 360, PlayStation 3, PC | Ubisoft | September 2011 Ein weiterer Klassiker gibt sein Revival auf den aktuellen Konsolen. Driver erschien 1999 für die PlayStation 1 und war ähnlich wie die modernen GTA-Games, nur linearer und „Rennspiellastiger“ (erst ab dem zweiten Teil durfte man auch das Auto verlassen und zu Fuß unterwegs sein). Im Grunde war Driver der Wegbereiter der heutigen Sandboxtitel. Denn während die alten GTA zu dem Zeitpunkt noch aus der Vogelperspektive spielbar waren, war Driver schon komplett 3D in einer offenen Spielwelt. Meist fuhr man unter starkem Zeitdruck von A nach B, musste dem Gegenverkehr ausweichen und wurde von anderen Autos gejagt und beschossen. Das Spiel und auch der zweite Teil, der 2000 erschien, war ein großer Erfolg. Danach kamen noch einige Fortsetzungen, die aber gegen den neuen Platzhirsch GTA eher öde wirkten. Ubisoft hat sich nun die Serie gesichert und drängt zurück auf die Überholspur. In Driver San Francisco sind wir John Tanner, ein Ex-Rennfahrer und UndercoverCop. Am Ende des dritten Teils hatten wir einen klassischen Shootout mit dem Gangsterboss Charles Jericho. Wir haben überlebt, schwer verletzt. Leider lebt auch er noch. Wir sind ihm nun wieder auf den Fersen, wollen Rache. Allerdings spielt sich diese Jagd nur in unserem Kopf ab, da wir einen Autounfall hatten und im Koma liegen. Egal! Für uns fühlt sich das hier realer an als alles, was wir je zuvor erlebt haben.
Gears of War 3 Action | Xbox 360 | Microsoft Game Studios | September 2011 Die finale Schlacht gegen die Locust beginnt! Neben Halo ist Gears of War DIE Marke für Microsofts aktuelle Spielekonsole. Dabei ist keiner der Vorgänger je offiziell in Deutschland erschienen. Die Gründe hierfür sind offensichtlich: Es fließt jede Menge Blut, Körperteile werden gerne mit dem Kettensägen-Attachment der Lancer Gun abgetrennt, und auch in den entsprechenden Kommentaren sind die Helden nicht zimperlich. Dass ausgerechnet der dritte Teil ein begehrtes 18er-Logo bekommt und hierzulande ganz offiziell ungeschnitten erscheint, überraschte sogar Entwickler Epic Games. Immerhin soll Gears of War 3 noch detailliertere Grafiken bieten und kein bisschen softer werden als Teil eins und zwei. Der Third-Person-Shooter glänzt aber nicht nur durch Brutalität, sondern auch durch ein perfekt inszeniertes Dauer-Action-Feuerwerk. Des Weiteren vermittelt kein anderes Game ein solch intensives Teamfeeling, wenn man zusammen mit einem Freund im Coop-Modus die Feuergefechte erlebt. Im neuen Teil sollen diesmal sogar vier Freunde zusammenspielen können.
Warhammer 40000: Space Marine Action | Xbox 360, PlayStation 3, PC | THQ | September 2011 Ein Actionspiel im Warhammer-40000-Universum? Klingt geil! Im 41. Jahrtausend streiten sich Menschen mit anderen Spezies um die Vorherrschaft im Weltraum. Und wir sind mittendrin in dieser Dystopie. In einem blutigen Actionspiel werden wir alleine oder im Team via Coop-Modus gegen fiese Orks antreten und uns den Weg freischießen. Doch allzu leicht werden sich die grünen Monster nicht abknallen lassen: Die garstigen Viecher bemannen gerne mal einen Mech. Diese schwerbewaffneten Roboter werden uns ganz schön zusetzen. Hitzige Feuergefechte dürften in Warhammer 40000: Space Marine garantiert sein.
Illustrationen: Anna Motz
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Games Geflüster Neuigkeiten, Gerüchte und Fundstücke aus der Welt der Videospiele von Pascal
Hackerangriff: Nintendo und Sega tun es Sony gleich Sony versucht sich gerade von dem Sicherheits-Debakel zu erholen. Die Japaner wirken nach den mehrfachen Hackerangriffen auf sensible Kundendaten konsterniert. Mehr als sich entschuldigen können sie kaum – was sie auch bei jeder Gelegenheit tun, siehe die E3-Pressekonferenz. Nintendo und Sega können sich jetzt ein paar von den Entschuldigungsreden abschauen, denn auch sie wurden Opfer von Hackerangriffen. Nintendo bekam unerwünschten Besuch von der Lulz Security. Die Hacker-Gruppe drang auf einen US-Server von Nintendo ein und nahm eine Konfigurations-Datei mit. Danach teilte die Bande mit, dass sie Nintendo lieben und mit der Aktion nur auf die Lücke hinweisen wollten. Nintendo nahm diesen Hinweis zur Kenntnis und stopfte das Sicherheitsloch. Weniger glimpflich lief es bei Sega ab. Dort wurden Server von Sega Europe geknackt und 1,3 Millionen Kundendaten geklaut. Passwörter, E-Mail-Adressen, Geburtsdaten – Bankdaten allerdings, laut Sega, nicht. Lulz Security steckte nach eigenen Angaben aber diesmal nicht hinter dem Angriff. Endlich auch grafisch Next-Gen: Nintendo präsentiert die Wii U Die E3 in Los Angeles sollte dieses Jahr besonders spannend werden: Als Erster der großen drei Videospielekonsolenhersteller stellte Nintendo die nächste Genration ihrer Heimkonsole vor. Die Präsentation der Nintendo Wii U war dann allerdings weniger spektakulär als erhofft, lediglich ein paar Trailer zu Spielen wurden gezeigt. Große Besonderheit und offensichtliches Hauptaugenmerk bei der neuen Konsole der Japaner: ThirdParty-Spieleentwickler haben großes Interesse an der Plattform. War es bislang eher so, dass quasi nur Nintendo selbst nennenswerte Games für Wii rausbrachte, reihen sich nun alle Großen der Branche auf. Ubisoft, Capcom, Electronic Arts, Konami – es fehlt keine der kreativen Schmieden! Hauptgrund dafür ist, dass man nun nicht mehr spezielle technisch-abgespeckte Versionen der hauseigenen Spieletitel für Wii U machen muss. Die Grafikpower ist diesmal so stark wie bei PlayStation und Xbox, somit dürfen wir uns auf mehr Core-Titel wie Ghost Recon freuen und bekommen nicht nur Fun-Games à la Wii Sports geboten. Wie stark die neue Konsole aber wirklich wird, ist noch unbekannt. HardwareDetails wollte Nintendo noch keine nennen. Interessant sah aber auch der neue Controller aus: So groß wie ein kleiner Tablet-PC, hat er einen Touchscreen in der Mitte, auf dem verschiedene Spieleinhalte dargestellt werden können. Die PSP 2 heißt jetzt PSP Vita: Sony nennt Details zum Handheld 249 Euro für die Wi-Fi-Variante, 299 Euro, wenn das Gerät auch im Mobilfunknetz mit 3G online sein soll - das sind die Preise für die PSP Vita, Sonys neue Handheld-Konsole. Das Erscheinungsdatum ist noch nicht offiziell, aber es wird wohl auf Ende des Jahres oder nächstes Frühjahr hinauslaufen. Das Gerät soll von einem Quad-Core-Prozessor angetrieben werden. Zwei Kameras sind angekündigt: eine auf der Vorder- und eine auf der Rückseite. Das Gerät soll abwärtskompatibel sein. Sony verspricht, dass alte PSP-1-Games auf der PSP Vita grafisch besser aussehen sollen – zumindest einige Titel sollen dieses Feature bieten.
Auf der Rückseite soll sich ein Touchpad befinden, damit sollen sich Spiele intuitiver zocken lassen. Eine große Stärke der alten PSP war das scharfe Display. Auch die Daten des Neuen klingen sehr gut: 16:9-Breitbildformat, 16 Millionen Farben, OLED, 960 x 544 Bildpunkte Auflösung. Weniger stark klingt die Akkulaufzeit: Knapp 3 Stunden wird eine Ladung wohl nur halten. Die anderen haben neue Hardware, Microsoft hat Kinect und Halo Microsoft sah ein wenig armselig aus bei der diesjährigen E3. Während Nintendo und Sony neue Konsolen im Gepäck hatten, musste sich Microsoft auf Games für die alternde Xbox 360 verlassen. Mit dem teuren Zubehör Kinect wurde letzten Herbst eine Kamera für die Konsole veröffentlicht, die Bewegungen des Spielers präzise erfassen und interpretieren kann. Ein tolles Stück Hardware. Leider kamen nach der ersten Welle kaum noch neue Games auf den Markt. Nun wurde eine ganze Reihe angekündigt, unter anderem ein neues Fable, welches auf Kinect-Steuerung basieren soll. Daneben erwartet Shooter-Fans im November ein Remake des ersten Halo-Teils. Komplett an die Xbox 360 angepasst, soll das Spiel einen Coop-Modus für bis zu vier Spieler bieten. Per Knopfdruck soll man zwischen dem neuen HD-Gewand und der Originalgrafik aus Xbox-1-Tagen switchen können. Und weil Halo immer noch die Über-Marke bei den Fans ist, wird die Story des Masterchiefs endlich weitererzählt: Halo 4 kommt 2012 auf den Markt. 152 Freunde als Tattoo: Amerikanerin geht Facebook unter die Haut Freunde haben ist eine tolle Sache. Dank Facebook haben wir sehr viele davon, und wir wissen immer, in welchem Restaurant sie gerade sind oder in welchem Nasenloch sie gerade bohren. Das Problem ist nur, dass man sich mit steigender Anzahl nicht mehr alle Namen und Gesichter merken kann. Zumindest für Letzteres hat eine US-Amerikanerin nun Abhilfe geschaffen: Die Profilfotos von 152 Facebook-Freunden drängen sich auf ihrem Arm dicht zusammen. Reihe für Reihe bilden diese Fotos eine perfekte Liebeserklärung an all diese Leute – und eine noch viel größere an Facebook. Hoffentlich ändert keiner ihrer Freunde jemals das Profilbild! Über 60000 Dollar für zwei Video-Uploads: Schwulenpornos sind teuer Einem Mann aus Calgary, Kanada, kam der Upload zweier Pornos teuer zu stehen. Filme des Labels Corbin Fisher wurden von ihm verbreitet. Über das Portal GayTorrent kamen die Produzenten in den Besitz der Adressdaten des Kanadiers und schickten die Abmahnanwälte sofort auf Beutezug. Mit Erfolg, denn vor Gericht konnten diese über 63000 Dollar Strafe rausschlagen. GayTorrent bestreitet, die Adressdaten weitergegeben zu haben. Sicherlich ein schwacher Trost für den Mann aus Calgary. Auch die Tatsache, dass er „nur“ 63000 anstatt der von Corbin Fisher geforderten 300000 Dollar bezahlen muss, dürfte ihn nur bedingt freuen. Hoffentlich können ihm zumindest seine beiden Edel-Pornos ein paar schöne Stunden bereiten – teuer genug waren sie ja.
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Kino
von Pascal
The Guard - Ein Ire sieht schwarz Thriller, Komödie | 22.09.2011 | John Michael McDonagh
Gerry Boyle nimmt es mit dem Gesetz nicht allzu genau – und das, obwohl er ein Gesetzeshüter ist. Aber um es in Galway, einem verschlafenen Ort im Westen Irlands, länger als einige Tage auszuhalten, ohne sich von der nächstbesten Klippe zu stürzen, muss man einfach von Zeit zu Zeit zu aufputschenden Drogen greifen – selbst als Polizist. Neben den kleinen Pillen, die er hin und wieder einwirft, tut er das, was jeder hier in Galway tut: Seine Abende im Pub verbringen und sich manchmal auch eine Dame vom Escort-Service aus Dublin kommen lassen. Tagsüber nimmt er sich als Sergeant der örtlichen Kleinganoven an. Sicherlich ein tristes Dasein, aber Boyle ist zufrieden. Das ändert sich schlagartig, als ein Drogenschmuggler tot aufgefunden wird und ein berüchtigtes Gangstertrio auftaucht, um einen großen Drogendeal ausgerechnet in Galway durchzuziehen. Als wäre das nicht schon ärgerlich genug, bekommt Boyle auch noch einen Profi vom FBI an die Seite gestellt.
Hell Thriller | 22.09.2011 | Tim Fehlbaum
Dieses düstere Endzeit-Szenario kommt genau richtig für alle, die diesen verregneten Sommer so richtig satthaben. Denn der Titel „Hell“ steht weniger für das englische Wort für Hölle, sondern bedeutet viel mehr das Gegenteil von dunkel. Allerdings ein geschicktes Wortspiel, denn die permanente Helligkeit und Hitze im fiktiven Setting dieses Films hat die Welt im Jahre 2016 zu einer wahren Hölle verwandelt. Die Sonneneinstrahlung hat in den letzten Jahren massiv zugenommen, und Wasser ist in dieser Einöde rar geworden. Ebenso wie Benzin und jegliches Leben auf diesem Planeten. Regierungen sind zusammengebrochen, und die letzten versprengten Menschengruppen kämpfen nur noch ums Überleben. Eine dieser Gruppen versucht, sich einen Weg in die Berge zu bahnen. Dort soll es die letzten Wasserquellen geben. Doch ihre Reise dorthin ist geprägt von Konflikten und Misstrauen untereinander. Der menschliche Überlebenstrieb stellt gesellschaftliche Empfindungen wie Liebe und Moral auf eine harte Probe.
Attack the Block Action, Science-Fiction, Komödie | 22.09.2011 | Joe Cornish
Wie nicht erst durch aktuelle Ereignisse bekannt ist, kann es durchaus gefährlich sein, sich nachts alleine auf den Straßen von London aufzuhalten. Hauptdarstellerin Sam scheint diese Warnungen nicht gehört zu haben, denn sie wagt sich alleine auf die Straßen von Süd-London. Und prompt wird sie auch schon von einer Gruppe Jugendlicher überfallen. Glück im Unglück: Aliens beschließen, genau in diesem Moment die Erde anzugreifen. Die halbwüchsigen Möchtegern-Gangster lassen sich ungerne die hart verdiente Vorherrschaft auf Londons Straßen streitig machen und greifen zu den Waffen. Doch die Alien-Invasion ist massiver als gedacht, und die Viecher wollen sich um jeden Preis auf der Erde einnisten. Regisseur Joe Cornish ist für sein humoristisches Talent bekannt, immerhin stand er in Hot Fuzz selbst vor der Kamera. Zudem waren die Macher von Attack the Block auch an Shaun of the Dead und Scott Pilgrim beteiligt. Dementsprechend dürfen wir im September eine Sci-Fi-Komödie voller britischem Humor erwarten.
Whores‘ Glory - Ein Triptychon Dokumentation | 29.09.2011 | Michael Glawogger
Eine Dokumentation über Prostituierte weltweit lässt uns erst einmal an einen besonders ausufernden Porno denken. Whores‘ Glory ist allerdings eher stimulierend für die Region weit über der Gürtellinie. In der Doku kommen Frauen zu Wort, die über ihre Erfahrungen im ältesten Gewerbe der Welt sprechen. Vermeintliche Einzelschicksale, doch ihre Geschichten spiegeln die von vielen Prostituierten wider. In Whores‘ Glory berichten Prostituierte von ihren Sehnsüchten und Hoffnungen. Sie erzählen uns aber auch von ihren Ängsten und Gewalterfahrungen. Und
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wir erhalten Antworten auf die Frage, ob es ihnen bei einem solchen Beruf überhaupt noch möglich ist, zu lieben. Die Doku führt uns von Mexiko über Thailand, Bangladesch und Nepal bis nach Wien. Der österreichische Regisseur Michael Glawogger gewährt uns Einblicke in den Alltag von Huren auf der ganzen Welt, der nichts mit den vorgefertigten Klischees in unseren Köpfen zu tun hat.
