St. Martini Festschrift

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1318 – 2018

700 JAHRE

MITEINANDER GLAUBEN TEILEN LEBEN

FESTSCHRIFT ZUM JUBILÄUMSJAHR


MITEINANDER GLAUBEN TEILEN LEBEN


Festschrift zum Jubiläumsjahr 2018

700 Jahre Ev. -Luth. St.-Martini Kirchengemeinde Stadthagen


1318 – 2018

700J A H R E

1318 in besonderer Weise, dass Gott sich ihnen erbarmt. Auf alle Fälle wollten sie einen Raum haben, der allein ihrem Glauben vorbehalten war. Sie wollten dort Gott gegenüber klagen, danken, bitten, um Vergebung bitten. Kaum vorstellbar: Seit 700 Jahren versammeln sich regelmäßig Menschen in der St.-Martini-Kirche, um einem elementaren Grundbedürfnis nachzukommen: Mit Gott Gemeinschaft zu haben. Das ist einfach großartig. Gut, heute haben wir keine „Große Hungersnot“. Auch der außergewöhnlich heiße Sommer 2018 und die Ernteeinbußen schafften es nicht, dass irgendjemand deswegen von uns Hunger leiden muss. Ich erlebe jedoch, dass auch heute viele, viele Menschen „Hunger“ haben, anderen Hunger: Hunger nach Geborgenheit, Sicherheit, Anerkennung oder auch Hunger nach Freundschaft, die mehr ist als ein Klick (Facebook).

Sehr geehrte Leserinnen und Leser unserer Festschrift! Vor 700 Jahren herrschte in Nordeuropa eine große Hungersnot. Sie wird vereinzelt auch die „Große Hungersnot“ genannt und dauerte von 1315-1317. Ihre Nachwirkungen waren aber in vielen Gebieten bis 1322 zu spüren. Lange Winter, Überschwemmungen, Tierseuchen bedeuteten Hungersnöte für unzählige Menschen. Auch in Stadthagen. In einer Zeit, da es um die elementaren Dinge des (Über-)Lebens geht, baut Stadthagen seine St.-Martini-Kirche (weiter). Das ist Luxus. Das Geld hätte man für die Versorgung der Menschen nutzen sollen, oder?

Ich wünsche mir, dass für uns alle die St.-Martini-Kirche ein Ort ist, an dem wir uns gerne an die Worte von Jesus Christus erinnern: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ ( Johannes 6,35). In diesem Sinne war St. Martini zu keiner Zeit in den vergangenen 700 Jahren „Luxus“. Vielmehr blicken wir mit ganz großer Dankbarkeit auf unsere Kirche in der Hoffnung, dass auch in Zukunft St. Martini ein Ort ist, an dem „Hunger“ gestillt wird. Dann erfüllt sie ihren Zweck.

Einen Ort zu haben, an dem Gott angebetet wird, empfanden die Menschen damals offenbar nicht als Luxus, sondern es war ein elementares Grundbedürfnis. Vielleicht erwarteten sie durch den Bau

Martin Runnebaum Oberprediger der EvangelischLutherischen St.-Martini-Kirchengemeinde Stadthagen

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Grußwort

zum 700-jährigem Kirchenjubiläum der St.-Martini-Kirche zu Stadthagen In der St.-Martini-Kirche begegnen uns Architektur und Kunst vieler Jahrhunderte. Sie ist eine Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie hat die Welt in Stadthagen verändert. Wir dürfen stolz auf unsere Kirche sein. Ich danke der Kirchengemeinde und ihren Mitgliedern für ihr Wirken und wünsche den Jubiläumsfeierlichkeiten einen guten und harmonischen Verlauf.

In diesem Jahr feiert die Kirchengemeinde der St.-MartiniKirche zu Stadthagen ihr 700-jähriges Jubiläum ihrer schönen und schmuckvollen Kirche. Ich möchte die Jubiläumsfeierlichkeiten mit einem Zitat von Carl Friedrich von Weizsäcker beginnen: „Die Kirche hat nicht den Auftrag, die Welt zu verändern. Wenn sie aber ihren Auftrag erfüllt, verändert sich die Welt.“ Trotz des Wandels und im Zeitalter von Computer und Internet ist die St.-Martini-Kirche ein Ort, der nicht nur physisch, sondern auch im Herzen der Einwohner Stadthagens ihren festen Platz hat.

Ihr Oliver Theiß Bürgermeister der Stadt Stadthagen

Ein bedeutendes Ereignis Kunst und Medizin unverzichtbar ist, damit Zusammenleben gelingen kann.

Der Geburtstag der St.-Martini-Kirche ist zunächst für die Stadt und die Christengemeinde in Stadthagen ein bedeutendes Ereignis. Die Martinikirche war aber auch schon in vorreformatorischer Zeit die Hauptkirche der Grafschaft Schaumburg und ist so mit dem Fürstenhaus und seiner Geschichte verbunden. Die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen haben sich in den 700 Jahren mehrfach verändert. Damals wie heute ist es eine Verpflichtung für die Bürgerschaft der Stadt und die Kirchengemeinde, der Religion – und damit der Gottesverehrung – im öffentlichen und privaten Leben einen unverwechselbaren Raum zu geben. Heute muss es erklärt werden, was vor 700 Jahren institutionell kaum in Frage gestellt wurde: dass die Religion eine natürliche Verfasstheit des Menschen ist. Eine Befähigung des Menschen, die neben Wissenschaft,

Dafür steht die St.-MartiniKirche neben dem Marktplatz an einem zentralen Punkt der Stadt. Insofern freue ich mich, dass die St.-Martini-Gemeinde im Rahmen des Geburtstags der Kirche eine Fülle von Veranstaltungen vorgesehen hat, an denen sich viele beteiligen können. Dr. Karl-Hinrich Manzke Landesbischof der EvangelischLutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe

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So bauten sie die St.-Martini-Kirche

„Das ist die Stadt?“, fragte Trenk erschrocken und starrte ins Tal. „So groß ist die Stadt?“

Städten siedelten sich neue Bürger an, die einem Handwerk nachgingen, Handel trieben und oft auch eine kleine Landwirtschaft betrieben. Diese Bürger waren steuerpflichtig, aber anders als die Bauern entrichteten sie ihre Verpflichtung mit Geld und nicht in Naturalabgaben. Ebenfalls auf Waren, die auf den städtischen Märkten angeboten wurden, zahlte man Steuern und Abgaben. Das brachte auch den Grafen zu Schaumburg Geld in ihre Kassen. Der Helweg begünstigte die wirtschaftliche Entwicklung Stadthagens zusätzlich.

Dabei muss ich dir sagen, dass da unten zu seinen Füßen in Wirklichkeit eine sehr, sehr kleine Stadt lag, über die du bestimmt nur gelacht hättest.“ So beschreibt Kirsten Boie die mittelalterliche Stadt, in die der kleine Ritter Trenk mit seinen Freunden kommt. Vielleicht sah auch Stadthagen, oder ‚Grevenalveshagen‘ (des Grafen Adolfs Hagen) wie man die Stadt vor 700/800 Jahren nannte, so aus. Eine ganze Reihe von Orten in ihrer Umgebung waren viel früher gegründet worden und zählen heute bereits 1.000 Jahre und mehr. Aber Stadthagen war etwas Besonderes. Viele Dörfer der Umgebung waren als Hagenhufendörfer angelegt. Auf der einen Seite des Weges lag die Bauernkate und gegenüber auf der anderen Seite das Feld. ‚Grevenalveshagen‘ wurde jedoch vom Grafen Adolf III um 1222 als eine Stadt mit einem klaren Mittelpunkt, dem Markt, gegründet. Sie lag günstig, denn hier führte ein Zweig des Helwegs vorbei, einer Handelsstraße, die von den Niederlanden bis weit in den Osten nach Novgorod in Russland führte. Beidseits wurde dieser Handelsweg auf eine Lanzenlänge vom Bewuchs freigehalten, wie uns Wikipedia berichtet, um die Reisenden und Kaufleute so vor räuberischen Hinterhalten zu schützen.

Aber von einer Stadt hatte auch „der kleine Mann“ etwas – ebenso wie all diejenigen, die nicht selbst über sich bestimmen durften, weil sie Leibeigene waren. Wer es schaffte in eine Stadt zu gelangen und ein Jahr lang von seinem Herrn nicht aufgespürt werden konnte, der war frei. Daher stammt das Sprichwort „Stadtluft macht frei“. Natürlich riefen die Städte, auch wenn sie noch klein waren, die Begehrlichkeiten mächtiger Nachbarn hervor. Stadthagen musste sich schützen. Eine steinerne Mauer war zu teuer. Darum umgab eine Palisade aus in den Boden gerammten Baumstämmen und einem Geflecht aus dünneren Ästen, die man dadurch gewunden und anschließend mit Lehm bestrichen hatte, um alles vor dem Feuer zu schützen, Stadthagen. Drei feste Torgebäude mit Türmen an jeder der Durchgangstellen, wo Straßen in beziehungsweise aus der Stadt führten, sicherten die Zugänge. Hinter dem Schutz duckten sich die Wohnhäuser, die damals noch eher den Katen auf den Dörfern ähnelten.

Die Gründung Stadthagens fiel in eine Zeit, als viele solcher neuen Städte in ganz Europa entstanden. Den Adligen boten sie viele Vorteile. In den

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Und alles überragt die Kirche, die wirklich ein bisschen St. Martini ähnelt.

Mit der Gründung der Stadt, zumindest bald danach, kam es den Bewohnern nicht nur darauf an, hier ihre eigenen Häuser zu bauen. Sie wollten auch etwas haben, wo sie hingehen konnten, etwas von Gott hören, zu ihm beten und Trost und Zuspruch durch einen Seelsorger erfahren konnten. Darin waren sich einfache Bürger mit dem Grafen einig.

Bestimmt war auch sie dem Hlg. Martin gewidmet. Viele Kirchen, besonders die, die an Handelsstraßen lagen, weihten ihre Kirchen dem heiligen Soldaten aus Tours. Er war ein Mann, der mit seiner Frömmigkeit, Hilfsbereitschaft und seinem Eintreten gegen das Unrecht ein wahres Vorbild damals und auch noch heute ist.

Bei Ausgrabungen um die heutige Martini-Kirche im Jahr 2010 zeigte sich, dass es schon kurz nach Gründung der Stadt einen ersten Friedhof an der Kirche gab. Wo ein Friedhof war, war auch eine Kirche. Vielleicht sah sie noch nicht so aus wie St.-Martini heute. Vielleicht war sie kleiner. Aber es muss sie gegeben haben. Denn es wird auch ein Priester in dieser Zeit erwähnt.

1318, also vor 700 Jahren, muss dann die Vorgängerkirche nicht mehr ausgereicht haben. Es brauchte eine neue, eine größere Kirche. Das Baumaterial war teuer. Und so findet man heute noch Reste der alten Kirche in der heutigen Martini-Kirche. Der Turm in seinen Grundmauern ist wohl so ein alter Teil. Aber auch ein runder Bogen, den man auf der Höhe der Vierung an der Querhausstirnseite sehen kann, könnte vom Vorgängerbau stammen, denn er ist im typischen alten Baustil, dem romanischen Stil gebaut.

Auf einem Relief, das sich heute in der Kirche im Turmraum befindet, kann man eventuell diesen ersten Kirchbau sehen. Reiter greifen auf dem Bild die Stadt an. Das Tor haben sie überwunden. Hinter der Palisadenmauer sieht man die Verteidiger.

St. Martini von oben

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700J A H R E Nun aber folgt die Kirche der neuen Bauweise, der gotischen und es entsteht die heutige wundervolle und würdige Hallenkirche. Vielleicht versteht man das Kirchengebäude und die Beweggründe, warum Menschen sie damals so gebaut haben, besser, wenn man sich einmal in den Turmraum am Übergang zum Kirchenschiff stellt und in die Kirche hineinschaut. Blenden Sie in Gedanken einmal für einen Moment alles aus, was Sie an eine Kirche erinnert – den Altar, das Kreuz, die Kanzel, die Bänke, die Orgel. Was hätte es damals dann für ein Raum sein können? Wenn man das mit Kindern einmal ausprobiert, kommen sie schnell auf die Idee: „Vielleicht war es früher auch einmal ein Ballsaal auf einem Schloss oder der Thronsaal des Königs.“ Und da haben sie recht. Der Ursprung unserer Kirchen entwickelte sich nämlich ganz früher noch im römischen Reich aus der Basilika. Das Wort gebrauchen wir heute noch für manche Kirchen. Damals war eine Basilika aber einem Thronsaal vergleichbar, wo der Kaiser oder sein Vertreter zu Gericht saß.

Reliefplatte eventuell aus der Vorgängerkirche – Flucht eines Ritters auf den Kirchhof?

Die Kirchen wurden so aufwendig und prächtig gestaltet, weil die Menschen für Christus mindestens ein ebenbürtiges Bauwerk haben wollten wie es sich die Grafen, Fürsten, Könige oder Kaiser errichten ließen.

Reliefplatte – der Heilige Martin, der Namenspatron der Kirche mit dem Bettler und als Bischof

Am Ende eines langen, großen Saals gab es einen Platz für den Thron des Herrschers. Als die Christen solche Basiliken übernahmen oder auch später ähnlich nachbauten und weiterentwickelten als Kirche, da platzierten sie an die Stelle des Herrscherthrones den Altartisch. Hier sollte ihr neuer Herr – Jesus Christus selber ihnen ganz nahe sein. Denn im Abendmahl in den Gaben von Brot und Wein glauben wir auch heute, dass Christus mitten unter uns Menschen ist.

Schlussstein mit der Darstellung des Heiligen Martin mit dem Bettler

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STADTHAGEN–Altstadt

Maßstab 1:2700 Schutzgebühr 2 €

Stadt der Weserrenaissance

Plan des Altstadtkerns von Stadthagen

Grafik: Michael Perl, Bückeburg 2006 Urheberrechtlich geschützt

Stadtverwaltung Stadthagen Verwaltungsgebäude: Rathauspassage 1, 31655 Stadthagen Tel.: 0 57 21 / 7 82 - 0 Fax: 0 57 21 / 7 82 - 1 10 www.stadthagen.de Sprechzeiten der Verwaltung Mo. – Fr. 08.30 – 12.30 Uhr und nach Vereinbarung

Stadtmarketing Stadthagen e.V. Tourist-Information / I-Punkt Am Markt 1, 31655 Stadthagen Tel.: 0 57 21 / 92 50 65 www.stadtmarketing-stadthagen.de Öffnungszeiten Mo. – Fr. 09.00 – 18.00 Uhr Sa. 10.00 – 13.00 Uhr

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Museum Amtspforte

Stadtbücherei

Obernstraße 32 A 31655 Stadthagen Tel.: 0 57 21 / 92 49 00 Öffnungszeiten Mo. geschlossen Di. – Fr. 10.00 – 12.00 Uhr 15.00 – 17.00 Uhr Sa. – So. 15.00 – 17.00 Uhr

Obernstraße 44 31655 Stadthagen Tel.: 0 57 21 / 92 81 70 Öffnungszeiten Mo. geschlossen Di. + Fr. 07.30 – 17.00 Uhr Mi. 07.30 – 12.30 Uhr Do. 07.30 – 19.00 Uhr Sa. 10.00 – 12.00 Uhr

Sehenswürdigkeiten in Stadthagen • historisches Rathaus am Markt • Marktplatz in der Mitte der Altstadt, die vollständig von einem mit Bäumen bestandenen Wall umgeben ist. • St. Martini – Kirche mit angrenzendem Mausoleum (Standort der Erlebniswelt Renaissance) • Landsbergscher Hof (Sitz der Stadt-


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700J A H R E Die Kirchen wurden so aufwendig und prächtig gestaltet, weil die Menschen für Christus mindestens ein ebenbürtiges Bauwerk haben wollten wie es sich die Grafen, Fürsten, Könige oder Kaiser errichten ließen. Das ist auch der Grund warum früher unsere Friedhöfe um die Kirchen herum angelegt waren oder Adlige oder bedeutende Persönlichkeiten nach dem Tod ganz in der Nähe des Altars in der Kirche begraben werden wollten. Die Menschen glaubten, dass Christus einmal wie die aufgehende Sonne aus dem Osten wiederkommen wird. Unsere Kirchen sind daher nach Osten ausgerichtet und im Osten steht dann auch der Altar.

Wandbilder Maria und Stephanus

Als Fürst Ernst im 17. Jahrhundert das Mausoleum für sich und seine Familie planen ließ, hat er es daher ebenfalls in der Verlängerung des Altarraumes errichten lassen. Früher gab es sicherlich auch zahlreiche Wandmalereien, die die Wände der St.-Martini-Kirche bedeckten. Einen kleinen Rest, der erhalten geblieben ist, sieht man noch heute neben dem Kreuzigungsfenster im Altarraum. Die Bilder erzählten den einfachen Menschen, die meistens nicht lesen konnten, wie in einer Kinderbibel, die Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament. Vieles ist heute anders. Manches hat sich aber auch über die Jahrzehnte und Jahrhunderte erhalten. St. Martini hat seine Geschichte und seine Geschichten, denen man nachspüren kann. Vor allem ist diese Kirche auch heute noch ein Ort des Glaubens, der Begegnung von Menschen, des Hörens auf Gottes Wort und des Lebens der Gemeinde. Hier trifft man sich Sonntag für Sonntag und oftmals auch zwischendurch. Seien Sie herzlich willkommen! ■

Kirchenfenster-Darstellung des barmherzigen Samariters

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600 Jahrfeier St. Martini (Zeitungsausschnitt im Jahr 1918)

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Aufriss der Kirche

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Kirchturm mit zum Teil sehr altem Geläut von 1434 und 1511

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Trinitatiskapelle von 1544 mit Aufgang zur Fürstenprieche von 1893

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Das ehemalige Beinhaus von 1430

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Die Seitenkapelle von 1541 mit niederländisch beeinflusstem Triptychon um 1600

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Die mit Apostelbildnissen und Wappentafeln reich geschmückte Fürstenprieche von 1559

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Der Altar, ursprünglich um 1460 als gotischer und dreiteiliger Flügelaltar gefertigt, wurde 1585 unter Aufnahme von Renaissanceelementen zu einem Schrein verkleinert

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Die 2003 fertig gestellte Kern-Orgel mit ihrem historischen Prospekt von Christian Vater

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Die Bronzetaufe von 1578

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Die aus dem Ende des 16. Jh. stammende Renaissancekanzel mit kronenartigem Schalldeckel

10 Epitaph von Otto IV. mit seinen beiden Ehefrauen Maria von Pommern und Elisabeth Ursula von Braunschweig-Lüneburg 11

Auferstehungsgruppe, ein bronzenes Grabmonument von Adriaen de Vries

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Ädikulen (Epitaphien), die an Fürst Ernst und seine Gemahlin und an seinen Vater Graf Otto IV. und dessen zweite Gemahlin erinnern

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Engelschor mit auf typischen Musikinstrumenten der Renaissance spielenden Engeln

14 Kuppel und Laterne bilden den krönenden Abschluss des siebeneckigen Mausoleums

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Die Toten von St. Martini – oder: Jede Kirche ist auch Friedhof Von Jens Berthold, Kommunalarchäologe der Schaumburger Landschaft

Kirchen sind häufig die ältesten bekannten oder noch bestehenden Gebäude eines Ortes – so auch St.-Martini in Stadthagen. Die zentrale Lage in der mittelalterlichen Stadt entspricht dabei nicht nur ihrer zentralen Bedeutung für die Religion, mittelalterliche Kirchen waren praktisch immer auch Begräbnisplatz. Die Grabsteine und -denkmale an und in der Kirche belegen das ganz nachdrücklich, selbst wenn das Kirchenumfeld heute seinen Friedhofscharakter völlig eingebüßt hat. Die teils reich verzierten Steine etwa außen an der Kirchenwand fanden erst bei späteren Umgestaltungen hier ihren Platz, ihr ursprünglicher Standort ist aber meist unbekannt. Dennoch illustrieren sie: Der Kirchhof war ein Friedhof. Besser gestellte und hochrangige Personen wurden innerhalb der Kirche beigesetzt, wobei gerade die Grabesnähe zum Altar sich als besonders günstig aufs Seelenheil auswirken sollte. Auf den Freiflächen um die Kirche herum wurden alle anderen bestattet. Dabei ist „alle“ für das Mittelalter vermutlich fast wörtlich zu nehmen. Abgesehen von Juden, Verbrechern und außerhalb der (christlichen) Gesellschaft stehenden Personen dürfte der allergrößte Teil der Einwohner Stadthagens hier seine letzte Ruhe gefunden haben. Andere Friedhöfe traten außer an der St. Johannis-Kapelle und dem Franziskanerkloster wohl erst im frühen 17. Jahrhundert hinzu und entlasteten diesen Hauptbestattungsplatz. Mit allen Unsicherheiten bei der Berechnung der ehemaligen Einwohnerstärke der Stadt bleibt aber festzuhalten: An und in der

Bei den Kanalarbeiten vor Kirche und Mausoleum wurden auch mittelalterliche Särge angetroffen – darunter die ältesten Stadthäger.

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Kirche liegen Tausende von toten Stadthägern aus sechs Jahrhunderten! Insofern klang die Frage an den Archäologen, was man bei der Erneuerung der Wasserleitungen und der Umgestaltung der Flächen um die Kirche 2010 denn zu finden gedenke, in dessen Ohren etwas merkwürdig. Natürlich Gräber! Auch wenn die Knochen von Toten dann insofern „wie auf Bestellung“ tatsächlich erschienen – beobachtet wurden dabei an die 100 Gräber –, bargen die Baugruben der Kanalbauer dann doch auch viel Überraschendes.

Knapp unter dem Steinpflaster zeichnen sich im Boden dicht an dicht die vergangenen Hölzer von Särgen als dunkle Streifen ab. Wenig tiefer liegen die Skelette tausender Bestatteter.

Zu diesen Überraschungen zählen zahlreiche Hölzer, die links und rechts des bestehenden älteren Abwasserkanals in 1 bis 1,5 m Tiefe angeschnitten wurden. Insbesondere im tiefer gelegenen Bereich östlich und nördlich des Kirchenchores und des Mausoleums waren die Bodenschichten wassergesättigt. In diesem Milieu hatten sich unter Luftabschluss sogar alte Sargbohlen erhalten.

durch die für bestimmte Jahre charakteristische Abfolge ein altes Holz jahrgenau auf das Fälljahr zu bestimmen. Dass sich in den Zick-Zack-Kurven der Messlinien eine kleine Sensation verbergen würde, war dabei noch nicht klar, gewünscht waren zunächst nur möglichst sichere Datierungen. Eigentlich ist es schon spannend genug, auf dieser Grundlage sagen zu können, das dieses oder jenes Holz im Jahr 1275 oder um 1326 gefällt wurde und bald darauf als Sarg in die Erde kam. In unserem Fall haben die Ergebnisse nicht nur Bedeutung für die einzelnen Gräber, sondern für die Kirche und die ganze Stadt.

Die rechteckigen Särge waren meist etwa 2 m lang, 0,4 m breit und 0,25 m hoch. Sie waren rundum aus Eichenhölzern von 2 bis 5 cm Stärke mit eisernen Nägeln oder Holzdübeln gezimmert. Vereinzelt war nicht einmal der Sargdeckel eingebrochen. Unter den Bestatteten fanden sich Kinder und Erwachsene. Die Knochen waren allerdings durch das chemische Milieu in den Särgen angegriffen.

13 Hölzer lieferten nämlich Daten vom 12. bis zum 17. Jahrhundert. Das lässt in Stadthagen aufhorchen, da die Stadt erst gegen 1220/1230 gegründet wurde. Zwei bis vier der Hölzer stammen also aus der Zeit vor Gründung der Stadt.

Das Alter sah man den Gräbern nicht direkt an, deshalb wurden die Ergebnisse der Jahrringanalyse zur Bestimmung des Fälljahres der Sargbohlen mit Spannung erwartet. Das Baumwachstum und damit die Jahrringbreite hängen davon ab, ob es den Bäumen einer Region gut geht oder nicht. Überregional legen die Bäume daher in guten Jahren stärker zu als in schlechten. Dieses „gut“ und „schlecht“, „dick“ und „dünn“ der vergangenen Jahrhunderte ist inzwischen hinreichend erforscht, so dass man mit der Vermessung einer ausreichend großen Holzprobe gute Chancen hat,

Auch wenn diese Sarghölzer nicht mit letzter Gewissheit belegen, dass ein Friedhof und damit wohl auch eine Kirche schon vor der eigentlichen Stadtgründung bestanden haben, so sind sie zusammen mit anderen Funden und Überlegungen doch ein wichtiges Indiz, das darauf hinweist, dass

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Zwei Särge übereinander sind hier in der Baugrubenwand angeschnitten. Der tiefer eingegrabene Sarg hat sich im feuchten Untergrund noch sehr gut erhalten, nur der Sargdeckel hat dem Erddruck nicht standgehalten.

führten mittelfristig zur Aufgabe dieses Bestattungsplatzes. Im Houpe-Plan von 1784 sind noch Gräber und Grabsteine als Hinweis auf die Totenstätte eingetragen. 1787 wurden Bestattungen um die St.-Martini-Kirche zwar per Dekret verboten, aber noch bis etwa 1800 wurden an St.-Martini Tote gebettet.

eine Siedlung und eine Kirche schon bestand, als Graf Adolf III. zu Holstein-Schaumburg entschied, an dieser Stelle eine der Städte in seinem Herrschaftsbereich zu gründen. Bleibt noch darauf hinzuweisen, dass außer den Gräbern auch Gebäudereste aufgedeckt wurden. Ein weiterer Anbau an der Nordseite der Kirche kann erst in den letzten Jahrhunderten abgerissen worden sein. Seine Fundamentreste wurden in der Ausgrabung freigelegt und in der Grundrisszeichnung der Kirche des Jahres 1784 ist dieser Gebäudeteil noch ausgewiesen. Auch muss der Durchgang nördlich der Lateinschule – damals zur Stadtmauer, heute auf den Schulhof – deutlich schmaler gewesen sein, da ein heute fehlendes Gebäude durch Steingründungen nachzuweisen war.

Die Gruft der Schaumburger Grafen und Fürsten unter dem Stadthäger Mausoleum war sogar noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts in Nutzung, als ein Neubau für die Verstorbenen des Hauses Schaumburg-Lippe in Bückeburg errichtet wurde. Viele Familienmitglieder des 16. bis 20. Jahrhunderts liegen aber noch heute unter dem markanten siebeneckigen Bauwerk in Stadthagen, darunter auch einer der prominentesten Vertreter und Erbauer des Mausoleums, der Renaissancefürst Ernst zu Holstein-Schaumburg. Auch diese Toten bleiben beinahe vergessen, selbst wenn man die Architektur und Innenausstattung darüber besichtigt. Die Idee und Möglichkeit, die Bestattungen wieder würdevoll herzurichten, möglicherweise sogar einen Einblick in die unterirdische Gruft zu gewähren, bestehen weiter. Fernab von einem Gruselkabinett mit Blick auf die Toten läge hier eine Chance, Schaumburger Geschichte anhand bedeutender Herrscher Revue passieren zu lassen. ■

Obwohl spätestens ab 1610 eine Totenkapelle und damit auch ein Friedhof auf dem heute noch als ehemaliger Bestattungsplatz erkennbaren Westernfriedhof dem Kirchhof um St. Martini den Rang ablief, wurden hier noch weiter Bestattungen vorgenommen. Der Bevölkerungszuwachs, d. h. die zunehmende Zahl an Toten, der feuchte Untergrund, der durch neue Gebäude (z. B. Lateinschule und Mausoleum) geringer werdende Platz und der Zeitgeist, nach dem die Toten jetzt eher außerhalb der Stadt beigesetzt werden sollten,

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Rundgang durch die St.-Martini-Kirche Von Dr. Udo Jobst und Dr. Klaus Pönnighaus

Kirchenschiff Vom Turmraum fällt der Blick in das Kircheninnere, die im 13. und 14. Jh. erbaute Hallenkirche. Bautypisch für diese Kirchenform ist die Gestaltung des Langhauses, dessen Seitenschiffe, wie auch hier in St.-Martini, von (annähernd) gleicher Höhe sind. Die Gewölbe des verhältnismäßig niedrigen Kirchenraumes werden von acht Pfeilern getragen; die vier westlichen achteckigen sind schlicht, die vier östlichen Bündelpfeiler mit Diensten reich gegliedert.

In Anknüpfung an die erst in der Romanik entstandenen Retabel (Rückwand)-Altäre, die die frühe einfache Tischform ersetzten, entstanden die großen Hochaltäre und Altarschreine der Gotik. In der St.-Martini-Kirche stand ursprünglich ein dreiteiliger Flügelaltar, der Passion und Auferstehung Jesu in einzelnen Szenen darstellte und wohl um 1460 in einer Brüsseler Werkstatt entstand.

