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Die WM-Referees
Rund drei Wochen vor dem Start des Turniers war DFBPräsident Bernd Neuendorf gemeinsam mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Katar unterwegs. Der 61-Jährige nahm nach seiner Rückkehr ausführlich Stellung. In der Debatte zeigte er sich „einigermaßen überrascht, dass es so interpretiert wurde, dass wir uns nicht trauen, die RegenbogenBinde zu zeigen“, sagte Neuendorf im Interview der „Welt am Sonntag“. Die abgewandelte Form sei „ein generelles Zeichen für Vielfalt und Toleranz – sie steht für die Rechte der LGBTQ-Community, aber auch für Frauenrechte, Meinungsfreiheit und Arbeitnehmerrechte. Sie ist ein Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus.“
Aus den Gesprächen mit Katars Oberen, etwa Premier- und Innenminister Scheich Chalid bin Chalifa bin Abdulasis al-Thani, habe der DFB-Chef den Eindruck gewonnen, dass sich das Wüstenemirat „auf einer Reise hin zu einer liberalen Gesellschaft“ befinde und „weitere Reformen notwendig“ seien.
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Neuendorf bezeichnet sich selbst als Pragmatiker. „Die Entscheidug von 2010 (WMVergabe nach Katar, Anm. d. Red.) kann man nicht mehr rückgängig machen“, sagte er Ende Oktober gegenüber dem SWR und fügte an: „Wenn die WM beginnt, steht das Sportliche im Mittelpunkt. Aber wir müssen klar sein in der Positionierung, wenn es um gesellschaftliche und politische Verhältnisse in Katar geht.“
Allein mit seiner Reise zum WM-Ausrichter kurz vor dem Turnierstart hat der neue Verbandsboss für wachsende Glaubwürdigkeit des DFB gesorgt. An anderen Stellen hält man sich derweil zurück. Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff hatte ohnehin darauf verwiesen, dass sich Neuendorf darum kümmern müsse, die gesellschaftlichen Missstände Katars anzusprechen. Die Spieler sollen zwar „auf dem aktuellen Stand“ gehalten werden, so Bierhoff, bei aller Negativität rund um die Menschenrechte wolle er aber „eine Freude“ auf das Turnier wecken. Der 54-Jährige formulierte es so: „Wir müssen darauf achten, diesen Spagat zu finden zwischen der Verantwortung und dem Bewusstsein, das wir als Menschen haben. Auf der anderen Seite gehen wir als deutsche Fußball-Nationalmannschaft rüber. Wir vertreten unser Land, wir wollen erfolgreich Fußball spielen.“
Ob es Aktionen der deutschen Nationalspieler geben wird, ist offen. Leon Goretzka sagte, in der ZDF-Dokumentation „Geheimsache Katar“ darauf angesprochen: „Es wird unsere Aufgabe sein, die Weltaufmerksamkeit, die bei so einem Turnier herrscht, zu nutzen, um Werte zu vermitteln, die uns wichtig sind.“ Man könne sich „darauf verlassen, dass wir alles dafür tun werden“, klare Zeichen zu setzen, sagte er, die „im Optimalfall maximal sichtbar“ sein sollen. Goretzka ist eine starke politische Stimme im Team von Bundestrainer Hansi Flick. Mit seinem Herzjubel vor ungarischen Fans hatte der Mittelfeldspieler des FC Bayern schon bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr ein Zeichen gesetzt. Anhänger von Ungarns Neonazi-Ultragruppierung Carpathian Brigade waren beim EM-Gruppenspiel gegen Deutschland in München zuvor mit homophoben Gesängen aufgefallen.
Die Rechte von Frauen und der LGBTQI+-Community in Katar sind eines der großen Diskussionsthemen bei der WM fernab des Sportlichen. Gleiches gilt für den Umgang mit den Hunderttausenden Gastarbeitern, die auf den Baustellen gearbeitet haben, um Stadien, Straßen und andere Infrastrukturprojekte fertigzustellen. Die veröffentlichten Zahlen von Todesfällen variieren, gehen von drei (offizielle Angaben des Organisationskomitees) bis hin zu 6500 (Bericht der englischen Tageszeitung „Guardian“). Wenngleich genaue Angaben unmöglich sind, so steht fest, dass viele schlecht bezahlte Arbeiter, die etwa aus Bangladesch, Indien und Pakistan kamen, auf WM-Baustellen ihr Leben gelassen haben oder nun arbeitsunfähig sind. Amnesty und Human Rights Watch drängen Katars Herrscher und den Weltverband Fifa dazu, einen Entschädigungsfonds in Höhe von 440 Millionen Euro einzurichten. Die Summe entspricht den Preisgeldern für die an der Weltmeisterschaft teilnehmenden Mannschaften.
Der Golfstaat hat den Entschädigungsfonds abgelehnt. Arbeitsminister Ali bin Samich al-Marri bezeichnete ihn als „Werbegag“, als er Anfang November nach angeblichen Verhandlungen darüber mit dem Fußball-Weltverband gefragt wurde. „Jeder Tod ist eine Tragödie“, räumte al-Marri ein, betonte aber: „Es gibt keine Kriterien, um diese Fonds einzurichten. Wo sind die Opfer? Haben Sie die Namen der Opfer? Wie kommen Sie an diese Zahlen?“ Von Human Rights Watch gab es kurz vor WMStart noch einmal eine klare Forderung. „Die Fifa muss in die Bresche springen“, sagt Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor der Menschenrechtsorganisation, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Der Verband, der das Turnier vergeben hat, könne „nicht sagen, nur weil die Regierung dort nicht mitmacht, setzen wir uns dafür nicht ein“.
Arbeiterrechte, Kampf um Toleranz und gegen Diskriminierung, offene Fragen zur Vergabe: Die WM in Katar ist schon jetzt das politischste Fußballereignis der Geschichte. Jahrelang gab es heftige öffentliche Kritik. Vier Wochen lang wird die gesamte Aufmerksamkeit der Sportwelt nun uneingeschränkt auf dem kleinen Wüstenstaat liegen. Ob sich währenddessen auch die Akteure auf dem Platz klar positionieren, wie es Australiens Team getan hat, wird sich zeigen.
Positionierung gegen Katar: DFB-Präsident Bernd Neuendorf mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (oben), DFB-Direktor Oliver Bierhoff (links) und die australische Nationalmannschaft (unten). Fotos: IMAGO (2)/Action Plus, ULMER Pressebildagentur, Britta Pedersen/dpa
Ein paar Farben vom Regenbogen waren drin. Jeder weiß, was gemeint ist.
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