John Carpenters The Ward Thriller, Horror | 29.09.2011 | John Carpenter
John Carpenter. Schon allein durch Nennung des Namens ist völlig klar, in welche Richtung der Film gehen wird. John Carpenter ist eine echte Institution, was Horrorfilme angeht. Auch nach fast vierzig Jahren im professionellen „Grusel-Business“ wird er nicht müde, neue Streifen abzuliefern. The Ward erzählt die Geschichte einer Frau, die sich in einer psychiatrischen Anstalt wiederfindet. Sie weiß nicht, warum sie hier ist. Zudem kann sie sich auch nicht daran erinnern, was vor ihrer Einlieferung geschehen ist. Allerdings ist es keine Seltenheit, dass die Insassen solcher Einrichtungen desorientiert sind – andernfalls wären sie wohl kaum in einer Irrenanstalt gelandet. Kristen ist allerdings alles andere als sicher in ihrem neuen Zwangs-Zuhause, denn ein blutrünstiger Geist treibt hier sein Unwesen. Natürlich schenken die Ärzte den Warnungen der jungen Frau keine Beachtung, sondern sehen darin nur die Bestätigung ihrer Geistesgestörtheit. Für Kristen steht jedoch fest, dass sie bald das nächste Opfer des Geistes wird, wenn ihr nicht schnellstens die Flucht gelingt.
Real Steel Action, Science-Fiction | 06.10.2011 | Shawn Levy
Rocky meets Transformers, so könnte man Real Steel mit knappen Worten beschreiben. Frauenschwarm Hugh Jackman spielt in Real Steel Charlie, einen heruntergekommenen Ex-Boxer, der eine zweite Chance erhält. Allerdings hat sich der Boxsport mittlerweile gewandelt. Klassisches Boxen zwischen zwei menschlichen Kontrahenten ist verboten worden, weswegen nun Roboter in den Ring steigen und sich gegenseitig zu Klump hauen. Ein sehr teurer Sport, und Charlies Roboter schlagen sich nicht allzu gut. Schon bald steigen ihm die Schulden über den Kopf, und er steht mit dem Rücken zur Wand. Ausgerechnet, als seine Ex-Freundin stirbt und er das Sorgerecht für seinen Sohn erhält, scheint sich aber das Blatt zu wenden. Im Gegensatz zu Charlie hat sein Sohn mehr Ahnung von Maschinen und moderner Technik. Zusammen mit Charlies boxerischen Fähigkeiten trainieren sie einen alten Sparring Roboter. Gemeinsam formen sie diesen abgehalfterten, rostigen Schrotthaufen zu einem ernstzunehmenden Anwärter auf den Titel. Und während sie einen Sieg nach dem anderen einfahren, kommen sich auch Vater und Sohn endlich näher.
Atemlos - Gefährliche Wahrheit Thriller | 13.10.2011 | John Singleton
Illustrationen: Anna Motz
Nathan Harper hat alles, was sich ein Teenager wünschen kann: Ein wohlhabendes Zuhause, Erfolg in der Schule, und auch die Mädchen liegen ihm zu Füßen. Seine wohlbehütete Welt gerät schlagartig aus den Fugen, als er auf einer Webseite für vermisste Personen ein Baby-Foto von sich entdeckt. Ihm wird klar, dass er als Kind entführt wurde und nicht bei seinen leiblichen Eltern aufgewachsen ist. Sein ganzes Leben ist somit eine Lüge, die auf einem Verbrechen basiert. Doch das Kidnapping ist nur die Spitze des Eisbergs: Die Gründe für die Entführung sind tiefreichender, als Nathan erahnen kann. Und seine Ermittlungen lösen eine ungeahnte Action-Lawine aus. Eh er sich versieht, werden seine vermeintlichen Eltern von Agenten eines Geheimdienstes der Regierung getötet und Nathan fortan gejagt. In Nathan scheinen aber besondere Fähigkeiten und Talente zu stecken. Talente, die offensichtlich mit seinen echten Eltern zusammenhängen. Er nimmt den Kampf gegen die dunklen Machenschaften auf, um endlich herauszufinden, wer er wirklich ist.
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unst k s n Lebe
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S N E B E L NST KU st n u k s Leben
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Endlich: SLEAZE erkl채rt euch die Welt!
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Alain Bieber
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Gentle Giants
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Samenspender gesucht!
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Erfinderladen, Berlin
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Endlich: SLEAZE erklärt euch die Welt! Die Welt ist kompliziert geworden, gerade in den letzten Jahrzehnten. Ihr wisst schon. Postmoderne und der ganze Stress. Deshalb neigen wir uns freundlich zu euch herab, lichten das Dickicht der multifaktoriell-polykausalen Realitätsstruktur und zeigen euch, was Sache ist. In 2D!
Politik
Politik ist gar nicht so kompliziert, wie der Laie zunächst denken mag. Mittels zweier Variablen lässt sich die politische Agenda eines jeden Protagonisten zusammenfassen: Ausrichtung (von links wie Marx bis rechts wie Kaiser Wilhelm) und Staatsbegriff (von „Wög müt döm Schweinösystöm!“ bis „Jämand solltä hierrr mal rrrichtig ORRRDNUNG machän!“). Das Ergebnis sieht wie folgt aus:
Konzept: Daniel S.
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Musik ist ein ungeheuer weites Feld, auf dem man leicht die Orientierung verliert. Aber wisst ihr was? Vergesst Genres, Labels, Musikgeschichte und MTV. Das einzige, das wirklich z채hlt, ist: Wie erfolgreich oder unbekannt ist ein Musiker oder eine Band? Und: Wie sieht es mit den musikalischen F채higkeiten aus? Man sollte denken, dass eine besonders virtuose Band auch die besten Chancen auf den Chartserfolg hat. Dem ist nicht zwingend so, wie ihr hier seht:
Musik
Konzept: Daniel S.
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Schuhe sind so eine Sache für sich. Man braucht sie wie Unterhosen, es sei denn, du pflegst deinen Kontakt zu Mutter Natur durch physischen Kontakt über deine Fußsohlen oder bist ein buddhistischer Mönch. Gleichzeitig gilt wie für kein anderes Kleidungsstück die Devise: „Zeig mir was du trägst, und ich sage dir, wer du bist“. Da sind die Pragmatiker, deren Schuhe den Zweck erfüllen, die Füße warm und trocken zu halten, nicht mehr und nicht weniger. Und dann gibt es eine ganze Menge Anderer, die mittels ihrer Treter entweder versuchen, im Mainstream-Strom zu schwimmen, Coolness zu suggerieren oder zu zeigen, wie experimentierfreudig und extrovertiert sie sind. Dabei kann man in den Olymp der Styles gehoben werden oder im Fegefeuer der Unlässigkeit brutzeln... egal, ob man trägt, was alle tragen, oder das Verrückteste spazieren trägt, was die Schuhwelt zu bieten hat. Hier eine kleine Auswahl!
Schuhe
Konzept: Anna Motz
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Wenn Revolte die Kunst Ein Gespräch mit fickt... Alain Bieber
Jota Castro, 2006 in Art&Agenda
Seit Jahren dreht sich ein Großteil der Kunstwelt um sich selbst... in einem ewigen Zirkel aus Zitaten und selbstreflexiven Momenten… gäääääääähn. Zum Glück ist das nicht überall so. Es gibt sie noch: die politische, gesellschafts- und konsumkritische Kunst. Was oft mit plakativen „Politik ist scheiße, wir wollen Weltfrieden“-Bildern assoziiert wird, kommt jedoch in wesentlich schlaueren, hinterlistigeren und subversiveren Gewändern her, als man vorschnell vermuten könnte. Kritische Kunst kann auch Spaß machen! Glaubst du nicht? Selbst schuld! Wir haben mit jemandem gesprochen, der sich seit Jahren mit sämtlichen Formen kritischer, subversiver und zwangsläufig auch oft illegaler Kunst beschäftigt und dich hoffentlich vom Gegenteil überzeugen kann. Zuerst einmal, du hast allgemeine Rhetorik als Hauptfach studiert, das geht? Und muss ich jetzt Angst vor deiner Wortgewandtheit haben? Ja, in Tübingen kann man Rhetorik als Hauptfach studieren. Ist so wie Kommunikationswissenschaft, nur mit einer längeren Historie. Und viele Dinge haben sich eben nicht geändert, Cicero, Antiphon und Quintilian hatten schon ein
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paar ziemlich gute Tricks drauf. Im Gegensatz zur Kommunikationswissenschaft ist Rhetorik eine zielgerichtete, persuasive Kommunikation. Aber Du brauchst keine Angst zu haben, wenn Du nett zu mir bist, dann tue ich Dir nichts. Die Palette deiner beruflichen Bahnen ist ja recht farbenfroh. Kunstkritiker, Projektmanager, Redakteur, Blogger, Kurator...Wie kommts? Weil die einzelnen Jobs nicht genug Geld zum Leben bringen? Weil du dich nicht festlegen kannst? Oder gar ein manisches Arbeitstier bist? Ja, ich bekenne: Ich bin ein Workaholic. Aber die meisten Jobs hängen miteinander zusammen. Ich organisiere gerne Projekte im Kunst- und Kulturbereich, ob als Kurator oder Projektleiter, und außerdem schreibe ich gerne über zeitgenössische Kunstformen, ob als Blogger oder Kunstkritiker. Woher kommt deine Begeisterung für Kunst, speziell subversive Kunst, und was macht für dich die Faszination von Kunst aus?
Man geht in die Kirche, um Antworten zu bekommen - und man geht ins Museum, um Fragen zu finden. Ich glaube, die Aufgabe der Kunst ist es, Fragen zu stellen, die sonst keiner stellt, Salz in Wunden zu streuen und Utopien zu entwerfen. Die Kunst ist noch immer der beste Seismograph für gesellschaftliche Veränderungen. Kunst um der Kunst willen interessiert mich nicht. Mich fasziniert Kunst, die eine Botschaft hat, die etwas verändern möchte. Und da hat die Kunst einfach mehr Möglichkeiten als politischer Aktivismus. Und an subversiven Strategien begeistert mich der Hinterhalt, die List und Leidenschaft, der Humor und die kreativen Guerillatechniken. Worin liegt für dich der besondere Reiz von Street Art, Urbanart, wie auch immer man es nennen möchte? Galerien und Museen langweilen mich. Die Regeln sind starr und die Reaktionen konditioniert: Die Kunst hängt, liegt oder steht - der Betrachter sieht, staunt und geht. Aber Street Art ist ein Spiel um Aufmerksamkeit für die
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Aufmerksamen, ein Ausweg aus dem elitären Kunstzirkus, ein herrschaftsfreier Dialog und urbane Mitgestaltung. Kultur entsteht durch Spiel, durch den Spaß daran und durch die daraus entstehende Spannung. Künstler spielen mit dem Stadtraum, den Bewohnern und der Geschichte der künstlerischen Avantgarde. Wenn die Menschen nicht mehr zur Kunst kommen, dann muss die Kunst eben zu den Menschen kommen. Das liebe ich an Street Art. Damit wird die Kunst ein Stück weit in den Alltag aller Menschen gebracht. Nicht ganz Street Art, aber auch eins deiner Steckenpferde soll ja Cultural Jamming sein. Kannst du den Lesern kurz erklären, was das ist, und fällt dir spontan etwas ein, dass sich einfach und sofort umsetzen lässt? Quasi zum Ausprobieren für unsere Leser... Culture Jamming ist ähnlich wie Kommunikationsoder Spaßguerilla ein Sammelbegriff für politisch-künstlerischen Aktivismus. Das bekannteste Beispiel sind sogenannte „Adbustings“, die Verfremdungen von Werbung im öffentlichen Raum. Aber auch Hacking, Fakes, Flashmobs oder andere Formen von Medienaktionismus werden als Culture Jamming bezeichnet. Zum Ausprobieren für die Leser: Einfach mal mit ein
paar Stiften rausgehen und die Werbeplakate in der eigenen Straße „verschönern“. Du schreibst und verwaltest unter anderem zwei recht bekannte Blogs. Einmal GuteSeiten und REBEL:ART. Kurz, um was geht es jeweils? GuteSeiten ist inzwischen eingestellt. Das war vor allem ein virtueller Kiosk für Fanzines und DIY-Magazine. REBEL:ART existiert weiter, das ist ein Blog, der sich um das Thema Kunst und Politik dreht. Es ist das Medium für Culture Jammer & Adbuster, Hacktivisten & Net Aktivisten, Street Artists & Street Vandalen, Post-Dadaisten & RetroNeoisten, notorische Nervensägen & subversive Störenfriede. Und ist der Blog als mediale Form bewusst gewählt? Welche Funktionen erfüllt er im Vergleich zu anderen Publikationsmedien? REBEL:ART erschien ja ursprünglich als Printmagazin, wenn ich das richtig verstanden habe. Zuerst war REBEL:ART ein Printmagazin, aber nach der ersten Ausgabe war ich pleite und konnte mir den Druck einer zweiten Ausgabe nicht mehr leisten. Ich wollte das Projekt aber nur aufgrund von Geldmangel nicht sterben lassen und habe es dann als Blog weitergeführt.
Inzwischen bin ich mit der Form eines Blogs aber auch richtig glücklich – und baue es immer mehr zu einem virtuellen Magazin, mit eigenen Serien, Gast-Kommentaren, Kolumnen um. Was hat es mit PARASITES auf sich? Welches Konzept steckt dahinter? Dabei kam es doch mit Sicherheit zu mehr als einer kuriosen, brenzligen, kritischen oder furchtbar komischen Situation, fällt dir eine schöne Anekdote zum illegalen Ausstellen ein? Zunächst habe ich mir eigentlich eine Galerie gewünscht, bei der ich Künstler ausstellen kann, die ich gut finde. Nur leider habe ich auch ein Problem mit dem Kunstmarkt und Galerien. Irgendwann dachte ich mir: Eigentlich will ich als Kurator arbeiten, Ausstellungen organisieren und mit Künstlern zusammen Projekte realisieren - dafür brauche ich keinen Raum. Außerdem gibt es überall schon genug Räume. Also habe ich angefangen, Künstler einzuladen, die ein Projekt in Hamburg realisiert haben. Und dieses Projekt wurde dann, ohne Genehmigung, in bestehenden Räumen ausgestellt. Das französische Duo Encastrable, Antoine Lejolivet und Paul Sauviron, realisiert zum Beispiel temporäre Skulpturen in Baumärkten. Ich habe diese Künstler eingeladen, sie haben in einem Hamburger Baumarkt ihre SLEAZE
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platter ture th
race in the United States. The various narratives reveal the complicated and abusive history of race, identity,
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Thom Thom aka Hephaestus
Skulpturen gebaut, und wir haben dann dort eine Vernissage mit rund 200 Personen gefeiert – natürlich, ohne dem Baumarkt vorher Bescheid zu geben. Für eine weitere Ausstellung habe ich das Street-Art-Musical des Berliner Künstlers Bronco auf der Straße aufgeführt, inkl. echten Musicaldarstellern und falschen Polizisten. Richtig brenzlig wurde es erstaunlicherweise bei all diesen Aktionen nicht wirklich – deshalb werden die nächsten Ausstellungen sicherlich noch radikaler werden... Wie bist du in Berührung mit Street Art gekommen? Hast du selbst welche gemacht? Nein, ich habe nie selbst Kunst gemacht. Ich bin zu Graffiti durch den Hip-Hop gekommen – ich selbst habe damals gerappt. Und habe es dann aufmerksam verfolgt, wie sich Graffiti verändert hat. Von den ersten kunstvollen kalligrafischen und dreidimensionalen Bildern zu Wandwitzen, Schablonen und Stickern. Und die neue Generation interessiert mich heute am meisten: die temporären Eingriffe in den Stadtraum, Skulpturen und Perfomances. Ein anderes Format, aber trotzdem eine Riesenbandbreite an subversiver und vor allem politischer Kunst zeigt das Buch Art&Agenda: Political Art and Activism, das du mit fünf anderen kreativen Köpfen ins Leben gerufen hast. Darin findet sich eine wie ich finde sehr gelungene Auswahl an politischer und kritischer Kunst. Danke für die Blumen! Gerne! Alle Arbeiten im Buch drehen sich um die Bereiche Kommerz, Menschsein, Sanctuary (was Heiligtum aber auch Zuflucht bedeuten kann), Global/Lokal oder sich wiederholende Geschichte. Kristallisierten sich diese Themen nach der Auswahl der Arbeiten heraus, oder war es andersrum, und es gab zunächst die thematischen Bereiche und dann passende Künstler und Arbeiten?