Die Kirche ist 52 m lang; auf den nicht tiefen Chor der Gemeindekirche, die nie Klosterkirche war, entfallen 9,50 m; auf den Turm 10,50 m. Das eigentliche Langhaus misst 21 x 32,50 m. Für die perspektivische Raumwirkung ist von Bedeutung, dass die Jochlänge vom Turm beginnend mit jedem Joch wesentlich zunimmt. Frühstem Brauch der Christenheit entspricht die Ausrichtung des buntbefensterten Chores zum Osten. Hier ist die Seite des Lichtes, des Sonnenaufgangs als Symbol der Auferstehung; hier liegt Jerusalem, von wo der wiederkommende Christus erwartet wird.

Kirchenschiff mit Epitaphien

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Blick ins Kirchenschiff

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Altar krönung eine weitere Kreuzigung aus Elfenbein einfügen. Dieses an seine 1. Frau erinnernde Mechelner Altärchen wird nach der niederländischen Stadt genannt, aus der diese Stilrichtung kam, die Ergänzungen im ursprünglichen Altar vornahm.

Um den Blick auf das links vom Altar neu aufgestellte Epitaph für Graf Otto IV. und seine Gemahlinnen zu ermöglichen, das erst seit 1974 in der Turmhalle steht, wurde der Altar um 1585 im Stil der Renaissance zu einem einheitlichen Schrein verkleinert. Predella, also z.B. Gemälde unterhalb des Altarbildes, und beide Seitenflügel gingen verloren. Nun steht über einem Sockel und zwischen Säulen der kunstvoll geschnitzte Mittelteil. Zwei der sieben Szenen aus der Geschichte Jesu befinden sich seit der Veränderung im Aufsatz des Altars jeweils seitlich der zentralen Ädikula (lat. kleiner Bau). Der die Veränderungen veranlassende Kanzler Anton von Wietersheim (Stadthäger Geburtsname A. Schmeckeworst) ließ in die Be-

Alle sieben Felder mit den Darstellungen aus dem Leben Jesu sind überhöht mit reich geschnitzten Baldachinen und gotischen Architekturgliedern, erscheinen vor goldenem Hintergrund und demonstrieren so die Zugehörigkeit des Gezeigten zur göttlichen Welt. Der Altar unter dem bunt befensterten Chor bildet trotz seiner Geschichte ein künstlerisch harmonisches Ganzes und erfreut durch seine meisterhaft geschnitzten Figuren.

Altar

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Taufstein

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Taufstein Taufkapellen, Baptisterien gibt es seit dem 4. Jh.; der Taufstein mit Deckel in Form einer Kuppel taucht seit dem 7. Jh. als gleichsam verziertes Abbild des Baptisteriums auf. Die Öffnung des Taufbeckens war noch beim Ausgang des Mittelalters so groß, dass Kindertaufe durch Untertauchung möglich war. Die große vielfältig geschmückte Bronzetaufe mit Deckel in St. Martini ist 1578 datiert. In der Deckelmitte hält ein Engel ein Wappen mit laufendem Fuchs, der zum Landsbergschen Wappen gehört. C. D. und J. von Landsberg schenkten der Gemeinde die Taufe. Das Taufbecken steht auf Sandsteinfundament mit den vier Evangelistensymbolen.

Altar Sakristeikapelle

Beliebte Taufgottesdienste waren früher an Karsamstag und Pfingsten. Das Getauftwerden auf den Tod Christi zur Auferstehung soll symbolisiert werden. Pfingsten erinnert an den Heiligen Geist, die eigentliche Taufgabe.

Sehenswert ist noch die Kleeblattbogen verzierte Piscina (Ausguss), durch das Tauf- oder Weihwasser oder eucharistische Partikel aus dem gereinigten Kelch in die geweihte Erde des umgebenden Friedhofes abflossen.

Sakristeikapelle

Epitaphien

Die drei Kirchenanbauten sind das im SW gelegene ehemalige Beinhaus von 1430, die 1893 zum repräsentativen zweigeschossigen Aufgang zur Fürstenprieche erweiterte Trinitatiskapelle von 1544 im NW und die im N gelegene 1541 datierte Sakristeikapelle. In diesem zweijochigen Raum steht ein Altarschrein, ein Triptychon mit seinen drei dazugehörigen gemalten Bildtafeln: eine zentrale Kreuzigungsszene umrahmt von Bildern der Kreuztragung und der Auferstehung. Vermutlich um 1600 entstanden ist es niederländisch beeinflusst. Gestiftet ist der Altar von Anton von Wietersheim, der als Schaumburger Kanzler den Hauptaltar umbauen ließ.

In der Kirche hängen sechs Epitaphien (epitaphium, zum Grab gehörig) an den Innenwänden, die an Angehörige des Adels, an bedeutende Bürger oder lutherische Prediger erinnern. Jakob Dammann wurde 1558 zum lutherischen Hofprediger der Residenzstadt Stadthagen berufen. Im Ehevertrag mit Elisabeth Ursula von Braunschweig-Lüneburg, der zweiten Ehefrau des Grafen Otto IV., wurde die Einsetzung eines luth. Geistlichen bestimmt. Dammann, Schüler Luthers und Melanchthons, wurde die treibende Kraft der Reformation Schaumburgs. Er war seit dem 20.03.1559 luth. Pastor an St. Martini

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und gleichzeitig Superintendent der Grafschaft. War früher der Priester mit Kelch auf Epitaphien dargestellt, so zeigt sich der luth. Prediger Dammann breitbeinig und fest mit dem Buch als Hinweis auf Gottes Wort. Ein lat. Zweizeiler beschreibt sein Leben, auf Deutsch: „Celle gab mir das Leben, Stadthagen das Grab, Christus Freude des Himmels, die nie werden am Ende vergehen.“

Die Pietà (italienisch: Frömmigkeit, Mitleid) stellt die trauernde Maria mit dem Leichnam ihres Sohnes nach der Kreuzabnahme dar. Dieses Geschehen bezeichnet den sechsten der sieben Schmerzen Marias, an die der katholisch liturgische Kalender an seinem Gedenktag am 15. September erinnert. Die anderen sechs: Darstellung Jesu im Tempel mit Weissagung Simeons, die Flucht nach Ägypten vor dem Kindermord, der Verlust des zwölfjährigen Jesus im Tempel, Maria begegnet ihrem Sohn auf dem Kreuzweg, Maria unter dem Kreuz, Maria bei der Grablegung. Die Pietà zeigt Maria in besonderer Weise als Identifikationsfigur für Trauernde und Leidende. Gebräuchlich ist dieses Motiv in der Bildhauerkunst seit dem frühen 14. Jh., es zählt zu den erfolgreichsten Bildfindungen des Mittelalters. Die bekannteste Figur ist die Pietà von Michelangelo 1499 in Rom für den Petersdom.

Wenige Schritte von der Kirche entfernt liegt der Landsbergsche Hof, ein Renaissancebau, den die Familie, Ministeriale im Dienst der Grafen, hinterließ. Das Epitaph, mit den beiden Stifterinnen mit ihrer Mutter rechts und dem Vater und den Söhnen links, zeigt die Auferweckung Christi und hat folgende Inschrift: „Nach Christi Unsers Selichmachers geburt 1590 haben die Edlen .. Jungfrauen Anna und Engell von Landsbergk .. Ihren Vatter und Mutter, allen .. Brudern und Swestern, auch ihnen selbst, dies Monumentum zue einer stehts währender gedechtnus ... auffrichten laßen.“

Die in Martini ist um 1500 im Osnabrücker Raum entstanden, war ursprünglich farblich gefasst. Maria sitzt, auf ihren Beinen der Sohn, dessen Oberkörper leicht zum Betrachter gedreht ist. Sie wirkt nachdenklich versunken, von tiefer Bewegung erfasst. Ihr Schleier verdeckt die herabfallenden Haare nur wenig. Oben ist ihr fein gearbeitetes Kleid mit dünnem Tuch zu sehen, der untere Teil der Figur wird fast ganz vom Mantel verdeckt. Der Körper Christi ist nur fragmentarisch erhalten.

Pietà

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Kanzel Die Kanzel dient der Predigt, in der Gottes Wort – in der Bibel bezeugt – hörbar werden soll. Die Heilige Schrift ist ein Kräutlein, je mehr man es reibt, desto mehr duftet es, so beschreibt Martin Luther die Beschäftigung mit ihr. Mit seiner Reformation gewann die Predigt sehr an Bedeutung und damit auch die Kanzel im Kirchenraum. Doch schon Quellen des 3./4. Jh. kennen im Gottesdienst erhöhte Plätze zur Lesung der Schrift, für Psalmsänger und Prediger. Der Ambo, ein über wenige Stufen zu erreichendes Podest mit Brüstung oft mitten im Kirchenraum stehend, ist der Vorläufer der Kanzel. Diese bilden sich im späten Mittelalter heraus, sind durch Treppen erhöht, haben Brüstung und oft Bekrönung (Schalldeckel) zu Schmuck und Stimmverstärkung und dienen nun ausschließlich der Predigt. Die Renaissancekanzel in St. Martini (Ende 16. Jh.) zeigt auf ihrer Brüstung vor Landschafts- und Architekturkulisse flache Reliefs mit den vier Evangelisten: Matthäus mit dem Engel, Markus mit dem Löwen, Lukas mit dem Stier und Johannes mit dem Adler. Ein Brustbild von Christus mit Weltkugel und Kreuz am Aufgang zur Kanzel und ein später hinzugefügtes Relief des Paulus runden das Ganze ab. Krieger am Kanzelsockel erinnern an Dekoration des Rathauserkers. Die lat. Inschrift übersetzt: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15). Die seltene Darstellung des Kindes als Weltenherrscher Christus mit Weltkugel und Kreuz in der Hand steht auf dem kronenartigen Schalldeckel.

Kanzel

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Triumphkreuz Triumphkreuze wurden seit dem 11. Jahrhundert in romanischer Zeit in Kirchen über den Chorschranken oder am Triumphbogen zwischen Chor und Langhaus einer Kirche aufgestellt oder -gehängt. Der Gekreuzigte wurde ursprünglich nicht als Leidensmann, sondern dem Namen des Kreuzes entsprechend als Sieger über Schmerz und Tod dargestellt. In der Regel stehen unter dem Kreuz Begleitpersonen: Engel oder Apostelgruppen, sehr häufig wie in der St.-Martini-Kirche Maria und Johannes. Als der Gekreuzigte „seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebhatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn!“, so Johannesevangelium Kapitel 19,26. Das hier dargestellte Triumphkreuz ist spätgotisch und wurde wohl in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gefertigt. Die farbliche Fassung ist nicht ursprünglich, stammt aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Der Kopf des Sterbenden ist zur Seite geneigt, sehr eindrücklich sind seine Gesichtszüge. Von Friedrich dem Großen stammt das geflügelte Wort, Gott sei immer bei den stärkeren Bataillonen, ein Bekenntnis zur Macht! Gott aber hat inmitten der Kämpfe um die Macht seinen Namen mit dem des gekreuzigten Jesus verbunden. Gott steht nicht unberührt über dem Leiden der Welt, er setzt sich selbst dem Leid aus. Gerade da, wo Menschen schwach und traurig sind, wo sie scheitern und verzweifeln, da steht Gott zu uns, sind wir nicht allein.

Triumphkreuz

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Epitaph Otto IV.

Epitaph Otto IV. Sockel knien umgeben von Wappenschildern die Verstorbenen zwischen den Renaissancesäulen in Anbetung begriffen: Der Graf in Harnisch, links Marschallstab und Handschuhe, rechts Turnierhelm, dazu das lange Richtschwert – Insignien der Macht. Den ganzen Aufbau krönen drei kleine Relieftafeln, die Kreuzigung und Auferstehung Jesu und die des Lazarus zeigen, alles traditionelle Themen im Hinblick auf die Hoffnung auf ein ewiges Leben. Anders aber als im Grabmal im Mausoleum für seinen Sohn, Fürst Ernst, wo sich alle Motive dem Thema Auferstehung stärker unterordnen, sind hier die Hauptmotive die Verstorbenen, ihre Tugenden und ihr Ruhm, ihre Ahnen, an die die Wappen erinnern. ■

Als Form des Totengedächtnisses nahe der Grabstelle entwickelt sich das Epitaph nördlich der Alpen im 14./15. Jh. Seit der Kirchenrestaurierung 1973 steht in der Turmhalle das als Triumphbogen gestaltete Epitaph für Otto IV. (1517-1576) und seiner zwei Ehefrauen Marie von Pommern und rechts Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg. Sie gab den Auftrag für dieses nach den Plänen des Niederländers Arend Robin aus Obernkirchener Sandstein gefertigte Denkmal für den 1576 an der Pest verstorbenen Landesherrn. Der Leichnam Ottos wurde im Chorbereich bestattet, das Epitaph stand ursprünglich neben dem Altar. Über einem mit Tugenddarstellungen verzierten

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Lange verborgen und nun wieder präsent

Restaurierung

Bestimmt seit mehr als 50 Jahren hat kaum jemand sie zu Gesicht bekommen. Allenfalls wenn man einmal einen Termin beim Oberprediger in dessen Amtszimmer hatte und zufällig das Schnapp­ rollo an der Ausstellungsvitrine hochgezogen war, konnte man einen Blick auf sie erhaschen – die Rede ist von den historischen Paramenten.

Wir wissen noch sehr wenig über sie. Es sind 45 schmale Streifen von 28 cm Länge und 8 bis 10 cm Breite in feiner, differenzierter sogenannter Nadelmalerei. Die Stickereien befinden sich auf einem Leinenuntergrund und wurden mit Seidenfäden, Seidengewebe und zum Teil mit Gold- oder Silberfäden ausgeführt. Die Darstellungen zeigen

fünf Engelsfiguren, die Wappenschilder mit

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Symbolen der Passion Christi zeigen. Die übrigen Fragmente zeigen unterschiedliche Heilige, von denen man selbst als Laie, die ein oder andere Figur mit etwas Kenntnis, der den Heiligen beigeordneten Symbolen, erkennen kann. Wann die Motive gefertigt wurden ist momentan noch unsicher. Die historische Einordnung geht bei den wenigen Fachleuten, die oftmals nur einen kurzen Blick darauf werfen konnten, vom ausgehenden 14. bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts. In einem kunsthistorischen Abriss der Kunstdenkmäler Schaumburg-Lippe aus dem Jahr 1876 werden sie als Borte eines Altartuches erwähnt und beschrieben. „Die Altardecke, jetzt von Sammet, hat Bedeutung durch eine reich gestickte Bordüre, welche ihr aufgenäht ist. Diese Stickerei gehört, wie schon die in ihr vorkommende Form der Eselsrückenbogen darthut, dem 15. Jahrhunderte an und ist in Leinen und Seide auf Leinen, jedoch nicht als Reliefstickerei ausgeführt. Es sind vielmehr einzelne Stücke von 10 cm Breite zu 26 cm Länge, auf denen je eine Heiligenfigur unter einem Baldachin steht, dem durchlaufenden Leinenstücke wiederum aufgenäht. Man erkennt folgende Heilige von links her: r. es fehlt die Figur, 2. eine h. Frau, deren Beigabe nicht kenntlich ist, 3. eine h. Frau mit einer Palme in der Rechten und dem Lamme (?) in der Linken, demnach also die h. Agnes, 4. eine h. Frau mit Palme in der Linken und einem Buche (?) in der Rechten, 5 . ein h. Mann bärtig mit unkenntlicher Beigabe (Buch?), 6. ein wappenhaltender Engel in Diakonentracht; das Wappenbild ist ein Kästchen, 7. ein eben solcher Engel, dessen Wappen ein Kreuz mit den Speeren einerseits und dem Schwamme auf einem Stocke andererseits unter dem Kreuze zeigt, 8. ein h. Bischof mit dem Stabe in der Linken und einer Frucht (?) in der Rechten, 9. der h.

Hieronymus

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Franziscus in der Ordenstracht, die Wundenmale Christi an den Händen und an der Brust zeigend, 10. ein wappenhaltender Engel, dessen Wappen-

phanus, 32. ein h. Bischof mit Buch und Stab, 33. eine h. Frau, die ein Buch und in der Linken einen Nagel (?) hält, also wohl die h. Helena sein könnte, wenn sie gekrönt wäre, 34. der h. Antonius, bärtig mit Buch und Glocke dargestellt, 35. ein wappenhaltender Engel, dessen Wappenbild das Becken und die Kanne ist, 36. ein h. Ordensmann mit (Bischofsstab und Buch, 37. ein h. Ordensmann, der mit der Rechten bedeutsam auf das von der Glorie umgebene neben­stehende Monogramm Christi in der Linken weisend, 38. fehlt, 39. ein Engel mit einem Wappen, welches die Dornenkrone darstellt, 40. ein Heiliger mit einem Buche und in der Rechten eine Schreibfeder, einen Pinsel oder einen Griffel haltend, 41. ein Engel mit einem Wappen, dessen Bild einen glockenartigen, nicht verständlichen Gegenstand, vermuthlich ein Passionswerkzeug, zeigt, 42. eine männliche oder weibliche Heiligenfigur mit einem Buche und mit einem jetzt unkenntlichen Gegenstande in der Rechten (Johannes mit der Schlange?), 43. ein h. Diakon mit einem Buche und in der Rechten eine Geifsel haltend, jedoch namentlich nicht anzugeben, 44. Der h. Georg als geharnischter Ritter zu Fufse den Drachen tödtend, 45. eine h. Frau mit einem Buche und einem nicht mehr erkennbaren Gegenstande.

bild die drei Kreuzesnägel auf rothem Grunde sind, Ir. ein h. Abt in graugelber Ordenstracht mit dem Stabe in der Rechten und einem Buche (der Ordensregel?) in der Linken (Benedictus?), 1 2. ein h. Bischof in pontificalibus mit dem Stabe in der Linken und mit einem Buche in der Rechten, 13. der hier weifsbärtige Jacobus der Jüngere, der ein Buch hält und an dem Walkerbaume kenntlich ist, 14. ein h. Mann in weltlicher Pilgertracht mit Hut und Reisetasche, in der Linken den Pilgerstab, in der Rechten einen unkenntlichen Gegenstand, 15. ein h. Bischof mit Buch und Stab, 16. der h. Hubertus mit zwei Pfeilen in der Rechten und dem Bogen in der Linken, 17. ein Engel, welcher ein Wappen hält, das die drei Würfel zeigt, 18. eine h. Frau mit einem Buche und in der Linken mit einem Lichte (?) oder einer Zange (?), 19. ein h. Papst mit der Tiara und dem Kreuzstabe, in der Rechten ein Buch haltend, 20. ein wappenhaltender Engel, dessen Wappenbild die Säule mit links der Ruthe und rechts der Geifsel zeigt, 21. ein h. Bischof, der einen rothen Teufel aus einem Kranken (Besessenen) zu seinen Füfsen austreibt, 22. Ein h. Diakon mit Palme in der Rechten und mit einem· Buche in der Linken (Stephanus?), 23. der Apostel Thomas mit dem Winkelmafse, 24. ein h. Bischof mit Buch und Stab, 25. ein h. Bischof mit einem Reh auf einem Buche(?), vermuthlich Maximinus, Bischof von Turin, 26. ein h. Mann in weltlicher Kleidung mit einem Buche in seiner Linken und einer Flasche in der Rechten, 27. der h. Hieronymus als Cardinal mit einem Buche und mit einem Löwen zu seinen Füfsen, 28. der h. Laurentius als Diakon mit einem Buche und seinem Kennzeichen, dem Roste, auf dem er gebraten wurde, 29. ein h. Ritter völlig geharnischt mit einer Plattenrüstung, mit Lanzenfähnchen und Reitertartsche (nicht der h. Moritz), 30. ein h. Papst mit einem Stabe und einem Hüfthorn, Beigaben, aus denen er sich nicht erkennen läfst, 3 I. ein h. Diakon mit einem Buche und mit Steinen (?) in seiner auf­genommenen rothen Tunica, demnach wohl Ste-

Die Zeichnung aller dieser Figuren ist vortrefflich, besonders auch was die Gesichter anbetrifft. Nicht minder gut sind die Farben. Die Haltung hat etwas Statuarisches, ist aber doch nicht ohne Leben und Bewegung. Die meisten Stücke sind stark beschädigt und bei der gegenwärtigen Conservirung ist das kostbare Ueberbleibsel aus dem Mittelalter dem Untergange geweiht.« (zitiert nach: Gustav Schönermark, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Fürstenthums Schaumburg-Lippe, Berlin 1897, S. 67 + 68) Dies wird aber wohl nicht die ursprüngliche Verwendung gewesen sein. Die Vielzahl von Motivstreifen deuten darauf hin, dass sie eher als Verzierung und Borten für mindestens zwei liturgische Gewänder (entweder Kaseln, Dalmatiken oder

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Pluviale) gedient haben. Solche Gewänder wurden und werden auch heute noch von den Priestern während der gottesdienstlichen Feiern getragen. Die unterschiedlichen Namen leiten sich aus ihrer jeweiligen Grundgestaltung ab. Vergleichbare Objekte mit entsprechenden Motivborten finden sich unter anderem im Dommuseum in Brandenburg oder auch in Köln. Wer diese feine und künstlerisch hochwertige Stickerei einmal angefertigt hat und wo sie entstanden sind, ist ebenfalls zurzeit noch unbekannt. Und damit können wir auch nicht feststellen, ob diese Objekte hier in Stadthagen oder überhaupt in dieser Region entstanden sind. Üblicherweise wurden solche Stickereien in Frauenklöstern angefertigt. In jedem Fall kann man festhalten, dass diese Arbeiten von einer hohen künstlerischen und einer hervorragenden handarbeitstechnischen Fähigkeit zeugen.

Nachdem die Fragmente nicht mehr wie noch im 19. Jahrhundert als Schmuck einer Altardecke dienten, müssen sie irgendwann bis nach dem Zweiten Weltkrieg umgearbeitet worden sein.

Nachdem die Fragmente nicht mehr wie noch im 19. Jahrhundert als Schmuck einer Altardecke dienten, müssen sie irgendwann bis nach dem Zweiten Weltkrieg umgearbeitet worden sein. Man hatte Streifen auf drei schwarze Samtbahnen verteilt, sie mit roten Bändern eingefasst und zum Teil die fehlenden Stellen in der Stickerei übermalt. So hergerichtet wurden sie in einer staubsicheren Vitrine mit einem Schutzrollo gegen Sonneneinstrahlung im Amtszimmer der Oberprediger Wolperding, Dr. Ulbrich und Dr. Pönnighaus aufbewahrt.

Jacobus

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Bereits in der ausgehenden Amtszeit von Dr. Pönnighaus wurden die Paramente von Frau Ebner von Eschenbach von der Paramenten-Restaurierung der von Veltheim-Stiftung in Helmstedt begutachtet. Sie empfahl, die inzwischen erheblich in Mitleidenschaft gezogenen Objekte zu reinigen und in jedem Fall so zu sichern, dass gelöste Fäden (sogenannte „flotierende Fäden“) fixiert würden. Zugleich kam die Frage auf, die inzwischen unsichere Vitrine zu ersetzen und dabei die Paramente an einem Ort auszustellen, der der Öffentlichkeit zugänglich wäre.

gung von Museums- und Ausstellungs­vitrinen spezialisiert ist. Es zeigte sich, dass man mit einer Klimavitrine, bei der die Objekte unabhängig von den Umgebungsbedingungen des Ausstellungsraumes geschützt werden können, eine Präsentation in der Kirche doch möglich machen könnte. Mit Spenden und Kollekten aus der Gemeinde, mit der tatkräftigen Unterstützung durch den Basarkreis der St.-Martini-Gemeinde und dem Handarbeitskreis des Heimatvereins sowie der Bau- und Kunststiftung der Landeskirche (Vorsitz: Pastor Jens Hauschild) konnten die nicht ganz unerheblichen Mittel aufgebracht werden.

Die hohen Feuchtigkeitsschwankungen in der Martinikirche und die damit verbundene Gefahr der Schimmelbildung verzögerten immer wieder eine Entscheidung. Erst mit der Amtsübernahme von Oberprediger Martin Runnebaum und Renovierung der Oberpfarre und des Amtszimmers wurde eine Entscheidung wieder akut. Der Kirchenvorstand entschloss sich, die Fragmente erst einmal von der Restaurierungswerkstatt der von Veltheim-Stiftung in Helmstedt reinigen, sichern und auf vier etwas kürzere Samtbahnen verteilen zu lassen. Mittlerweile fand sich auch eine Firma, die auf die Anferti-

Die Vitrine ist nun mit den wertvollen Paramenten gegen Tageslicht geschützt von einer Schranktür und gegen Feuchtigkeitsschwankungen durch die Klimatechnik in der Sakristeikapelle der St.-Martini-Kirche untergebracht. Am 12. Juni 2018 wurde die Ausstellungsmöglichkeit im Beisein der Unterstützer eröffnet. Im Rahmen der Kirchen- und Mausoleumsführungen durch den Renaissanceverein können auch die Paramente nun besichtigt werden. ■

Paramente St.-Martini Stadthagen

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Ansprache zur Einweihung der Paramentenpräsentation Von Wolf-Peter Koech

Liebe Gemeinde!

Ich habe lange überlegt, ob es in der Bibel eine hilfreiche Textstelle gibt, die es uns erleichtert, eine Position zu finden und zu begründen. Im Buch Exodus bin ich dann fündig geworden. Hier geht es um das Stiftszelt, einem mobilen Heiligtum, in dem die Gebotstafeln aufbewahrt wurden.

Als nach der Pensionierung von Dr. Pönnighaus die Oberpfarre renoviert wurde, um dem künftigen Amtsinhaber einen Wohnsitz zu bieten, wurde auch überlegt, was mit den wertvollen Paramenten geschehen sollte. An ihrem bisherigen Ort in der Vitrine des Amtszimmer konnten sie nicht bleiben, und sie sollten endlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Im Kirchenvorstand gingen die Meinungen auseinander. Eine Aufbewahrung in der Kirche verlangte einen Schutz gegen die Feuchtigkeitsschwankungen, die die wertvollen Textilien gefährdet hätten.

Nun sagte Mose zum Volk: »Der Herr hat Bezalel, den Sohn von Uri und Enkel von Hur vom Stamm Juda, dazu bestimmt, die Arbeiten für sein Heiligtum in eigener Verantwortung durchzuführen. Er hat ihn mit seinem Geist erfüllt, ihm Weisheit und Einsicht gegeben und ihn zu jeder handwerklichen und künstlerischen Tätigkeit befähigt. So kann er Bilder und Gegenstände entwerfen und sie in Gold, Silber oder Bronze ausführen; er kann Edelsteine schneiden und fassen und Holz kunstvoll bearbeiten; in jeder künstlerischen Technik ist er erfahren. Der Herr hat ihn auch dazu befähigt, andere zu solchen Arbeiten anzuleiten. Dasselbe gilt von Oholiab, dem Sohn Ahisamachs vom Stamm Dan. Der Herr hat ihnen beiden auch die Fähigkeit gegeben, blaue, rote und karmesinrote Wolle und gezwirnte Leinenfäden zu verarbeiten, und das in allen Arten von kunstvoller Weberei und Stickerei; sie können für alles Entwürfe machen und sie ausführen.« (2. Mose 35, 30-35)

Der Basarkreis der St.-Martini-Gemeinde und der Handarbeitskreis des Heimatvereins nahmen sich der Sache an. Mit ihren Basaren und deren Verkaufserlös legten sie einen wesentlichen Grundstock, sowohl für die aufwendige und kostspielige Reinigung und Restaurierung der Paramente, als auch für die Anschaffung einer Klimavitrine. Heute schließen wir das Projekt ab und weihen die Ausstellung der Paramente hier in der Sakristeikapelle ein. Ihnen allen, den beiden Frauengruppen, dem Kirchenvorstand, der Bau- und Kunststiftung der Landeskirche sowie den Spendern, die zur Erhaltung dieses Erbes beigetragen haben, möchte ich an diesem Tag danken. Alles in allem musste für die Restaurierung und die Anschaffung einer Klimavitrine ein fünfstelliger Betrag aufgebracht werden. Und so stellt sich die Frage, ob das gerechtfertigt ist, soviel Geld für die Erhaltung solcher künstlerisch wertvollen Vermächtnisse aufzuwenden. Häufig begegnen wir diesem Problem in den Beratungen unserer Gremien.

Diese Männer waren begabte Handwerker, wahre Künstler. Sie kannten sich mit Stoffen und Steinen aus und hatten ein gutes Auge für Farben. Man konnte fast neidisch werden. Es gibt ja solche Menschen, die scheinbar alles können. Immer wieder bin ich ihnen begegnet, die in Mathe und in Sport hervorragend waren, die sich mit Computern auskennen, wo ich nur Bahnhof verstehe und

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700J A H R E Mose hatte den Plan und die Anweisungen von Gott bekommen (2. Mose 25,9). Und jetzt sind diese beiden Männer dran und sollen den Plan umsetzen. Und sie können das! All ihr Können für Gottes Haus. Aber sie konnten nicht nur was, sie waren auch kreativ. Denn was nützt alles Fachwissen, wenn man keine Ideen hat? Aber die beiden hatten Verstand. Sie konnten sich vorstellen, wie etwas aussehen sollte und setzten das auch um. Phantasie ist wichtig, damit ich weiß, wie ich mein Können am besten einsetzen kann. Dabei muss ich an die Frauen denken, die damals diese wunderbaren Stickereien gefertigt haben. Sie hatten kaum geeignete Hilfsmittel. Nur bei Tag konnten sie daran arbeiten. Und sie mussten eine Vorstellung in sich tragen, was und wie sie die einzelnen Figuren gestalten könnten. Und genauso bauten Bezalel und Oholiab die Hütte für Gott. Sie machten es nach seinen Vorgaben, aber mit ihren Ideen.

Engel mit dem Symbol des Grabes und Kreuzes Bezalel und Oholiab hatten Können und Verstand. Sie hatten Hand und Hirn. Aber vor allem waren sie mit dem Herzen dabei. Immer wieder kommt das in diesem Text zum Vorschein. In einem Vers heißt es sogar: „Mose rief Bezalel und Oholiab und jeden Mann mit einem weisen Herzen herbei, dem Gott Weisheit ins Herz gelegt hatte, jeden, den sein Herz willig machte, ans Werk zu gehen, um es auszuführen.“ (2. Mose 36,2)

die, die alles reparieren können. Andere haben eine schöne Stimme und singen in der Kantorei oder haben mit der Erziehung ihrer Kinder keine Probleme und in ihrem Garten blühen die schönsten Blumen. Wenn ich an diese Menschen denke, merke ich immer, was bei mir alles nicht klappt… Jedoch dann fallen mir drei Dinge bei Bezalel und Oholiab auf. Und die helfen mir, nicht neidisch zu werden, sondern von ihnen zu lernen. Das erste, was mich beeindruckt, sie können wirklich was. Dafür steht die Hand. Sie hatten viele Fähigkeiten. Sie kriegten alles hin. Und so etwas fällt einfach auf. Die beiden waren wirklich begabt. Sie waren von Gott beschenkt, begnadet und mit seinem Geist erfüllt (V. 31).

Sie machten ihre Arbeit mit Liebe zur Sache und mit Liebe zu den Menschen. Sie wollten das Haus für Gott so schön wie möglich bauen. Aber sie haben es nicht allein gemacht. Das hätten sie gar nicht geschafft. Sie hatten die Fähigkeit, andere zu lehren und ihnen etwas beizubringen. Und so konnten sie mit anderen zusammen für Gottes Sache arbeiten. Denn der Herr hatte ihnen „die Gabe ins Herz gegeben, andere anzuleiten“ (V. 34).

Aber ihre Gaben setzten sie nicht für sich ein. Ihre Aufgabe war es, die Stiftshütte zu bauen. Das Zelt, in dem Gott bei den Israeliten wohnen wollte.

Das ist eine besondere Fähigkeit. Bezalel hat den

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Bezalel und Oholiab haben ihre Gaben eingesetzt, um einen Raum zu schaffen, wo Menschen erleben können, dass Gott da ist. Sie waren scheinbar Alleskönner. Aber sie haben nur mit Hand, Hirn und Herz an der Hütte Gottes gearbeitet.

besonderen Wert in den Menschen gesehen. Er wusste, wie er jeden einzelnen am besten fördern und weiterbringen konnte. Er hat mit ihnen geduldig gearbeitet und sie zu ihren jeweiligen Leistungen motiviert, damit die schönen Seiten zum Vorschein gebracht werden. Und er ging so mit den Menschen um, dass er ihnen einen Rahmen gab, in dem sie richtig zur Geltung kamen und sie dort einsetzte, wo ihre Wirkung am besten war.

Und genau das ist bis heute unsere Aufgabe. Petrus, einer der Jünger von Jesus, schreibt das viele hundert Jahre später in einem Brief: „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat.“ (1. Petr 4,10)

Die beiden haben viel geleistet. Und sie waren gut. Aber am Ende blieb eines entscheidend: Sie standen nicht im Mittelpunkt. Sie kamen nicht groß heraus, sondern sie waren transparent – wie die unbekannten Künstlerinnen, die diese wunderschönen Bilder aus Leinen, Seiden bunten Fäden und Gold- und Silbergarnen gestickt haben.

In unseren Gemeinden begegnen wir immer wieder solchen Menschen. Sie setzen sich ein. Wie Bezalel und Oholiab planen sie, sorgen dafür, dass die nötigen Mittel zusammenkommen und beginnen erst, wenn sie sicher sein können, es auch auszuführen und dann legen sie aber auch los.

Bezalel und Oholiab werden in der Bibel nur in diesen wenigen Versen erwähnt. Denn es ging nicht um sie, sondern um die Hütte. Sie war der Mittelpunkt. Sie war das „Zelt der Begegnung“, wie es wörtlich heißt. Hier verbindet sich Gott mit den Menschen.

Mit den von Gott geschenkten Gaben können wir Gott und den Menschen dienen. Und damit schaffen wir wie die beiden Künstler aus dem 2. Buch Mose einen Raum, in dem Menschen Gott begegnen können. Sie zeigen ihnen etwas von Gottes Liebe. Denn alles tun sie „im Schatten Gottes“. Unter seinem Segen. Es ist nicht wichtig, dass sie nachher groß rauskommen. Ich möchte nur Gottes Werkzeug in der Welt sein und möchte die Menschen mit Gott in Verbindung bringen.

Ihre Namen sind wie ein Programm, ja geradezu wie eine Predigt. Bezalel bedeutet „im Schatten Gottes“. Und das war immer zu spüren. Sie konnten alles nur tun, weil Gott sie begabt hatte. Er hatte ihnen alles gegeben: Ihr Können, ihren Verstand und ihre Weisheit. Ihre Hand, ihr Hirn und ihr Herz. Und sie brauchten bei allem seinen Schutz und seinen Segen. „Im Schatten Gottes“ haben sie ihre Entwürfe gemacht, an den goldenen Geräten gearbeitet und sich um ihre Mitarbeiter gekümmert. Und wer im Schatten Gottes arbeitet, der weiß: Gott ist größer. Er steht über allem!

So haben vor mehr als siebenhundert Jahren Künstler, Planer und Bauleute diese Martinikirche erbaut, zur Ehre Gottes. Nonnen in dieser Gegend oder vielleicht auch weiter entfernt in einem Kloster haben Bilder vor Engeln und Heiligen gestickt, um die liturgischen Gewänder im Gottesdienst damit zu verzieren, andere haben eine Maria auf die Wand des Altarraums gemalt oder einen Stephanus, um Menschen in diesen Bildern ihre Geschichte zu erzählen. Die Namen der Künstler bleiben oft unbekannt, sie stehen im Schatten Gottes. Aber an uns ist es, ihr Vermächtnis zu wahren, wertzuschätzen, zu schützen und zu pflegen, so gut wir es können. ■

Und Oholiab bedeutet „Zelthütte des Vaters“. Durch seinen Namen verloren sie auch bei den kleinen und zeitraubenden Arbeiten das Ziel nie aus den Augen. Sie wussten: Wir haben einen Vater im Himmel. Bei ihm sind wir zu Hause. Und mit unseren Händen dürfen wir gemeinsam seine Hütte bauen.

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Der adlige Herrschaftsstand in der Frühen Neuzeit Privilegierter Platz und ‚Zankapfel‘ in der Kirche

„Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.“ Dieser Satz aus dem Markusevangelium markiert einen Rangstreit zweier Jünger um einen privilegierten Platz an der Seite Jesu. Fast gleichlautend hätte ein Adliger seinen Anspruch auf einen bevorzugten Sitzplatz oder Herrschaftsstand in einer Kirche in der Frühen Neuzeit formulieren können. Sowohl Adlige unterschiedlichen Ranges, aber auch wohlhabende Bürger und Bauern bemühten sich um dieses Privileg und nicht selten entstand daraus eine langandauernde und vehement geführte Fehde, um den eigenen Anspruch gegeneinander durchzusetzen. Hatte man sein Ziel jedoch erreicht, schottet man sich in und mit dem eigenen Herrschaftsstand ab. Es war unter der Würde, mit dem gemeinen Kirchenvolk einen Raum zu teilen. Daher bemühten sich darum Adlige, einen privaten Ort innerhalb des Kirchenraums zu sichern, wo man für sich blieb.

Wort ‚Herrschaft‘ enthalten. Es umfasst den gesamten Personenkreis, der diesen exponierten Ort in Anspruch nehmen könnte. Zu ihm zählen sowohl die Herrscher wie Kaiser, König oder Fürsten, aber auch der niedere und Landadel, die Ritter bis hin zu den Patronatsherren. Der zweite Wortteil des Begriffes das Wort ‚Stand‘ spiegelt die herausgehobene Position dieses Kirchengestühls wieder. Natürlich würde auch das Wort ‚Stuhl‘ den Sachverhalt treffen, aber im heutigen Sprachgebrauch bezeichnet es eher ein Möbelstück. Für den Adel war die Inanspruchnahme eines Sitzplatzes in der Kirche eine Frage der Würde und des Ranges und somit der Ehre. Sie konnten diesen Anspruch jedoch nur geltend machen, wenn sie im Gebiet der jeweiligen Kirche eine regierende Funktion (Graf, Fürst oder Herzog) innehatten. Ausgenommen waren ihre eigenen Schloss- oder Hofkapellen oder Gottesdiensträume auf dem Herrensitz. Dort war es selbstverständlich, dass sie auch als Adlige niederen Ranges, einen Ehrenplatz einnehmen durften.

Der Begriff ‚Herrschaftsstand‘ ist eine treffende Formulierung, um den Gegenstand, um den es hier geht, zu charakterisieren. In der Literatur gibt es eine ganze Fülle von weiteren Bezeichnungen. Sie reichen vom ‚adligen Kirchengestühl‘ über ‚Adelsprieche‘, ‚Adelsloge‘, ‚Herrschaftsempore‘ bis zum ‚Fürstenstuhl‘.

In den Dorfkirchen und -kapellen waren Adlige zwar durchaus an einem besonderen Begräbnisplatz, möglichst nahe am Altar für sie selber und ihre Familien, interessiert, aber sie waren selten auf einen Sitzplatz erpicht, da sie hier kaum an den Messfeiern teilnahmen.

In dem Begriff Herrschaftsstand ist einmal das

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Aposteldarstellungen an der Fürstenprieche

ganzen Welt abgetan wären und überall die allgemeine evangelische Messe gehalten würde.“

Vor allem die Reformation mit ihren tiefgreifenden Umwälzungen veränderte die Kultur der Herrschaftssitze in den Kirchen.

Und in der ‚Deutschen Messe‘ schreibt Luther: „Aber diese zwei Arten des Gottesdienstes müssen wir so vor sich gehen und geschehen lassen, dass sie öffentlich vor allem Volk gehalten werden.“

Die Reformation brachte vor allem Veränderungen für das Verständnis des Gottesdienstes mit sich. Martin Luther wandte sich entschieden gegen Privat- oder Winkelmessen. Das waren Messfeiern, die der Priester alleine zelebrierte, ohne dass irgendein Gottesdienstbesucher zugegen sein musste. Da der gottesdienstliche Zweck erfüllt war, wenn das Abendmahl (Eucharistie) ordnungsgemäß (rite) zelebriert worden war, waren die Kriterien für eine vollgültige Messfeier erfüllt.

Luther forderte den öffentlichen Gottesdienst, da für ihn die Verkündigung des Wortes im Zentrum stand und dieses Wort alle Menschen in gleicher Weise erreichen sollte. Somit ließ Luther beim Gottesdienstbesuch keinerlei Standesunterschiede gelten, die er sonst durchaus akzeptierte oder sogar befürwortete. Indem Martin Luther das ‚allgemeine Priestertum der Gläubigen‘ zur Maxime erklärte, hob er jedoch in Bezug auf den Gottesdienst die Trennung von Klerikern und Laien auf.

In Luthers Invocavitpredigten (1522) heißt es: „Hier sind wir in der Sache ganz einig, dass die Privatmessen abgetan werden müssen, wie ich davon geschrieben habe und wollte, dass sie in der

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lichen Umkehrschluss bedeuten, dass nicht mehr nur die Kleriker, sondern nun ausnahmslos jeder Gläubige bei seinem Kirchenbesuch Anspruch auf einen solchen hätte.

„Der protestantische Gottesdienst war im Unterschied zur katholischen Messfeier in erster Linie eine Gemeindeversammlung“, schreibt Lucian Hölscher. Das hieß konsequenterweise, dass sich hier eine gottesdienstliche Gemeinschaft gleichberechtigter Gläubiger versammelte. Gemäß der reformatorischen Lehre durften sie sich gleichsam als eine Zusammenkunft von Priestern verstehen. Das könnte bezüglich der Sitzplatzfrage in einem mög-

Aufgrund der Predigt, die nun in den Mittelpunkt des gottesdienstlichen Geschehens rückte und länger dauern konnte, wurden Sitzmöglichkeiten immer notwendiger.

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Dass der sonntägliche Gottesdienst diese zentrale Bedeutung für das Glaubensleben protestantischer Christen bekam, hatte unmittelbare Auswirkungen auch und gerade auf den Adel. Sein Glaubensleben fand nun nicht mehr in der Abgeschiedenheit privater Räume statt. Das bedeutete, sie öffneten nun, falls sie eine solche besaßen, ihre privaten Kapellen für den öffentlichen Gottesdienst. Eher aber nahmen sie von nun an verstärkt am Gottesdienst in den Kirchen, die zu ihrem Herrschaftssitz gehörten oder auch ihrem Patronat unterstanden, teil. Der Kirchenbesuch eines Adligen war nicht nur ein Zeichen seiner Frömmigkeit, er präsentierte sich damit auch in der Öffentlichkeit und stellte seinen Rang und seine Würde zur Schau. Das führte jedoch im Gegenzug dazu, dass die Präsenz adliger Personen im Kirchenraum sie unweigerlich in Verbindung mit ihren Untertanen brachte, was Folgen hatte. Die Frage eines Sitzplatzes in der Kirche ist für einen heutigen Gottesdienstbesucher kaum von Bedeutung. In der Frühen Neuzeit war die Situation durchaus anders. Als mit der Reformation der Gottesdienstraum neu definiert wurde und viele Menschen in den Kirchen einen Platz und dazu möglichst einen angemessenen und das bedeutete meistens, einen bevorzugten Sitzplatz einnehmen wollten, wurde diese Frage immens wichtig.

Fürstenprieche

Aufgrund der Predigt, die nun in den Mittelpunkt des gottesdienstlichen Geschehens rückte und länger dauern konnte, wurden Sitzmöglichkeiten immer notwendiger.

Vor allem für den Adel war der allgemeine Gottesdienst ein Problem. Einerseits nahmen sie die Forderung Martin Luthers und der anderen Reformatoren nach einem öffentlichen Gottesdienst ernst. Die unmittelbare Gemeinschaft mit Menschen, die in der sozialen Rangordnung unter ihnen standen, zwang sie jedoch zu reagieren.

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Prieche der Familie von Oheimb

Ofen, Polstersessel, Tisch, Spiegel und häufig auch eine Bibliothek.“

Dabei war es für sie keine Lösung, einfach nur die ersten Reihen in den Kirchen zu beanspruchen und dort Platz nehmen zu können. Der Adelige, der sich geradezu in die Öffentlichkeit des Gottesdienstpublikums gezwungen sah, suchte einen Ort der Privatheit. Somit wurden häufig nicht nur „überflüssige“ Ausstattungen, wie Seitenaltäre oder Heiligenkapellen, aus den Kirchen entfernt, um an ihren Stellen eine Kanzel und das nun notwendige Kirchengestühl für die Allgemeinheit der Gottesdienstgemeinde einzubauen. Zunehmend versuchten adlige Familien nun, ihren eigenen, abgeschlossenen Herrschaftssitz zusätzlich an exponiertem Ort in den Kirchen unterzubringen. Einige dieser Herrschaftsstände provozieren durchaus den Eindruck, als habe sich ihr Besitzer ein kleines privates Refugium innerhalb des Kirchenraums geschaffen. „Nicht selten fanden sich in diesen adligen Logen alle Attribute der Bequemlichkeit:

Ein weiterer Aspekt dieser Absonderung führte dazu, dass solche Herrschaftsstände einer eigenen gesellschaftlichen Ordnung unterlagen, die sich am Leben des zugehörigen Hofes orientierte. Das konnte bedeuten, dass der adlige Inhaber eines solchen Kirchenstuhls seinen Untergebenen einen bevorzugten Sitzplatz innerhalb dieses Herrschaftsstandes zubilligte und somit ein in der Sozialordnung niedrig stehender über einer in der Rangordnung weitaus höher stehenden Persönlichkeit sitzen konnte, was sie als Affront empfanden und daher zu deren Unmut führte. Eine Absonderung bestimmter Kreise und der damit verbundene Standesdünkel widersprachen durchaus biblischer Lehre. Dennoch kann man

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nicht leugnen, dass sie zumindest in lutherischen Gebieten von dem dort verbreiteten hoheitlichen Denken mittelbar gedeckt wurde. Denn Martin Luther propagierte mit seiner Zwei-Reiche-Lehre zwar eine Unterordnung jedes Menschen und so auch der Obrigkeit unter die Herrschaft Christi, aber er sah andererseits innerweltlich eine hierarchische Ständeordnung gerechtfertigt. Es war kompliziert, die Berechtigung zu erlangen, in einer Kirche an einem bestimmten Platz sitzen zu dürfen oder sogar einen eigenen Herrschaftsstand einrichten zu können. Zwar hatte das protestantische Kirchenrecht das mittelalterliche Patronatsrecht an dieser Stelle im Wesentlichen übernommen, dennoch erfuhr es durch das landesherrliche Kirchenregiment entscheidende Veränderungen. Der jeweilige Landesherr war demnach in seinem Herrschaftsbereich verantwortlich und gehalten, die äußere Existenz der Kirche zu regeln. Luther billigte den Fürsten sogar die Rolle eines Notbischofs zu.

Detail Oheimbsche Prieche

Für die Beanspruchung von Privilegien in der Kirche hatte das entsprechende Folgen. Da der Landesherr (summus episcopus) die Entscheidungsgewalt auch in kirchlichen Angelegenheiten ausübte, war er allein befugt, auch einen privilegierten Sitz in der Kirche seiner Residenz zu beanspruchen. Ihm oblag zudem das ‚Ius subselliorum templorum‘, das die Nutzung von Kirchenstühlen regelte. Ein nachrangiger Adliger konnte somit nur mit Genehmigung des jeweiligen Landesherrn einen eigenen Kirchenstuhl erhalten.

Da der Landesherr die Entscheidungsgewalt auch in kirchlichen Angelegenheiten ausübte, war er allein befugt, auch einen privilegierten Sitz in der Kirche seiner Residenz zu beanspruchen.

Ein weiteres Problem verursachten die unterschiedlichen Gestaltungen des Patronats. Für einen Adligen, der alleiniger Patron in einer Kirche seines Bereiches war, war die Frage klar. Aber dort, wo Kompatronate bestanden, wurde die Rangordnung der Adligen untereinander wichtig. Besonders in den Städten, wo häufig ein Höherrangiger oder sogar ein regierender

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Die Frage eines Anspruchs auf einen Kirchenstuhl war somit nicht in eins zu setzen mit dem Patronat. Es gab zahlreiche Adlige, die über kein Patronat und noch nicht einmal ein Kompatronat verfügten, aber dennoch einen derartigen Ehrenplatz für sich und ihre Familie begehrten. Bei den häufig begrenzten Möglichkeiten in kleineren Kirchen, den entsprechenden Raum zur Verfügung zu stellen, waren Verteilungskämpfe vorprogrammiert.

weinkauf‘ leitete sich aus der Käuflichkeit eines Grabplatzes im Kirchenraum ab und wurde ebenso auf den Kauf von Kirchensitzen übertragen. Alteingesessene Adlige konnten meist auf einen bestehenden Kirchenstuhl zurückgreifen. Häufig waren sie ohnehin seit langer Zeit Förderer der Kirche, in der sie einen bevorzugten Sitz innehatten oder sie waren selber Patron oder Kompatron mit alten Rechten. Zudem hatten sie ihre bestehenden Kirchenstühle bereits zu eigenen Lasten entsprechend gestaltet. Schwierig wurde es für Adelsfamilien, die erst später einen Stadthof erwarben, oder wenn durch Erbfolge oder jüngst erlangten Adelsstand ein solcher Anspruch unklar war oder noch gar nicht bestand.

Die Adelsfamilien waren ohnehin untereinander in eine ständige Konkurrenz bezüglich ihrer jeweiligen Ränge und der damit verbundenen Ehre verwickelt. So braucht es nicht zu verwundern, wenn Adlige gerade bei der Frage, ob sie einen privilegierten Sitz in der Kirche erhalten konnten, und wo der sich befinden durfte, und ob er auch standesgemäß wäre, äußerst empfindlich waren. Zudem standen Adlige nicht nur untereinander im Wettstreit, sondern ebenfalls mit einem einflussreicher werdenden Bürger- und Großbauerntum.

Hans Otte zitiert in seinem Aufsatz einen „ernstlichen Befehl“ des Grafen Philipp zu Schaumburg-Lippe von 1659. „Da aber vor Gott im Himmel, der ehrbaren Welt und der christlichen Posterität nicht zu verantworten ist, dass ein solch ansehnliches herliches und köstliches Kirchengebäude in Abgang gerate, und da sich kein anderes Mittel dagegen finde, haben alle eingepfarrten Haußherren und Haußfrauen ihre darin habenden oder künftigen anzulegenden Stellen oder Stände … zu beweinkaufen und damit bei Todesfällen zu continuieren.“

Zusätzlichen Zündstoff erhielten die Auseinandersetzungen durch die Tatsache, dass rangniedrige Adlige mit ansehen mussten, dass Gesinde oder Dienerschaft eines höherrangigen Adligen in dessen Herrschaftsstand einen wertvolleren Platz einnehmen konnten als sie selber.

Zum Beispiel gab es neben der sogenannten ‚Fürstenprieche‘ in der St.-Martini-Kirche in Stadthagen, die den Herrschaftsstand des regierenden Grafenhauses zu Holstein-Schaumburg darstellte, die geschlossene Empore der Familie von Oheimb. Die von Oheimbs waren Erbsassen zu Helpsen und Enzen und unterhielten als Landadlige einen Stadthof in Stadthagen. 1700 erwarb Christian von Oheimb durch ‚beweinkaufung‘ gegen Zahlung von 100 Thalern das Recht, eine Erb-Kirchen-Prieche in der St.-Martini-Kirche zu errichten.

Fürst den Vorrang in der Kirche genoss, hatten es die Angehörigen des Landadels, die sich gerne einen Stadthof einrichteten, schwer, einen privilegierten Sitz in der Kirche zu erlangen.

Eine Hürde beim Anspruch auf ein Kirchengestühl bestand in der Tatsache, dass diese ähnlich wie bevorzugte Begräbnisplätze sowohl an Adlige ohne Patronat aber auch Bürgerliche in den Kirchen verkauft wurden. Der sogenannte ‚Be-

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Kirchenstühle und Herrschaftsstände in unterschiedlicher Gestalt Lage und äußere Gestalt gekennzeichnet waren. Die übrige Gemeinde saß jenseits des Lettners. Der durch Adelsplätze völlig überfüllte Hochchor und der Lettner schränkten somit die Teilnahmemöglichkeiten der normalen Gemeinde entscheidend ein.

Aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen und vor allem auch standesrechtlichen Voraussetzungen für einen Kirchenstuhl oder Herrschaftssitz bestimmte dies dessen Lage im Kirchenraum, die äußere Gestaltung, die Dekoration oder das Inventar.

Regierende Häuser wählten ihren Herrschaftsstuhl häufig unmittelbar im Chorraum nahe zum Altar oder auch so, dass der Inhaber des Gestühls auf gleicher Höhe mit der Kanzel dem Prediger unmittelbar gegenüber saß. Es ist aber auch durchaus zu beobachten, dass sich ein bevorzugter Platz für das Adelsgestühl an der Westwand der Kirche in Opposition zum Ostchor mit dem Altar

Anhand des Grundrissplans der alten Kirche (St. Pancratius) in Rinkerode bei Münster kann man erkennen, wie sich verschiedene adlige Familien unterschiedlichen Ranges unmittelbar im Hochchor ihre Bänke gesichert hatten. Zwischen diesen Bänken befanden sich zudem noch ihre Grablegen, die mit Epitaphien an den angrenzenden Wänden

Wappentafeln des Grafen Otto IV, seiner Ehefrauen Maria von Pommern und Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg an der Fürstenprieche

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biblischen Kontext und zeugte vom Glaubensbezug der Adelsfamilie. Zum Beispiel wurden einzelne biblische Szenen als allegorischer Verweis auf das Adelsgeschlecht dargestellt.

Weitere Ausstattungsmerkmale, die teilweise wenig kirchlichen Bezug hatten, wie Fahnen oder auch Waffen und Rüstungen, sollten den Machtanspruch eines Adelshauses dokumentieren.

Als die ‚Fürstenprieche‘ in der St.-Martini-Kirche in Stadthagen gestaltet wurde, sollten die Darstellungen der zwölf Apostel sowie der vollständige Wortlaut des Apostolischen Glaubensbekenntnisses die Brüstung der Empore schmücken. Beides war als Ausweis der tiefen Glaubensverankerung des Grafenhauses gedacht. Da jedoch auch die Wappen des Grafen Otto IV zu Holstein-Schaumburg und dessen beider Ehefrauen, Marie Herzogin von Stettin und Pommern und später nach deren Tod der Wappenschild der zweiten Gemahlin Elisabeth Ursula Herzogin von Braunschweig ihren Platz in der Brüstung finden sollten, sind nur neun Apostel abgebildet. Hierdurch drängt sich der Eindruck auf, der Grafenfamilie zu Holstein-Schaumburg wäre die eigene Repräsentation wichtiger gewesen als die vollständige Darstellung der Apostelgemeinschaft.

befand. Dies könnte die Vermutung nahelegen, dass hiermit die Gegenüberstellung von ‚ecclesia militans‘ und ‚ecclesia triumphans‘ adaptiert wurde. Sowohl in der älteren Martini-Kirche in Stadthagen, wo sich bis 1607 die Residenz der Grafen zu Holstein-Schaumburg befand, nimmt die etwa 1578 gebaute sogenannte Fürstenprieche die linke Westwand unmittelbar nach dem Eingangsbereich im Kirchenturm ein. Sie hatte somit zwar einen Blick auf den gegenüberliegenden Altarraum, befindet sich jedoch fast 40 Meter von diesem entfernt.

Weitere Ausstattungsmerkmale, die teilweise wenig kirchlichen Bezug hatten, wie Fahnen oder auch Waffen und Rüstungen, sollten den Machtanspruch eines Adelshauses dokumentieren. So erhielt am 9. Juli 1779 ein Offizier in Bückeburg den Befehl, die Prieche in der St.-Martini-Kirche zu reparieren, da die fürstliche Standarte drohte herabzufallen.

Nicht alleine die Lage oder bauliche Gestaltung eines Herrschaftsstandes, sondern häufig auch ein zum Teil aufwendiges ikonographisches Programm und weitere äußere Gestaltungen kennzeichneten den Rang des Inhabers. Natürlich durften die Wappen des Adelsgeschlechtes als Ausweis ihrer Herkunft und ihrer Würde nicht fehlen. Sie verbanden das Adelsgeschlecht durch seine heraldischen Symbole mit dem eigenen Herrschaftsstand.

Die Innengestaltung der adligen Herrschaftsstände nahm sehr privaten und häuslichen Charakter an. Während man meistens in den Kirchen zu der Zeit kaum über einen Ofen, geschweige denn Heizung, verfügte, findet man solche Ausstattung durchaus in adligen Kirchengestühlen. Die Bestuhlung war in der Regel bequemer als die Kirchenbänke für das gemeine Kirchenvolk. Im Übrigen waren die

Sofern ein ikonographisches Programm vorhanden war, stand dieses häufig in einem geistlich-

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Andererseits und geradezu gleichzeitig provoziert dieses Moment der Gleichheit und Öffnung zueinander eine Gegenbewegung Einzelner, die neue Distanz aufrichten, sich in ihre Nische zurückziehen und sich dabei auch noch zum Teil untereinander auf das Bitterste befehden.