Kara Walker, 1995 in Art&Agenda 278 Wir hatten zuerst die Künstler und deren Projekte; die Gliederung hat sich dann aus den Projekten heraus ergeben...
Glaubst du, politische, gesellschaftskritische Kunst kann etwas verändern? Möchte sie das? Und macht sie der moralische Anspruch zu besserer Kunst als unpolitische? Ja, das glaube ich wirklich! Diese Kunst hat eine klare Botschaft und dient nicht nur der Dekoration bzw. der Ästhetisierung des Alltags. Kunst um der Kunst willen interessiert mich persönlich einfach nicht, das heißt aber nicht, dass politische Kunst eine „bessere Kunst“ ist. Jedem Tierchen sein Pläsierchen, ganz einfach! Die zeitgenössische politische Kunst ist nicht so plakativ wie ein Hans Haacke, eher subtil und subversiv. Sie arbeitet ohne Holzhammer und ohne moralischen Zeigefinger, sie lässt den Betrachter mitentdecken und mitdenken. Und politischer Aktivismus, gerade in nicht-demokratischen Ländern, ist lebensgefährlich. In Ländern wie China, Russland oder Nordkorea werden kritische Journalisten und Aktivisten verhaftet oder einfach umgebracht. Die Kunst hat da mehr Narrenfreiheit. Manchmal gelingt es ihr, durch die Subversion der Zensur zu entkommen. Manchmal kann sie durch die Subversion die Botschaft besser transportieren und Dinge aktiv verändern. Und hätte die chinesische Regierung die Botschaften von Ai Weiwei nicht Ernst genommen, hätte sie ihn wohl kaum monatelang weggesperrt. Das Gleiche gilt für die russische Gruppe „Voina“, die monatelang in U-Haft saß (Anmerkung der Redaktion: „Voina“ hatten unter anderem eine Zugbrücke mit einem überdimensionalen Penis verschönert. Die Brücke befindet sich gegenüber des FSB-Geheimdienstgebäudes, eine andere Aktion, die in Art&Agenda vorgestellt wird, ist „Ficken für den Thronfolger... sehenswert!). In Europa ist das anders. Hier ist man zynischer und abgeklärter. Es ist schwerer, einen neuen Dreh zu finden, um den Menschen einen gehören Klaps auf den Hinterkopf zu geben. Aber es ist möglich.
HISTORY bei REPEATING Was ist in Zukunft dir geplant? Auf welche spannenden Projekte dürfen wir uns freuen?
Mir fehlt vor allem der Humor - in der Politik sowieso, manchmal auch in der Kunst. Denn ich will die Verhältnisse ja zum Tanzen bringen. Deshalb widme ich mich auch bei künftigen Projekten diesem Thema: Gerade arbeite ich an einem „LOL STREET ART PORNO“-Kalender! Internet-Humor trifft Street Art trifft Porno: Mit dabei sind Street Artists wie Mathieu Tremblin, Ox, Bronco, Various & Gould und viele andere. Es wird konzeptuelle, humorvolle, erotische und richtig dirty Werke zu sehen geben - erscheinen wird der Kalender Anfang Oktober! Wir sind gespannt wie Flitzebögen und freuen uns schon drauf! Danke für das Gespräch!
Anna Motz
Art & Agenda: Political Art and Activism” Gestalten Verlag 24 x 30 cm, 288 pages, full color, hardcover ISBN: 978-3-89955-342-0 44 Euro http://www.rebelart.net http://www.gute-seiten.net
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Seymour - Manbot
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Skeleton Heart - Disconnected
aus der Märchenwelt Maschinenträume
Die Strychnin Gallery in Berlin Friedrichshain beherbergte letzten Monat die Ausstellung „Gentle Giants“ zum Thema Roboter. Die Idee dahinter war es, anstelle Laserkanonen tragender, die Menschheit vernichten wollender Kampfmaschinen einmal die nette, hilfreiche Seite der humanoiden Apparate zu zeigen. Dieses optimistische Bild von Robotern als freundlichen Helfern ist eigentlich ungewöhnlich für die Strychnin Gallery, die ansonsten eher auf düster-blutige Abgründigkeiten spezialisiert ist. „Skeleton Heart“, das britische Skulpturen- und Puppenbauer Ehepaar (siehe auch unser Interview in SLEAZE #23), setzte sich dann auch in gewohnter „cute but creepy“Manier über diese Vorgabe hinweg. Ihre Figur „Disconnected“ wirkt zwar nicht direkt bedrohlich, doch der traurige, in einem rostigen Teekessel-Chassis eingesperrte Puppenkopf mit den leeren Augen strahlt eine tiefe Verzweiflung und Trostlosigkeit aus. Die grobe, lange Greifzange, die am Ende des Armes sitzt, erinnert an die unbeholfene, unbeabsichtigte Gefährlichkeit von „Edward mit den Scherenhänden“. Kein Wunder, denn Skeleton Heart haben schon mit Tim Burton zusammengearbeitet. Bei „Disconnected“, aber auch bei den anderen Ausstellungsstücken fällt auf, dass die Künstler sich dem Thema Roboter von einer nostalgisch angehauchten Retro-Ästhetik her nähern. Doktor A‘s „Flying Carpet Dome“ kommt mit seinem Propellerantrieb und dem Osmanen-Roboter daher wie eine Kombination von Steampunk und 1001 Nacht. Der Roboter „Manbot“ von Seymour sieht aus, als sei er der Fantasie eines preußischen Ingenieurs um 1870 entsprungen (man beachte die liebevoll gestalteten Hoden-Glöckchen des Maschinenmannes). Mike Libbys Skulptur „Cenotidea: Eudicella Gralli Orientalis“ wirkt auf den ersten Blick wie das echte Exponat eines Insektensammlers – bis man bemerkt, dass sich unter den Flügelpanzern des Käfers ein winziges
Uhrwerk versteckt. Eine Art Mini-Ur-Cyborg, sozusagen. Ganz ins Märchenhafte driftet Nemo Goulds Diorama „In The Forest“ ab: Ein Kind im Maschinen-Anzug reitet auf einem mechanischen Hirsch durch einen verwunschen-kitschigen Feenwald mit pinken Riesenblumen. Wie kommt es, dass Roboter mittlerweile eher Anknüpfungspunkt für nostalgischen Eskapismus als für moderne Utopien sind? Kann es sein, dass die Vorstellung von gehenden, sprechenden, unsere niederen Arbeiten erledigenden Menschmaschinen einfach überholt sind? Einerseits sind Roboter im weitesten Sinne schon lange Teil unseres Alltags. Microchip-gesteuerte Greifarme fertigen unsere Autos, kettenbewehrte Roboter entschärfen Bomben und fahren auf dem Mond herum, um Gesteinsproben zu sammeln, und autonome, bewaffnete Drohnen übernehmen die Luftraumüberwachung der NATO-Staaten in Krisengebieten. Diese Maschinen sind allerdings so pragmatisch wie charmefrei. Und selbst Sonys Versuche, mit menschen- und hundeähnlichen Robotern den Privatmarkt zu erobern, sehen eher aus wie laufende iPods und haben im Vergleich mit fiktiven Robotern wie C-3PO aus Star Wars einfach ein starkes Persönlichkeitsdefizit. Vielleicht sind wir schlicht enttäuscht, dass die Robotik bisher keine faszinierenden, eigenwilligen Gegenüber geschaffen hat, sondern „nur“ nützliche Maschinen. Das hat sich Isaac Asimov wohl auch anders vorgestellt. Dann doch lieber die Magie zurückholen und in parallelweltlichen Maschinenträumen schwelgen...
Daniel S.
Mike Libby - Cenotidea Eudicella Gralli Orientalis
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Du hast 1A Genmaterial, bist gut im Bett und bereit, einer verzweifelten Chefredakteurin ein Kind zu machen? Dann bist du unser Kandidat! In der Redaktion hat sich heute eine Tragödie epischen Ausmaßes abgespielt: Meine Chefin Yanah teilt sich mit ihrer Mutter die selbe Friseurin. Diese war heute zur chefredakteurlichen Haarpflege hier und ließ beiläufig fallen, dass Yanahs Mutter es enttäuscht aufgegeben habe, auf Enkelkinder zu hoffen. BAMM! Gefangen im traumatischen Spannungsfeld aus elterlicher Enttäuschung und dem Ticken der biologischen Uhr beschloss Yanah vernünftigerweise, sich jetzt SOFORT ein Kind machen zu lassen. Und wenn, dann macht Yanah die Dinge gründlich – es soll ja ein hübsches und schlaues Kind werden und ihr im Idealfall auch beim Zeugungsakt ein vernünftiges Maß an Vergnügen bereiten. Deshalb hier ein kleiner Steckbrief des idealen Kandidaten für die humanitäre Samenspende: - mindestens 1,80m groß - langhaarig oder Glatze - überdurchschnittlicher IQ
- angenehmer Körpergeruch - keine Erbkrankheiten, keine Brille, kein Überbiss - UM GOTTES WILLEN keine hässlichen Füße! Tätowierungen, ein athletisch-maskuliner Körperbau sowie ein etwa durchschnittlich langer, eher dicker Penis erhöhen zudem deine Chancen, Yanah begatten zu dürfen. !!!WICHTIG!!! Es handelt sich NICHT um eine RöhrchenSamenspende, die Dame soll ganz oldschool auf dem von Gott dafür vorgesehenen Wege befruchtet werden. Bitte seht daher von postalischen Samenspenden unbedingt ab! Bewerbungen MIT FOTOS (Portrait, Ganzkörper, Penis) bitte an fillherupgood@sleazemag.de schicken! Ring frei...
Daniel „1,77 m, Brille & hässliche Füße“ S.
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Grafikerplatz Die Medienlandschaft verändert sich und kurzlebige Wohnungs-, Auto- und Party-Dates wandern in das flexiblere Internet ab. Anders sieht es bei hochwertigen Grafiken und Layouts aus. Daran wird – vorerst – selbst Apples Tablet-Version nichts ändern. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich die Haptik (und vielleicht sogar das Material) der technischen Spielzeuge dem jeweiligen Inhalt anpassen, sind Grafiker auf analoge Flächen angewiesen, um ihre Kunst angemessen zu präsentieren. Wir stellen deshalb immer wieder einem Künstler unserer Wahl eine Doppelseite auf dem Grafiker-Platz zur Verfügung. Bis auf kleine Einschränkungen wie z. B. rechte Dummheitsbekundungen ist der Künstler völlig frei. Bei Interesse können weitere Künstler über danilo@sleazemag.de gern mit uns Kontakt aufnehmen.
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Oh, ein... Ding! Wo kann ich bezahlen? Ideen haben wir ständig. Ausgesprochen gute Ideen. Sonst könnten wir nicht immer wieder aufs Neue dieses wundervolle Heft füllen. Doch es scheint Menschen zu geben, die ebenfalls keine schlechten Ideen haben. Schwer vorzustellen, aber wir haben uns selbst davon überzeugt. Berlin hat alles zu bieten. Einfach alles. Das stimmt! Wenig, was in unserer wunderbaren Hauptstadt nicht zu finden ist. Und in manchen Ecken gibt’s noch mehr als alles. Wir sprechen jetzt nicht von dunklen Ecken in noch dunkleren Etablissements, in denen man Dinge sieht, die man lieber nicht gesehen hätte. Wir meinen wirklich coole Erfindungen, die eigentlich niemand, ich wiederhole, niemand braucht. Aber trotzdem sind sie cool. Das dreißigste Paar Schuhe mit 13cm-Absätzen hat auch keinen wirklichen funktionalen Zweck! Aber es ist quasi zwingend, sie zu besitzen. Da könnt ihr fast jede Frau fragen. In Berlin haben alle diese nötigen und unnötigen Erfindungen ein Zuhause gefunden. Um genauer zu sein: im Prenzlauer Berg in der Lychenerstraße im Erfinderladen. Als Kunde stolperst du von Tisch zu Tisch beziehungsweise von Erfindung zu Erfindung und versuchst erst mal herauszufinden, was die einzelnen Teile können oder auch nicht können. Woher diese wunderbar unnützen Dinge alle kommen? Das erklären wir dir. Als selbsternannter Daniel Düsentrieb oder Daniela Düsentrieb (wir möchten PC bleiben) kommst du in den Laden, stellst dich und deine Tüftelei vor, und von da an beginnt der lange Weg, den eine Erfindung zu gehen hat, um flügge zu werden. Meistens schon von großen Firmen einen Tritt in den Hintern bekommen habend, stehst du am Abgrund mit deiner Erfindung. Doch der Erfinderladen macht dein Erfinderleben wieder lebenswert. So wird deine Erfindung zum Erfolg: - Du kommst in den Erfinderladen, rufst an oder schreibst eine e-Mail. Falls du seit Jahrzehnten in deinem Labor rumgehangen hast und nicht auf dem technisch neusten Stand bist, darfst du auch einen Brief schreiben. - Du stellst deine Erfindung vor und erklärst, warum die Welt nur auf dich und deine Genialität gewartet hat. - Zusammen wird geschaut, auf welchem Stand du und deine Erfindung seid. (Tipp der Redaktion: Versuche, nicht allzu sehr wie der verrückte Professor zu wirken. Erwähne am Besten
jetzt noch nicht, dass du die Weltherrschaft an dich reißen möchtest und diese Erfindung nur der erste Schritt ist). - Dann wird gecheckt, ob du vielleicht bei einem anderen Supergenie gespickt hast. Vielleicht hatte ein anderer diese Idee schon vor Jahren und hat ein Patent angemeldet. Dann kannst du direkt nach Hause gehen. - Hast du aber schon einen Prototypen dabei, könnte er es in die „Hall of Fame“ des Erfinderladens schaffen. Auch „PrototypenShowroom“ genannt.
- Hast du keine Bastler-Fähigkeiten und verwirklichst deine Träume nur auf Papier, kommt die Patentverwertungs GmbH ins Spiel. Die recherchiert, ob deine Idee Sinn macht oder ob es irgendeinen Menschen auf diesem Erdball gibt, der das Ding kaufen würde. Auch von Interesse ist, ob das Ding (wie wir es liebevoll einfach mal nennen) überhaupt zu bauen ist. Vielleicht ist deine Idee dermaßen überirdisch, dass von Menschenhand geschaffene Geräte es nicht bauen könnten. Zutrauen würden wir solch eine Idee jedem einzelnen unserer Leser. - Bist du solch ein Überflieger, dass du an deiner Werkbank zuhause schon eine Kleinserie deines Dings gebastelt hast (und das Ding ist kein tötender Roboter), dann kann es passieren, dass dein
Ding im Erfinderladen verkauft wird. Quasi direkt von deiner Werkbank in die Regale des Ladens. Das hört sich jetzt vielleicht im ersten Moment nach viel Arbeit an, aber es ist immer noch besser, als die guten Stücke im Keller oder auf Muddis Dachboden vergammeln zu lassen. Genau das dachten sich wahrscheinlich auch die Erfinder der tollen Dinge, die bereits die Regale des Ladens füllen. Für die Städte Berlin, Hamburg, London, Paris, Rom und New York gibt es den zerknüllbaren Stadtplan. Das gefällt uns. Wie oft steht man mit diesem überdimensionalen Blatt Papier auf wildfremden Straßen und verflucht denjenigen, der diese Erfindung hat patentieren lassen. Gut, zugegeben, inzwischen fahren 95% mit Navigationssystem im Auto. Und die Fußgänger befragen einfach ihr Smartphone. Würdest du aber in die Verlegenheit geraten, nicht in deiner Großraumlimousine zu sitzen und dein Telefon zu allem Übel auch noch kein Akku mehr hätte, dann würdest du dich über die zerkrumpelbare Stadtkarte freuen. Im Erfinderladen gibt es auch die am aufwändigsten produzierte Uhr der ganzen Welt. Und da sie das ist, kann sie natürlich nicht nur an der Wand hängen oder an einem schnöden Handgelenk baumeln. Die Uhrzeit ist als DVD zu haben und wird als Bildschirmschoner genutzt. Entstanden ist sie wie folgt: 70 emsige Arbeiter bauen aus Holzbrettern eine 4 x 12 Meter große, fortlaufende digitale Zeitanzeige. Und zwar bekommt ihr nicht die geschnittene Version. Das Ganze ist in absoluter Echtzeit gedreht. Großartig. 1611 Umbauten in 24 Stunden. Und das nur, um die Zeit anzuzeigen! Schon alleine von den zwei Erfindungen, die wir euch vorgestellt haben, müsste es euch doch in den Fingern jucken, auch in die Liste der großen Erfinder aufgenommen zu werden. Wir Sleazels überspringen die Sache mit den Erfindungen und reißen lieber direkt die Weltherrschaft an uns. Also... viel Glück.