Herrschaftsstände durchaus angenehm gestaltet, manche waren sogar vollständig austapeziert. Es fehlten auch nicht weiteres Inventar oder Accessoires, wie Bilder an den Wänden, Tische oder sogar Bücherregale und kleine Bibliotheken. Gotthard Kießling zitiert Alfred Wiesenhütter mit den Worten: „daß solche Innenräume ein Stück des herrschaftlichen Schlosses in die Kirche tragen“.

Der adlige Herrschaftsstand in der Kirche wird somit zum Symbol des Anspruchsdenkens in einem Raum, in dem im Sinne der christlichen Nächstenliebe von der Gleichheit aller Menschen vor Gott gelehrt wird oder zumindest werden sollte.

Von außen erreichte die Besitzerfamilie ihren Herrschaftsstand entweder durch einen separaten Zugang und ein gesondertes Treppenhaus oder sogar durch einen eigenen Verbindungsgang, der den Herrschaftssitz mit dem Herrschaftsstand in der Kirche verband. Durch beide Varianten war eine unmittelbare Begegnung mit anderen Gottesdienstbesuchern ausgeschlossen. Man kam für sich, blieb für sich und ging für sich.

Von der Frühen Neuzeit bis in die Anfänge des vergangenen Jahrhunderts waren so die Herrschaftsstände in den Kirchen Orte adliger Separierung. Erst die Demokratisierungsprozesse in den protestantischen Kirchen bewirkten die Aufhebung dieser Trennung. Heute gibt es in vielen Kirchen zwar noch Herrschaftsstände, die häufig aber nur noch historische Relikte sind und allenfalls im Rahmen von Kirchenbesichtigungen interessieren werden. Ansonsten werden sie in den Gemeinden und ihren Gottesdiensten ganz selbstverständlich einbezogen.

Bei aller Bemühung der Adelsfamilien, sich zu separieren und sich innerhalb der Kirche einen privaten Ort einzurichten, muss man dennoch festhalten, dass trotz des wohnlichen Charakters vieler Herrschaftsstände sie ein öffentliches Kirchengestühl blieben.

Schlussbemerkungen

Abschließend möchte ich Hans Otte Recht geben, wenn er feststellt, dass „der Einbau von Kirchenstühlen seit dem 15. Jahrhundert zu sichtbarer Ungleichheit im Kirchenraum und damit zu Unruhe in der Kirche“ geführt hat. Durch die Einrichtung von Herrschaftsständen in den Kirchen wurde eine gute Absicht konterkariert, nämlich den Menschen zu zeigen: vor dem Altar sind alle gleich. ■

Die adligen Herrschaftsstände erleben in der Frühen Neuzeit aufgrund der Veränderungen, die die Reformation für den Gottesdienst und den mit ihm verbundenen Kirchenraum mit sich gebracht hat, eine große Blüte. Hierbei wird jedoch ein eklatanter Widerspruch deutlich. Einerseits befördert die Öffnung des Gottesdienstes als Versammlungsort für alle Menschen ohne Ansehen der Person, dass die unterschiedlichsten in ihrem sozialen Status weit auseinanderliegenden Personengruppen an einem Ort zusammenkommen.

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Das Mausoleum – Ein kleines Stückchen Welt

Mehr als 400 Jahre hat das Mausoleum des Ernst von Holstein-Schaumburg bereits die Geschichte Stadthagens miterlebt und ist untrennbarer Teil der St.-Martini-Kirche. Seit 2005 können Besucher in dem siebeneckigen Kirchenanbau Bekanntschaft mit der Geschichte Schaumburgs machen. Seinerzeit stellte das Geschlecht der Schaumburg-Lipper das Gebäude unter die Aufsicht des Renaissance-Vereins Stadthagen, der seitdem Führungen anbietet. Auch für die Instandhaltung zeichnet der Verein verantwortlich. Bei Reparaturarbeiten muss hingegen die Hofkammer Bückeburg einspringen, die das Gebäude verwaltet.

tur in der Mitte des Raums, die die Auferstehung Jesu Christi darstellt. Gefertigt wurden die Figuren in Prag vom berühmten Bildhauer Adriaen de Vries. Anschließend transportierte man sie über die Moldau und die Elbe nach Magdeburg, von wo aus sie mit Ochsenkarren weiter nach Stadthagen gebracht wurden. Dies ist das einzige Werk des Meisters, das noch heute an seinem angestammten Platz steht. Der Fürst ist übrigens nicht in dem sargartigen Podest unter den Statuen beigesetzt, sondern in der Gruft mit Mitgliedern der Schaumburg-Lipper Fürstenfamilie unter dem Marmorboden. An dem Sockel prangen dafür neben dem Familienwappen auch die Göttinnen Fama, Abu­ n­ dantia und Victoria, die für Ruhm, Wohlstand und Sieg stehen. Sie sollen die Vorzüge des Grafen hervorheben.

Von 1608 bis 1620 plante der Fürst den Bau, dessen Beginn er aufgrund seines Tods zwei Jahre später gerade noch miterlebte. Seine Ehefrau führte die Arbeiten fort – und unter ihrer Aufsicht entstand in den Jahren 1620 bis 1627 das lichtdurchflutete Marmorwerk. Doch ganz und gar problemlos ging dies nicht vonstatten, wie Mausoleumsführerin Rosita Vollmer weiß: „Ernst suchte lange Zeit nach einem Architekten. Zunächst sollte der Auftrag einem Italiener namens Giovanni Maria Nosseni anvertraut werden. Dieser verlangte jedoch drei Wochen nach Vertragsschluss plötzlich das doppelte Gehalt.“

Neben den Skulpturen hat auch das sonstige Material einen weiten Weg hinter sich, sodass das Mausoleum durchaus als „kleines Stückchen Welt“ bezeichnet werden kann. Der Marmor aus Italien, der einen Großteil der Innengestaltung ausmacht, kam beispielsweise über Genua nach Bremen, von dort über die Weser nach Rinteln und danach ebenfalls mit Ochsenkarren an seinen Bestimmungsort. „Achten Sie mal auf die Säulen. Sie können sehen, wo eine davon beim Transport gebrochen ist und wieder hergerichtet werden musste“, sagt Rosita Vollmer vom Renaissanceverein.

Aus diesem Grund ging der Auftrag an den jungen unbekannten Künstler Anton Boten, den Ernst zunächst von Grund auf ausbilden ließ. Seine Bilder zieren heute die Wände des Mausoleums. Als Blickfang fungiert jedoch unbestritten die Skulp-

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Kuppelfresken des Mausoleums

testantismus gebracht hat, genau an dem Tag in dem Jahr geboren wurde, als Luther seine Thesen an die Kirchentür schlug“, berichtet Gudrun Fahlbusch, die ebenfalls als Ansprechpartnerin des Renaissance-Vereins fungiert.

Neben den geschichtlichen Daten kann das fünfköpfige Team auch viele Anekdoten und Spekulationen zum Besten geben. Was zum Beispiel hat Kaiser Wilhelm damit zu tun, dass die einst goldfarbenen Figuren mittlerweile schwarz sind? Und warum ist es das einzige Mausoleum mit sieben Ecken? Das und vieles mehr können Besucher bei einer eindrucksvollen Renaissance-Führung in Erfahrung bringen.

• Führungen sind ganzjährig dienstags bis freitags sowie sonntags von 13 bis 17 Uhr möglich, sonnabends von 10 bis 14 Uhr. Es genügt eine spontane Anfrage beim Verein in der St.-Martini-Kirche (im Eingangsbereich links). Bei größeren Gruppen wird eine vorherige Anmeldung während der Öffnungszeiten erbeten: Telefon (0 57 21) 93 42 42.

Und auch über die Kirche selbst wissen die Vereinsmitglieder viel: zum Beispiel, dass Ernsts Vater Otto, dessen Epitaph die Kirche ziert, Stadthagen sozusagen als Brautgeschenk für seine zweite Ehefrau reformierte. „Am erstaunlichsten finde ich aber, dass der Mann, der Stadthagen den Pro-

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Auferweckung des Lazarus

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Gesamteindruck vom Mausoleum innen

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Der Auferstandene – Skulptur von Adrian de Vries

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Kuppelfresken des Mausoleums

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Vision des Propheten Ezechiel von der Auferstehung

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Wächterfigur am Grab Christi

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AuĂ&#x;enansicht des Mausoleums von SĂźden

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Der Fuchs von St. Martini Giovanni und der Fuchs

Giovanni schaute zum Himmel. Es würde bald Schnee geben. Es war nass und kalt geworden. Dichter Nebel hüllte die Hütten und die Baustelle ein.

denn Giovanni hatte ein Herz für diese Menschen und das spürten sie. Giovanni schaute zum Osttor hinüber. Nebelschwaden zogen herein und verdeckten zeitweise den Palisadenzaun, der die Stadt schützen sollte. Auf dem freien Platz vor ihm, sah er verschiedene Baumaterialien. Drüben schnitten Steinmetze Sandsteine zurecht. Godehardt, der Schmied, hämmerte an einem Werkstück und die Zimmerleute zogen einen langen Stamm auf hölzernen Rollen zu ihrem Arbeitsplatz. Er selber stand in dem noch unfertigen Portal der Kirche. Über ihm stützten Gerüste den Bogen. Von Ferne hörte Giovanni Hörner. Sicher war der Graf mit einigen vom Hof auf der Jagd.

Es war Martinstag. Heute mussten die Bauern ihre Abgaben an den Grafen leisten, so war es halt Brauch. In seiner Heimat hatte es das nicht so gegeben, jedenfalls nicht an diesem Tag. Giovanni kam aus der Nähe von Assisi in Italien. Vor einigen Jahren hatte es ihn in diese Gegend verschlagen. Er gehörte zur Ordensgemeinschaft von Franz von Assisi. Nach Francescos Tod hatte Giovanni sich entschieden, weiter im Norden die Botschaft von Jesus Christus zu verkünden, so wie er es bei Francesco gelernt hatte.

Der Klang der Hörner kam näher. Giovanni entschloss sich, in seine Kate hinüber zu gehen. In diesem Moment erblickte er etwas rötlich Braunes durch das Tor huschen. Es war ein kleiner Fuchs. Ängstlich versuchte er sich zwischen den Hölzern und Steinen zu verstecken. Die Bauleute unterbrachen ihre Arbeiten und verfolgten mit ihren Blicken genauso wie Giovanni die verzweifelten Versuche des Tieres, einen Unterschlupf zu finden.

Leise summte er ein Lied in seiner Muttersprache: Laudato si‘, mi signore, per frate vento, et per aere et nubilo et sereno et onne tempo, per lo quale a le tue creature dai sustentamento. Giovanni hatte es von Francesco gelernt und diese Strophe handelte vom Bruder Wind und dem Wetter. Er fühlte sich wohl hier in Grevenalveshagen. Abt Rathmarus vom Kloster Loccum hatte ihn in diese kleine Stadt geschickt. Giovanni sollte die kleine wachsende Gemeinde betreuen, die Sprache der Menschen lernen und vor allem den Bau der Kirche beaufsichtigen. Der italienische Mönch war schnell heimisch geworden. Die Leute mochten ihn, auch wenn sie ab und zu immer noch nicht ganz verstehen konnten, was er sagen wollte. Um so besser verstanden sie, wie er es meinte,

Plötzlich stand der Fuchs direkt vor Giovanni. Er hechelte und der Mönch glaubte, die pure Angst in seinen Augen erkennen zu können. Die Hörner kamen immer näher und schon konnte man den Hufschlag der Pferde hören. Gleich würde der Graf mit seiner Jagdgesellschaft eintreffen. Giovanni schaut den Fuchs an und dann hob er vorsichtig

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sein Gewand an und im Nu war der Fuchs darunter verschwunden. Behutsam ließ er die Mönchskutte wieder herunter. Der Fuchs war nicht mehr zu sehen. Als Giovanni zu Godehardt blickte, sah er nur sein Kopfschütteln und auch die anderen Handwerker hatten die Szene mitbekommen. Unter seiner Kutte spürte er das warme Fell des Tieres, aber er wurde sich jetzt erst bewusst, was er getan hatte. In diesem Moment stürmte der Graf mit seiner Truppe durch das Osttor. Er wirkte wie ein Krieger, der die Stadt einnehmen wollte. Wild preschte er über den Bauhof der Kirche und sein Blick ging suchend zwischen die Materialien, die dort lagerten. Giovanni hob den Blick zum Himmel. „Herr, hilf mir, den kleinen Fuchs zu schützen. Und lass mich trotzdem wahrhaftig antworten, wenn ich nach ihm gefragt werde.“ Er wusste, wie unmöglich seine Bitte war. Aber da bäumte sich schon vor ihm das Pferd des Grafen auf und stand auf sein Kommando still. Schmiedeeisernes Gitter Taufbecken St. Martini „Na, mein Italiener!“ fuhr der Graf Giovanni an. „Hat er vielleicht die Pelzmütze meiner Frau gesehen?“ Der Mönch musste an sich halten, um nicht augenblicklich ein Dankgebet gen Himmel zu schicken. „Nein, hoher Herr, bei mir ist sie nicht“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Wie sollte ich auch zu der Pelzkappe eurer werten Gemahlin gekommen sein?“ Giovanni sah, wie über Godehardts Gesicht ein breites Grinsen ging. „Ich hätte wetten mögen, er ist hier in die Stadt gelaufen. Aber dann muss er sich doch draußen versteckt haben“, fauchte der Graf und wendet sein Pferd. So schnell, wie er in die Stadt hineingeritten war, verließ er sie mit seinen Leuten wieder. Nur der Geruch der Pferde blieb zurück und eine Staubwolke. Noch hörte man den Klang der Hörner, der aber immer schwächer wurde.

Der Fuchs

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700J A H R E Giovanni erhob sich und stellte sich vor den Fuchs. „Bruder Fuchs“, sagte er, „du darfst bleiben, aber du bedrohst kein Huhn und keine Gans oder Ente in dieser Stadt. Ist dir das klar?“

Jetzt erst merkte Giovanni, wie seine Knie zitterten. Er hob sein Gewand. Der Fuchs schaute ihn an und kam vorsichtig und nach allen Seiten sichernd darunter hervor. „Los! Nun lauf!“ Der Mönch wedelte mit den Armen, um seinen Schützling auf den Weg zu bringen. Aber der dachte gar nicht daran, sondern setzte sich zu seinen Füßen.

Ganz so, wie Giovanni gemeint hatte, kam es zwar nicht. Der Fuchs blieb bei ihm, wie ein Hund. Er fraß Grütze oder Dinkelbrei und ab und an Reste von einem Huhn, einer Gans oder einem Fisch, alles was die Nachbarn so vorbeibrachten. Jedoch unterließ er es nicht, weiterhin zu jagen. Nur gehörten jetzt Ratten und Mäuse zu seiner Beute.

„Da hast du aber Schwein gehabt.“ Godehardt und die anderen kamen zu den beiden herüber. „Und was machst du jetzt mit deinem kleinen Freund? Hier kann er unmöglich bleiben, ich teile meine Hühner nicht mit diesem Dieb. Sieh zu, wie du den los wirst.“ Aber Giovanni wusste keinen Rat.

Als Giovanni starb und bei der fast fertigen Kirche begraben wurde, überlegten die Leute in Grevenalveshagen, was sie nun mit dem Fuchs machen sollten. Jedoch als sie ihn suchten, war er verschwunden. Nur ein Kind glaubte, ihn gesehen zu haben, als er die Stadt verließ.

Inzwischen waren Mönch und Fuchs umgeben von Handwerkern, Bürgern, ihren Frauen und Kindern. „Ich hab noch ein paar Knochen und Reste von einem Huhn, dass wir gestern geschlachtet haben. Leg damit eine Spur aus der Stadt, dann wird er sich schon trollen.“ Diesen Vorschlag fand Giovanni gut. Zusammen mit den Kindern verteilte er die Reste vom Huhn bis hinaus aus dem Tor. Der Fuchs schaute ihnen interessiert zu. Dann folgte er der Spur und fraß einen Brocken nach dem anderen. Der Plan schien zu klappen. Zufrieden wandte sich Giovanni seiner Kate zu, als er die Menge lachen hörte. Gerade als er die Tür öffnete, schlüpfte der Fuchs hinein. „Ich denke, Du hast jetzt einen Novizen“, rief einer. „Du kannst ihn ja in Latein unterrichten!“ „Ja, dann liest er uns Weihnachten die Messe!“

Godehardt, der Schmied, verewigte ihn in einem eisernen Gitter, das der Graf in Auftrag gegeben hatte. Da kann man ihn heute noch sehen – vielleicht entdeckst Du ihn? ■

Der Fuchs legte sich neben das Lager von Giovanni und schaute den Mönch an. Dieser beachtete ihn jedoch nicht, sondern kniete sich hin und betete. „Danke, Herr für deine Hilfe. Aber was wird nun aus meinem kleinen Freund?“ In dem Moment als er diese Worte ausgesprochen hatte, durchfuhr ihn eine Erinnerung an eine Geschichte, die man sich damals in seiner Heimat von Francesco erzählte. In dem Ort Gubbio hatte der Heilige einen wilden Wolf gezähmt und ihn sogar dazu gebracht, mit den Menschen zu leben. Francesco nannte den Wolf von Gubbio Bruder, Bruder Wolf.

Grabmal des Lodewicus de Cercne (Ludwig von Zerssen)

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Die Pastoren von St. Martini

Name

Dienstantritt

Johann Dornemann

1592 2. Pastor

Jordanus

1 248 – 1270 plebanus indiganis

Johann Schnurspiel

1594 – 1600 2. Pastor

Conrad Backhaus

1599 – 1624 3. Pastor

Hardewicus

1 296 plebanus indiganis

Johann Jacob Bernhardi

1610 – 1615

Josua Stegmann

1 617 ab Juli 1617 bereits candidatus theol. – 1621

Alardus Vaeck

1621 – 1638

Henricus

1 312 viceplebanus

Henricus Grip

1 329 – 1337 plebanus loci

Stacius

1377

Henricus de Nendorpe

1393

Hermann Liborius Reineking

1624 3. Pastor

Florinus de Hupede

1393

Conrad Rentorph

1626 3. Pastor

Johan Dene

1407 – 1422

Christoph Dornemann

1629 3.Pastor

Jacob Vinger

1447 – 1456

Ludolph Peithmann

1639 – 1648

Hermann Soest

1462 – 1485

Conrad Praetorius

1 639 2. Pastor, 1650 – 1655 Oberprediger

Eustachius Lindemann

1495 – 1510

Hermann Hoffsmeth

1515 – 1528

Conrad Düpolicus (Drönewolf)

1648 3. Pastor 1672 2. Pastor

Heinrich Niewold (Neuwaldt)

1576 – 86 3. Pastor

Hermann Elertus

1655 – 1672

Jacob Dammann

Johann Henecke (Heinecke)

Daniel Busch

1672 – 1679

1 559 – 1591 Hofprediger, Probst und Oberprediger

Clamer Anthon Dolle

1673 3. Pastor 1680 – 1693 Oberprediger

1588 2. Pastor; 1592 – 1609 Oberprediger

Anton Chr. Dolle

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1679 zunächst 3. Pastor, dann Oberprediger


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700J A H R E

Johann Otto Most

1679 3. Pastor

Johann Dietrich Bergmann

1793 2. Pastor

Hermann Billerbeck (Bilderbeck)

1680 3. Pastor; 1683 2. Pastor

Christian Konrad Jacob Dassel

1806–1845

Johann Ludwig Büsching

1689 2. Pastor

Wilhelm Chr. Funk

1808 2. Pastor

Albrecht Karl Ludwig Werner

1 843 2.Pastor, 1851–1883 Oberprediger

Georg Ludwig Wilh. Ferdi. Schütze

1846–1850

Johann Fried. Eduard Teudt

1851 2. Pastor

Eduard Arnold Schwerdtmann

1858 2.Pastor

Wilhelm Matthey

1869 2. Pastor

Wilhelm Herm.Joh. Schwerdtmann

1884 2. Pastor

Karl Wilh. Theo. Gustav Gastrow

1884–1892

Wilhelm Teudt

1888 2. Pastor

Karl Herm. Bernh. Rösener

wischenlösung Z 1892–1893

Heinrich Türnau

1894–1908 Oberprediger

Hermann Walzberg

1894 2. Pastor

Friedrich Holste

1908–1917 Oberprediger

Ludolph Balthasar Hagedorn

1693–1722

Johann Dietrich Vogelsang

1703 2. Pastor

Johann Anton Daniel Büsching

1722 2. Pastor

Eberhard David Hauber

1726–1746

Rabanus Wilhelm Frieme

1727 2. Pastor

Anton Ludwig Edler

1729 2. Pastor

Nicolaus Büttner

1 744 SchulinspektorRang des 3.Pastors

Johann Ernst Schubert

F eb. 1747-April 1748 Oberprediger

Heinrich Julius Rust

1747 2. Pastor

Karl Anton Dolle

1748–1758

Johann Chr. Wilh. Meyer

1758–1775

Johann Fried.Gottfied Grupen

1776–1778

Heinrich Friedr. Klingspor

1917–1938 Oberprediger

Christoph Bernh. Ludw. Peitmann

1778–1784

Adolf Küthmann

1920 2. Pastor

Friedrich Gerling

1927 2. Pastor

Karl Friedr. Erich Wolperding

1 933 Hilfspred.; 1934 2. Pastor, 1938–1967 Oberprediger

Hilmar Ernst Meinecke Gotthold Friedr. Helper

1 780 Hilfsprediger; 1781 2. Pastor 1785–1805

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Dr. Klaus Pönnighaus

1990–2015

Werner Hinz

1990–1994 4. Pastor

Dr. Ralph Meier

1995–2000 4. Pastor

Hartmut Spier

2001 4. Pastor

1962 2. Pastor

Ekkehard von Kleist

1997–2014 5. Pastor

Kurt Friedrich Ernst Stolle

1962 3.Pastor

Jörg Böversen

1997 2. Pastor

Dr. Heinrich Ulbrich

1967 Oberprediger

Thi Thien Huong Nguyen- Fürst

2014–2016 Angestellte Pastorin

Hans-Karl Werner Klingner

1969 – 1990 4.Pastor

Martin Runnebaum

2016 Oberprediger

Hans-Bernhard Fauth

1982–1997 2. Pastor

Nora Vollhardt

2018 Pastorin

Wolf-Peter Koech

seit 1988 3.Pastor

Bernhard Friedr. Wilh. Quantz

1938 2. Pastor

Gustav Steinmetz

1958 2. Pastor

Hans-Martin Sturhan

1 957 Pastor coll.; 1958 3. Pastor

Heinz Patzak

Die Dienstzeiträume der vorreformatorischen Pastoren ergeben sich aus Angaben in Urkunden, z. T. ist die tatsächliche Amtszeit nicht sicher belegt.

Sie bilden das Pastoren-Quintett der St.-Martini-Gemeinde: Jörg Böversen (von links), Hartmut Spier, Nora Vollhardt, Wolf-Peter Koech und Martin Runnebaum.

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Oberprediger und Pfarrer an St. Martini in Stadthagen Besetzung der Predigerstellen aufgehoben, und zwar heißt es: ,.Das bisher von der Stadt Stadthagen geübte Wahlrecht und Vorschlagsrecht für die Besetzung ihrer ersten und zweiten Pfarre geht an das Gemeindekirchenamt (Gemeindekirchenrat) der dortigen St.-Martini-Gemeinde über.«

»Die Pfarrstellen der St-Martini-Kirche zu Stadthagen waren nach der Reformation sogenannte Präsentationsstellen. Das heißt: Der Magistrat (ein von ihm gebildetes Wahlkollegium) hatte das Recht, drei von den sich um die vakante Pfarrstelle bewerbenden Kandidaten, wenn sie ihre Probepredigt gehalten hatten, zu erwählen und der Bürgerschaft zur Wahl zu stellen. Zwei von diesen Kandidaten konnten sie wählen, die dann dem Landesherrn präsentiert wurden, der einen von ihnen berief. Diese uralten Präsentationsrechte waren von den Landesherrn, dem Magistrat und der Bürgerschaft immer wieder bestätigt, zuletzt am 31. März 1862, und zwar bestätigte Adolf Georg, Fürst zu Schaumburg-Lippe, beim Antritt seiner Regierung die Privilegien der Stadt, die seine Vorfahren erteilt hatten. Vor dieser Zeit sind sie 1676, 1729 und 1793 nachzuweisen.

So beschreibt Wilhelm Weiland 1976 wie die Stelle des Oberpredigers der St.-Martini-Kirchengemeinde seit der Einführung der Reformation 1559 in Schaumburg-Lippe gehandhabt wurde. Der erste und einer der berühmtesten in der Riege der Stadthäger Oberprediger war wohl Jakob Dammann, der seit 1573 Bürger der Stadt war. Dammann hatte in Wittenberg vor allem bei Philipp Melanchthon studiert. Mitte Januar 1559 holte ihn Graf Otto IV als Hofprediger an seinen Regierungssitz in Stadthagen. Ende März 1559 wurde er dann als Probst in Obernkirchen, als Pastor an St.-Martini und als Superintendent eingesetzt. 1591 starb Jakob Dammann.

Im Jahre 1908, bei der Neuwahl eines Oberpredigers, setzte sich das Wahlkollegium aus zehn Personen zusammen, und zwar: dem Bürgermeister mit den vier Stadträten, die den Magistrat bildeten, dem Landrat des Kreises Stadthagen als landesherrlicher Kommissar (anstelle des früheren Stadtvogts, den es seit der Einführung der Städteordnung nicht mehr gab), zwei Kirchenvorstehern (früher die beiden Diakone) und zwei Bürgervorstehern. Aus den zur Probepredigt zugelassenen Kandidaten bestimmte das Wahlkollegium drei Kandidaten, von denen mindestens einer Schaumburg-Lipper sein musste, von denen die Bürgerschaft zwei auswählte und dem Landesherrn vorschlug. Durch Verordnung vom 16.12.1919 wurden die Rechte der Stadt bei der

Mit Johann Jakob Bernhardi, der 1605 nach Johann Heinecke Oberprediger in Stadthagen wurde und Josua Stegmann, der ihm 1617 nachfolgte, waren diese beiden Oberprediger zugleich auch Professoren der Theologie am ‚Gymnasium illustre‘ in Stadthagen. Es wurde 1619 zur Universität erhoben und 1621 nach Rinteln verlegt. Von Josua Stegmann stammt das Lied „Ach bleib mit deiner Gnade“, das einzige Kirchenlied eines Stadthägers in unserem Gesangbuch.

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Jakob Dammann

Oberprediger Johann Hennecke (1592 – 1609) Schwiegersohn von Jakob Dammann

Oberprediger Ludolph Peitmann (1639 – 1648) Enkel Jakob Dammanns

tauglichen Subjecto hinwieder zu besetzen intentionieren, […]«

In einer „Vocation des regierenden Grafen Friedrich Christian zu Schaumburg-Lippe, die er am 26. März 1726 in Innsbruck verfügt hatte, heißt es:

Seinerzeit war also immer auch die Oberpredigerstelle mit der Superintendentur verbunden.

»Von Gottes Gnaden Wir Friedrich Christian des Heil. Röm. Reichs und Regierender Graf zu Schaumburg, Lippe und Sternberg. Fügen hiermit zu wissen: Demnach Wir die einige Zeithero in unser Grafschaft vacant gewesene Superintendentur und Oberpfarre zu Stadthagen mit einem

Mit der Einführung der neuen Verfassung in der Landeskirche Schaumburg-Lippe am 1. Januar 1996 verlor die Kirchengemeinde St.-Martini und ihr Gemeindekirchenrat das ihr vom Magistrat 1919 übertragene Recht, den Oberprediger selber zu wählen. Somit war Oberprediger Dr. Klaus Pönnighaus der letzte Amtsinhaber der allein vom Gemeindekirchenrat gewählt worden ist. Sein Nachfolger Martin Runnebaum ist der erste Oberprediger, der gemäß der Verfassung nur mit beratender Beteiligung der Kirchengemeinde vom Landeskirchenrat berufen wurde. Er ist auch der erste, der nun wieder neben dem Amt des Oberpredigers der St.-Martini-Kirchengemeinde die Aufgaben als Superintendent des Ostbezirks der Landeskirche wahrnimmt.