CoCo
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Mythos „Club 27“
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20 Jahre fick dich
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Die neue Unmittelbarkeit
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Musik
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Mythos
„Club 27“
Nun ist der Club 27 um ein Mitglied reicher. Ob Amy Winehouse jetzt mit Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und Kurt Cobain im Musik-Olymp Nektar und Ambrosia speist, konnten wir vor Redaktionsschluss nicht abschließend ermitteln. Klar dagegen ist, dass die meisten Verschwörungstheorien um das gemeinsame Sterbealter außergewöhnlich begabter Stars Quatsch sind. Die traurige Wahrheit ist wohl, dass Menschen mit Borderline-Störung statistisch gesehen mit 26,9 Jahren den Peak ihrer Erkrankung erleiden. Wer diese Phase übersteht, hat gute Chancen, danach ein verhältnismäßig normales Leben zu führen. Viele aber ertragen diese Zeit nicht und flüchten sich in exzessiven Drogenkonsum. Oder – wie Cobain – in den Freitod.
Borderline-Persönlichkeiten gelten als sprunghaft, streitlustig und egoistisch, sie leiden häufig unter innerer Leere und Impulskontrollstörungen. In der Regel sind sie aber auch überdurchschnittlich kreativ. Diese Beschreibung passt gut auf Amy Winehouse, die sich selbst auch als Borderliner bezeichnete. Der Tod mit 27 ist damit nichts übernatürlich-Schicksalhaftes, sondern höchstwahrscheinlich das typische Ergebnis einer schweren psychischen Erkrankung. Trotzdem ist auch klar, dass der frühe, tragisch anmutende Tod eines Stars genau der Stoff ist, aus dem
Legenden gemacht werden – sehr zur Freude der Musikindustrie. Geniale, früh gestorbene Künstler sind für Fans einfach zu handhaben – das Gesamtkunstwerk ist definitiv abgeschlossen, es drohen keine peinlichen Reinventions oder langweiligen, uninspirierten Spätwerke. Trotzdem ist es schade, dass Amy Winehouse es trotz ihrer Probleme nicht geschafft hat, am Leben zu bleiben. Das wäre die schönere, aber wahrscheinlich unspektakulärere Geschichte gewesen.
Daniel S.
DER
G
auf www.sleazemag.de 58
SLEAZE
AVIATOR
Photo: Quang le
DJ HARLEY VIERA-NEWTON
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CASPER
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Am 08. Juli 2011 veröffentlichte Benjamin sein zweites Album. Würden wir den ersten Satz so formulieren, würde wahrscheinlich keiner von euch weiterlesen. Deshalb schreiben wir den Satz noch einmal - mit allen spektakulären Adjektiven, die Benjamin in den letzten Tagen und Wochen so abbekommen hat. Die Hoffnung des deutschen Hip Hop, „Casper“, veröffentlichte am 08. Juli 2011 sein zweites, mit Spannung erwartetes Album nach dem 2008 erschienen „Hin zur Sonne“ und bringt mit dieser CD die Ernsthaftigkeit zurück in den Hip Hop, die er verdient. Fast zu schön, um wahr zu sein. Um herauszufinden, ob es aber tatsächlich wahr sein kann - oder wahr werden könnte - und Benjamin das halten kann, was die Ankündigungen versprechen, haben wir uns aufgemacht, um den Retter eines ganzen Musikgenres zu treffen. Sleaze: Wir hatten uns ungefähr zwei Wochen vor der Veröffentlichung deines Albums schon einmal getroffen. Da warst du dir noch nicht so sicher, wo es mit XOXO hingehen wird. Vor der Veröffentlichung war das Album aber bei Amazon schon auf Platz 1 der Vorbestellungen. Trotzdem hast du unsicher gewirkt. Warum? Casper: Das, was die Medien schreiben, ist was anderes als das, was der Musikhörer oder Konsument am Ende daraus macht. Ich hatte bis dahin nur Feedback von Medien und Menschen aus meinem näheren Umfeld. Dass die Presse es den Lesern quasi in den Rachen rammt, bedeutet für mich noch nicht, mit dem Album Erfolg zu haben. Du scheinst Perfektionist zu sein, was deine Musik angeht. Angeblich hattest du nach „Hin zur Sonne“ schon einmal ein Album fertig und hast es komplett verworfen, weil du es nicht gut genug gefunden hast. Stimmt das? Ja, das stimmt. Das liegt aber auch daran, dass ich es nicht mag, eine Platte zu machen. Ich mache wirklich alles gerne, was mit dem Leben eines Musikers zu tun hat. Interviews, Promo, egal was. Aber eine Platte zu machen finde ich schrecklich. Warum? Ich hatte schon immer Angst vor Prüfungen. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass ich Prüfungen hasse. Bevor die Platte rauskam, war ich noch ganz fisselich, was die Leute wohl zu dem Album sagen würden. Ist ja nichts anderes als eine Prüfung. Ich muss mit dieser Platte beweisen, was ich kann. Jetzt wo ich weiß, dass das Album gut ankommt, wird mir bewusst, dass ich 1,5 Jahre damit live spielen kann und eine geile Zeit haben werde. Doch irgendwann wird der Punkt kommen, an dem du merkst, dass die Menschen etwas Neues brauchen. Das bedeutet, es muss etwas nachkommen, was das Niveau hält. Ist es nicht so, dann ist es vorbei.
Das ergibt Sinn. Ist es aber nicht so, dass es jedem Menschen so geht, allerdings in anderen Größenkategorien? Beweisen muss sich doch auch Otto Normal. Als Otto Normal hast du aber immer wieder Nachschub an Leuten. Wenn meine Karriere morgen vorbei ist, dann könnt ihr den nächsten gehypten Musiker oder Schauspieler interviewen. Ich bin dann raus. Darüber denken wir jetzt nicht nach. Wir sind nämlich der Meinung, dass das Album der Wahnsinn ist. Danke. Ich bin während der Entstehung 1000 Tode gestorben. Von Ende November bis Ende April haben wir im Studio gesessen. Und gewohnt! Das ging von himmelhoch jauchzend bis „oh mein Gott, lass uns das restliche Geld nehmen, das wir noch haben, und auswandern.“ Das wäre schade gewesen. Und es hätte nicht zu dem Bild gepasst, das wir von dir hatten, als wir vorab in die Platte reinhören durften. Was neben deiner rauen Stimme am meisten auffällt, ist die Vorstellung deines Vaters von Stolz. Track 12 heißt Arlen Griffey. Das ist dein Vater, der eine Minute ausschließlich über dich spricht, und darüber, was er dir für dein Leben wünscht. Außerdem ist das Grizzly Lied auf der CD, das die Situation mit deinem Vater und einer Waffe im Wald beschreibt. Erklärst uns bitte, was es mit dieser Geschichte auf sich hat? Eigentlich wollte ich immer einen „sieben Minuten Track“ auf einem meiner Alben haben. Ursprünglich war das Gesprochene meines Vaters Teil des letzten Tracks. Aber mir war es dann doch wichtiger, daraus einen anskipbaren Track zu machen. Mein Vater ist mit 16 Jahren von zuhause ausgezogen und zur Army gegangen. Er wurde damals in Deutschland stationiert und hat dort meine Mutter kennengelernt. Er ist ein „Army-Mensch“ wie man sich das so vorstellt. Was nicht bedeutet, dass er herzlos oder grob zu uns war. Meine Schwester war schon immer seine Prinzessin, als Mann wurde ich eher dazu erzogen, schnell alleine klarzukommen. Er hat immer gesagt: „Das bekommst du schon irgendwie hin. Und bekommst du es nicht hin, wird es trotzdem funktionieren.“ Das Grizzly-Lied erzählt das, was damals tatsächlich passiert ist. Ich war 8 oder 9 Jahre alt, und mein Vater fragte mich, ob ich Lust hätte, mit ihm auf ein paar Dosen zu schießen. Was glaubt ihr, was ich in dem Alter dazu gesagt habe? Selbstverständlich wollte ich. Also sind wir los in den Wald, und er schießt plötzlich neben mir in die Luft. Erstmal große Heulerei, und dann hat er mir sehr ruhig erklärt, dass irgendwann im
Leben ein Punkt kommt, an dem ich mich zwar erschrecken darf, aber dann die Ruhe bewahren muss. Später würde ich eine eigene Familie haben, die ich zu beschützen hätte. Hinsetzen und heulen geht da nicht. „Echte Männer stehen wieder auf, nur die Feiglinge nicht. Sohn, nimm mein Gewehr. Mal bist du der Jäger, mal bist du der Bär. Nur, wenn du Bär sein musst, um Gottes Willen, dann kämpf“. Alles sehr emotional. Du gewährst tiefe Einblicke in deine Vergangenheit. Man liest oft, dass die restliche Rap-Welt dich als Emo-Rapper abtut. Was sicher einmal an deinem äußeren Erscheinungsbild liegt und daran, dass du nicht die Mütter der anderen beschimpfst. Was hältst du von dem ganzen Gerede über schwul, Emo und die anderen bösen Dinge, die über dich gesagt werden? Als ich damals auf der Bildfläche erschienen bin, waren alle bösen Rapper der Meinung, dass ich das Schwulste sei, was sie je gesehen haben. Ich finde es eher bedenklich, eine Schuhsammlung zu besitzen, die rund 300 Paar Sneaker beinhaltet. Ich besitze genau ein Paar Schuhe und ziehe das an, was in meinem Schrank hängt. Davon abgesehen finde ich es noch viel schwuler, sich ständig Gedanken darüber machen zu müssen, ob ein anderer schwul ist oder sein könnte. Na, vielleicht klären wir das Ganze hier und jetzt mit einer simplen, aber auf den Punkt gebrachten Frage. Casper, bist du schwul? Nein, ich bin nicht schwul. Na wunderbar. Dann wäre das geklärt. Bist du denn inzwischen ein heterosexueller Star und wirst auf der Straße angesprochen und von allen „gepampert“? Nein, das nicht. Es war damals schon so, dass ich bei meinem neuen Label und meinem Manager Beat Gottwald gesagt bekommen habe, dass er keine Lust auf seelenlose, unselbständige Künstler hat. Ich kam nach Berlin, und er meinte, dass er keine Zeit hat, mich an die Hand zu nehmen. Also hatte er einen Job für mich in einer Booking-Agentur von einem Bekannten, und dort machte ich 3 Monate Praktikum. Das mache ich heute nicht mehr, aber es ist immer so geblieben, dass ich weder von ihm so behandelt werde, noch, dass ich das möchte. Wenn ich nach Konzerten permanent gesagt bekomme, wie perfekt der Auftritt war, ergreife ich eher die Flucht. Kann ja nichts schaden, „normal“ zu bleiben. Wir finden dich auf jeden Fall ganz besonders normal und danken dir für das Interview.
CoCo
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20 Jahre fick dich
von Daniel S, CoCo und Sascha
Daniels Meinung:
Krass, jetzt bin ich alt. 20 Jahre ist es her, dass Nirvana mit dem Mittelfinger die 80er beendeten und den ganzen Spandexhosen-GitarrensportSpastis nachhaltig die Existenzberechtigung entzogen. 1991 war ich acht und spielte primär mit Lego, ich kann mich also nicht an die Veröffentlichung und die darauf folgende erste Grunge-Welle erinnern. Nirvana nahm ich zum ersten Mal wahr, als Cobain sich 1994 die Rübe pürierte, und als ich einige Zeit später (so 1996?) „Smells Like Teen Spirit“ das erste mal bewusst hörte, hatte ich sofort dieses Adrenalin-Kribbeln im ganzen Körper. Ich muss es dutzende Male hintereinander gehört haben, bevor ich mich dem Rest des Albums widmete, und ich war für immer verändert. Pubertät, Aufbegehren, sinnloser Zorn und der heimliche, aber brennende Wunsch, sich selbst und alle anderen zu zerstören – alles, was in mir war und mich verstörte, hörte ich in dieser Platte: Ich war nicht alleine. Es war ein Erweckungserlebnis, vergleichbar nur mit dem ersten Vollrausch, dem ersten Berühren nackter Brüste und dem ersten Mal Kiffen. Es dauerte nicht lange, und ich kaufte mir eine E-Gitarre und das Nevermind-Songbook – und nahm Unterricht bei einem schmalen, langhaarigen Typen in rotschwarzem Ringelpulli.
CoCos Meinung Es war ein düsterer Mittag im Juli 2011. Für mich würde es noch viel düsterer als für alle anderen Sleazels werden. Daniel, unser MusikSleazel, war an diesem Tag verantwortlich für die Musikauswahl im Büro. Naheliegend, aber für mich bedeutet das nichts Gutes. Nicht, dass ich mit Daniels Musikgeschmack nicht klarkomme. Eher komme ich mit keiner Musikauswahl klar, die irgendeiner meiner hochgeschätzten Kollegen trifft. Aber es sollte mich an diesem Tag besonders hart treffen. Wie ihr schon nebenan gelesen habt, gibt es von Nirvanas Nevermind eine Jubiläums-GedönsAusgabe, die im September erscheinen wird. Sogar in drei Varianten. Hui, super. Ich kann’s kaum erwarten. NICHT!
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Es bleibt abzuwarten, ob jüngere Menschen etwas mit Nirvana anfangen können. Denkbar ist, dass die Band langfristig einen ähnlichen Alternative-Kultstatus erreichen wird wie z.B. Joy Division. Aber als ich neulich mit Freunden beim Alternative-Abend in einem kleinen Rockschuppen war – natürlich wurde auch „Smells Like Teen Spirit“ gespielt – stellten wir überrascht fest, dass wir zu den Jüngeren auf der Tanzfläche gehörten. Grunge/ Alternative scheint heimlich zu einem Generationen-Ding geworden zu sein. Irgendwie finde ich das gut – diese Musik gehört uns, verdammt, und ihr kleinen Indie- und Emo-Hüpfer versteht das eh nicht. WeichspülLuschis. Sorry.