Josua Stegmann

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Ehemalige Oberpfarre

Die Oberpfarre das Gebäude voller Unbequemlichkeiten sei, der größte Teil dieses weitläufigen Gebäudes nicht könne gebraucht werden und nicht einmal so viel Gelegenheit habe, dass man Leute von Distinction in ein Zimmer führen, viel weniger darinnen beherbergen kann. Da es aber zufolge meines Amtes unvermeidlich ist, Leute von allerlei Art aufzunehmen, und es über dieses die Oekonomie erfordert, dass man außer der ordinairen, sehr kleinen Wohnstube noch einen anderen Gelass habe, müsse zum wenigsten ein paar brauchbare und bequemliche Stuben mit Kammern und Speisegewölbe gebauet werden.«

»Idyllisch versteckt neben der hochragenden, uralten Martinikirche das Wohnhaus des jeweiligen Oberpredigers derselben, die Oberpfarre. Ihre Gebäulichkeiten entstammen inschriftlich dem Jahre 1611, können somit auf ein Alter von 325 Jahren zurückblicken. Erbaut in der Zeit, als der Graf Ernst die Universität „Ernestina“ in Stadthagen begründete, haben in diesen mehr als drei Jahrhunderten hier 25 Oberprediger gewohnt und auf der nahen Kanzel das Gotteswort verkündet.« So leitet ein Zeitungsartikel 1936 das Jubiläum der Oberpfarre ein. Hier befindet sich bis heute der Amtssitz des Oberpredigers, Kirchenvorstandsvorsitzenden und Geschäftsführers der St.-Martini-Kirchengemeinde in Stadthagen. Nur Jakob Dammann, Johann Heinecke und Johann Jakob Bernhardi haben in ihrer Amtszeit in privaten Häusern an der Niedernstraße oder Obernstraße gewohnt.

Damals hat die Stadt als Patronin der Kirche der Bitte des Oberpredigers entsprochen. Aber nach dem 2. Weltkrieg Mitte der 60iger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde ein Teil der alten Oberpfarre abgerissen und nur das vordere am Kirchhof stehende Gebäude blieb erhalten. Für den neuen Oberprediger Dr. Heinrich Ulbrich wurde ein quer zum verbliebenen Altbau stehendes Wohn- und Amtsgebäude errichtet.

Anscheinend war aber diese Unterkunft nicht für alle Bewohner eine Wohltat. So schreibt Oberprediger Johann Ernst Schubert 1747: » […], dass

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Weitere Pastoren doch eine Kirchengemeinde St. Martini Neben dem Oberprediger in der St.-Martini-Kirchengemeinde gab es von Anfang an eine Besetzung einer zweiten Pfarrstelle. Dieser Amtsinhaber bekleidete somit die „Unterpfarre“ von Stadthagen. Zeitweise ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert bis Ende des 17. Jahrhunderts und auch Mitte des 18. Jh. verzeichnet man sogar einen weiteren Geistlichen in der dritten Pfarrstelle. Von 1958 wird die dritte Pfarrstelle durchgängig besetzt und ab 1969 durch einen vierten Pfarrer ergänzt, der dann vorwiegend die zweite Predigtstelle am Jakob-Dammann-Haus versah. 1994 wurde angesichts der Größe der Gemeinde eine fünfte Pfarre hinzugefügt, die mit dem Ausscheiden des Amtsinhabers Pastor Ekkehard von Kleist wieder eingestellt wurde. ■ Alte Lateinschule – Gymnasium illustre

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Das Christentum liegt in der Luft. Über den Glauben und die Musik. Beitrag zum 700. Geburtstag der St.-Martini-Kirche Stadthagen

Von Dr. Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter – Kulturbüro des Rates der EKD, Berlin „ Meine vier Redebeiträge zum Festkonzert habe ich in großen Teilen frei vorgetragen. Das Folgende ist eine kürzere Zusammenfassung des Gesagten.“

1. Erinnern und neu aneignen frommer Handel, sondern die dankbare Erinnerung an ein beglückendes Ereignis sollte gefeiert werden. In der kulturell ausgestalteten, öffentlich begangenen Erinnerung an ein historisches Ereignis sollte der einzelne ebenso wie die Gesellschaft neue Gewissheit und Orientierung gewinnen. Diese Grundidee hat weit gewirkt und inzwischen eine vielfältige und hochbedeutsame Gedenkkultur hervorgebracht. Die heutigen Gedenkfeiern für Kriegsanfänge und Friedenschlüsse, epochale Menschheitsverbrechen und humane Neuaufbrüche, aber auch familiäre Erinnerungsfeiern wie Goldene Konfirmationen und Hochzeiten, verdanken sich – unbewusst – den ersten protestantischen Reformationsjubiläen. Damit stehen sie am Anfang dessen, was für die deutsche Kultur der Gegenwart von höchster Bedeutung ist: die Gedenk- und Erinnerungskultur.

Gerade erst haben wir 500 Jahre Reformation gefeiert. Beglückt und ermattet schauen wir auf 2017 zurück, da begeht St.-Martini schon das nächste große Jubiläum. Man kann sich fragen: Muss das sein? Ist dies ein Zeichen einer problematischen kirchlichen „Eventitis“? Oder gibt es einen guten Grund? Eine meiner wichtigsten Lernerfahrung aus dem vergangenen Jahr hat genau damit zu tun: dem Sinn von Jubiläen. Das Reformationsjubiläum 2017 war eine außerordentlich bedeutendste Gedenkfeier in Deutschland und wird dies für lange Zeit bleiben. Ein vergleichbares kulturelles Großereignis dürfte es so bald nicht geben. Das hat sein tieferes Recht. Denn – was wenige wissen – unsere gesamte heutige Erinnerungskultur verdankt sich der Reformation. Was wir als öffentlich begangenes Geschichtsgedenken kennen, ist eine Spätfolge des frühen Protestantismus. Die erste Jahrhundertfeier des sogenannten Thesenanschlags im Jahr 1617 setzte ganz bewusst die historische memoria an die Stelle der Jubeljahre, die die Papstkirche für ihre Ablässe inszenierte. Nicht ein

Deshalb steht die St.-Martini-Kirche mit ihrer 700-Jahr-Feier in einer sehr guten und bedeutsamen Tradition. Und diese gewinnt gegenwärtig an Aktualität und Dringlichkeit. Unsere Zeit ist ja von hitzigen Kulturdebatten geprägt. Was ist unsere

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Nachtaufnahme der St.-Martini-Kirche und des Mausoleums

gen. Aber zum Beispiel mit unseren Festen können wir einen hilfreichen, geistreichen, schönen und konstruktiven Beitrag zu heutigen Kulturdebatten liefern. Wenn wir das Jubiläum dieser Kirche feiern, bewahren wir unser Erbe, indem wir es für die Zukunft öffnen und mit anderen teilen.

Kultur? Was sind die Kulturen der anderen? Wie lässt sich das eine auf das andere beziehen oder auch nicht? Was soll uns als kulturelle Orientierung dienen? Darüber wird viel gesprochen und gestritten – leidenschaftlich, manchmal auch angestrengt, nervös oder gar aggressiv. Die evangelische Kirche gehört mitten hinein in dieses Gespräch. Denn sie ist eine besondere Kulturkraft in Deutschland mit einer eigenen Verantwortung für die gemeinsame kulturelle Orientierung. Sie ist ein Heimatverein höherer Ordnung, eine „Aufbewahrungsanstalt“ der Traditionen des christlichen Abend- und Morgenlandes. Wie kann sie ihrer Verantwortung gerecht werden? Sicherlich nicht durch weitere Polarisierung. Zorn und Wut sind für uns Christen keine angemessenen Tonla-

Dabei kommt der geistlichen Musik eine besondere Bedeutung zu. Ob das Christentum heute noch eine lebendige Kraft sei, darüber streiten nicht nur die Gelehrten. Je nach Perspektive und Interesse erklären Soziologen, Theologen, Politiker und Meinungshändler, dass das Christentum immer noch den kulturellen Grund der Gesellschaft darstelle oder unwiederbringlich an Bedeutung verloren habe. Wenig wird bei diesem

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700J A H R E Komposition von Popsongs verändern. Diese Internet-Plattformen leben davon, dass ihre Nutzer eine gewisse Zeit auf ihnen verweilen. Spotify zählen einen Song-Konsumenten erst, wenn er länger als 30 Sekunden zugehört hat. Doch viele junge Hörer sind hektisch und nervös. Wenn sie der Song nicht sofort anspricht, „skippen“ sie weiter. Deshalb entwickeln Pop-Komponisten neue Strategien, um ihre Hörer in den ersten 30 Sekunden zu fesseln. In diese kurze Anfangsphase pressen sie alles hinein, was sie haben. Sie fallen gleichsam mit der Tür ins Haus, denn ihre Musik hat keine Chance, sich zu entfalten.

ewigen Pro und Contra berücksichtigt, wie sehr das Christentum „in der Luft liegt“. Als Musik ist das Christentum gegenwärtig, zugleich aber ist die Kirchenmusik eine Kunst und deshalb frei. Sie lässt sich nicht kirchlich festlegen, überschreitet theologische Grenzen, bindet niemanden, der sie hört. Wer sie aber hört, wird berührt und dabei herausgefordert, sich zu dieser Musik zu verhalten. Adventslieder und Weihnachtsoratorien, Psalmen und Hymnen, Requien und Passionen, Messen und Choräle, Gospel und Sakropop – vieles mag altvertraut sein und ist doch, wenn man bewusst zuhört, jedes Mal von neuem eine Überraschung: ein verblüffendes Kunsterlebnis und die unerwartete Nötigung, sich über den eigenen Glauben oder Nicht-Glauben klarer zu werden, sich fragen, wie man dieses wunderbare Erbstück annehmen und zum eigenen inneren Besitz machen kann. Die Kirchenmusik kann einen besonders schönen Beitrag zur evangelischen Gedenkkultur liefern, nämlich das eigene Erbe sich dadurch neu anzueignen, indem man es anderen zu Gehör bringt.

Vergleicht man damit die alte Mess-Musik, fällt einem sofort auf, wie langsam sie sind und was für ein Wert genau darin liegt. Sie hat einen langen Atem, entfaltet sich erst in vielen Schritten und Takten. Deshalb muss man selbst langsam zuhören, damit sie sich einem eröffnet wie ein weiter Raum, damit sie einen mit anderen Menschen verbindet – nicht als eine Zielgruppe von Kunden, hektischen Konsumenten, sondern als Gemeinde von Liebhabern. Dann erst kann sie einem den Sinn so weiten, dass sie einen als Teil der Gemeinde zu Gott führt, so dass der Gottesdienst kein Pflichtritual bleibt, sondern eine Feier wird, in der man die Schönheit des Glaubens erfahren kann.

Denn das muss die Grundbewegung unserer Gedenkkultur sein: Wir bewahren unser geistlich-kulturelles Erbe am besten dadurch, dass wir es für die Zukunft öffnen und mit anderen teilen. Aber das muss ich ja in einer Martinskirche eigentlich gar nicht erst sagen.

Diese unzeitgemäße Schönheit und Tiefe der Messe ist auch für Protestanten von großer Bedeutung, ist auch für evangelische Christen ein kostbares Erbe, das wesentliche Qualitäten der geistlichen Musik und der liturgischen Kultur bewusst machen kann. Es gab nicht nur eine, sondern mehrere Reformationen. Eine davon war katholisch. Diese war keine bloße Gegen-Reformation, also lediglich eine Reaktion auf den protestantischen Aufbruch im nördlichen Europa, sondern stellte den Versuch dar, die katholische Kirche aus den eigenen Grundsätzen heraus zu ordnen, zu reinigen und neu zu gestalten. Dieser Versuch fand seinen sichtbarsten Ausdruck im Konzil von Trient. Die Tridentinische Messe ist in ihrem Aufbau von

2. Die alte Messe und ihre Bedeutung für uns heute Sie haben sich für diesen Nachmittag und für dieses ganze Fest-Jahr ein Leitthema gewählt: die Musik der Messe. Mit diesem Thema steigen Sie tief hinab in den Brunnen der Geschichte der Kirchenmusik. Bevor ich einen Blick in diese faszinierende Tiefe tue, möchte ich aber zunächst auf die unmittelbare Gegenwart schauen. Vor kurzem las ich einen Zeitungsartikel, der mich verstört hat. Er berichtet davon, wie digitale Streaming-Dienste, zum Beispiel Spotify, die

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großer Klarheit. Der gesamte Ablauf gliedert sich in vier Schritte: den Einzug, die Verkündigung, die Eucharistie und die Entlassung. Zum Staunen sind diese Ordnung und Struktur der Messe, ihre Klarheit und Stringenz, auch ihre Ruhe und „Langatmigkeit“ – so viel Tradition und Sinn-Geschichte in ihr aufbewahrt, so viel Schönheit und Form hält sie bereit! Doch die alte Mess-Musik klingt für ungeübte Ohren zunächst eintönig. Das hat damit zu tun, dass sie sich heutigen Ansprüchen auf musikalische Unterhaltung, Abwechslung und Zerstreuung radikal verweigert. Denn sie ist auf etwas ganz Anderes, nämlich das Ewige ausgerichtet. Sie ist wie das Meer ein Abbild dieser Ewigkeit. Ihre Klänge und Worte setzt sie wie lange, große Wellen in den hohen, weiten Kirchraum. Mit gelassenem Schwung wogt sie auf und ab, flutet sie vor und zurück. Hat man sich in diese Gesänge hineingehört, ist man in sie eingetaucht, meint man, sie könnten ewig so weiter fließen. Diese Musik ist wie ein Meer, allerdings eines ohne Sturm und Gebrüll. Dabei ist sie gar nicht konservativ in einem konventionellen Sinne, sondern höchst kreativ. Denn von Palestrina über Mozart oder Schubert bis heute hat sie unendlich viele neue Vertonungen angestoßen. Und um gleich noch ein zweites Vorurteil zu widerlegen: Die alte Mess-Musik ist gar nicht so anti-reformatorisch, wie man meinen könnte. Dazu nur eine kleine Anekdote: Zwei Jahre vor seinem Tod soll sich Heinrich Schütz, der erste ganz große evangelische Komponist, eine Sterbemusik in Palestrinas stile antico bestellt haben. Wenn das stimmt, dann hätte Palestrina nicht nur die klassische Messmusik der katholischen Konfessionskirche geschaffen, sondern auch die musikalische Ausgestaltung des Trauergottesdienstes für den bedeutendsten lutherischen Komponisten vor Bach inspiriert. Das wäre ein schönes Sinnbild für die Freiheit der Musik, die sich ihre Eltern und Geschwister, Lehrer und Freunde selbst aussucht, ohne auf amtliche Grenzziehungen zu achten.

St. Martini Kirchenfenster Pfingsten

3. Das „Andere“ der Messe: der evangelische Choral Die Messe ist für die geistliche Musik ein wesentlicher Traditionsstrang. Aber es gibt noch einen anderen, der sich in manchem als notwendiger Störenfried erweist: der Choral. Um eine Ahnung davon zu gewinnen, möchte ich auf ein, zwei Aspekte des evangelischen Gemeindegesangs hinweisen, die nicht sehr bekannt sind. Die Reformation war die erste große Liedbewegung der Neuzeit. Ihren epochalen Erfolg, die mas-

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700J A H R E senhafte Verbreitung ihrer Botschaft, verdankte sie nicht nur den neuartigen Predigten oder der Weltneuerfindung des Buchdrucks, sondern ebenso ihren Liedern. Es waren nicht zuletzt Choräle, Balladen und Psalmlieder, welche die lutherische Lehre bekannt machten, von den sensationellen Ereignissen des Kirchenkampfes berichteten, die Neugläubigen zu einer festen Partei zusammenschlossen und die Bildung einer anderen Frömmigkeit beförderten. Diese Lieder waren ganz anderer Art als die gregorianischen Messgesänge der Priester und Mönche. Sie waren nicht weltentrückt, nicht für heilige Zeiten und Räume reserviert, kein Echo des himmlischen Gesangs der Engel. Sondern es waren Gassenhauer – laut und manchmal schrill wurden sie zuerst in den Straßen und auf den Marktplätzen gesungen. Und sie dienten nicht allein der Erbauung, sondern waren immer auch Träger aktueller Informationen und nicht zuletzt Waffen im städtischen Meinungsgetümmel. Fahrende Bettelsänger, entlaufene Mönche, reisende Handwerker, vor allem Tuchmacher und Wollweber, reformatorische Propagandisten und politische Aufrührer wollten mit ihnen die Massen für sich gewinnen und die alten Autoritäten stürzen. Ein altgläubiger Zeitgenosse bemerkte: „Es ist äußerst zu verwundern, wie sehr diejenigen Lieder das Luthertum fortgepflanzt haben, die in deutscher Sprache haufenweise aus Luthers Werkstatt geflogen sind und in Häusern und Werkstätten, auf Märkten, Gassen und Feldern gesungen wurden.“ Bezeichnenderweise fehlen in dieser Aufzählung die Kirchen. Denn die ersten und wichtigsten Umschlagplätze waren die ganz profanen Orte des alltäglichen Lebens und Arbeitens – sowie des Feierns und der Entspannung. Der missgestimmte katholische Beobachter hat vergessen, die Wirtshäuser und Gaststätten zu erwähnen. Wie sehr gerade sie der Verbreitung des neuen Liedguts dienten, bezeugen ungezählte Prozessakten über Ketzerei und Verleumdung der kirchlichen Obrigkeiten. In den Wirtshäusern kamen Reisende und Einheimische zwanglos zusammen. Hier wurde viel, heftig

David mit der Harfe

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de weckt.“ Die Erwähnung des Teufels mag einen heutigen Leser – wie oft bei Luther – befremden, doch ist es ein sehr humaner Exorzismus, den er hier vorschlägt. Um den Teufel der Lebensangst und Gottesverzweiflung in die Flucht zu schlagen, bedarf es keiner magischen Zwangsmaßnahmen, sondern nur der Musik: „Wir wissen ja, dass der Teufel die Musik hasst und sie nicht hören kann.“ Und: Die Musik allein kann das, „was sonst nur die Theologie vermag, nämlich das Gemüt ruhig und fröhlich zu machen, zum offenbaren Zeugnis, dass der Teufel, der Urheber der traurigen Sorgen und unruhigen Gedanken, vor der Stimme der Musik fast ebenso flieht, wie vor dem Wort der Theologie.“ An einen schwermütigen Freund schrieb Luther: „Darum wenn Ihr traurig seid und will überhandnehmen, so sprecht: Auf, ich muss meinem Herrn Christo ein Lied schlagen auf dem Regal, es sei Te deum laudamus oder Benedictus etc.; denn die Schrift lehret mich, er höre gern fröhlichen Gesang und Saitenspiel. Und greift frisch in die Claves (Tasten) und singet frei, bis die Gedanken vergehen. Kommt der Teufel wieder, so wehret Euch frisch und sprecht: Aus, Teufel! Ich muss jetzt meinem Herrn Christo singen und spielen!“ Es ging also Luther weniger um einen mittelalterlichen Exorzismus als um eine christliche Vorform der Musiktherapie.

und hemmungslos gesungen. Dabei halfen der Alkohol, aber auch Flugschriften mit den neuesten Liedtexten, die an die Wand genagelt waren. Man muss sich die Reformation auch als eine musikalische Guerillabewegung vorstellen. Ihre Lieder waren nicht nur im übertragenen Sinne Waffen. Ganz direkt wurden sie als Instrumente kommunikativer Gewalt eingesetzt. In Göttingen soll die Reformation mit einer frühneuzeitlichen Gesangsblockade begonnen haben: Die Evangelischen stellten sich einer altgläubigen Prozession entgegen und sangen so lange Luther-Choräle wie „Aus tiefster Not schrei ich zu dir“, bis diese sich auflöste. Auch „Ein feste Burg“, die „Marseillaise der Reformation“ (Friedrich Engels), eignete sich hervorragend, um Messfeiern zu stören oder Priester von den Kanzeln herunterzusingen, wie es vielfach bezeugt ist. Aber es gab natürlich auch gute theologische Gründe für das gemeinsame Singen. Musik war für Luther ein Spiegel des Schöpfungswunders. In ihr erklang ein Rest des Paradieses: „Ich wollt von Herzen gern diese schöne und köstliche Gabe Gottes, die freie Kunst der Musica, hoch loben und preisen. Diese Kunst ist von Anfang der Welt allen und jeglichen Kreaturen von Gott gegeben, und von Anfang an mit allen geschaffen, denn da ist nichts in der Welt, das nicht ein Schall und Laut von sich gebe. Also auch, dass auch die Luft, welche doch an ihr selbst unsichtbar und unbegreiflich, darin am aller wenigsten Musica, das ist schöner Klang und Laut, und ganz stumm und unlautbar zu sein scheint. Jedoch, wenn sie durch was bewegt und getrieben wird, so gibt sie auch ihre Musica, ihren Klang von sich, und die zuvor stumm war, die selbst fängt denn an, lautbar und eine Musica zu werden, durch welches der Geist wunderbarlich und große Geheimnisse anzeigt.“

4. D ie Verbindung zur heutigen Liedund Musikkultur Ein Jubiläum ist nicht nur dazu da, um in die Vergangenheit zu schauen. Deshalb noch diese Frage: Wie geht es weiter mit der Kirchenmusik? Soll sie nur ein Erbe, bloß eine alte Musik bleiben oder kann sie heute wirklich noch meine, unsere Musik werden? Um diese Frage zu beantworten, hilft mir ein Blick auf die eigene Musik-Biographie, auf den „Soundtrack des eigenen Lebens“. Was ist eigentlich meine Musik, meine Musikgeschichte? An mein erstes Liederhören kann ich mich nicht erinnern. Ich gehe davon aus, dass meine Mutter an unseren

Im Jahr 1530 schrieb er: „Ich liebe die Musik, weil sie 1. ein Geschenk Gottes und nicht der Menschen ist, 2. weil sie die Seelen fröhlich macht, 3. weil sie den Teufel verjagt, 4. weil sie unschuldige Freu-

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Kinderbetten beim Gutenachtsagen gesungen hat. Ich habe da so ein Gefühl. Im Kindergarten und in der Grundschule in den 1970er Jahren werde ich wenig gesungen haben – eine Spätfolge des auch musikalischen Traditionsbruchs in Deutschland. Das richtige, ernsthafte, existentiell engagierte, wenn auch halbkriminelle Liederhören begann für mich, als ich ein Teenager wurde. Lieder waren damals – das können sich heutige Teenager nicht mehr vorstellen – eine schwer erhältliche Ware. Man musste große Mühen auf sich nehmen, viel Zeit aufwenden und nicht selten zu unsauberen Tricks greifen. Mein großer Bruder saß stundenlang mit seinem Kassettenrecorder im Wohnzimmer der Eltern – das damals noch ein Zimmer nur für Erwachsene war – und hielt das Mikrophon gegen den Lautsprecher der väterlichen Radioanlage in der Hoffnung, die ersehnten Hits bei NDR2 oder BFBS aufzufangen. Geliebte Lieder waren wie seltene Vögel, unverfügbar. Dann begann der mittlere Bruder eine richtige Plattensammlung aufzubauen, für mich ein nicht zu berührendes Heiligtum. Aber durch eine lange Serie von unbemerkten kleinbrüderlichen Regelbrüchen selbstbewusst geworden, streckte ich meine Finger aus und wagte immer weitere Ausflüge ins Reich des Verbotenen. Manchmal frage ich mich, ob es eigentlich nur von Vorteil ist, wenn heutige Jugendliche überall und jederzeit ungehinderten Zugang zu unendlich vielen Songs besitzen. Ich will die musikalische Knappheit meiner Jugend nicht zurück haben, aber sie zwang zu großem Engagement und einigem Wagemut, nötigte zu intensiver Hinwendung und klaren Entscheidungen, lehrte mich, dass das Liederhören eine ernste Sache war, in der es um einiges ging. Parallel dazu lernte ich als Jugendlicher die Lieder des Gesangbuchs kennen. Ich hörte sie zunächst im Gottesdienst, einige aber sprachen mich so an, dass ich sie zu Hause nachschlug und sogar auswendig lernte: vor allem die großen Trost- und Vertrauenslieder wie „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ oder „Befiehl du deine Wege“. Ich tat dies freiwillig, denn weder im Konfirmandenunterricht, in der gemeindlichen Jugendgruppe oder im schulischen Religions-,

Predigtuhr Deutsch- oder Musikunterricht spielten sie eine Rolle. Die großen evangelischen Choräle, auf die ich wie durch Zufall stieß und die ich mir heimlich einverleibte, waren mein ganz privates Glück. Als Pastor dann konnte ich erleben, wie beglückend es ist, gemeinsam mit begabten und begeisterten Kirchenmusikern Verantwortung für die Liedkultur meiner Gemeinden wahrzunehmen. Allem alltäglichen Hickhack, allen Stellen- und Mittelverkürzungen, allen Traditionsabbrüchen, allen Untergangsgesängen zum Trotz ist dies immer noch ein einmaliges Privileg deutscher Pastorinnen und Pastoren, mit gut ausgebildeten und befähigten Kantorinnen und Kantoren zusammenzuarbeiten (und umgekehrt). Ich möchte die gegenwärtigen Krisen, Probleme und Konflikte nicht kleinreden, denke aber, dass wir darüber nicht übersehen sollten, welche Möglichkeiten wir immer noch haben – wenn wir denn gut zusammenwirken und gemeinsam nach dem „Martinsprinzip“ unsere Tradition pflegen: Wir bewahren unser geistlich-kulturelles Erbe am besten dadurch, dass wir es für die Zukunft öffnen und mit anderen teilen. Wie sieht also die Zukunft aus, die nächsten 700 Jahre? Die große Gospel-Sängerin Mahalia Jackson hat einmal auf die Frage, wie denn gute geistliche Lieder entstünden, geantwortet: durch Gewissheit und Leiden. Damit ist das Entscheidende gesagt. Hoffentlich darf man aber manchmal auch sagen: nicht nur durch Überzeugung und Schmerz, sondern auch durch Überzeugung und Freude. ■

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Die Kern-Orgel in der St.-Martini-Kirche Stadthagen Von Klaus Pรถnnighaus

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Die zumindest 700jährige Geschichte der St.-Martini-Gemeinde bezeugt, wie die vieler anderer Kirchengemeinden, dass christlicher Glaube und die von ihm geprägte Kultur sich eindrucksvoll in Musik ausdrücken. Die über 500jährige Orgeltradition in der Gemeinde spielt dabei eine kaum zu überschätzende Rolle. Denn Musik braucht nicht immer Worte oder gar Dogmen, sie braucht gespannte Aufmerksamkeit. Worte können oft trennen, Dogmen wollen trennen. Die Musik ist eine Menschheitsstimme, sie öffnet das Herz, sie berührt uns, stimmt fröhlich, hoffnungsvoll, nachdenklich. Auch Leid und Traurigkeit können sich in dieser Musik ausdrücken, sie werden nicht das letzte Wort haben, weil die Musik ja von Zukunftsmusik weiß, die noch jenseits des Todes erklingt, die Gott rühmt, die schon damals am Ostermorgen erstmals laut wurde zur Begrüßung des neuen Menschen, über den der Tod nicht mehr herrscht. Darum ist schon für den Kirchenvater Augustinus Musik wortloser Jubel, Möglichkeit auch das noch zu sagen, wofür es eigentlich keine Worte gibt, die Grenzmarken der Silben nach oben zu überschreiten, der Freude des Herzens auch ohne Worte Ausdruck zu geben.

die vielfältigen Wege der Finanzierung mit den damit verbundenen zahlreichen Veranstaltungen gibt die Festschrift von 2003: „Die neue Kern-Orgel in St. Martini Stadthagen“.

Ein gesichertes Datum für die Aufstellung einer Orgel in der St.-Martini-Kirche gibt es nicht, doch schon 1463, dann wieder 1531 wird ein Organist erwähnt. Überliefert ist weiter, dass 1559 C. und M. Slegel aus dem niederländischen Zwolle eine Orgel bauen. Christian Vater aus Hannover, Schüler des berühmten Orgelbauers Arp Schnitger und Zeitgenosse Johann Sebastian Bachs, baut 1729 eine Orgel, die Weihnachten 1731 in St. Martini erstmals erklingt, deren barocker Prospekt bis heute auf die Besucher herabschaut und folglich auch noch die 2003 eingeweihte neue Orgel der Orgelbaufirma Kern schmückt. Genaue Information über die Orgel in der St.-Martini-Kirche, über ihre Geschichte, über den Neubau der Orgel durch die Straßburger Firma Kern im französischen Stil, über die Verbundenheit dieser Firma mit Albert Schweitzer, über die Disposition des Instrumentes, über die Baugeschichte in der Kirche und über

er aber niemand voraussieht. Probleme mit dieser Orgel gibt es von Beginn an. Gerald A. Manig, langjähriger früherer Organist und Kantor der Gemeinde, erzählt mir von einem Konzert Mitte der 70er Jahre mit Claus Bantzer, Hamburg, bei dem während des Spiels der d-Moll Toccata Bachs gar nichts mehr geht. Von der Orgelempore hört man laut und deutlich: „Schei.. – Pause – Orgel völlig kaputt.“ In den 90er Jahren ist endgültig klar, dass mit der vorhandenen Orgel wohl der Gemeindegesang notdürftig begleitet werden kann, aber das Musizieren größerer Werke der Kirchenmusik unmöglich ist. Zum anderen weist mich G. A. Manig, der seinen Arbeitsschwerpunkt in der Chorarbeit hat, mehrfach darauf hin, dass er für die bald anstehende Wahl seines Nachfolgers Probleme sehe, die Stelle gut zu besetzen, da das Interesse potentieller Kandidaten bei einer Orgel in diesem Zustand vermutlich sehr begrenzt sei.

Zwei Gründe sind für die Gemeinde ausschlaggebend für den Bau einer neuen Orgel. Einmal sind es die Schäden, die durch einen Brand 1908 und letztlich durch die missglückte Neugestaltung der Orgel durch die Firma Hammer 1974 auftreten. Ohne hinreichende Berücksichtigung der Platzmöglichkeiten werden damals Erweiterungen mit komplizierter Mechanik vorgenommen und stark dem Zerfall ausgesetzte, Mitte der 70er Jahre aber innovative Materialien – nämlich Kunststoffe – verwendet, deren nur etwa 30jährige Lebensdau-

Von der Orgelempore hört man laut und deutlich: „Schei.. – Pause – Orgel völlig kaputt.“

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Nachdem der Kirchenvorstand sich nach vielen Beratungen in den Jahren 1997 bis 2000 für einen Orgelneubau entscheidet, macht sich ein Orgelausschuss – G. A. Manig, die Kirchenmusikdirektoren Prof. H. C. Becker-Foss und Prof. R.-M. Munz, vom Kirchenvorstand K. Mebus und der Verfasser … nicht zuletzt auf mehreren Orgelfahrten kundig; im Elsass, in der Schweiz, vor allem auch in der Musikhochschule Stuttgart mit ihrer Orgelsammlung und den jeweiligen unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten der Instrumente. Von den beiden zuletzt favorisierten Firmen Orgelbau Goll AG, Luzern und Orgelbau Alfred Kern & fils, Straßburg erhält letztere den Zuschlag. Neben den vielen Erkenntnissen hinsichtlich Orgelbau und -klang bleiben viele Erinnerungen, auch heitere: z.B. die Improvisation bei einer Orgelvorführung von R.-M. Munz in der Kirche eines von Damen bewohnten Klosters, bei der immer wieder deutlich erkennbar Zarah Leanders Lied „Kann denn Liebe Sünde sein“ erklingt. Die Kern-Orgel im französischen Stil wird 2003 fertig; sie findet viel Anerkennung in Fachkreisen; erhält noch größeren Bekanntheitsgrad aufgrund der 2005 auch von der Straßburger Firma vorgenommenen Fertigung der neuen Orgel in der Dresdener Frauenkirche. Winfried Berger, Münster, spielt 2004 die erste CD auf der Kern-Orgel ein; inspiriert durch die Dualismen von französischer Orgel im Stil des 18./19. Jahrhunderts und norddeutschem Barockorgelgehäuse einerseits und italienischem Renaissancemausoleum und deutsch-gotischer Hallenkirche andererseits spielt er wechselnd berühmte Orgelwerke französischer Orgelsymphonik und Werke von Johann Sebastian Bach. 2012 nimmt Berger das Gesamtorgelwerk von Olivier Messiaen auf; er spielt es an den Cavaillé-Coll-Orgeln in Paris und Douai, an der Rieger-Orgel in Vierzehnheiligen in Bad Staffelstein, an der Klais-Orgel im St.-PaulusDom Münster und in St.-Martini Stadthagen.

Orgelspiel

mit Hilfe des Kirchenvorstandes, Mitgliedern der St.-Martini-Gemeinde und nicht zuletzt des gegründeten „Verein zur Rettung der historischen Orgel e.V.“, in dessen Beirat sich Vertreter der Kirche, der Stadt, des Handels und Gewerbes und der Banken zusammenfinden, die von der Gemeinde zu finanzierende Hälfte der gut 1.500.000 DM in erstaunlich kurzer Zeit zusammen; den gleichen Betrag finanziert noch einmal die Landeskirche. Unvergessen ist mir ein Geburtstagsbesuch bei einer älteren Dame, die mir beim Abschied an der Tür mit den Worten „für die Orgel“ einen Briefumschlag überreicht. Zu Hause angekommen traue ich meinen Augen nicht: eine Einzelspende von 5.000 DM bei einem Hausbesuch! Alle zuvor geäußerten Befürchtungen, bei solch großem Orgelprojekt seien niedrigere Spenden im diakonischen

Die erste Sammlung für die neue Orgel erfolgt im April 2000 anlässlich des 50. Geburtstages des Verfassers; 500 DM werden gesammelt, ein erster Anfang. In den folgenden drei Jahren kommen

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Orgeltisch

reits im elften Jahr zur Tradition gewordene Veranstaltungsreihe „Orgelsommer“ mit Organisten aus dem In- und Ausland, die in Gemeinde und Stadt großen Anklang findet, was sich auch durch freiwillige Spenden in beachtlicher Höhe am Ausgang nach Ende der Konzerte ausdrückt. Es ist eine Freude, dass in der St.-Martini-Kirche wieder Werke großer Komponisten der Kirchenmusik wie die von Byrd, Frescobaldi, Buxtehude, Pachelbel, Couperin, Bach, Händel, Mozart, Mendelssohn Bartholdy, Schumann, Liszt, Brahms, Reger, Franck, Widor, Vierne, Boëllmann, Alain, Messiaen, Ligeti u.a. erklingen.

Bereich oder für Brot für die Welt zu erwarten und das Gemeindeleben werde einseitig ausgerichtet sein, erweisen sich als unbegründet. Eher tritt das Gegenteil ein, wie Zahlen und Aktivitäten in Stadt und Gemeinde belegen. Die St.-Martini-Kirche mit ihrer neuen Kern-Orgel reizt 45 Personen, sich auf die für Ende 2006 ausgeschriebene Stelle eines(r) Kantors/Kantorin zu bewerben. Unter großer Anteilnahme vieler Menschen aus der Stadt bei den „Probevorspielen“ in der St.-Martini-Kirche trifft der Kirchenvorstand unter Zuhilfenahme eines Musik kundigen Gremiums eine überaus glückliche Wahl, wie die Arbeit des nächsten Jahrzehnts belegt; er wählt Christian Richter, gebürtig aus Münster, bis dahin im hessischen Nidda tätig, zum Kantor und Organisten der Gemeinde. Neben vielen anderen Aktivitäten finden regelmäßig Orgelkonzerte statt. Besonders erwähnenswert ist die 2007 eingeführte, nun be-

Es ist zu wünschen, dass „Orgelmusik als Vision einer besseren Welt und als Symbol unseres Glaubens an ein Himmelreich mitten unter uns“, wie es G. A. Manig in der Festschrift ausdrückt, weiterhin Hörerinnen und Hörer auch in der St.-MartiniKirche ergreift und bewegt. ■

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Grußworte aus der Nachbarschaft

St. Joseph Außenansicht

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Grußwort von Johannes Tuschhoff-Cicigoi von der katholischen St. Joseph-Gemeinde

St. Martini, die Kirche im Herzen der Stadt – oder besser: „das Herz der Stadt“ feiert runden Geburtstag! 700 Jahre ist die „Grande Dame“ unter den Stadthäger Gotteshäusern nun alt und wir sind eingeladen, zu gratulieren und mitzufeiern. Dazu wurde ich gebeten, meine sehr persönlichen Erfahrungen zu formulieren. In der Altstadt geboren und quasi im Hörbereich der Martini-Glocken aufgewachsen, spürte ich recht bald einen Bezug zu vielem, was diesen Sakralbau ausmacht. Als katholischer Christ, der einer konfessionsverbindenden Ehe entstammt – als „Mischling“ gleichsam – durfte ich früh auch die St.-Martini-Kirche als vertrauten Raum wahrnehmen. Bei dem „Lüttjen“, der ich damals war, hinterließen Farben, Formen, sogar der Duft des Innenraumes prägende Eindrücke. So selbstverständlich, wie mein Vater mit uns nach St. Joseph kam, besuchten meine Mutter und ich mit ihm die Gottesdienste in St. Martini. Ehrwürdig, mit einem gewissen Pathos, ging es dort zu. Welch eine Chance, ja welch ein Glück liegt darin, diese Kirche und die Menschen zu kennen und zu schätzen, die hier ihre geistliche Heimat finden. Dies in seiner vollen Bedeutung zu erfassen, bedurfte es freilich der Lebenserfahrung von Jahrzehnten.

Nach meinem Lieblingsplatz in der Kirche gefragt, muss ich als kunstgeschichtlich Interessierter erst einmal passen. Was nenne ich zuerst? Ist es ein Sitzplatz mit Blick auf den gotischen Schnitzaltar, der nach der Reformation zwar seine ursprünglichen Flügel einbüßte, dessen Passionsszenen sich aber seither in einem kostbaren Renaissancerahmen wiederfinden? Sind es die Querbänke gegenüber der grandiosen Orgel, von denen aus ich so manchem Konzert lauschen durfte? Oder sollte ich doch auf eher unscheinbare Einzelheiten verweisen, auf die zuweilen mein Blick fällt, weil sie von jener ungemein spannenden Baugeschichte zu erzählen vermögen? Manches verrät, dass St. Martini nicht etwa in einem einzigen Guss, sondern in Etappen entstand. Schließlich finden sich deutliche Unterschiede in den gotischen Spitzbögen von Fenstern und Gewölben, in den Kapitellen der Pfeiler und in den verschieden angeordneten Konsolen der Südwand. „...ob da doch Reste eines romanischen Vorgängerbaus...?“

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Mein Blick fällt auf etliche Epitaphien von Persönlichkeiten, die zu ihrer Zeit dieser Kirche verbunden waren. Doch da werden auch Erinnerungen an Geistliche wach, die ich selbst hier erleben durfte: Oberprediger Karl Wolperding etwa, der zuweilen meine Großeltern besuchte und einmal bäuchlings meine Modelleisenbahn bewunderte. Pastor Heinz Patzak, der mich von Gottesdiensten her kannte. Mit Riesenschritten durchmaß er die Stadt, wobei er stets an seiner überdimensionierten Zigarre zu paffen pflegte. Mich, den damals vielleicht Elfjährigen, beeindruckte er jedes Mal, wenn er mit weit ausladender Geste seinen großen Hut zog, um meinen Gruß zu erwidern – und zwar mit derselben Verbindlichkeit, wie er sie auch Erwachsenen zuteil werden ließ. Heute denke ich, dass dies ganz sicher Ur-Erfahrungen mit St.-Martini waren – mit dem ehrwürdigen Bauwerk und mit Menschen, die früh ökumenisches Bewusstsein in mir grundgelegt haben. Mehrfach durfte die katholische Gemeinde zu Gast in St.-Martini sein, während St. Joseph erneuert wurde – so bereits 1953/54 und 1984. Unvergessen bleibt auch, dass wir mit Gottesdiensten zur Firmung hierher ausweichen durften, weil der eigene Kirchenraum einfach zu klein war. Dankbar erlebe ich heute den Dialog und die selbstverständliche ökumenische Zusammenarbeit zwischen unseren Kirchengemeinden.

St. Joseph Altarraum

Die St.-Martini-Kirche zu würdigen, bedeutet eben beides: das kunsthistorische Juwel zu sehen, vor allem aber das Lebenselixier für die Stadt durch die frohe Botschaft, die von hier ausgeht. Unzählige Menschen haben hier seit Jahrhunderten auf ihre eigene Weise geglaubt, gezweifelt und Christus gefeiert, haben an diesem Ort in den Wellenbergen ihres Lebens Schutz gefunden oder Hoffnungen für ein gelingendes Leben hierher getragen. Gerade weil dieser Kirchenbau nach norddeutschem Muster eher breit als hoch erscheint, vermag er seine Besucher auf besondere Weise zu empfangen. So steht er seit 700 Jahren da: ehrwürdig und irgendwie allumfassend. St.-Martini ist Stadthagen und möge es bleiben. Daher lautet die Botschaft: „Du, der du eintrittst, darfst hier geborgen sein“. In ökumenischer Verbundenheit grüßt Sie Johannes Tuschhoff-Cicigoi von Ihrer katholischen Schwestergemeinde St. Joseph

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Grußwort von Rudolf Krewer von der katholischen St. Joseph-Gemeinde Als Katholik ein Grußwort für die Jubiläumsschrift zum 700. Geburtstag der St.-Martini-Kirche schreiben zu dürfen, ehrt mich und ich mache es gerne. Zur Geschichte und theologischen Bedeutung ist schon sehr viel von kenntnisreichen und bedeutenden Wissenschaftlern geschrieben worden. Daher möchte ich, mit aller gebührenden Bescheidenheit auf mein ganz persönliches Erleben von der trennenden Distanziertheit bis hin zur verbindenden Verschiedenheit der Konfessionen erzählen.

Seit 1972 bin ich beruflich mit der St.-Martini­ Gemeinde nachbarlich verbunden als Lehrer an der Realschule und seit 1977 als Schulleiter an den Schulen Hinter der Burg. Schließlich führte mein Weg in die Ökumene weiter über den Diözesanrat in Hildesheim dort wie selbstverständlich in die Ökumene Kommission, die mich schließlich in den Landesausschuss Evangelischer Deutscher Kirchentag entsandte. Gerne habe mich natürlich auch für den Ökumenischen Pilgertag und das Ökumenische Forum in Stadthagen eingesetzt. Wenn ich in den evangelischen Gemeinden in Stadthagen eingeladen bin, habe ich das Gefühl einer großen Vertrautheit und fühle mich willkommen.

Aufgewachsen in einem katholischen 700-Seelendorf in der Eifel habe ich außer dem Wort „Protestant“ keinen persönlich kennen gelernt. Erst auf dem Gymnasium in der Kreisstadt lernte ich protestantische Mitschüler kennen und erlebte, dass sie völlig normale Menschen waren, nicht anders als die Freunde und Mitschülerinnen, die ich bis dahin kennengelernt hatte. Während meiner Bundeswehrzeit gehörten die beiden Konfessionen ohnehin zum Alltag.

Sicher trägt dazu auch bei, dass meine Frau in der Seniorenkantorei der St.-Martini-Kirche singt. Gemeinsame Reisen, Orgelreisen, Konzerte und andere Veranstaltungen ergänzen die Harmonie. Die Einheit in gemeinsamer Verschiedenheit ist einer Vertrautheit gewichen, in der die Gemeinsamkeiten längst gegenüber dem Trennenden überwiegen.

Das änderte sich erst wieder während meines Studiums, als es mit meiner Freundin ernster wurde und vom Heiraten die Rede war. Jetzt wurde das Trennende ganz konkret. Unsere konstruktive Antwort war die katholische Trauung, gefolgt von der evangelischen Trauung. Jahre später ließen sich unsere Tochter und unser Schwiegersohn in Stadthagen von dem kath. Pfarrer Klaus Voss und der ev. Pastorin Cornelia Pönnighaus trauen und es war schön zu sehen, dass dort die Trauung gemeinsam und nicht nacheinander stattfinden konnte. So kommt es dann zu konfessionsverbindenden Familien, ganz ohne Synoden und Konzile.

Das Kirchengebäude der St.-Martini-Gemeinde selbst ist ein Symbol der Hoffnung für eine gemeinsame Zukunft: ursprünglich als kath. Kirche gebaut und geweiht, dann ein halbes Jahrtausend evangelisch und heute der Ökumene eng verbunden. Vielleicht ist es nicht vermessen: ich wünsche der ökumenischen Bewegung für die nächsten 500 Jahre einen ähnlichen Erfolg, es darf auch schneller gehen.

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Grußwort von Matthias Kodoll Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde (Baptisten) Stadthagen

Mit der St.-Martini-Kirche verbinde ich eine ganze Reihe schöner Erinnerungen an besondere Gottesdienste, Konzerte, Lesungen oder andere herausragende Veranstaltungen. Ganz besonders erinnere ich mich aber an einen Moment, bei dem ich auf einer Pilgerwanderung in dieser schönen Kirche eine Pause einlegte: die Sonne schien durch eines der Buntglasfenster und erleuchtete den Raum in wunderschönen Farben. Es war, als wollte mich Gott daran erinnern, wie gerne er warmes Licht und freundliche Farben in das Leben jedes Menschen bringen will. Innerlich gestärkt konnte ich meinen Pilgerweg fortsetzen. Ich finde es herrlich, dass wir so eine schöne Kirche im Zentrum Stadthagens haben – sie ist ein Zeichen der Gegenwart Gottes mitten unter uns!

Zu Eurem Jubiläum sende ich Euch im Namen der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Stadthagen ganz herzliche Grüße. Wir wissen uns mit Euch verbunden und wünschen Euch als Kirchengemeinde weiterhin Gottes reichen Segen – zum Wohl aller, die in Stadthagen wohnen. Matthias Kodoll Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde (Baptisten) Stadthagen

Eure Gemeinde füllt diesen Bau seit vielen Jahren mit Leben. Dabei engagiert Ihr Euch in vielen Bereichen auch des öffentlichen Lebens. Etliche Impulse gehen von Euch aus, von denen auch wir als Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde profitieren. Ein vielleicht etwas kurioses Beispiel: Der erste „Baptistengottesdienst“ in Stadthagen fand am 27. Januar 1946 im Konfirmandensaal der St.-Martini-Gemeinde statt. Seinerzeit entstand unsere Kirchengemeinde gerade erst und hatte noch kein eigenes Gebäude. So haben wir Eure bemerkenswerte Gastfreundschaft erfahren, die auch vor konfessionellen Unterschieden schon damals nicht Halt machte.

Ev.-Freikirche Stadthagen

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Grußwort von Joachim Schlichting Pastor der Kreuzgemeinde der Selbständigen Evangelischen-Lutherischen Kirche (SELK)

700 Jahre sind für eine Kirchengemeinde wahrlich eine lange Zeit. Da können wir nicht mithalten. Unsere Kreuzgemeinde der SELK wird – so Gott will – im übernächsten Jahr 100 Jahre bestehen. Oft werden wir gefragt: Wieso gibt es euch eigentlich als eigenständige lutherische Kirche neben der großen Schwester St. Martini in Stadthagen? Das ist eine lange Geschichte, pflege ich dann gern zu antworten. Wieviel Zeit haben Sie? Viel lieber würde ich mit Ihnen darüber reden, was uns verbindet. Das ist nämlich eine ganze Menge. Da ist an erster Stelle unser gemeinsamer Glaube an Jesus Christus als unsern Herrn und Erlöser zu nennen. Auf der Grundlage der lutherischen Bekenntnisse bezeugen und verkündigen wir gemeinsam, dass wir allein aus Gnaden um Jesu Christi willen mit Gott versöhnt sind und dem ewigen Leben entgegen gehen. Und so ähneln sich auch unsere Gottesdienste in weiten Teilen und auch das kirchliche Leben. Taufe, Konfirmation und Abendmahl feiern wir in gleicher Weise. Darüber hinaus teilen wir die Freude an der Kirchenmusik und sind an Themen interessiert, die das Leben der Kirche in unserer Welt betreffen. So fällt es uns auch leicht, miteinander ökumenisch auf dem Weg zu sein. Zusammen mit den anderen Konfessionen vor Ort hat sich da in den letzten Jahren ein sehr freundschaftliches und geschwisterliches Miteinander entwickelt. Die gemeinsamen Gottesdienste und Veranstaltungen haben zugenommen, und so stärken wir uns gegenseitig im Glauben und

in der Gemeinschaft, was in einem immer säkularer werdenden Umfeld zunehmend Bedeutung gewinnt. So freuen wir uns mit der St. Martini-Gemeinde über das besondere Fest, das sie in diesem Jahr feiert, und wünschen uns, dass wir weiterhin Seite an Seite miteinander auf dem Wege sind, der einmal in Gottes Herrlichkeit münden wird. Bleiben Sie Gott befohlen Joachim Schlichting Pastor der Kreuzgemeinde der Selbständigen Evangelischen-Lutherischen Kirche (SELK)

SELK

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Grußwort von Thomas G. Krage Pastor der Ev.-Reformierten Klosterkirche zu Stadthagen Die Evangelisch-Reformierte Kirche zu Stadthagen gratuliert der St.-Martini-Gemeinde ganz herzlich zum 700. Jubiläum. Seit dem Mittelalter gab es stets enge Beziehungen zwischen der Klosterkirche und St. Martini. Das Wirken der Franziskaner war damals eine große Bereicherung für die Stadt und bedeutete Religiosität, Bildung und Kultur. In der Folgezeit der Reformation entstand unsere Reformierte Gemeinde in den klösterlichen Räumen. Wir sind dankbar dafür, dass wir mit Ihnen in ökumenischer Geschwisterschaft verbunden sind und bleiben. Somit wünschen wir Ihnen weiterhin Gottes Segen und Geleit. Zu Seiner Ehre und zum Wohl der Menschen. Es grüßt Sie herzlich Thomas G. Krage Pastor der Ev.-Reformierten Klosterkirche zu Stadthagen

Ev.-Reformierte Klosterkirche

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1963: Unser Marie-Anna-Stift wurde neu gebaut Von Günter Heitmeyer

Es war schon ein besonderes Jahr 1963. Die damalige Bundesrepublik Deutschland erhielt ihren 2. Kanzler. Ludwig Erhard, der Mann des Wirtschaftswunders, löste Konrad Adenauer nach 14 Jahren im Kanzleramt ab. Die Ermordung Kennedys, damals Präsident der USA, erschütterte die Welt. Viele Hoffnungen waren mit dem Namen dieses Präsidenten verbunden. Das Wirken von Martin Luther King (,,1 have a dream...“) fällt in diese Zeit. Man hatte sich im Spannungsfeld OstWest eingeordnet und die Teilung Deutschlands notgedrungen akzeptiert und in diesem Punkte wenig Hoffnung auf Änderung, denn 1961 wurde die Mauer in Berlin gebaut.

war auch benachbart und alle waren zu Hause am Schulhof hinter der Kirche. Auch heute sind immer noch viele Schulen in diesem Zentrum aktiv, aber eine solch enge Verzahnung der Räumlichkeiten der St.-Martini-Kirche wie mit dem Gymnasium Stadthagen hat es nach 1963 nicht mehr gegeben. Die Not der Nachkriegsjahre war geprägt durch gegenseitige Hilfe. Viele Pastoren von St. Martini gaben damals Religionsunterricht im Gymnasium, ich z.B. hatte Religion bei Pastor Patzak.

Die Wirtschaftskraft erlaubte es, Neues zu entwickeln. Auch das kleine Stadthagen mauserte sich. Es wurden Veränderungen vorgenommen, die noch heute von großer Bedeutung sind.

Ob nun durch Zufall oder gegenseitig angeregte Baulust entstanden Anfang der 60er Jahre Neubauten sowohl des heutigen Ratsgymnasiums an der Büschingstraße als auch des Neubaus des heutigen Marie-Anna-Stiftes an gleicher Stelle wie das alte, das 1962 abgerissen wurde. Genauer: Gebäudeteil 4a) wurde 1962 abgerissen, 4b) renoviert.

Und wer wissen will, welche Bedeutung die einzelnen Gebäude 1961 hatten, nehme den Plan von Dr. Stracke, dem damaligen Leiter des Gymnasiums.

Schule in Stadthagen und St.-Martini-Kirchengemeinde waren Nachbarn über Jahrhunderte und hatten in der Nachkriegszeit eng zusammengearbeitet. Der Autor dieses Artikels ging zum Gymnasium Stadthagen bis zum Jahre 1959 und hatte in seiner Schulzeit mehrfach Unterricht im alten Marie-Anna-Stift gehabt, das am 04. Dezember 1900 eingeweiht wurde. Der Konfirmandenunterricht war Teil seines Stundenplans der Schule und fand in der 0. oder 1. Stunde statt, für ihn zwischen 1952 bis 1954. Die Volksschule (damals nur für Jungen)

Viele Daten darüber fand der Autor dieses Artikels in den Schulakten des Ratsgymnasiums, so, als wenn die Kirche zur Schule gehörte. Das ist sicherlich Dr. Stracke, dem damaligen Schulleiter, zu danken, der alles festhielt im Archiv der Schule. Aber man sollte auch Oberstudienrat Bernstorf erwähnen, der Schulleiter in der Nachkriegszeit am Gymnasium war und eine enge Verbindung zur

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St.-Martini-Kirche pflegte. Am Reformationstag z. B. war immer fast die ganze Schule vormittags zum Gottesdienst in der St.-Martini-Kirche. Ich bin alter Stadthäger, hier geboren, hier getauft, konfirmiert, zur Schule gegangen. In den alten Gebäuden verbrachte ich teilweise meine Kinder- und Jugendzeit, bin später im „neuen“ Ratsgymnasium als Lehrer tätig gewesen und nun im „Alter“ bei St. Martini freiwillig tätig. Wir waren als Kinder und Jugendliche nicht traurig über den schlechten Zustand von Schule und Konfirmandensaal, herrliche Möglichkeiten, die Tische im Konfirmandensaal leicht umstoßen zu können, es waren nur Holzplatten mit zwei Böcken unterlegt. Die Kleiderständer waren groß, frei verschiebbar und so konnten wir dem zu erwartenden Pastor oder Lehrer den Zutritt leicht erschweren. Ein Kohleofen verschaffte „innere Wärme“. Da der Konfirmandensaal so nahe bei der Stadt war, ergab sich leicht ein „gelegentliches“ Verschwinden zur Stadt. Dennoch ist aus vielen von uns noch etwas geworden und im Rückblick erscheint alles viel schöner.

Skizze Dr. Stracke

Wir feiern hier in Stadthagen nicht die neuen Gebäude von Kirche und Schule, sondern mit ihrer Herstellung den Beginn einer neuen Zeit, die sich immer schneller veränderte. Die Zahl „50“ der neuen Häuser zeigt, wie lange wir schon unsere Arbeit hier tun. Alles, was schon vorhanden ist, sehen wir nicht mehr. Aber jeder weiß, wie alles besser zu lösen wäre. Durch die neuen Technologien erleben wir täglich, wie die Welt „wirklich“ aussieht. Da bleibt gerade heute noch viel zu tun. Die Nachkriegszeit war aber 1963 vorbei, ,,Neues“ war gefragt.

1961 - 1: Gymnasium 2: Turnhalle des Gymnasiums 3: A lte Lateinschule, genannt „Alte Universität“, 1961: Jugendheim 4: Marie-Annastift (Teil 4a wurde im Juni 1962 abgerissen); 5: 2. Pfarre 6: früher Alte Töchterschule 7: früher Haus des Töchterlehrers (6 + 7: 1961 städtische Wohnungen) 8: Bürgerknabenschule mit 9: Baracke für Klassen 10: Städtische Turnhalle 11: Landsbergscher Hof mit Sonder-Hilfsschule 12: St.-Martini-Kirche 13: Mausoleum 14: Oberpfarre

Mit großem Interesse wurde der beginnende Neubau des Marie-Anna-Stiftes in der Öffentlichkeit verfolgt. Dazu werden hier Zeitungsartikel als Zeitdokumente vorgelegt. Sie zeigen uns, wie damals gedacht und geschrieben wurde. Jeder Leser kann sich selbst ein eigenes Bild machen.

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Zeitungsartikel zum Neubau Blick in die Vergangenheit

interessant, daß es erst jetzt gelang, im Keller des noch stehenden Teiles des Stiftes zum Schulplatz hin den Nachweis zu erbringen, daß der uralte Kern des Hauses noch erhalten ist. Die Bögen im Keller beweisen das einwandfrei. Außerdem kann man sich jetzt ein recht gutes Bild von der Begrenzung des alten Mädelschen Freihofes machen. Aber nicht nur Mauern wurden gefunden, sondern auch viele andere Dinge, die allerdings meist zur Zeit der Aufschüttung des Geländes dort versenkt wurden. Man weiß auch nicht genau, ob nicht irgendwo eine Jauchegrube lag, die später ebenfalls aufgefüllt wurde. Man hat schon Steinplatten gefunden, auch alte Knochen und einen Knopf in einer Tiefe von mehr als zwei Metern. Was die mit Ornamenten versehenen Steine aussagen, muß erst festgestellt werden.