Die Jubiläums-Ausgabe von Nevermind erscheint am 29. September in drei Varianten. In der Standard-Version wird das Album komplett neu gemastert angeboten. Dem Material tut die zeitgemäße Klangformung tatsächlich sehr gut: Es ist dichter, verzerrter, lauter und häufig trotzdem transparenter als die alten Masters – insbesondere das Bassspiel von Krist Novoselic kommt so besser zur Geltung. In der 2 CD Deluxe Edition sind zudem B-Sides, die Demos zu Nevermind („Smart Studio Sessions“), Proberaummitschnitte („Boombox Rehearsals“) sowie die BBC Sessions enthalten. Außerdem wird es ein limitiertes Super Deluxe Boxset geben, das zusätzlich noch einen Trotzdem hatte ich das große Vergnügen, vorab das gute Stück hören zu müssen, äh, zu dürfen. Daniel dreht die Lautstärke hoch, Yanah schreit: „Mach noch lauter“, und alle anderen wippen anerkennend mit den Köpfen! Herrgottnochmal! Kann es denn sein, dass alle dieses Geschrei gut finden? Und jetzt auch noch diese Lobenshymne nebenan. Daniel und ich sind im gleichen Alter, aber auf scheinbar unterschiedlichen Planeten groß geworden. Gehen wir das mal Satz für Satz durch. Daniels 1. Satz: „Pubertät, Aufbegehren, sinnloser Zorn und der heimliche, aber brennende Wunsch, sich selbst und alle anderen zu zerstören – alles, was in mir war und mich verstörte, hörte ich in dieser Platte: Ich war nicht alleine.“ CoCos Senf dazu: In der Pubertät war ich auch!
frühen Mix des Albums (den „Devonshire Mix“ von Butch Vig), einen Live-Mitschnitt des HalloweenKonzerts im Paramount Theatre in Seattle (als Audio-CD und DVD) sowie ein 90-seitiges Buch mit Bildern und Dokumenten zu Nirvana bietet. Die Fülle an Material kann als fast wissenschaftliche Sammlung rund um die Entstehung des zweitwichtigsten Albums der 90er gelten. (Das wichtigste ist natürlich OK Computer von Radiohead.) Die verschiedenen Stadien der Platte von den ersten Demoaufnahmen über die energetischen, sehr schraddelig-LoFi-mäßigen Probemitschnitte und den ersten Mix bis zum neu gepimpten Meisterwerk ermöglichen es, die Lieder von neuen Seiten kennenzulernen und bisher verborgene Details zu entdecken. Viele der Versionen sind bisher auf keiner Veröffentlichung zu hören gewesen. Die deutlichste Erkenntnis, die ich aus der 20th Anniversary Edition ziehen konnte, war aber, dass es bei Nirvana eigentlich egal ist, wie die Lieder produziert sind. Ob neu gemastertes Album oder verrauscht-trashige Übungsmitschnitte – die unglaubliche Energie dieser Band kommt in jedem Format durch. Hach. Solche Musik wird ja heute nicht mehr gemacht. (*kaut an seiner Pfeife und streicht die Karodecke über seinen Beinen glatt*)
Und zwar nicht zu knapp. Hätten meine Eltern die Chance gehabt, mich wegzugeben, hätten sie es getan. Ich war unerträglich launisch. Trotzdem zog es mich nie zu Nirvana. War mir zu düster. Warum meinen ohnehin schwermütigen Stimmungszustand mit düsterer Musik zusätzlich beschweren? Ich lösch ja auch kein Feuer, indem ich Streichhölzer hineinschmeiße. Zornig war ich auch! Zerstören wollte ich trotzdem nichts. Nichts Anderes und nicht mich. Vielleicht, weil mich gut gelaunte Musik davon abgehalten hat. Und alleine war ich auch nie! Mit einer Zwillingsschwester und einem großen Bruder musste ich für jede Sekunde, die ich für mich alleine hatte, dankbar sein. Allein war und bin ich heute noch nicht. Ich bin immer noch gerne in Gesellschaft. Möglichst in illustrer Runde.
„It‘s not some technical, masturbatory, ‚see-what-I-can-do?‘ record.“ (Nirvana-Drummer Dave Grohl über „Nevermind“)
Daniels 2. Satz: „Es war ein Erweckungserlebnis, vergleichbar nur mit dem ersten Vollrausch, dem ersten Berühren nackter Brüste und dem ersten Mal Kiffen.“ CoCos Senf dazu: Ich sag mal so, ich steh nicht direkt auf Brüste. Aber ich kann schon nachvollziehen, wie es ist, wenn Musik dich so sehr berührt, dass du dich supidupi fühlst! Dann habe ich das dringende Verlangen, durch die Wohnung zu tänzeln und lauthals mitzuträllern. Mich mit ungewaschenen Haaren in eine dunkle Ecke zu setzen, ergab keinen Sinn für mich. Daniels 3. Satz: „Es dauerte nicht lange, und ich kaufte mir eine E-Gitarre und das NevermindSongbook – und nahm Unterricht bei einem schmalen, langhaarigen Typen in rot-schwarzem Ringelpulli.“ CoCos Senf dazu: Ich habe mir auch eine Gitarre gekauft. Eine Akustikgitarre. Die war super. Bis zur zweiten Unterrichtsstunde. Da ist mir das blöde Ding aus meiner Gitarrentasche geflutscht, weil ich vergessen habe, den Reißverschluss zu schließen. Schon hatte ich keinen Bock mehr. Oder ich akzeptierte die Zeichen.
Saschas Meinung: Als Alterspräsident bei Sleaze muß ich da dann doch auch nochmal was dazu sagen. Ist natürlich immer leicht prollen, wenn man etwas älter ist, aber das ganze Seattle-Grunge-Ding (was ja nie eines war, da „Grunge“ eine reine PR-Erfindung ist) war mir schon vorher bekannt. Schließlich gab es da Sub Pop und eine Ansammlung interessanter Bands. Nirvana war eine davon, aber Mudhoney erstmal viel größer und DIE Seattle-Band, wenn man eine kannte. Was später mit Nirvana noch alles passieren sollte, konnte damals niemand ahnen, es war eben nur eine Band von vielen. Um die Auswirkungen von „Nevermind“ zu begreifen, muß man die Zeiten von damals verstehen. Es gab kein Internet, alternative Musik mußte mühselig „von Hand“ zusammen gesucht werden. Wir lasen Kataloge, die gleichzeitig auch Ansammlungen von Plattenkritiken waren. Die
Ihr könnt jetzt natürlich den Schluss ziehen, dass ich schlicht und ergreifend kein Vollblutmusiker wie Daniel bin. Ich spiele in keiner Band, wenn ich singe, fangen alle an zu lachen, und ich hatte nie Fanposter in meinem Kinderzimmer hängen. Aber ich bekomme auch Gänsehaut, wenn mich ein Lied oder eine gute Stimme berührt. Fraglich nur, warum ich in einem Raum sitze mit sechs anderen erwachsenen Personen, die sich kaum halten können bei der Musik von Nirvana und der Stimme von Kurt Cobain. Unumstritten eine niederschmetternde Quote. Auffällig ist auch, dass es völlig egal ist, wem ich mein Nirvana-Unverständnis offenbare, ich ernte immer verstörte und abschätzige Blicke. Als hätte ich gerade gesagt: „Ich habe meine Mutter zerstückelt und werde sie später verspeisen.“ Manchmal habe ich das Gefühl, dass jeder Nirvana cool finden muss. Generationsübergreifend und musikgenreübergreifend! Irgendwie hat jeder Nirvana in guter Erinnerung. Und etwas dagegen zu sagen, kommt in den meisten Fällen nicht so gut an. Komischerweise ist es aber andersherum völlig selbstverständlich, mich für meinen Musikgeschmack zu belächeln. Erkläre ich, dass meine Jugend von Soul und Hip Hop begleitet wurde, darf ich mir meist folgendes anhören:
„Biste also im Ghetto groß geworden.“ „Du verstehst das nur nicht.“; „Was? Wie kann man das nicht gut finden?“; „Deine Mudda.“; „Du hörst Hip Hop? Oh Gott! So jo jo jo Alter-mäßig?“ Ja genau! So jo jo jo Alter-mäßig! Haben wir dann das Klischee bedient, oder geht deine Schublade noch weiter auf?! Huch, jetzt bin ich abgeschweift! Na also zurück zum Thema! Da ich die 20th Anniversary-Edition mit ganz viel Bonusmaterial für Hardcore-Fans hören konnte, habe ich natürlich eine Meinung dazu.
Kataloge hat man dann von vorne bis hinten durchgearbeitet und versucht zu erraten, welche Schallplatten (!) einem gefallen könnten. Metal, Hardcore, Punk war Geheimmusik. Man suchte überall nach Anhaltspunkten, nach Information. Sonntag abends versuchte ich das schlechte Signal eines Senders reinzubekommen, welcher seinen Sitz zwei Stunden von mir entfernt hatte. 90 Minuten kriselige Aufnahmen verschafften mir dann einen Überblick. Auch Fanzines waren ganz, ganz wichtig. „Trust“, „Zap“ und wie sie alle hiessen, aber das wichtigste war: In jeder Ecke konnte man gute, interessante, neuartige Musik finden, man mußte sich nur die Mühe machen und danach suchen. Man sieht also: es war toll, aber nicht leicht. Nirvana änderte das schlagartig. „Smells like Teen Spirit“ durchbrach die kommerzielle Schallmauer, die dazu gehörige Platte machte den Underground zum Mainstream - mit all seinen
Folgen. Die großen Labels hoben den Schatz alternativer Musik und machten alles zu einem billigen, gleichläufigen Supermarktangebot. In der Folge wurden Platten immer teurer produziert, der Sound immer glatter. Bands verhagelten sich die Zukunft mit Knebelverträgen (siehe Helmet), und am Ende war alles nur noch Einheitsbrei, Derivat, Aufguss. Für mich ist „Nevermind“ daher das Ende einer musikalisch herausragenden Ära. Den Untergrund gab es danach noch, aber er wurde so zerrüttet und zerstört, daß ich Mitte der 90er so ziemlich die Lust an Musik (bis heute) verloren habe. Die Platte selbst war echt okay. Goovy, eingängig, sauber gespielt. Und sowieso: „Smells like Teen Spirit“ ist für mich unzertrennlich mit einer der lustigsten Partys meines Lebens verbunden, aber ganz ehrlich: Es lief zu dem Zeitpunkt gerade im Radio und jeder kannte es. Es hätte auch jeder andere gerade angesagte Pophit sein können.
Meine Meinung: Ich höre keinen Unterschied zu dem, was es vorher schon zu hören gab. Und um ehrlich zu sein, höre ich nicht mal, wenn ein neues Lied beginnt! Das Fazit: Wer Nirvana nicht mag (JA, das gibt es) wird auch nicht mit der Jubiläumsausgabe zu dieser Musik finden. Aber Daniel mag ich trotzdem sehr gern! Genauso die anderen, die manchmal komische Musik hören!
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Die Unmittelbarkeit „Mutual Friends“ von Boy gehört zu den spannendsten Neuerscheinungen dieses Monats: sanfter, melancholischer Folkpop, der mit jedem Lied eine kleine, aber fesselnde Geschichte erzählt und auf feingliedrige, stimmungsvolle Musik bettet. Wir trafen das Kreativ-Dou aus Valeska Steiner und Sonja Glass in einem Café in Berlin Mitte, wo die Ärmsten einen Interview-Marathon absolvieren mussten. Trotzdem machten sie einen extrem entspannten Eindruck – was sehr gut zu der intimen, geerdeten Stimmung der Platte passt. Überhaupt scheinen Boy eine ganz direkte, unkonstruierte Band zu sein, die schlicht die Musik macht, die aus ihnen herauskommt. Schrecklicher Verdacht: Kann es sein, dass Boy gar nicht klar ist, wie gut sie sind? Ihr habt beide schon vor „Boy“ Musik gemacht. Was waren das für Projekte? Valeska: Ich habe in Zürich ganz Unterschiedliches gemacht, von Elektro über Jazz bis zu klassischen Singer-Songwriter-Sachen. In Hamburg habe ich dann erstmal Backgroundgesang gemacht. Aber ich wusste, dass ich auf jeden Fall mit Sonja zusammen was Eigenes machen wollte. Deshalb war die nächste Station „Boy“. Sonja: Ich habe vorher für verschiedene Projekte als Live-Bassistin gearbeitet, hauptsächlich aus der Hamburger Musikszene. Als Söldnerin sozusagen, aber meistens mit sehr viel Herzblut. Da waren so Sachen dabei wie das Soloprojekt von Kim Frank von „Echt“ oder „Ruben Cossani“, die Band von Michel van Dyke. Wie habt ihr beide euch kennengelernt? Valeska: Wir haben uns in Hamburg an der Musikhochschule bei einem Kontaktstudiengang für Popuärmusik getroffen, genau wie „Wir sind Helden“. Da geht es darum, ganz viele Musiker auf einem Fleck zu haben, damit die sich untereinander finden. Bei uns hat das ganz gut funktioniert! [lacht]
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Valeska, du bist wegen der Musik aus Zürich nach Hamburg gezogen. Geht es wegen des Umzugs auch auf dem Album so viel um Abschied und Aufbruch? Valeska: Total. Es ist sehr von dieser Phase geprägt. Das ist auch eine gute Zeit zum Schreiben, finde ich. Man ist sehr offen und aufmerksam. Das gibt viel her. Ich weiß gar nicht, worüber ich jetzt noch schreiben soll! [lacht] Sonja: Was??? [lacht] Schnell wieder umziehen! Wie sieht eure Arbeitsteilung aus beim Komponieren und live? Sonja: Auf der Bühne fühle ich mich manchmal wie die Band-Machine, weil ich alles spielen muss, was gerade benötigt wird. [lacht] Außer Bass spiele ich auch Gitarre und Cello. In Bezug auf das Schreiben habe ich die musikalischen Ideen entwickelt. Valeska hat die Texte und Melodien geschrieben. Das Lied „Boris“ erzählt die Geschichte eines extrem unangenehmen, sexuell aufdringlichen Typen. Gibt es diesen Boris wirklich? Valeska: Oh Gott! Ja... Sonja: Valeska fällt es immer schwer, das zu
sagen... Aber es gibt ihr wirklich. Valeska: Aber mehr sag ich dazu nicht... Es gibt eigentlich alle Geschichten, die ich in den Texten erzähle, wirklich. Ihr werdet öfter mit „Feist“ verglichen, gerade was die Stimme angeht. Wie steht ihr zu dem Vergleich? Valeska: Wir mögen „Feist“ sehr, deshalb ist es auf jeden Fall ein Kompliment. Aber es gibt schon große Unterschiede. Sonja: Valeskas Stimme wurde schon mit Sheryl Crow und Alanis Morissette verglichen, die ja total unterschiedlich klingen. Norah Jones kam auch schon. Es waren bestimmt zehn unterschiedliche Sängerinnen, mit denen Valeska assoziiert wurde. Valeska: Aber „Feist“ ist mir von diesen Vergleichen schon einer der liebsten. Auf der anderen Seite kommt es mir fast anmaßend vor, weil ich sie wirklich sehr bewundere. In dem Lied „Skin“ zeichnet ihr die Portraits zweier Party-Animals, die nach dem Feiern mit ihrer letztlichen Einsamkeit konfrontiert sind. Ist das ein Statement gegen oberflächlichen Hedonismus? Seht ihr eure Musik als Gegenentwurf zur „Drei Tage wach“-Mentalität?
Valeska: Nein, das würde ich nicht sagen. Aber was viele Leute gerade fertigmacht, ist, dass es z.B. auf Facebook oft darum geht, sich von der Party- und gute-Laune-Seite zu zeigen. Und ich habe das Gefühl, dass das für viele Stress ist, weil sie das Gefühl haben: Bei allen anderen geht so viel, die waren da und da und haben immer so viel Spaß, und es sieht immer alles so cool aus. Wieso ist das bei mir nicht so? Ich glaube, das geht mehr Leuten so, als man denkt. Ihr wollt also einfach ein bisschen ehrlicher beleuchten, was als Schattenseite dazugehört? Valeska: Ja, aber natürlich mögen wir auch die Sonnenseite davon. Klar ist es schön, viel zu feiern und viele gute Freunde zu haben. Und es ist ja auch nicht alles fake daran. Aber es gibt halt auch die Nächte, wo man nach Hause kommt und sich einsam fühlt. Habt ihr euch auch schon die Berliner Clubszene ein bisschen angeschaut? Valeska: Wir waren zwar viel in Berlin, aber eigentlich immer zum Arbeiten. Sonja: Berlin ist unser Arbeitsplatz. Valeska: Wir arbeiten halt auch so intensiv und konzentriert, dass wir meistens bis zwei Uhr morgens dransitzen. Sonja: Außerdem haben wir im Grunewald gewohnt. Da ist ja auch nichts außer Häusern und Bäumen. [lacht]
Was ist hier genau euer Arbeitsplatz? Habt ihr hier ein eigenes Studio? Sonja: Nein, wir haben hier im Studio unseres Produzenten aufgenommen. Valseka: Das gar nicht wirklich ein Studio ist. Sonja: Inzwischen hat er schon ein richtiges Studio. Aber als wir aufgenommen haben, war das noch sein altes umgebautes Kinderzimmer mit 12 Quadratmetern. Dafür klingt das Endergebnis aber echt HiFi! Sonja: Ja! Das Schlagzeug und so haben wir natürlich in großen Studios aufgenommen, das kann man nicht zu Hause machen. Aber die Gitarren und eigentlich alles andere haben wir dort aufgenommen. Wieso habt ihr entschieden, auf Englisch zu singen? Würde man mit deutschen Texten für ein deutschsprachiges Publikum nicht die Verständnishürde herabsetzen, gerade beim Geschichtenerzählen? Sonja: Valeska ist übrigens Schweizerin! Valeska: Wenn man in der Schweiz hochdeutsch singt, wirkt das merkwürdig. Wenn, dann würde ich eher auf Schweizerdeutsch singen, was dann natürlich auf die Schweiz beschränkt bleibt. Und Hochdeutsch ist für mich schon eher fremd, meine Muttersprache ist ganz klar Schweizerdeutsch. Englisch fühlt sich für mich nicht viel fremder an als Hochdeutsch. Und ich habe immer vor allem Musik mit englischen Texten gehört. Ich singe mittlerweile auch oft und gerne auf Schweizerdeutsch, aber damit
wäre es halt sehr schwierig, aus der Schweiz rauszukommen. Wir wollen ja gerne in verschiedenen Ländern spielen können. Ihr seid bei Grönland Records unter Vertrag. Habt ihr Grönemeyer höchstselbst auch schon mal kennengelernt? Sonja: Ja, an dem Tag, an dem wir unterschrieben haben, war die ganze Grönland-Familie mit uns essen, und er hat uns willkommen geheißen. Er ist sehr nett! Wie gibt er sich? Ist das eher Business-mäßig? Valeska: Nein!! Sonja: Gar nicht. Extrem persönlich, extrem interessiert, sehr lustig und einfach super sympathisch.
Daniel S.
Mutual Friends von Boy erscheint am 02.09. auf Grönland Records. Rezension siehe Seite 66
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Songwriter-Edel-Pop BOY Mutual Friends Label: Grönland Records VÖ: 02.09.‘11
Hardcore/Skatepunk CEREBRAL BALLZY Cerebral Ballzy Label: Cooking Vinyl VÖ: 19.08.‘11
Indie Rock EASTERN CONFERENCE CHAMPIONS Speak-Ahh Label: The Organisation VÖ: 26.08.‘11
Redneck-Bluesrock ERIC SARDINAS & BIG MOTOR Sticks And Stones Label: Provogue VÖ: 26.08.‘11
Klingt wie: Feist, Cat Power, Lykke Li
Klingt wie: alte OffspringSachen, Beastie Boys, Slayer
Klingt wie: Foo Fighters, Silversun Pickups, Coldplay
Klingt wie: Kid Rock, Johnny Winter
Nach ein paar Hördurchgängen habe ich den ersten Blick auf den Waschzettel geworfen und konnte es nicht fassen: Keine Nordamerikanerinnen?? Nein, „Boy“ kommen aus Hamburg (Sonja Glass) und Zürich (Valeska Steiner). Kaum zu glauben, dass so tiefenentspannte, gediegene Musik aus dem deutschsprachigen Raum kommt, der sich ja sonst eher durch kumpeliges Understatement oder schmachtende Geschmacklosigkeit auszeichnet. Seit letztem Jahr tourte das Duo mit einem reinen Akustikset durch Deutschland und die Schweiz, nun folgt das voll ausarrangierte Debütalbum. Bis auf die Drums haben die Damen alle Instrumente selbst eingespielt. Eine beachtliche Leistung, auch in Bezug auf die Kompositionen, denn jedes Instrument findet in den Liedern ganz selbstverständlich seinen Platz. Der Gesang ist über jeden Zweifel erhaben. Die Lieder sind federleicht und gefühlvoll bittersüß. „Boy“ müssen selbst den Vergleich mit EdelpopKönigin Feist nicht scheuen, und das will was heißen. Sie schaffen den Spagat, sowohl nett radiokompatibel als auch kopfhörertauglich interessant zu sein. Von dieser Band dürfte man in Zukunft noch häufiger hören. Bisschen verknallt:
Wer bei Skatepunk zuerst an Blink 182 und Avril Lavigne denkt, dürfte sich bei dieser Platte ziemlich erschrecken. „Cerebral Ballzy“ kommen aus dem Arschloch von New York und interessieren sich in erster Linie für Skaten, Pizza, Bier und Beavis & Butthead-Wiederholungen. Frontmann Honor Titus, Basser Melvin Honore, die Gitarreros Jason & Mason sowie Schlagzeuger Abe Crazy (wenn das mal keine Künstlernamen sind...) ziehen in die Welt, um dem Skatepunk endlich die Eier zurückzugeben. In unter zwanzig Minuten ballernd die Jungs einem die zwölf Songs ihres Debüts um die Ohren, und selbst wenn man (wie ich) mit Skaten nichts anfangen kann, freut man sich doch enorm an der entfesselten, rohen Energie und Wut dieser Platte. „Cerebral Ballzy“ machen Punk, verlustieren sich aber in jener düstersten und bösesten Ecke des Genres, in der man plötzlich spürt, dass Black- und Deathmetal musikalisch gar nicht mehr so weit entfernt sind. Die Drums klingen übelst trocken und pappig, der Bass knarzt drahtig hat fast keine Bassfrequenzen drin, und Gesangsmelodien gibt es eigentlich gar nicht. Wie geil ist das? So eine Platte MUSS einfach ein Erfolg werden, um zu beweisen, dass teure Studio-Magic für Nischenmusik nicht nur unnötig, sondern sogar tödlich ist. So klingt Punk: Nach gebrochenen Knochen, Bierkotze und kaputtem Mischpult. Glaubt wieder an den Punkgott:
Weniger ist eben doch manchmal mehr. Das Debüt „Ameritown“ des Trios ECC erschien 2007 noch beim Major Geffen. Die Band habe sich zwar von den GeffenLeuten gut behandelt gefühlt, wie Sänger Joshua Ostrander erzählt, „aber die haben sich sonst um Top-Ten-Bands wie Weezer gekümmert. Sie wussten einfach nicht, wie man mit Newcomern wie uns arbeitet.“ Zudem sei „Ameritown“ produktionstechnisch so aufgeblasen worden, dass die Band Probleme bekam, die Lieder zu dritt live umzusetzen. ECC verließen mutigerweise Geffen und arbeiten seither komplett in Eigenregie. Aufnahmen, Tonmischung, Mastering, Artwork, BandshirtDesign – alles wird von den drei Musikern selbst gemacht. Mit Erfolg: Der großartige Song „A Million Miles An Hour“, der auch auf dem Album zu hören ist, landete auf dem Soundtrack des Teenflicks „Bis(s) zum Abendrot“, was den Bekanntheitsgrad der Band natürlich enorm steigerte. Das Abrücken von Chartsorientierten ArrangementOrgien tut dem Sound der Band extrem gut – der Klang ist düster, reduziert und direkt – fast wie eine sehr hochwertige Liveaufnahme. Angenehmer, echter Indierock zwischen Pop-Appeal und Alternative-Düsternis.
Eric Sardinas posiert für Pressefotos gern mal mit einer toten Klapperschlange am Cowboyhut oder mit freiem Oberkörper, um seine Tätowierungen zu präsentieren. Den Blues hat er von seiner Kindheit an in sich aufgesogen, später kam dann der elektrische Southern Rock dazu. Der ehemalige Straßenmusiker spielt ausschließlich mit Bottleneck auf Resonator-Gitarren – dieser Sound ist so etwas wie sein Trademark. Obwohl er Linkshänder ist, spielt er „richtig herum“ - möglicherweise ist dieses ungewöhnliche Vorgehen ein Grund, warum sein Spiel so ausdrucksstark und eigen klingt. Spätestens seit Steve Vai, der Schutzpatron der Gitarrenvirtuosen, ihn unter seine Fittiche genommen hat, darf man Sardinas wohl als Mitglied des Sechssaiter-Olymps werten. „Sticks And Stones“, seine mittlerweile sechste Platte, ist jetzt nicht unbedingt ein Feuerwerk an Inspiration und Pioniergeist. Aber et rockt schon janz schön. Das SüdstaatenFeeling sickert aus jeder Pore. Klingt so, wie Kid Rock wahrscheinlich gerne klingen würde, wenn er nicht zu faul wäre, mal ordentlich ein Instrument zu lernen, und den Rap den Rappern überließe...
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SLEAZE
Nordischer Balkan-Country-Pop für Disney-Fans KATZENJAMMER A Kiss Before You Go Label: Universal VÖ: 09.09.‘11
Rock‘n‘Roll KEITH TOTP Fuck You! I‘m Keith TOTP Label: Corporate Music VÖ: 09.09.‘11
Country LINDI ORTEGA Little Red Boots Label: Last Gang Records VÖ: 09.09.‘11
Deutscher Soul MAXIM Asphalt Label: Rootdown Records VÖ: 23.09.‘11
Klingt wie: Gogol Bordello, Danny Elfman, Beirut
Klingt wie: Adam Green, Johnny Cash, Elvis
Klingt wie: June Carter, Quentin Tarantino-Soundtracks
Klingt wie: Max Herre, Sebastian Hämer (Sommer unseres Lebens)
Eine Platte, die klingt wie die anarchische Variante eines Disney-Soundtracks! Die norwegische Girlband Katzenjammer liefert nach ihrem gefeierten Debüt „Le Pop“ (2008) eine wild wirbelnde, spannende Fortsetzung. Die vier Damen, die berüchtigt für ihren grenzenlosen Multiinstrumentalismus sind, zeigen erneut, dass man alles Mögliche in einen Topf werfen kann, wenn man gut genug ist. Sie mischen Country a lá Johnny Cash („I Will Dance“), burlesque Diven-Melancholie („Lady Marlene“), mitreißend gutgelaunte Beatles-Gefühle („Shepard‘s Song“), augenzwinkernden mittelalter-Folk („Rock-Paper-Scissors“) und Oldschool-Punk, der nach Patti Smith klingt („Loathsome M“) zu einem flirrenden Trip, der von der ersten bis zur letzten Sekunde fesselt. „Cocktails And Ruby Slippers“ klärt die Frage, ob Frauen Beach Boys-mäßigen Gesang bringen können. Sie können! Auch wenn es teilweise nach Chipmunks klingt, aber um so geiler! Das dramatische „Soviet Trumpeter“ könnte auch der Feder des Filmmusik-Genies Danny Elfman entstammen. Und mit ihrer Coverversion des Genesis-Hits „Land Of Confusion“ beweisen Katzenjammer, dass selbst der 80er-Mainstream gutes Songmaterial enthalten kann.
Keith TOTP (kurz für „Top Of The Pops“) hätte es einfach haben können: Als Abkömmling einer britischen TintenherstellerDynastie hätte er sich beruflich aufs Sohnsein konzentrieren und gleich im Chefsessel seine Karriere beginnen können. Aber wie das Leben so spielt, entschied er sich lieber für das unstete Dasein in der Londoner Pubmusiker-Szene. Hauptsächlich arbeitet er als Produzent, nun beglückt er uns mit einer Sammlung eigener Songs, die er im Laufe der Zeit angesammelt hat. Das Album ist uriger, raubeiniger und teils pöbelig-aggressiver PubRock‘n‘Roll mit einer gehörigen Portion Humor (sehr empfehlenswert: die Single „I Hate Your Band“). Aber klassisch reduzierte Balladen und unironische Momente sind auch dabei – ein echtes Pub-Set eben. Keith neigt auf der Bühne nicht zu Minimalismus: Seine „Minor UK Indie Celebrity All-Star Band“ bringt es live schon mal auf 25 (!) Gitarristen. Auf dem Album wurde dementsprechend auch nicht mir Guest-Stars gegeizt. We Are Scientists, Art Brut, The Blood Arm, Carter USM, Robots In Diguise und The Indicates haben den Pub-Bären bei den Aufnahmen unterstützt. Sympathischer, selbstgenügsamer Biertrinker-Rock‘n‘Roll!
Well, it‘s country music, lads‘n‘gents... Lindi Ortega, die irisch-mexikanischstämmige Dame mit der süßen Stimme, präsentiert mit „Little Red Boots“ ihr Debütalbum. Alles, was zum Genre gehört, ist am Start: gemütlicher Johnny Cash-Bass, twängige Telecaster-Sounds, Slidegitarre, Steelstring, Banjo, Mundhamonika, ShuffleDrums und – wie es sich für Fra u e n s t i m m e n - L a n d m u s i k gehört – ordentlich Vibrato und liebliche Harmoniegesänge. Lindi singt über die Liebe (oho!), Alkohol und Kiffen (bad girl!), Elvis und Jimmy Dean (retro!), und darüber, was sie machen würde, wenn sie ein Blue Bird wäre (singen). Alles sehr passend. Tatsächlich dachte ich zuerst, das Album sei eine Country-Parodie, weil alles SOOO stereotyp ist. Aber wie es scheint, ist es ihr ernst... Hat man den KlischeeSchreck erst mal überwunden, macht das Album aber trotzdem Spaß. Der Gesang ist echt sehr niedlich, und die Songs sind gut geschrieben und stimmungsvoll arrangiert. Wirklich geil ist der Titelsong „Little Red Boots“ - ein hüfteschwingender Flirtsong, der 1A in einen Quentin Tarantino-Film passen würde, in dem eine rot bestiefelte Bardame die Hauptrolle spielt. Yee-Haw!
Das dritte Album des Songschreibers ist ein gesungenes Hörspiel. Alle Themen werden besungen, die der urbane moderne Mensch mit sich rumzuzerren hat. Wer bin ich? Was wird aus mir und muss ich das jetzt kaufen, nur um es zu besitzen? Anders als andere deutsche Musiker kommt Maxim Richarz alias „Maxim“ ohne verschlüsselte Texte aus. Keine Metaebene, die sich der Hörer erschließen muss. Keine Synonyme, die dem Hörer erst klar werden, nachdem er das Album 20-mal gehört hat. Trotzdem langweilen die Texte nicht mit ihrem Inhalt. Wie ein gutes Hörbuch eben. Maxim scheint seine Akustikgitarre besonders gern zu haben. Kein Lied, das nicht ursprünglich auf diesem Instrument entstanden ist und später erst in Zusammenarbeit mit der Band und dem Produzenten Teka zu einem vollständigen Werk geformt wird. Das Album könnte der perfekte Begleiter bei langen Autofahrten sein. Angenehme Musik, die dem Zuhörer wahrscheinlich altbekannte Geschichten erzählt. CoCo
Daniel S.
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Indiepop/Rock MOTHER MOTHER Eureka Label: Last Gang Records VÖ: 26.08.11
Singer-Songwriter-Punk PALEY & FRANCIS Paley & Francis Label: Cooking Vinyl VÖ: 02.09.‘11
Electronic / Funk RALPH MYERZ Outrun Klik Records / RTD VÖ: 26.08.‘11
Electropunk/ Indie ROBOTS IN DISGUISE Happiness v Sadness Label: President Records VÖ: 09.09.‘11
Klingt wie: Tokyo Police Club, Beat!Beat!Beat!, Blood Red Shoes
Klingt wie: Nick Cave & The Bad Seeds, Pixies
Klingt wie: The Electric, Cornucopia
Klingt wie: Peaches, Gossip, Beck
Der Strom gut gelaunter Indieplatten reißt nicht ab, und so drängt sich auch bei dem neuen Werk von Mother Mother zwangsläufig die Frage auf: War das nötig? Nötig vielleicht nicht - überflüssig aber auch nicht. Die archimedische Überraschungsentdeckung, die der Titel verheißt, ist das dritte Studioalbum des kanadischen Quintetts um die Geschwister Ryan und Molly Guldemond zwar nicht. Aber Vorband für Pearl Jam und The Decemberists wird man schließlich nicht einfach so, und das kanadische In-Label Last Gang Records (Crystal Castles, MSTRKRFT) nimmt auch nicht jeden. Stampfende Beats liefern Eureka ausreichend Tanzflächentauglichkeit, die Poprhythmen überschlagen sich schier vor Feierfreude. Spätestens hier hört man den Einfluss von Mischer Mike Fraser, der schon den Schotten von Franz-Ferdinand unter die Arme griff. Eurekas Ohrwürmer sind Erinnerungen an durchtanzte Nächte und Heimwärtstorkeln im Sonnenaufgang, man möchte aus seinem Bürosessel aufspringen und im klapprigen Ford mit heruntergekurbelten Scheiben durchs sonnenbeschienene Land fahren, während Molly Guldemonds fast klebrig-süße Stimme aus den Boxen quillt. Möglicherweise wäre Track 6 – Simply Simple – der bessere Albumtitel gewesen, weil er keine falschen Erwartungen weckt. Aber was soll’s - Sommermusik kann man ja immer gebrauchen.