Wo einst das Marie-Anna Stift stand, gähnt heute ein großes Loch in der Erde. Fast drei Meter ist es tief. Wenn man hinunterschaut, wundert man sich, daß auf einem solchen Boden überhaupt ein Haus hat stehen können. Ein gelber Schlamm ist der einzige Untergrund, und die Arbeiter haben oft Mühe, auf diesem Boden Halt zu finden. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird eine große Betonplatte den recht unsicheren Untergrund abdecken und das Fundament für das neue Haus darstellen. Bis dahin werden aber noch viele Wochen vergehen. Vorerst wird geschippt, gründlich deshalb, weil es erfreulicherweise Heimatforscher gibt, die überall unter alten Häusern Dinge vermuten, die Aufschluß über die Vergangenheit geben können. Da das Marie-Anna-Stift mit zu den ältesten Bauten unserer Stadt gehörte, war viele Wochen hindurch Staatsarchivdirektor Dr. Engel ein ständiger Gast am Bauplatz. Er verfolgte den Abbruch des alten Hauses, kontrollierte den Bagger, als er die Erde für die Baugrube aushob und schaltete sich ein, wenn die Männer etwas vermuteten, was nach einem Fund aussah. Dabei half ihm immer wieder Oberstudiendirektor Dr. Stracke, denn der jetzige Bauplatz ist ja auch mit dem alten Grundstück Gymnasiums irgendwie verbunden. Nicht nur, weil bei dem Ausheben der Baugrube eines Tages die ganze Begrenzungsmauer einstürzte. Mehr ging es um die Häuser, die dort vor vielen hundert Jahren standen und deren Mauern heute wieder gefunden wurden, Mauern, die niedrig aussehen, die aber einst die Höhe von weit über zwei Metern hatten. Nur stecken sie tief in der Erde und beweisen damit, daß das ganze Gelände, auf dem das Stift stand, etwa um 1750 aufgeschüttet wurde. Inzwischen wird weiter vermessen und es ist

Stadthäger Zeitung vom 4.8.1962

Marie-Annastift neu erstanden Neues Gemeindezentrum für die St.-Martini-Gemeinde STADTHAGEN {skh). Groß war die Zahl der Gäste, die sich am Mittwochnachmittag auf Einladung der evangelischen St.-Martini-Gemeinde zur Einweihung des umge­bauten Marie-Anna-Stifts eingefunden hatten. Nicht nur aus Stadthagen. sondern auch aus Bückeburg, Hagenburg und den um die Kreisstadt liegenden Landgemeinden waren sie. gekommen. Und alle waren begeistert von dem, was aus dem alten Marie-Anna-Stift neu erstanden ist. Die evangelische Kirchengemeinde kann stolz auf ihr neues Kirchenzentrum sein.

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Flügel des MariaAnna­stifts am Kirchhof kurz vor dem Abreißen des Hauses im Juni 1962.

Sammelpunkt für das christliche Zusammen­­ leben gewesen. Die Notwendig­keit eines solchen Heims habe sich recht bald erwiesen, da es den Zusammen­ künften aller kirchlichen Organisationen diente. Die ständig zunehmende Einwoh­ ner­­zahl der Kreisstadt ließ das Marie-Anna-Stift nach 1945 zu klein werden. Durch den jetzt vollzogenen Neubau haben auch die Gemeinde­ schwestern und die Mitarbeiter bessere Wohnungen be­kommen. Nach weiteren Liedern und einer biblischen Betrachtung der Jahres­losung durch Pastor Patzak kamen die Gäste zu Wort. Die Zahl der Gratulanten war groß, die anschließend der Kirchengemeinde ihre Glückwünsche darbrachten. Für die Stadt sprach Stadtdirektor Dr. Hippe und für den Landkreis Oberkreisdirektor Nendel. Beide überreichten Geldgeschenke. Auch von den übrigen Gratulanten wurden der Kirchengemeinde manche Aufmerksam­keiten zuteil. Mit dem gemeinsam gesungenen Lied „Ach bleib mit deiner Gnade“ fand die etwa zweistündige Feier ihren Abschluß. Bei der anschließen­ den Besichtigung konnten sich die Besucher von der Zweckmäßigkeit und der Schönheit der geschaffenen neuen Räumlichkeiten über­zeugen.

Die Feier wurde mit dem gemeinsam gesungenen Lied „Macht hoch die Tür“, einem Lied des Kirchenchors und der Schriftlesung durch Pastor Stolle einge­leitet. Architekt Karl Rinne stellte in seiner Ansprache bei der Schlüsselübergabe das Wort Schillers „Von der Stirne heiß, rinnen muß der Schweiß“ an den Anfang seiner Ausführungen. Bei der Erstellung des neu­ en Gebäudes, so führte er aus, sei von den Handwerkern viel Schweiß verloren worden. Schon bei den Erdarbeiten sei man auf große Schwierigkeiten gestoßen, die besondere Maßnahmen bei der Funda­ mentierung notwendig machten. Viel Mühe sei noch einmal in den letzten Wochen aufgewandt, um das Haus zum vorgesehenen Termin fertig zu stellen. 1961 sei ihm der Auftrag zum Bau eines neuen Gemeindezentrums erteilt worden. Nach Abbruch der alten Baulichkeiten konnte am 4. September 1962 der Grund­stein gelegt und am 26. November das Richt­fest begangen werden. Der neue Bau füge sich harmonisch den alten Baulichkeiten an. In seiner Festansprache ging Oberprediger Wolperding noch einmal auf die Geschichte des alten Marie-Anna-Stifts ein, das am gleichen Tage vor 63 Jahren eingeweiht werden konnte. In dieser langen Zeit sei das Haus immer der

Hannoversche Presse vom 6. Dezember 1963

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Stadthagen erhält neues „Marie-Anna-Stift“ niedergelegt und vermauert werden sollte. Die Urkunde ist wunderschön gestaltet, der Text ist sehr umfangreich und aufschlußreich, das Format ist sehr groß, und die Schrift ist von dem Verkehrsbüro-Inhaber Richard Dürigen graphisch sehr gut ausgeführt. Der Text sagt, weshalb der Neubau nötig war, daß im Januar 1961 der Neubau beschlossen wurde und, nachdem er vom Landeskirchenrat genehmigt war, nach dem Abbruch des alten Hauses im Mai Ende Juni mit den Kellerausschachtungs­arbeiten begonnen wurde. Er enthält ferner ein Verzeichnis aller gegenwärtig in der St.-Martini-Gemeinde tätigen Geistlichen und Kirchenangestellten, Kirchenvorsteher und Gemeindekirchenräten und nennt auch den Kostenpreis, zu dem der gesamte Neubau veranschlagt ist — er ist mit 470 000 DM veranschlagt, wovon 400 000 DM von der Landeskirche getragen werden (der Rest von 79 000 DM muß von der Inneren Mission und der St.-Martini-Gemeinde selbst aufgebracht werden!). Die Urkunde schließt mit dem Bibelwort „Einen andern Grund kann niemand legen außerdem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ (1. Kor. 3, 11). Zusammen mit einem Exemplar unseres „General-Anzeigers“, und zwar mit der Nr. vom 23. März 1962, in der die Bauzeichnungen des Neubaues abgebildet waren, wurden einige Blätter unseres Kirchenblattes „Gruß der Kirche“, ein Farbfoto vom alten Gebäude, das einen Tag vor dessen Abbruch Ende Juni vorn Kreisbildstellenleiter Kastning angefertigt wurde, und mehrere Kleinmünzen in eine Metallschatulle, wie sie bei Grundsteinlegungen üblich sind, gelegt. Klempnermeister Bredemeier verlötete die Schatulle eigenhändig, und der Oberprediger übergab sie dem Maurerpolier der Baufirma, der sie in die Nordostecke des Neubaukellers einmauerte, und zwar hoch oben im nördlichen Teil der Ostwand des Kellers. Wieder spricht der Oberprediger und schlägt namens des Vorstandes drei laute, kräftige Ham-

Es war, nachdem drei sehr warme und sonnige Spätsommertage vorangegangen waren, ein sehr trüber, regenverhangener Tag, als am 4. September sich ein Kreis von etwa 30 Gästen und 20 Arbeitern im Hof des „Marie- Anna- Stifts“ gegen 16.30 Uhr versammelte, um der feierlichen Grundsteinlegung des Neubaues des Marie-Anna-Stiftes beizuwohnen. Die Feier fand im kleinsten Kreise statt, Vertreter des Landeskirchenrats und der Stadt waren nicht anwesend. Es hatten sich u. a. eingefunden: Oberprediger Wolperding und Frau, Friedhofswärter Möller, Kirchenvogt Rook, Pastor Heller, Pastor Hinz, mehrere Kirchenvorsteher, eine Anzahl Gemeinde­ kirchenräte, Pastor $tolle, Vikar Buchmeier, die Schwestern Wally und Sophie der hiesigen Gemeindeschwester-Station, Organist Kerkmann, Klempner­ meister Bredemeier, Architekt K. F. Rinne und Architektin Frau U. Rinne, Oberstudiendirektor Dr. Stracke, ferner die am Bau beschäftigten 20 Maurer und Handwerker der mit der Bauausführung betrauten Baufirma. Nach dem gemeinsamen Gesang des Liedes „Lobe den Herren“ und dem Gebet des Oberpredigers hielt dieser in Anlehnung an ein Wort aus dem 1. Petrus-Brief „Zum Herrn seid ihr gekommen als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott ist er ausgewählt und köstlich. Und auch ihr, als die lebendigen Steine, bauet euch zum geistlichen Hause und zum heiligen Priestertum, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind durch Jesum Christum“ (Kap. 2, Vers 4 und 5) eine kurze Ansprache, stellte die Grundstein­legung des neuen Baues unter das Wort Gottes und hieß zu Anfang alle Anwesenden herzlich willkommen, indem er vor allem auch die am Bau beschäftigten Handwerker und Arbeiter, die bereits seit langem auf der Baustelle sehr schwer gearbeitet hätten, darunter auch die holländischen und italienischen Gast-Arbeiter herzlich begrüßte. Dann verlas der Oberprediger die Urkunde, die

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Marie-Anna-Stift heute

umsonst die daran bauen“ (Psalm 127. Vers 1). Oberprediger Wolperding sprach ein Gebet, er bat Gott den Herrn um seinen Schutz und Schirm - möge er die Bauarbeiter vor Unfällen bewahren! -, und dann wurde gemeinsam das Vaterunser gesprochen. Mit dem gemeinsamen Gesang der ersten beiden Strophen des Liedes „Nun danket alle Gott“ war die Feier eine halbe Stunde nach ihrem Beginn beendet. - Die Umgebung des „Grundsteins“ war mit Holzbrettern abgedeckt, und die provisorischen Holzgeländer waren mit bunten Blumen und grünen Papiergirlanden geschmückt. Acht Tage vorher, am 27. August, nachdem die Kellerausschachtungsarbeiten zwei Monate gedauert hatten, war mit der Errichtung des Neubaues begonnen worden: am Tage der „Grundsteinlegung“ waren bereits alle Außenund Innenwände des Kellers fertig.

merschläge auf den die Urkunde verdeckenden Backstein mit den Worten „Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“. Pastor Heller vom Landesverein für Innere Mission der Hannoverschen Landeskirche und Pastor Hinz als Vorsitzender des Landesvereins für Innere Mission in Schaumburg-Lippe verrichten das Gleiche: sie schlagen mit dem Hammer und sprechen dazu Worte der Bibel. Gemeindekirchenrat Bergmann a. D. Heinrich Dreier, schlägt dreimal zu und gibt dem Wunsche Ausdruck, daß von dieser Stätte dermaleinst Glaube, Liebe und Freude ausstrahlen möge in die Gemeinde hinein, und Gemeindekirchenrat Pöhler tut das Gleiche und sagt dabei das Bibelwort, das einst 1596 beim Um- und Neubau unseres Rathauses der Bildhauer Johann Robin hoch oben in den Aufsatz der Ausflucht am Ostgiebel in lateinischer Sprache einge­setzt hat „Wo der Herr nicht das Haus bauet, so arbeiten

Generalanzeiger 14.09.1962

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Das Jakob-Dammann-Haus – Kirche, Gemeindehaus und noch viel mehr

In den 1960er Jahren dehnte Stadthagen sich immer weiter nach Westen hin aus. Das Jakob-Dammann-Haus entstand als ein neues Gemeindezentrum mit Mittelpunktfunktion für den neuen Stadtteil.

4. Inhaber der Pfarrstelle wurde Pastor Hartmut Spier. Im Sommer 2001 begannen die grundlegenden Umbauarbeiten und die dadurch bedingte vorübergehende Unterbringung der Gottesdienstgemeinde in die benachbarte Grundschule Am Sonnenbrink für fast ein dreiviertel Jahr.

Ganz im Stil der ausgehenden 1960er Jahre erhielt das multifunktionale Gebäude eine Bühne an der Ostseite, die später als Altarraum diente. Hans-Karl Klingner war der erste Pastor der neu errichteten 4. Pfarrstelle. Am 15. Mai 1979 wurden in einem Gottesdienst die beiden neuen Glocken mit den Tonlagen cis und g von Landesbischof Maltusch geweiht. Pastor Klingner trat im Oktober 1990 in den Ruhestand.

Umbau Mit dem Umbau sollte die dringend erforderliche Sanierung des Gebäudes mit einer funktionalen Erweiterung verbunden werden. Ein heller Kirchenraum und ein anschließender Gemeinderaum sollten untergebracht werden, die durch das Öffnen einer Schiebewand einen erheblich vergrößerten Kirchenraum ergaben. Mit dieser Vorgabe wurde das Büro AAD mit dem Architekten Graf Norbert von Matuschka aus Bückeburg beauftragt, der das Gemeindehaus 1976 erbaut hatte.

Der zweite Pastor am Jakob-Dammann-Haus war Werner Hinz. In seiner Amtszeit wurde die Ausrichtung des Altarraum von Osten nach Westen geändert. Schon zu dieser Zeit entstanden Pläne zum Umbau des Gebäudes. Pastor Hinz verließ die Gemeinde im Frühjahr 1994, um einen Auslandspfarrdienst in Venezuela anzutreten.

Nach seinem Entwurf entstand mit den neuen Elementen der raumhohen Fenster, einer Empore und einem Altarbereich mit großer Fensteröffnung, in die ein Kreuz eingeschnitten wurde, ein lichter und heller Raum, der einen großen Gegensatz zu dem vormals sehr dunkeln Innenraum darstellt. Im Bauausschuss der Kirchengemeinde wurde unter Beteiligung der Landeskirche beschlossen, das Gebäude behindertengerecht umzubauen.

Danach wurde Pastor Dr. Ralph Meier mit der Verwaltung der Pfarrstelle beauftragt. In seine Zeit fällt auch die Einrichtung einer 5. Pfarrstelle, die ebenfalls den Tätigkeitsschwerpunkt am Jakob-Dammann-Haus finden sollte. 1998 wurde Pastor Dr. Ralph Meier an eine norwegische Hochschule berufen.

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Jakob-Dammann-Haus Vorderansicht Mit einem Festgottesdienst am 15. März 2002 wurde das Jakob-Dammann-Haus durch Landesbischof i. R. Jürgen Johannesdotter geweiht.

Gemeindeleben Das Jakob-Dammann-Haus ist ein Ort mit vielfältigem und aktivem Gemeindeleben. Natürlich wird sonntags Gottesdienst gefeiert. Die Räumlichkeiten nutzen z.B. Konfirmanden und Bastelkreis Dank des Multifunktionscharakters des Hauses für ihre Treffen. Regelmäßig finden Gemeindenachmittage statt. Viel Musik ist stets zu Gast im Jakob-Dammann-Haus: Chörchen, Posaunenchor, Brassband und der Blockflötenkreis halten hier ihre Übungsabende ab. Nach einem weiteren Umbau der Kellerräume 2018 wird das Jakob-Dammann-Haus Sitz des Jugendpfarramts der Landeskirche Schaumburg-Lippe werden, Popkantor Uli Meyer wird seinen Dienst antreten und noch mehr musikalische Impulse ins Haus bringen.

Jakob-Dammann-Haus Altarraum

Das Jakob-Dammann-Haus ist sehr lebendig! ■

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Die Toten gehören in die Gemeinschaft der Lebenden

2010 wurden im Zuge von Kanalbauarbeiten auf dem Kirchhof der St.-Martini-Kirche umfangreiche Ausgrabungen vorgenommen. Bis in die Gründungszeit der Stadt und der Kirche im frühen 13. Jh. gehen die archäologischen Zeugnisse zurück, die das Areal um die Kirche als wirklichen „Kirchhof“, nämlich einen Begräbnisplatz ausweisen.

er durch einen neuen Begräbnisplatz an der Seilerstraße ersetzt. Die meisten Verstorbenen in Stadthagen wurden um St. Martini begraben. Im Zuge der Bebauung um die Martinikirche herum, wurde das Friedhofsgelände im 16. und 17. Jh. an den Rändern verkleinert. Die an diesen Stellen neu errichteten Häuser stehen somit zum Teil noch auf den alten Gräbern und der heutige Kirchhof gibt den größten Teil des ersten St.-Martini-Friedhofs wieder.

Wem es von seiner gesellschaftlichen Stellung zukam, konnte sich sogar innerhalb der Kirche und möglichst nahe am Altar beisetzen lassen. Bei Kirchenführungen mit Kindern und Jugendlichen erlebe ich häufig, wenn ich davon erzähle, wie sich die Füße der jungen Besucher heben und versuchen jeglichen Bodenkontakt zu vermeiden.

Die meisten Verstorbenen in Stadthagen wurden um St. Martini begraben.

Um die Kirche herum, wie zu dieser Zeit üblich, fand die Allgemeinheit der Bewohner Stadthagens ihre letzte Ruhestätte. So war dies der erste St.-Martini-Friedhof in Stadthagen und wohl auch der wichtigste. Später im 15. Jahrhundert fanden Verstorbene ebenfalls eine Möglichkeit, sich auf dem Friedhof der Kirche des Franziskanerklosters beisetzen zu lassen. Die Reste dieser Klosterkirche dienen heute der Außenstelle der reformierten Gemeinde als Gottesdienstort.

Ab 1779 fanden dann aber endgültig um die St.-Martini-Kirche keine Beisetzungen mehr statt. Es gab einen neuen Friedhof der Gemeinde vor dem Westerntor, heute der kleine Park mit alten Grabsteinen neben der katholischen St. Josephs­ kirche. Einige bedeutende Bürger Stadthagens wurden hier beigesetzt, wie z. B. Christian Houpe, von dem 1784 der erste Stadtplan Stadthagens gezeichnet wurde. 118 Jahre hat dieser Friedhof bestanden und 1896 wurde schließlich der neue St.-Martini-Friedhof Hinter der Burg angelegt. Bis zum heutigen Tage finden hier die meisten Beisetzungen statt. Weiterhin ist die St.-Martini-

Ebenfalls um die Johanniskapelle an der Vornhäger Straße wurden Bestattungen durchgeführt. Jüdische Mitbürger konnten ab 1597 auf dem jüdischen Friedhof ihre letzte Ruhe finden. 1822 wurde

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Alter Friedhof vor dem Westertor

Kirchengemeinde die Betreiberin dieses Begräbnisareals am Rande der Kernstadt Stadthagens und in Sichtweite der St.-Martini-Kirche.

Friedhofsanekdoten

Zwar wurde 1978 von der Stadt Stadthagen ein eigener kommunaler Friedhof, der Friedhof ‚Kleine Eichen‘ an der Habichhorster Straße eingerichtet. 1996 betraute jedoch die Stadt die Kirchengemeinde St. Martini mit der Verwaltung auch dieses Friedhofs.

Als im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jh. aufgrund der wachsenden Industrialisierung in Schaumburg-Lippe der Kohlebergbau aufblühte, gab es unter anderem in Stadthagen etliche Steiger, die in den Bergbausiedlungen an der Enzer Straße, der Körsestraße oder auch im Villenviertel lebten. Auf dem Martini-Friedhof ließen sie sich durch die Betriebsmaurer des Georgs-Schachts ihre Begräbnisplätze zu ausgemauerten Räumen, sogenannten Grüften, für sich und ihre Familien ausbauen. Die modernen Friedhofsgesetze Ende des 20. Jh. erlaubten dann irgendwann nicht mehr die Belegung dieser Grabräume.

Die Pulle Schluck in der Gruft

So finden Menschen in Stadthagen von Anbeginn an, dort wo sie vielleicht geboren wurden, wo sie gelebt haben, wo sie Freud und Leid miteinander geteilt haben, auch dann, wenn sie gestorben sind, ihre letzte Ruhe mitten in der Gemeinschaft der Lebenden.

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Tor zum jüdischen Friedhof mit Davidsstern

Jüdischer Friedhof an der Seilerstraße

Jeder, der auf dem Friedhof arbeitete, war gespannt, ob die Geschichte wahr ist und ich muss gestehen, auch ich hätte es gerne gewusst.

Bei einer der ersten Beerdigungen als junger Pastor an St. Martini hörte ich von einigen dieser bestehenden Grüfte, die noch nicht anlässlich einer erneuten Beisetzung mit Sand und Erdreich verfüllt worden waren. Vor allem aber erfuhr ich von dem Gerücht, das unter den Mitarbeitern und Trägern kursierte.

Dann starb derjenige, der diese Geschichte angezettelt hatte. Die Beisetzung fand statt und die Gruft wurde verfüllt. Aber alle, die an der Beisetzung beteiligt waren, haben nicht verraten, ob die Flasche dort gestanden hat und ob sie von einer himmlischen oder eher sehr irdischen Skatrunde genossen wurde.

Eine dieser ehemaligen Steigerfamilien besaß unterhalb der Friedhofskapelle im Feld H eine solche Grabstelle die bei der Belegung in den 40/50iger Jahren komplett mit Ziegelsteinen ausgemauert vorgefunden wurde. Die Wände waren sehr schön mit blauer Farbe angestrichen. Der letzte männliche Nachkomme der Familie hatte nach dieser Beisetzung das legendäre Gerücht gestreut. In der Wandnische dieser Gruft sollte eine große Schnapsflasche mit Schöttlinger Kartoffelbrand für die Skatrunde im Himmel stehen.

Kaninchenjagd 1988 habe ich meinen Dienst in St. Martini angetreten. Vieles war noch anders als wir es heute kennen. Zu der Zeit wurden jeden Abend bei Einbruch der Dunkelheit alle Tore des Friedhofs abgeschlossen. Nachts konnte man also nicht über den Friedhof gehen.

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Auch musste ich lernen, dass Herr Witzel, der damals den Dienst an der Martinikirche versah, nicht einfach nur ein Küster war, wie an jeder popeligen Kirche irgendwo auf dieser Welt. Herr Witzel trug den Titel Kirchenvogt. Von ihm erzählte man sich folgende Geschichte. Johanniskapelle

Da der Martini-Friedhof ein geschütztes Areal war, hatte das auch Auswirkungen auf die dort heimische Tierwelt. So nahmen vor allem die Kaninchen an Zahl immer mehr zu. Oft beklagten sich daher die Grabnutzer, dass ihre Blumengestecke am nächsten Tag schon an- oder aufgefressen waren. Vom Oberprediger hatte daher der Kirchenvogt Witzel den Auftrag, die Kaninchen nächtens, wenn der Friedhof geschlossen war, zu bejagen. So befand sich dieser in einer kalten Winternacht als es heftig geschneit hatte um die Mitternacht auf dem Ansitz in der Friedhofskapelle. Er hatte das Fenster angelehnt, um gleich ohne große Geräusche zu machen, wenn er ein Kaninchen entdeckte, es erlegen zu können.

Kapelle Friedhof St. Martini Während er dort so stand, kamen zwei Zecher aus der Stadt, die einen Durchschlupf gefunden hatten, um ihren Weg nach Hause über den Friedhof abzukürzen. In der Ecke der Kapelle direkt neben dem Fenster, an dem drinnen Herr Witzel wartete, verweilten sie, um noch eine Zigarette zu rauchen. Plötzlich aber, als sie so nichtsahnend dort ihre Pause genossen, ertönte eine tiefe, gespenstische Stimme aus dem Inneren der Kapelle. „Jungs, wenn euch zu kalt ist, könnt ihr gerne zu mir hineinkommen.“ Am nächsten Morgen fand man an der Kapelle ein Feuerzeug, eine Packung Zigaretten und die Abdrücke von hastig in unterschiedliche Richtung sich entfernenden Schritten. ■

Kapelle auf dem St.-Martini-Friedhof mit der Martini-Kirche

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An der westlichen Außenwand der ehemaligen Trinitatis-Kapelle: Grabmal des Bürgermeisters Jobst Lüderßen von Arend Robin, datiert 1580.

Grabplatten und Grabdenkmäler an

Grabplatte mit Wappen eines springenden Steinbocks des Conradus de Winningehusen, ohne Jahreszahl. Bruchstücke einer Renaissance-Grabplatte, gefunden bei Abbrucharbeiten an der südöstlichen Kirchentür 1973: männliche Figur und stark verkleinerte weibliche Gestalt, vermutlich Vater und Tochter. Aus der verwitterten Inschrift geht er Name des Mädchens hervor: Catharina Scho(n?)henne 1625 bis 1636. Zu Füßen der Figur eine weitere Inschrift, von der nur noch „Herboldus“ erkennbar ist.


Renaissance-Grabmal des „Burgkhard“ (Inschrift) von Zerssen und seiner Ehefrau, mit Zerssen´schen Wappen – dem Kesselhaken. Von Zerssen lebte in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Grabplatte der als Wickelkind dargestellten Anna Catarina Barckhausen, lt. Inschrift verstorben 23. September 1710.

der Außenwand der St.-Martini-Kirche

Grabplatte mit Schlüssel im Wappen, datiert 1376, wahrscheinlich Johan Slutere (Schlüter), 1358-1374 im Obernkirchener Urkundenbuch als Stadtrichter bezeugt.

Kleiner Epithaph, aus zwei Teilen zusammengesetzt, links der Stifter: Johan Dufen-datke, mit Vogel (Taube?) im Wappen, datiert 1433, rechter Teil: Kreuzigung mit Johannes und den drei Frauen am Kreuz. Der linke Teil der Grabplatte befindet sich heute im Foyer des Marie-Anna-Stifts. Der rechte Teil mit der Kreuzigungsszene ist im Altarraum hinter dem Taufbecken.

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St. Martini ist voll Musik

Werke wie die Matthäus-Passion von J. S. Bach zusammen mit dem Loccumer Chor aufgeführt. Kruse bereiste als Kreiskirchenchorwart seine Gemeinden, um vor der Dienstagsprobe in Stadthagen beim Oberprediger Wolperding und später bei Hartens zu Abend zu essen. Nach der Probe ging es gemeinsam in die Eisdiele, was verdeutlicht, wie wichtig die menschlichen Verbindungen waren. Das belegen auch die regelmäßigen Chor-Ausflüge.

St.-Martini-Kantorei Stadthagen Lobgesang und Gemeinschaft Gemeinsames Singen vermag eine eigene besondere Form von Gottesdienst zu sein, ganz im Sinne Martin Luthers. Dieses Selbstverständnis gilt auch für die Kantorei der St.-Martini-Kirche in Stadthagen neben der Pflege des musikalischen Kulturguts und der Geselligkeit.

1974 wurde mit dem jungen Gerald A. Manig die erste eigenständige Kantorenstelle in Stadthagen besetzt. Manig sollte dieser Aufgabe 32 Jahre treu bleiben, in denen er musikalisch ambitioniert auch jüngere Chormitglieder für seine Gestaltungsvorstellungen begeistern konnte. Neben den regelmäßigen Kantatengottesdiensten wurde nahezu das gesamte klassische Oratorienrepertoire einstudiert, an das nur exemplarisch erinnert werden kann. Das „Weihnachtsoratorium“ von J. S. Bach durchzieht wie ein roter Faden die Chorprogramme. Die Oratorien von F. Mendelssohn Bartholdy „Elias“ und „Paulus“ waren und sind Meilensteine wie die „Messa da Requiem“ von G. Verdi. „Die Schöpfung“ von J. Haydn umrahmte die Feiern zum 60. und 75. Chorjubiläum. Ein herausragender Höhepunkt und gigantisches Unternehmen war die Monumentalmusik „Baroque XXL“ 2003, mit 200 Mitwirkenden aus acht Ensembles. Die Kantorei wurde dabei u.a. unterstützt von den Sankt Nikolai Chören Flensburg und Kiel. Die verlässliche Zusammenarbeit mit den Partnerchören zunächst aus Wildeshausen und später aus Kiel unter der Leitung von Rainer-Mi-

Der Chor blickt bereits auf eine beachtliche Tradition zurück. 1932 wurde der Kirchenchor gegründet. Der erste Chorleiter war Organist Friedrich Schulte, dem Pastor Becker und Pastor Quantz folgten. Als Vorläufer gab es schon seit 1889 einen kirchlichen Gesangverein zu Stadthagen mit auffallend strikten Statuten. Nach dem Krieg übernahm die Klavierlehrerin ‚Fräulein Karstens’ die Leitung, bevor die Kirchenmusikdirektoren Götz Wiese und Günther Kruse aus Loccum diese Aufgabe in Absprache mit der Hannoverschen Landeskirche erfüllten. Aus dieser Zeit weiß Günther Harten (94), mit 49 Jahren wohl der am längsten aktive Sänger, noch viele unterhaltsame Anekdoten zu berichten. Im alten Gebäude des Marie-Anna-Stiftes schwitzten die Bässe im Winter am Bullerofen, während die Damen am anderen Ende kalte Füße bekamen. Dafür strickten sie jedoch fleißig beim Singen unter ‚Fräulein Karstens’. In der 17-jährigen Ära Kruse wurden bedeutende

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Alle Jahre wieder gestalten St.-Martini-Kantorei, Vokalensemble und der Jugendchor an St. Martini ein Weihnachtskonzert.

ist das ein hohes Gut: „Mich beeindruckt sehr das Engagement der Sängerinnen und Sänger, die ihre Fähigkeiten, ihre Zeit und mit ihrer Stimme ja auch ihre Persönlichkeit in die Aufführungen musikalischer Meisterwerke einbringen, die im Zusammenspiel von Profis und Laien geschehen. Damit stellen wir uns in eine große Tradition, deren Bewahrung mir sehr am Herzen liegt. Denn wo sonst könnte man immer wieder kostbare Bibelworte so unmittelbar bei sich selbst verankern, großartige theologische Deutungen erfahren und einfühlsam Lob und Klage, Trost und Zuversicht zum Ausdruck bringen als im Einstudieren und Darbieten der kleinen und großen Werke der Kirchenmusik.“

chael Munz erwies sich als äußerst fruchtbar und führte auch zu dauerhaften freundschaftlichen Beziehungen. Mit einem Konzert unter dem Motto „Les Adieux“, bei dem mit Antonín Dvořáks Messe D-Dur an seine Anfänge erinnert wurde, verabschiedete sich Manig 2006 von Stadthagen. Die nahtlose Fortsetzung der Chorarbeit gewährleistet seit der Neubesetzung des Amtes Kirchenmusiker Christian Richter, der zuvor in Nidda tätig war. Die Kantate zur Amtseinführung „Alles, was ihr tut“ von D. Buxtehude mag programmatisch für seine Arbeit in der Gemeinde stehen. Die Neubelebung bereits aufgeführter Werke bedeutet einen Schwerpunkt, aber auch bisher noch nicht aufgeführte Werke wie das „Stabat Mater“ von A. Dvořák, L. Spohrs Oratorium „Die letzten Dinge“ oder das Weihnachtoratorium von H. v. Herzogenberg bereichern das Repertoire der Kantorei. Auch an der inzwischen etablierten „PfingstMusikNacht“, in der alte und neue Musik zusammenkommt, beteiligte sich die Kantorei bereits mehrfach, so z.B. zum 10jährigen Orgeljubiläum mit Chorimprovisationen oder bei „Mozart & Jazz“ 2015.