Manche Musiker müssen einfach nicht mehr üben. „Paley & Francis“, die erste Platte aus den Händen von Rock-Urgestein Reid Paley und Pixies-Frontmann Black Francis aka Frank Black, ist dafür ein Musterbeispiel. Die Songs auf dieser Scheibe sind an nur drei Nachmittagen in der Brookliner Wohnung von Paley entstanden und kurze Zeit später in einem Rutsch in Nashville aufgenommen worden. Und alles, was zu hören ist, sind First Takes – keine Overdubs, keine Korrekturen, kein Zurück. Wenn man bedenkt, dass manche Bands mehrere Jahre an einem Album arbeiten und immer wieder umschreiben, neu arrangieren, neu aufnehmen, bis das Endprodukt steht, ist das schon ein Statement. Paley & Francis haben Eier! Und die zahlen sich auch musikalisch aus. So unmittelbar und ungekünstelt klingt Musik heute eigentlich nicht mehr. Die WhiskeyStimmen der beiden Herren, die sich beim Texten, Singen und Gitarrespielen abwechseln, werden souverän rumpelnd von David Hood am Bass und Spooner Oldham begleitet. Die düster-zynischen abwrackTexte, die punkige Attitüde und der erdige Countryklang der Instrumente verbinden sich zu einem hochprozentigen Gemisch, das man höchstens mit den alten Sachen von Nick Cave vergleichen kann.
Wer das Solo-Debüt „Ralphorama“ von 2009 kennt mit seinen dominanten Hip-Hop-Einflüssen und den ganzen Features von Kurupt bis Talib Kweli, wird vom Nachfolger „Outrun“ überrascht sein. Positiv. Denn obwohl das Konzept diesmal viel elektronischer ist, scheint auch hier die – nennen wir es mal entspannte – Westcoast-Attitüde durch, so dass das Album dem Vorgänger qualitativ in nichts nachsteht. 14 durchdachte Cabrio-Tunes – ja, ich weiß, braucht man dies Jahr eigentlich nicht – von denen viele auch im Club funktionieren werden. Das liegt vor allem an den groovenden Funk- und Souleinflüssen, von denen der Norweger nicht lassen konnte. Im Gegenteil. Durch Dubs und Disco ergänzt, schuf er gelungene Crossover-Instrumentals, die mit genauso gut wie ohne Vocals funktionieren. Für mich als Berliner Eingeborenem – ähnlich wie die demnächst erscheinende neue Modeselektor – endlich mal wieder ein Beweis, dass Elektronisches nicht monoton und minimalistisch sein muss. Danke, Ralph!
Zwei riot grrrls gegen die Musikindustrie: Auf der Crowdfunding-Plattform pledgemusic.com erklärten Robots In Disguise: „Since we are desperate for cash now and since the evil Music Biz won’t give us any we are prostituting ourselves to you and letting you get up close and personal as we go back into the studio to finish up our 4th album.“ Die Hurerei hat funktioniert – das Album ist produziert, und die Fans, die Geld gespendet haben, durften mit den Mädels eine Radtour machen. Und das Ergebnis lässt sich gut an. „Happiness v Sadness“ ist eine spaßige Mischung aus tanzbar-trashigen E-Beats, schrammeligen IndieGitarren und dem charmanten call-and-response-Gesang von Dee und Sue. Die Londonerinnen schaffen ein unmittelbares, authentisches Grundgefühl zwischen Underground-Sound und poppigen Hooklines. Im Gegensatz zu anderen Electropunkern wie Peaches und ATR liegt der Reiz hier nicht im Artifiziellen, sondern gerade in den überall durchschimmernden Persönlichkeiten der Musikerinnen. Die rohe, unpolierte Produktion des Albums mag auch auf die Geldprobleme der Band zurückgehen, tut den Songs aber definitiv gut. Sollte man mal drauf tanzen!
Katharina
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SLEAZE
Daniel S.
danilo
Daniel S.
Singer-Songwriter/ Alternative SÓLEY We Sink Label: Morr Music VÖ: 02.09.‘11
Alternative STEPHEN MALKMUS & THE JICKS Mirror Traffic Label: Domino Records VÖ: 19.08.‘11
Rockpop THEES UHLMANN BAND Thees Uhlmann Label: Grand Hotel van Cleef VÖ: 26.08.‘11
Alternative/ Grunge WATERS Out In The Light Label: City Slang VÖ: 09.09.‘11
Klingt wie: Warpaint, Cat Power, Björk
Klingt wie: Ryan Adams, The Flaming Lips, Pavement
Klingt wie: Eine Mischung aus Tomte, Bosse und Sportfreunde Stiller
Klingt wie: Neutral Milk Hotel, Band Of Horses
Sóley Stefánsdóttir ist eigentlich Mitglied der isländischen Indie-Folker Seabear. Dass sie damit kreativ nicht ausgelastet ist, bewies sie bereits letztes Jahr mir der vielversprechenden EP „Theater Island“. Ihr erstes Studioalbum mutet an wie ein grober, handgeknüpfter Teppich, in den Treibgut und Talismane eingewoben sind. Zart knarzende elektronische Beats begleiten Pianos, Gitarren und geschmackvolle Soundscapes. In den Texten reihen sich rätselhafte, düstere und traumhafte Bilder aneinander. Besonders zauberhaft und verstörend ist „Smashed Birds“: Sóley balanciert auf dem Hochseil zum schwimmenden Haus eines Freundes, lässt sich von einem Baum hinein heben, stiehlt die Vögel des Freundes, zerquetscht sie in ihrer Hosentasche und macht sich aus deren Federn ein schönes neues Kleid. Creepy, aber irgendwie auch schön... Ihre Gesangsstimme ist genau so eigen und gleichzeitig heimelig wie ihr isländischer Akzent. Teils steht der Gesang in sehr eigentümlichen Hallräumen, die fast nach Treppenhaus klingen. Der Sound des Albums ist schön warm und dicht – ein idealer Schallplattenkandidat. Herbstmusik! Stell ich mir gleich neben Radioheads Amnesiac.
„I can not even do one push-up – push-ups are so bourgeoisie!“ Sehr nette Slacker-Attitüde, die der Rezensent für sich nur unterschreiben kann... Und: „I know what the senator wants – what the senator wants is a blowjob!“ Ex-Pavement-Frontmann Stephen Malkmus zeigt bei seinem fünften Soloalbum, dass er viel Sinn für kruden Humor hat. Vielleicht war es auch diese Ebene, die ihn dazu bewegt hat, sein Machwerk dieses mal vom Scientologen und Krudheits-Experten Beck in L.A. produzieren zu lassen. Aus dieser Zusammenarbeit ist das bisher zugänglichste und energetischste Album von Malkmus herausgekommen. Die Lieder sind allesamt sehr kurz und Pop-affin. Hier stehen die Melodien und die unmittelbare Performance der Band im Vordergrund. Bei aller Direktheit bleiben die Rhythmen und Gitarrenlicks aber großenteils verknarzelt und unberechenbar. So entsteht eine interessante Kombination aus poppiger Leichtigkeit und Konsumierbarkeit auf der einen und freakig-sperrigem, angenerdetem Slacker-Geschrummel auf der anderen Seite. Kein Meisterwek, aber ein nettes Album für Freunde des kauzigen Nischen-Alternative.
Wir hatten es geahnt, bittersüß erhofft und irgendwie doch befürchtet. Der Trend der Frontsäue, sich unter eigenem Namen verkaufen zu wollen, ist auch am Tomte-Frontmann nicht vorbeigegangen. Unter dem Namen Thees Uhlmann Band, der so catchy und trendy klingt, wie sich ein bebrillt-pickliger vierzehnjähriger Trekkie im Mädcheninternat fühlt, veröffentlicht er seine erste eigene Platte. Vom TomteWeltschmerz ist ein Hauch geblieben, die Geschichten sind jedoch persönlicher, nicht mehr popintellektuell verschwurbelt, und fassen klarere Gedanken. Die Konstruktion der einzelnen Stücke hat noch viel vom „alten“ Uhlmann, dennoch ist das hier nicht Tomte. Im Gegenteil: wirken die Lieder zwar im ersten Moment so poppig wie Uhlmanns Hausband, entpuppen sie sich bei genauerer Betrachtung eher als klassischer Rock mit Singer-SongwriterEinschlag. Variabler und opulenter ist die Instrumentierung, die das Album zu einer faszinierenden Rockpop-Sause macht. Gewöhnt sind wir von Uhlmann ausgefallene Songtitel, so verwundert es niemanden, dass die erste Single „ Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ nicht nur einen langen Namen hat, sondern aufgrund ihrer Energie auch beim geneigten Publikum schon für reichlich Anerkennung sorgte. Die Platte hat’s derbe drauf.
Daniel S. Daniel S.
Diese Platte ist eine Sammlung von Oden an Aufbruch und Selbstfindung. Van Pierszalowski, Frontmann der aufgelösten Indiefolkband Port O‘Brien, nahm sich eine Auszeit von der Musik, die er in Oslo, Alaska, Kalifornien und New York verbrachte, bevor er mit „Waters“ den Neuanfang wagte. Unterstützt von neuen norwegischen Bandkollegen realisierte er schließlich dieses Album in nur zehn Studiotagen. Die Weltenbummler-Erfahrungen finden sich in den Liedern wieder: Energetisch und treibend, aber trotzdem harmonisch in sich ruhend, ist „Out In The Light“ der perfekte RoadmovieSoundtrack. Pierszalowski beweist Mut zur brüchigen Stimme, was die Platte sehr unmittelbar und ehrlich wirken lässt. Auch die Instrumente klingen erfreulich roh: Die Gitarren zwiebeln und resonieren wie auf einem Livekonzert, und die Drums sind schön krachig abgemischt. Die besten Momente sind die, in denen der Sound im breitwandigen 90er-Fuzz kulminiert, wie beim großartigen Opener „For The One“. Schade, dass die eher selten sind. Denn teils verfrachtet die neu gefundene emotionale Stabilität Pierszalowskis die Lieder nah an die Beliebigkeitsgrenze. Trotzdem: Cool! Daniel S.
Julian
SLEAZE
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u n t e r w e g s
SLEAZE beetlet in der Welt herum Es ist soweit: VW bringt den neuen BEETLE auf den Markt. Als Nachfolger des NEW BEETLE heißt er schlicht nur noch VW BEETLE. NEW NEW BEETLE klänge auch idiotisch, und ein Wagen, der mit seinem ersten Modell Rekorde brach (21,5 Millionen mal verkauft und bis heute ungeschlagene 38 Jahre auf einer Plattform produziert), muss nicht viele Worte verlieren. Wir ergriffen die Chance, ein schon lang geplantes Pro-
Dazu erhielten wir von VW ein erstklassig ausgestattetes
jekt umzusetzen und fuhren ins Berliner Umland, auch
Modell mit 198 PS und ordentlicher Fendler-Anlage. So
Brandenburg genannt, um sehenswerte Orte abseits der
machten wir uns auf den Weg, die Ruinen der Zivilisation zu
Reiseführer zu suchen. ChefSLEAZEL Yanah ist begeisterte
erkunden. Urban Exploration ist so schon aufregend, aber
Anhängerin der Urban Exploration, dem Erkunden von
mit einem lässigen Wagen und fetter Anlage…ich glaube,
alten, meist leer stehenden Gebäuden. Beste Vorausset-
ihr wisst, was wir meinen.
zungen also für einen Trip ins Ungewisse.
Der New Beetle 70
SLEAZE
Weitere Infos: www.beetle.de www.lost-places.com
Haidemühl Als 2006 die Kohle an die Tür klopfte, mussten die letzen Bewohner dem Tagebau weichen. Seit diesem Tag steht das Dorf inklusive den Fabriken leer und wartet darauf, dass es wortwörtlich plattgemacht wird. Alle Einwohner erhielten angeblich eine Entschädigung, die deutlich über dem normalen Grundstückspreis liegen sollte, und wurden auf Firmenkosten in ein neu erbautes Dorf umgesiedelt. Sämtliche HaidemühlHäuser sind noch begehbar und größtenteils noch intakt. Wer also ein echtes deutsches Geisterdorf sehen möchte, inBrandenburg habt ihr dazu noch für einige Monate die Gelegenheit. Zusätzliches Goodie: In den Gärten von Haidemühl sind noch sämtliche Obstbäume vorhanden und warten nur aufs Ernten. Wo: Ca. 10 Kilometer westlich von Spremberg/ Brandenburg
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Betonwerk Eisenhüttenstadt. Ist als Ausflugsziel nicht wirklich die erste Wahl. Stört uns nicht im Geringsten, denn so haben wir das riesige Areal einer ehemaligen Betonfabrik ganz für uns allein. Eigentlich wollten wir das Kernkraftwerk bewundern, aber durch Zufall fanden wir diesen Betonschatz. Riesige begehbare Hallen, kleinere Fabrikräume… ein postapokalyptischer Traum. Standort: Eisenhüttenstadt, an der Berliner Straße
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Hubschrauber in Pätz auf dem Gelände der Firma CTM Da fährt man so nichtsahnend durch die Gegend und steht auf einmal vor einem beeindruckenden Hubschrauber. Eine alte Mi-8T “Hip-C“ steht dort mitten auf dem Parkplatz und lässt sich bewundern. Man sieht dem Fliegerling sein Alter und seine Geschichte an, und das ist genau richtig so. Der Hubschrauber wurde 1992 ausgesondert und auf eine zivile Version mit imaginärer Kennung D-Pätz umlackiert. Die Mitarbeiter der Firma sind übrigens sehr nett, wenn man sie um einen Besichtigungstermin bittet. Standort: Fernstraße 31, 15741 Bestensee
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Ferienobjekt Dubrow-Berg Mitten in Brandenburger Wald, ca. 2 - 3 Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt, befindet sich dieser kleine Schatz. Ein ehemaliges DDR-Ferienobjekt mit kleinem Pool und einigen Baracken. Vermutlich diente das Objekt ab da keinem zivilen Zweck mehr, da der gebotene Standard das übliche FDGB- oder FDJ-Niveau überstieg. So war das Becken beheizbar und hatte einen Zugang aus dem Inneren des Clubhauses. Im Clubhaus selbst gab es zwei Bowlingbahnen, eine Sauna und eine Großküche. Dieses Lager ist zwar schon sehr runtergekommen, und einige untalentierte Graffitikünstler taten ihr Restliches, aber der noch teilweise gefüllte Pool ist ein wunderschönes Beispiel von 20 Jahren natürlichem Verfall. Mittlerweile leben dort Frösche, Libellen und sogar Fische. Standort: Südöstlich von Berlin bei Gräbendorf
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CREDITS: Fotografin: Yanah Hölig Assistent und Troubleshooter: Daniel Boy Vielen Dank an Frau Richter und Herrn Zschuppe von der Firma CTM für die schnelle und unkomplizierte Unterstützung. SLEAZE
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Tuktuk-Fahrer Govinda beim Power-Napping
Man sieht hier das Upgrade zur PS: eine Kamelstärke
U-Bahn-Schießstand während der Mittagspause
Aussicht genießen mit Bewohnern von Jaipurs Affenpalast
Eingang zur U-Bahn: Armut schweißt / schnarcht zusammen
Selbstgebaute Obdachlosenunterkünfte mit…
Daily Tuktuk-Business
…und ohne Wände neben dem Kopf
76 SLEAZE Freilaufende Kühe sind öfter Grund für Stau und Hupkonzert
Wo ist der beste Platz zum Schlafen? Richtig, auf der Arbeit.
Was Schwellenland wirklich bedeutet.
I n d i e n
Es gibt für den Begriff keine offiziell-eindeutige Definition – wie mir in Indien wieder bewusst wurde. Die Kontaktaufnahme zu den Einheimischen war simpel. Sobald man den Flughafen in New Delhi (Einheimische formulieren das handlich um zu Nuh Dilli) verlässt, ist man im Gespräch. Sechs Taxi-, Rikscha- und Tuktuk(motorisierte Rikscha)-Fahrer gleichzeitig werfen mir englische Satzbrocken mit kuriosem Akzent an den Kopf. Zur Untermalung gibt es Abgase, Hupen und dezent anderen undefinierbaren Lärm. Wer schon einmal in Hongkong war und die Höflichkeit dortiger indischer und pakistanischer Technik-Verkäufer mit zehn potenziert, hat ungefähr ein Bild von der Aufdringlichkeit (und Unfreundlichkeit, wenn du ablehnst) der Fahrer in Delhi. Gut, dass ich so wenig verstehe. Nach Aussage meines Tuktuk-Fahrers Amar in Jaipur sei die Aufdringlichkeit eine Frage der Religionen. Muslims seien am nervigsten, Hindus nicht ganz so schlimm. Er gehört zur Gruppe der Sikh. „Sikhs rasieren sich nie“, erklärte Amar, die Haare um seinen Mund hat er sein Leben lang nur abgekaut. Alle männlichen Mitglieder seiner Familie hätten sich nie rasiert. Die Barthaare werden gedreht und mit den anderen Haaren unter den Turban verfrachtet. Wie auch immer, die Sikhs seien jedenfalls die nettesten im Beförderungswesen. Und zumindest er selber hatte mich zuvor nach langem Feilschen mit anderen Fahrern von sich überzeugt, sondern ich nach der Fahrt frei entscheiden sollte, wie viel ich zahlen möchte. Wir waren auch für den nächsten Tag verabredet, da hat er mich sitzen lassen. Das war nicht so nett. Ein riesiges Land wie Indien hat in vielerlei Hinsicht eine Menge zu bieten: die Atombombe, Vegetarismus, Militär mit Sandsack-Schutzwällen und Maschinenpistolen in den U-Bahnhöfen, Bollywood, was seit der Umbenennung von Bombay in Mumbai eigentlich Mollywood heißen müsste, eine ursprüngliche Form des Hakenkreuzes an vielen Wänden, Tierfreundlichkeit, Jahrhunderte alte und weltberühmte Gebäude wie das Taj Mahal, das Rote Fort oder der Wasserpalast in Jaipur, 1,2 Milliarden Menschen, davon über 70% (Indo)Arier, wo sich die blöden Nazis neidisch fragen würden, wie diese Ausländer das geschafft haben – wenn die Nazis nicht so blöd wären.
1,2 Milliarden minus…
7,8 Millionen städtische Inder sind obdachlos, von denen 71% angaben, keine Freunde zu haben… Ein weiterer Teil der „Probleme“ ist wohl dem Verkehrschaos zu verdanken. Der Linksverkehr ist hier nicht so gefährlich wie beispielsweise in London, denn hier kommt die Gefahr von allen Seiten. Mein Tuktuk-Fahrer Govinda (siehe Kasten) schätzt, dass mindestens 50% keinen Führerschein haben wegen der hohen indischen Korruption. Und so fahren Autos in Menschenmengen rein, alles muss schnell ausweichen, um nicht verletzt zu werden, Rad-Rikschafahrer drehen sich bei brenzligen Beinahzusammenstößen weg und schließen die Augen oder ein Typ, der über die Straße rennt, um den Bus zu kriegen, wird von einem Auto gerammt, weil der Fahrer genauso aufmerksam ist wie der Fußrenner. Das größte Problem sind aber – Mülleimer. Oder genauer die vielen, die nicht existieren. Dadurch gibt es pro Inder eine Fliege, mindestens. Meine persönliche Theorie, dass die Kuhverehrung so groß ist, weil die wenigstens einiges der Fliegenaufmerksamkeit auf sich ziehen, konnte ich bisher nicht nachweisen. Aber sie stimmt. Genauso wie mein Tipp, dass die nächste Seuche ein indischer Mix ist. Den streunenden Hunden jedenfalls gefällt das tägliche All you can eat bestens, genauso den Tauben und, natürlich, den Kühen.
Ein interessantes Land mit großem ABER Indiens Städte verbinden chinesische Überbevölkerung mit arabischem Chaos. Soll heißen, ein gemütlicher Städtetrip wie in Europa ist nicht drin. Man wird immer angesprochen, fotografiert und regelrecht angeglotzt, als wäre man ein Filmstar. Für Frauen alleine ist die Situation noch anstrengender. Man sollte sich vorher gut informieren, weil in Indien sich alles ums Geld und Überleben dreht, man also dauernd übers Ohr gehauen wird. Das Land hat kulturell aber so viel zu bieten, dass es sich lohnt, den Stress auf sich zu nehmen. Nach meinem Drei-Städte-Trip würde ich eine Urlaubsmischung aus Stadt und nicht-urbanen Ruhezonen empfehlen. Unbedingt nutzen sollte man Bahn und Bus – schneller bekommt schnell man keinen Einblick in das Leben in das aktuelle Indien.
Fazit: Die Schwelle dieses Landes ist noch sehr breit. Im
Rechnet man meine Erfahrungen in Neu-Delhi, Jaipur und Agra hoch, haben von den 1,2 Milliarden 100 - 150 Millionen ein ernsthaftes psychisches und/oder physisches Problem. Ein Bericht des UN-Entwicklungsprogamms 2009 bestätigt das: 25% der urbanen Bevölkerung in Armut, 23% leben in Slums,
Gegensatz zum nördlichen Konkurrenten China, wo alles geordnet (und von oben verordnet) läuft, regiert hier häufig Missmanagement und Chaos. Für mich persönlich ist das spannender zu beobachten als China. Aber halt auch anstrengender. Für die Beobachter und für Indien.
danilo (Über)Leben in Indien Wer: Govinda , Tuktuk-Fahrer in Agra Kaste: Agrawal (Händler) Ursprung: Ratlam, Madhya Pradesh, musste wegziehen wegen seiner Spielsucht Familienstand: ledig Wechselkurs Euro / Rupien: 15,- / 1000,-
Kosten: Miete Tuktuk: 300 Rupien / Tag Benzin: 150 Rupien / Tag Miete Wohnung: 400 Rupien / Monat Abzüglich der genannten Kosten bleiben ihm ca. 240 Rupien / Tag zum Leben.
Durchschnittliche sonstige Lebenskosten: 1l Milch: 36 Rupien Halbes Kilo Weißbrot: 30 Rupien Flasche Bier: 60 Rupien
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Social Media sei dank
U n t e r w e g s
Wie ich dank Facebook zu einem äußerst angenehmen Job kam.
Alles begann mit einer Frage. Ich checkte wie jeden Tag seit Beginn meiner Facebook-Sucht das Postfach und entdeckte eine Mail mit der Frage, ob ich Lust, hätte nach Zürich zu der von HTC gesponserten „Urbanatix Street Clash“-Show zu fliegen und darüber zu berichten. Aufhänger waren die neuen HTC-Handys „ChaCha“ und „Salsa“, deren Schwerpunkt auf einer einfachen Handhabung der verschiedenen Social-Media-Plattformen liegt. Genau das Richtige für mich. Dazu versprach das Lineup guten Hip Hop, also sagte ich neugierig zu. Ich betrat die Züricher „Maag Eventhalle“ voller Erwartungen auf die Show und wurde förmlich überrannt von freundlichen HTC Promotern, die mir jede Menge „Schlächerlies“ anboten und mich dank der vielen Knicklichter-Give-Aways zum Glühwürmchen machten. Interessanter war aber der Stand, an dem man das neue „ChaCha“ und den „Tablet PC“ testen konnte – unter anderem die tolle FacebookTaste am ChaCha, um meiner Sucht nachzugehen. Schön designt wie immer bei HTC, dazu lässige Bedienung – die Geräte überzeugten. Ob die Show mithalten kann?
mich war es der reinste Wahnsinn: Beatboxer rockten wie wild, das Berliner Hip-Hop-Urgestein „Doa21“ zeigte diesmal als BMX-Fahrer, das man ein Rad nicht nur zum Fahren gebrauchen kann. Es folgten Breakdance-Tänzer, eine Seilakrobatin, Leichtathleten, Free Runner und Trampolinakrobaten. Zwischen den einzelnen Genres kamen immer wieder alle zusammen und zeigten eine coole Kombination ihres Könnens. Leider hat mein aktuelles Handy noch keine SocialMedia-Funktion, sonst hätte ich das gleich gepostet. Wird wohl Zeit für ein neues Handy.
Sie begann pünktlich, und der Opening Act „Soda Plexus“ heizte den Zuschauern mit ihren Elektro-Hip Hop-Tunes ordentlich ein. Die Aufmachung der Bühne war cool gestaltet und der Sound absoluter Hammer. Für einen Hip-Hop-Fan wie
P.S.: HTC hat auch für die ifa wieder Ansehnliches angekündigt. Reinschauen könnte sich also lohnen.
Robert
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SLEAZE
s e c r e t
g a r d e n
Ein geheimer Garten öffnet seine Tore Es gibt das Klischee, im Prenzlauer Berg lebten nur junge Hipster mit Kindern, die den ganzen Tag über kreatives Holzspielzeug und die neueste Bio-Limonade diskutieren. Es wäre gelogen zu behaupten, das stimme nicht. Es gibt sie tatsächlich, die jungen PR-Muttis und Designer-Vatis, mit stylischem Jutebeutel, gefüllt mit Bio-Katzenfutter, der obligatorischen Netbook-Tasche und der Nerdbrille für 400 Tacken. Aber es geht auch anders im mittlerweile komplett sanierten Prenzelberg: Junge Menschen wollen fernab von PR-Agenturen, Galerien und dem üblichen Artsy-Fartsy-Gedöns eine kreative Plattform bieten. Aus diesem Grund startet am 10.09.2011 „Secret Garden“ im Prenzlauer Berg. Und weil der Prenzlauer Berg eben wirklich sehr kinderreich ist, ist das eine Art kreatives Familienfest. Will heißen, es gibt Kunst, Theater, Lesungen, Musik und sonstiges Programm für die großen Erwachsenen, wie auch für den jüngeren
Familiennachwuchs. Das Fest findet am 10. und 11.09.2011 statt. Im Garten des Kulturzentrums Königstadt wird dann getrommelt, gemalt und gute Mucke gehört. Konzerte geben unter anderem die Familiemithund, The Clouds und DJs vom Beatkollektiv. Zudem stellen in den Galerieräumen des Kulturzentrums eine ganze Reihe junger, aber auch etablierter Künstler aus. Es werden unter anderem Arbeiten von JujuRox, die lange Zeit unsere heißgeliebte und viel umjubelte Kolumne „Mutti Juju weiß Rat“ geschrieben hat, Peter Wagner und eine Wanderausstellung des Vereins Gegen Missbrauch e.V. zu sehen sein. Die Ausstellung kann noch bis zum 25.09.2011 besucht werden, wer es zum Familienfest nicht schafft, muss sich also nicht ärgern.
Abgesehen davon, dass er wahrscheinlich das Erfrischendste verpasst hat, was der Sommer im Prenzlauer Berg zu bieten hatte.
Anna Motz Familienfest: 10. und 11.09.2011, 15 - 18.00 h, Samstag im Anschluss Aftershowparty mit DJ Mt, Soulix und Spock vom Beatkollektiv. Ausstellung: 10. bis 25.09.2011, Galerieräume des Kulturzentrums Königstadt Adresse : Königstadt, Saarbrücker Str.24, U-Bhf Senefelderplatz
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Die riesengroße SLEAZE-Sonne/ Regen-whatever-Verlosungsaktion
„Disco Stu mag Discomusik!“ Dieses kleine Schmuckstück „Beats™ by Dr. Dre™ Studio“ wurde in einer schwierigen Operation von Dr. Dre und dem Fachmann aller Fachmänner Jimmy Iovine (Entdecker von Eminem und Produzent von diversen erfolgreichen Musikanten) zusammengebaut. Angeblich hat man das Gefühl, dass der jeweilige Künstler direkt im Ohr musiziert, wenn man die Hörer trägt. Der Beats sorgt auf jeden Fall dafür, dass ihr die Musik hört, wie sie auch klingen soll. Wer auch gern mal eine Disco im Ohr hätte, meldet sich mit dem Kennwort „Disco Stu“ bei uns und gewinnt vielleicht den Studio by Dr. Dre.
Brot statt Holz Wir verschwenden Lebensmittel. Da weiß jeder. Wie groß aber diese Verschwendung wirklich ist und warum und wieso und wo und wer daran schuld ist, dass zeigt TASTE THE WASTE auf. Wusstet ihr, dass der Krümmungsgrad von Gurken deshalb normiert wurde, weil dann mehr Gemüse in die Transportkiste passt und deshalb die Kosten sinken… Deswegen sind falsch gekrümmte Gurken der Satan und werden vernichtet. Und wenn eine Orange in der Box schimmelig ist, lohnt es sich finanziell eher, die gesamte Box auf den Müll zu werfen, als das alte, schimmelige Ding auszusortieren. Brot hat übrigens den fast den gleichen Brennwert wie Holz…wir sind uns sicher, ihr kommt auf die Lösung. Deshalb verlosen wir 1x das Buch zum Film „Die Essensvernichter“ und 3x2 Kinogutscheine für TASTE THE WASTE. Kennwort: Gurkenwahnsinn
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E-Mails an geschenke@sleazemag.de Der Rechtsweg ist wie immer ausgeschlossen, das reine Glück entscheidet.
Warum nehmt ihr uns den Wald? In den letzten 40 Jahren wurde bereits über die Hälfte des Regenwaldes vernichtet. Jede Minute fällt ein Areal groß wie 16 Fußballfelder. Tiere werden gewildert und sterben. Kopfschütteln hilft nicht. Was hilft, darüber informieren wir Sie gerne!
H C I , A J E! F L E H Für Infos senden Sie Ihre Adresse an: Rettet den Regenwald e. V., Jupiterweg 15, 22391 Hamburg, Tel: 040 - 41 03 804, E-Mail: info@regenwald.org Spendenkonto: Sparda Hamburg, Kto. 0000 600 463, BLZ 206 905 00
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Heft #27 erscheint im OKTOBER SLEAZE
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spielen. der will nicht nur
Fahrzeugdarstellung zeigt Sonderausstattung.
DAS NEUE MINI COUPÉ. ANOTHER DAY. ANOTHER ADVENTURE. Das neue MINI Cooper S Coupé will nur eines: fahren! Klar, denn das erste zweisitzige Coupé von MINI ist mit 135 kW (184 PS) und dem elektrisch ausfahrbaren Heckspoiler immer auf dem Weg ins nächste Abenteuer. Haben Sie den richtigen Drive für das neue MINI Coupé? Mehr Infos unter www.MINI.de, der MINI Kundenbetreuung 0180 2 64 64 66* oder direkt bei Ihrem MINI Partner. * 0,06 EUR/Anruf aus dem deutschen Festnetz, höchstens 0,42 EUR/Min. aus deutschen Mobilfunknetzen.
Kraftstoffverbrauch kombiniert: 5,8 [6,4] l/100 km, außerorts: 5,0 [5,0] l/100 km, innerorts: 7,3 [8,9] l/100 km, 83 Steptronic. CO2-Emission kombiniert: 136 [149] g/km. Werte in [ ] gelten für Fahrzeuge mit 6-Gang-Automatikgetriebe SLEAZE
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