Die Kantorei ist offen auch für jüngere Sängerinnen und Sänger, ohne die die Kontinuität des „gesanglichen Gottesdienstes“ nicht gewährleistet ist. Deshalb freut sie sich, wenn der Jugendchor und die Kinderchöre an St. Martini z.B. beim Weihnachtsoratorium mitsingen. Und sie lädt auch immer wieder zu Schnupperproben ein, um Interessierte zu ermutigen und hoffentlich zu begeistern für eine Gemeinschaft, die viel an Bereicherung zu bieten hat, geistlich, musikalisch und menschlich.

Aktuell treffen sich ca. 55 Chormitglieder jeden Dienstagabend zur Probe. Für Christian Richter

Von Renate Jeschke

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Jugendchor an Sankt Martini …

…das ist…

…Spaß…

aft…

…Gemeinsch

…intensives Singen…

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…jahrelanges Mitmachen…

…Blödsin

n…

en… …bleibende Erinnerung

…Freude…

…und noch viel mehr… 101


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„Gegen den Strom“ – ein Kinderchor­ musical über den Hl. Martin

Musicals an St. Martini Die Musicals an Sankt Martini begleiten mich quasi seit ich denken kann. 2006 war ich als Känguru bei „Nach uns die Sintflut“ dabei und seitdem Teil der Kinder- und Jugendchöre. Ich erinnere mich noch daran, wie wir damals alle gemeinsam in unseren Tierkostümen durch den Mittelgang der Kirche einzogen. Meine ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, nicht über meine übergroßen Känguru-Füße aus gepolsterten Strumpfhosen zu stolpern. Seit diesem ersten Auftritt hat sich vieles verändert, sowohl bei den Musicals, als auch in den Chören an sich. Kostüme sind aufwändiger geworden, Rollen anspruchsvoller, Freizeiten reicher an Aktivitäten und in den Chören sind Mitglieder gegangen und neue dazu gekommen. Aber im Grunde ist auch vieles gleich geblieben. Bei jeder Musicalfreizeit läuft am Samstagnachmittag eine Horde ausgelassener Kinder und Jugendlicher laut singend von der Jugendherberge in Mardorf zur Weißen Düne. Aus vollem Herzen werden „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ und ähnliche Klassiker mit möglichst vielen selbsterdachten Strophen gesungen. Und danach gibt es Kakao und

Kekse und es geht weiter mit der nächsten Probe. Das wird durch Christian, Stefan und Sibyll ermöglicht, dass Jahr für Jahr gemeinsam mit vielen Helfern die Musicals auf die Beine gestellt werden. Die Freizeiten sind, zusammen mit den Aufführungen, das Highlight eines jeden Jahres als Kinderchorsänger. Dort kann man allen zeigen, was man gelernt hat, wie man sich seit dem letzten Jahr verbessert hat und erntet den wohlverdienten Applaus für die vielen Proben. Aber auch ohne diese Anerkennung sind die Freizeiten eine ganz besondere Zeit. Ich habe sie sowohl als Teilnehmer, als auch als Betreuer miterlebt und mich jedes Jahr wieder aufs Neue darauf gefreut. Zweieinhalb sehr anstrengende Tage, die es aber absolut wert sind. Es gibt viel Musik, viel zu Lachen und zu Erzählen, also alles, was eine gute Zeit so ausmacht. Und so hoffe ich, dass auch weiterhin viele kleine Kängurus im Chor singen, durch den Mittelgang hüpfen und ihre Zeit mit Spaß im Chor verbringen. Vielleicht nicht mit ausgestopften Strumpfhosen an den Füßen, aber mit ganz viel Freude im Herzen. Von Svenja Hitzemann

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Theologisch brachte die Reformation einen tiefgreifenden Wandel, der bis heute seine Spuren in der Gesellschaft zeigt. Denn durch die Bibelübersetzung verstanden die Menschen endlich was gemeint war mit dem „so spricht der Herr der dich geschaffen hat“6 und konnten nun eher im Bild des gnädigen Gottes die „feste Burg“7 erkennen, die uns Gott ist.

700 Jahre St. Martini Was für ein großartiges Jubiläum! „Halleluja“1! „Jauchzet, frohlocket!2“

700 Jahre. Was für eine Zeitspanne! Wandern die Gedanken durch diese sieben Jahrhunderte, so hängen sie an manch einem historischen Ereignis. Gleich zu Beginn die Pestepidemie, die Europa veränderte. Unweigerlich schaudert es uns bei dem Gedanken an die, „die vom Schatten des Todes umgeben waren“3. Doch „das Jahr bleibt niemals stehen, wandert fort wandert weit.“4 Und andere Zeiten brachen an. Für manch einen war es vielleicht ein Aufatmen, das Gefühl, dass „die helle Sonn leucht` jetzt herfür“5.

Doch wieder „kommt die Nacht, die Finsternis fällt ein“8, diesmal in Gestalt des Dreißigjährigen Krieges. So manch einer wird damals ersehnt haben, was wir heute im „Shalom aleichem“9 oder „geef vrede, Herr, geef vrede“10 zum Ausdruck bringen. Und hoffentlich hat der Glaube damals „Trost und süßes Hoffen“11 gebracht. Mit der Romantik kam eine Periode des inneren Rückzugs, des „stille zu Gott“12 aber auch der Hinwendung zur Schöpfung. Man erfreute sich an den

Die Seniorenkantorei trifft sich zur Chorprobe immer dienstags von 10.15 bis 11.30 Uhr im Marie-Anna-Stift (Am Kirchhof 4).

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700J A H R E „Blaubeeren am Rain“13 und gab sich hin dem „holden(r) Frühling mit Sang und Schall“14.

❧ 1 Dir will ich singen ewiglich (G.F. Händel) 2 Weihnachtsoratorium (J. S. Bach) 3 Dem in der Finsternis wandelnden Volke (Grell) 4 Wenn die wilden Winde stürmen (C. Zeuch) 5 Die helle Sonn´ leucht jetzt herfür (M. Vulpius) 6 So spricht der Herr, der dich geschaffen hat (J. M. Michel) 7 Ein feste Burg ist unser Gott (M. Luther) 8 Bleib bei mir, Herr (W. Monk) 9 Shalom aleichem (israelisches Volkslied) 10 „Geef vrede, Herr, geef vrede“(J. Noter) 11 Oh du mein Trost (J. W. Franck) 12 Meine Seel´ ist stille zu Gott (M. Hauptmann) 13 Uti vår hage (schwedische Volksweise) 14 So sei gegrüßt viel tausendmal (Hoffmann v. Fallersleben/Schumann) 15 16. Jahrhundert 16 Gott mit mir auf allen Wegen (G. W. Fink) 17 Wagt euch zu den Ufern (G. Linßen) 18 Mache dich auf, werde Licht (D. Golombek) 19 Aufstehen auf einander zugehen (P. Schulz, J. Piek, C. Bittlinger) 20 Mein Gott welche Freude (Spiritual) 21 Kanon (U. Führe) 22 Wir wollen alle fröhlich sein (Hohenfurt / Böhmen) 23 Schaffe in mir, Gott, ein reines Herze (C. Loewe) 24 Kanon auf einen Vers von Wilhelm Busch (Wilhelm Keller) 25 So sei gegrüßt viel tausendmal (Hoffmann v. Fallersleben/Schumann)

Das 20. Jahrhundert dämmerte und „vergangen ist der helle Tag, die Nacht umhüllt uns wieder“15. Unvorstellbares Leid brachten zwei Weltkriege. Wie konnte es schließlich gelingen, „dass sich Streit in Frieden wend`“16? Vielleicht weil es zu allen Zeiten Menschen gegeben hat, die nicht nur aufgefordert haben: „stellt euch gegen den Strom“17, „werde(t) Licht!“18 sondern die es gewagt haben. Die „aufstehen, auf einander zugehen“19. „Mein Gott welche Freude!“20, dass es diese Menschen gibt. Und ein ganz kleines bisschen davon ist es auch, was wir schon seit 10 Jahren in der Seniorenkantorei tun. Ja, „Singen macht Spaß und Singen tut gut“21, aber ebenso wichtig ist die Gemeinschaft. „Wir wollen alle fröhlich sein“22 und unsere Zeit miteinander genießen. Das fällt leicht, wenn einen ein Kantor wie unser Christian Richter „mit s(d) einer Hilfe und mit freudigem Geist“23 sowie mit feinem Humor anleitet. „Und stimmt auch grad nicht jeder Ton“24, Herr Richter nimmt es mit geduldiger Gelassenheit. Ist die Chor-Zeit dann am Dienstagvormittag um 11.30 Uhr vorbei, trennen wir uns mit einem Lied, das Herr Grüne, ein Sänger aus unserer Mitte, uns geschenkt hat. Und mit diesem Lied, wollen wir uns von Ihnen, lieber Leser, verabschieden. „Sei gegrüßt viel tausendmal“25! Eine kleine Anmerkung noch zum Schluss: Die oben genannten Liedzitate sind gnadenlos aus dem Zusammenhang gerissen. Sie passen weder zu Zeit noch Ort. Dessen sind wir uns bewusst. Aber sie zeigen unsere Bandbreite und sie verdeutlichen, wie Musik und Texte sich in unsere Seelen einschleichen und uns begleiten… passend oder unpassend aber fast immer hilfreich, ermunternd, tröstend oder belebend. Von Stephanie Südmeyer

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Singende Kirche – Mitglieder der KinderchÜre und des Jugendchors an St. Martini Januar 2018

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Blockflötenensemble im Jakob-Dammann-Haus

Das „BlockflötenEnsemble Stadthagen“ Frei agierende Musikgruppe in St. Martini Das „Blockflöten-Ensemble Stadthagen“ besteht seit der Jahrtausendwende und hat sich im Lauf der Jahre immer wieder verändert. Zurzeit sind wir nur noch ein Quartett, teils auch mit Gitarrenbegleitung. Die Spielerinnen können nach Bedarf flexibel auf andere Stimmlagen zwischen Sopran, Alt, Tenor und Bass wechseln. Als meine Frau und ich in der Endphase langjähriger Arbeit „Kinder musizieren für Kinder“ aus „schlafenden Blockflöten“ eine Ensemblegruppe ins Leben riefen, ahnten wir noch nicht, dass daraus einmal eine verlässliche freie Gruppe innerhalb kirchlicher Aktivitäten werden konnte. Hilfreich war für uns der im Jakob-Dammann-Haus angebotene Übungsraum. In den ersten Jahren des Ensembles konnten noch fortgeschrittene Blockflötenschüler/innen in das Musizieren eingebunden werden. Regelmäßige Probenarbeit verkraftete die zeitweilig vorkommenden Mitgliederwechsel und konnte sogar die Spielbegeisterung aufrechterhalten.

Für die geplanten Einsätze in Gottesdiensten, Kapellenandachten, Marktmusiken und Kreisaltenheim-Musizierstunden konnte ein breit gefächertes Repertoire quer durch alle Musikepochen von der Renaissance bis zu zeitgenössischen Kompositionen, teils Eigenarrangements, erarbeitet und zur Aufführung gebracht werden. Von Choralbearbeitungen über kleine Suiten bis hin zu Tänzen und Liedern aus verschiedenen Völkern, Jazzstücken und Programm-Musik entwickelte das Ensemble große Spielfreude, die sich oft auf die Zuhörer übertrug. Besondere Begegnungen sind noch in Erinnerung: Zu einer WochenschlussAndacht in der St. Johanniskapelle erschien überraschend eine große Pilgergruppe, die spontan über die ganze Andacht blieb und im Anschluss noch das Gespräch suchte. Die Resonanz auf unsere Programme ermutigte, zeitweilig gezielt um Spenden für wohltätige Zwecke, wie auch für die Kirchenmusik in St. Martini zu bitten. Für unsere Programmgestaltung ist uns wichtig, Wort und Musik im Zusammenhang zu sehen und zu betonen. Ein Grund, warum wir so gern in sakralen Räumen spielen, mag unter anderem auch der stille Blick auf den Altar, das Kreuz sein; der Gekreuzigte und Auferstandene als Schöpfer und Urgrund unserer Begabung und Musizierfreude. Von Heidi und Walter Grüne

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St. Martini Brass Band Die Anfänge gehen zurück auf das Jahr 2000, sie lassen sich sogar auf den Tag genau datieren. Am 24.09.2000 besuchte das Ehepaar Mensching das Konzert einer englischen Brass Band im Brückentorsaal in Rinteln. Dieses bis dahin nicht gekannte Hörerlebnis entfachte im Hause Mensching Leidenschaft für diese spezifische englische Blasmusik. Der Wunsch war geboren, so eine Band selbst zu gründen. Parallel zum Aufbau des Orchesters bemühte sich Michael Mensching in England um Originalliteratur für Brass Bands. Brass heißt übersetzt Blech und beschreibt eine reine Blechbläserformation mit ursprünglich 25 Instrumenten plus symphonischem Schlagwerk. Die Besonderheit (und Schwierigkeit) liegt in der Tatsache, dass jedes Instrument solistisch besetzt ist.

Die dafür notwendigen Bläser fanden sich zunächst im Posaunenchor Stadthagen und in der näheren Umgebung. Ein Prozess des Umdenkens und Umlernens wurde initiiert, denn eine Brass Band ist kein Posaunenchor! Die Notation, die Inhalte und die Instrumentierung mit Althörnern, Kornetten und Euphonien machen den Unterschied, allein Posaunen und Tuben werden in beiden Orchesterformen eingesetzt. Auch gehört ein Schlagwerk nicht traditionell zum Posaunenchor. Nach vielen Jahren des Übens wagte die inzwischen auf spielfähige Besetzung angewachsene Band im Januar 2009 ein erstes Vorspiel im Jakob-Dammann-Haus. Bei dem Folgekonzert zeigte sich, dass dort für die zunehmende Anhängerschar zu wenig Raum war. Seitdem konzertiert die Brass Band in unregelmäßigen Abständen hauptsächlich in der St.-Martini-Kirche, zum Teil gemeinsam mit Chören und anderen Orchestern.

Brass Band

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Großer Beliebtheit erfreut sich das jedes Jahr stattfindende Weihnachtskonzert am 27.12. um 19 Uhr. Dieser Tag ist bei den mittlerweile studierenden bzw. nicht mehr in Schaumburg daueransässigen Musikern eine feste Größe im Terminkalender. (Kleine Bemerkung am Rande: Am 27.12.2009 fand der obligatorische 10-Uhr-Sonntagsgottesdienst nicht statt. Mit englischer Weihnachtsliteratur für Brass Bands ausgestattet, sprang die Brass Band damals gern in die Bresche.)

Posaunenchor St. Martini Stadthagen „Lobet ihn mit Posaunen“ Den Appell des Psalms 150 hat sich im 19. Jahrhundert der protestantische Pastor Johannes Kuhlo zu eigen gemacht. Sein Engagement begründete die evangelische Posaunenchorbewegung. Mehr als 100.000 Mitglieder blasen heute auf Trompeten, Hörnern, Tuben und natürlich den namengebenden Posaunen in etwa 7000 Posaunenchören in den evangelischen Kirchen Deutschlands. Diese Bläsertradition ist weltweit einmalig. Der leitende Obmann des Evangelischen Posaunendienstes Rolf Bareis betont: ´Die Posaunenchöre machen Kirche hörbar.´ Seit 2016 sind diese christlichen Bläserformationen als immaterielles Kulturerbe anerkannt und jede Bläserin und jeder Bläser trägt dazu bei, diese verbindende Tradition zu erhalten und weiter zu geben.

Die St. Martini Brass Band ist bei ihrer Finanzierung auf Spenden angewiesen, um neue Originalliteratur sowie Instrumente anschaffen zu können. Zur Fortbildung fahren einige Musiker regelmäßig zum „Sauerland Herbst“ nach Bad Fredeburg. Dort findet in der Musikakademie jährlich ein Brass Band Workshop unter englischer Leitung von Sir Nigel Boddice, einem der renommiertesten Brass Band Ausbilder, statt. Weitere Anregungen holen sich Musiker bei den Deutschen Brass Band Meisterschaften in Bad Kissingen (Ja, so etwas gibt es nicht nur in England!). Eine Gelegenheit zur intensiven Probenarbeit für alle Mitglieder der Stadthäger Brass Band bietet die jährliche Freizeit in Bösingfeld.

Seit 1951 besteht auch in unserer St.-MartiniKirchengemeinde ein Posaunenchor. Als er beim Erntedankgottesdient am 30. September in Dienst gestellt wurde, umfasste er 14 Mitglieder. Heute sind rund 30 Bläserinnen und Bläser dabei: Die Jüngsten quälen sich noch mit der Zahnspange herum, bei anderen klappert bereits das Gebiss.

Die Brass Band Proben sind geprägt von der Hartnäckigkeit, Geduld und Gelassenheit von Michael Mensching. Ihm gelingt es, seine Begeisterung für Musik, insbesondere für die Brass Band Musik auf die Musikerinnen und Musiker zu übertragen. Sie lassen sich gern fordern und an die durchweg schwierigen Stücke heranführen.

Dem Posaunenchorleiter Michael Mensching gelingt es, die unterschiedlichen Begabungen und Fähigkeiten der Bläser zu einem einheitlichen Klangkörper zu verbinden. Mit Geduld und Durchsetzungsvermögen prägt er seit Jahren die Bläserarbeit der Evangelischen Kirchengemeinde und fördert konsequent die musikalische Weiterentwicklung des Posaunenchores. Über die traditionelle Posaunenchorliteratur in Form von Chorälen hinaus, fordert er die Bläserinnen und Bläser mit zeitgenössischen Musikstücken aller Stilrichtungen heraus.

Wie im Posaunenchor ist in der Brass Band die Gemeinschaft das tragende Element. In der Brass Band vereinen sich semiprofessionelle Bläser und begabte Spätanfängern zu einem einzigartigen Klangkörper. Von Christina Beck, Karin Mensching und Annette Menzemer

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Der Posaunenchor übt einmal pro Woche.

Besonders am Herzen liegt dem Leiter Michael Mensching die Nachwuchsarbeit. Er wirbt und fördert junge Bläser und bildet zunehmend auch ältere Anfänger aus.

Immer wieder mittwochs werden Notentaschen ins Jakob-Dammann-Haus geschleppt, Stühle in Position gerückt und Instrumentenkoffer geöffnet. Jeder, der auf seinem Instrument die Tonleitern beherrscht, ist eingeladen, mit zu musizieren. Jeder Übungsabend beginnt mit Vierteln, Achteln und Triolen, die C-Tonleiter rauf- und runter. ´Bleib bei uns Herr´, ein Abendchoral aus dem Evangelischen Kirchengesangbuch, beschließt traditionell jeden Übungsabend nach dem gemeinsam gesprochenen Vaterunser.

Gemeinsame Fahrten zu Kirchentagen und zu Landesposaunenfesten, musikalischer Austausch mit anderen Posaunenchören, jährliche Freizeiten und das Mitwirken in den Gottesdiensten halten die Zusammengehörigkeit der Stadthäger Bläser lebendig. Die Kuhlo´sche Beschreibung des Posaunenchores als ´mobile Allwetterorgel´ erfüllt sich regelmäßig beim Musizieren unter freiem Himmel, sei es Pfingstmontag, Himmelfahrt oder am Heiligen Abend kurz vor Mitternacht auf dem Marktplatz.

Die Posaunenchorbläser verbindet ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Jede Bläserin und jeder Bläser kann in Posaunenchören Anschluss finden. Eine Gemeinschaft, die Generationen verbindet, Differenzen überbrückt und Freude spendet.

Von Christina Beck und Annette Menzemer

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Das Vokalensemble Stadthagen Musikalische Teamplayer zwischen Jazz, Romantik und Frühbarock Ein ganz besonderes Highlight für uns stellte allerdings sicherlich unsere Arbeit im Bereich Chortheater dar. Unter der Leitung des Dramaturgen Jaap Knevel erarbeiteten wir im Rahmen mehrerer Workshops in Stadthagen, Loccum und auf Burg Sternberg zunächst ein Passionsprogramm und brachten es szenisch zur Aufführung. In einem zweiten Konzert im Jahr 2013 standen Vertonungen des Hohelied Salomonis im Mittelpunkt. Die erotisch-bildhafte Sprache der Stücke vom 15. bis 20. Jahrhundert wurden dabei von uns musikalisch und schauspielerisch interpretiert und umgesetzt. Die intensive Auseinandersetzung mit Form und Inhalt der Stücke und vor allem die gemeinsame Reflexion über die eigenen Einstellungen zu Musik und Text bleiben für alle Mitwirkende eine einzigartige Erinnerung.

„Singen Sie doch ruhig etwas lauter … auch wenn ich so dünn bin.“ Diese merkwürdige Anweisung erhielten die Sängerinnen und Sänger des Vokalensembles im Herbst 2005 von einem freundlichen jungen Mann. Es ging um die Nachfolge des bisherigen Kantors Gerald Manig, und die Bewerber für die attraktive Kirchenmusikerstelle standen in Stadthagen Schlange. Die großherzige und sympathische Art des Bewerbers aus Nidda überzeugte die Stadthäger. Mit diesem Christian Richter konnten wir uns eine Zusammenarbeit gut vorstellen. „Den nehmen wir“, war sich eine Sängerin aus dem Vokalensemble sicher. „Und – wenn wir den erstmal hier haben, kriegen wir den auch noch dicker.“ Wenn sich der genannte Bewerber, der seit 2006 das Amt des Kantors und damit auch des Leiters des Vokalensembles innehat, hinsichtlich der Gewichtszunahme auch als eine glatte Enttäuschung entpuppt hat, so haben sich unsere musikalische Erwartungen in diesen Jahren doch mehr als erfüllt.

Die Entwicklung des Vokalensembles ist angesichts seiner bescheidenen Anfänge atemberaubend. In den ersten Jahren nach der Gründung 1975 gab es noch kein Vorsingen und mehrere Jahre nur einen Tenor. Unter der Leitung des ersten hauptamtlichen Kirchenmusikers an unserer St.-Martini-Kirche, Gerald A. Manig, wuchs das Vokalensemble schnell auf eine stattliche Größe heran. Bereits 1980 traute man sich die Matthäuspassion von Bach zu. In der Folgezeit gewann das Vokalensemble bei niedersächsischen sowie bundesweiten Wettbewerben Preise. Unter Manig fanden auch zahlreiche Konzertreisen statt, etwa in die Sowjetunion (1990), nach Südafrika (1997), in die USA (1999) sowie zwischen 1987 und 1998 insgesamt viermal nach Israel. Auf den Reisen nach Israel musizierte das Vokalensemble auch in einem jüdischen Seniorenheim vor Shoah-Überlebenden, die das erste Mal seit ihrer Ankunft in Israel wieder Worte in deutscher Sprache aus dem Mund der Sängerinnen und Sänger hörten. Zuletzt

Hinsichtlich der Musikstile präsentiert sich das Vokalensemble Stadthagen unter Christians Leitung mit breit aufgestellten Programm. Da sind Oratorienaufführungen in Zusammenarbeit mit den Sängerinnen und Sängern der St.-MartiniKantorei und anderen Chören zu nennen, etwa der Elias von Mendelssohn und die Marienvesper von Monteverdi. Nach wie vor steht das Vokalensemble aber auch auf eigenen musikalischen Beinen. Dabei erinnern wir uns besonders gerne an Konzerte mit exquisiten Instrumentalisten und Solisten, etwa bei der Aufführung von Werken von Buxtehude mit den Barockmusikern von L‘arpa festante, und an unsere geistlichen und weltlichen Accapella-Programme.

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Vokalensemble passt der Spruch: „Singen ist wie Schokolade – nur ohne Kalorien.“ Vermutlich ist es aus diesem Grund – entgegen unseres Vorhabens – beim Bodyindex unseres Christians geblieben.

gewann das Vokalensemble bei einem internationalen Wettbewerb in Riva am Gardasee den ersten Platz im Bereich geistliche Musik. Im Laufe seines jetzt über 40jährigen Bestehens sind aus dem Vokalensemble 9 Ehen und 25 Kinder hervorgegangen. Damals wie heute trifft man sich einmal in der Woche und manchmal am Wochenende, um gemeinsam zu musizieren, Spaß zu haben und den Alltag hinter sich lassen. Zum

Von Thomas Weißbarth Literatur: Vokalensemble Stadthagen (hg.), 30 Jahre Vokalensemble Stadthagen, zusammengestellt von H.-F. Castenow, Kiel (2005).

Das Vokalensemble Stadthagen (Bild: beim Chorprojekt 2010) hat seinen Übungsabend immer donnerstags von 19.45 bis 22 Uhr in der „Alten Lateinschule“ (über dem Weltladen am Kirchhof).

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Die Chörchen-Sängerinnen und -Sänger haben ihren Probenabend immer donnerstags um 20 Uhr im Jakob-Dammann-Haus (Marienburger Straße 10).

Das Chörchen SINGEN MACHT SPASS! Das ist das Motto des Chörchens, das sich jeden Donnerstag von 20 bis 22 Uhr im Jakob-Dammann-Haus trifft. Etwas anderes als in der Kantorei zu singen, diese Idee beschäftige Chorleiterin Ina Seidl, die schon während ihres Studiums einen Frauenchor geleitet hatte. Mit Unterstützung von Pastor Hartmut Spier fanden sich 2002 dann 10 Sängerinnen und Sänger zu den ersten Proben. Volkstümliches und Schlager auf Deutsch und Englisch, Gospel und christliche Lieder, selbst Französisches und Schwedisches wird einstudiert. Aufgeführt wird das Erlernte sowohl bei Gottesdienstel

in St. Joseph, im Jakob-Dammann-Haus und in der St.-Martini-Kirche, als auch bei Familien­ festen, Jubiläen oder in Seniorenheimen. Von Anfang an gehört die Adventsmusik im JakobDamannn-Haus am zweiten Advent zusammen mit dem Posaunenchor zu den festen Auftritten des Chörchens. 20 bis 25 Sängerinnen und Sänger kommen inzwischen zu den Probeabenden und sind mit sehr viel Spaß und Engagement bei der Sache – ein richtiger Chor. Der Name Chörchen bleibt aber bestehen, denn so klein hat alles begonnen.

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Statements

„Ich bin der St.-MartiniGemeinde bereits seit vielen Jahrzehnten verbunden. Unter anderem habe ich 49 Jahre lang in der Kantorei mitgesungen. Außerdem lasse ich es mir nicht nehmen, regelmäßig sonntags das Wort Gottes zu hören. Das ist ein wichtiger Inhalt meines Lebens. Und auch die vielfältigen Kirchenkonzerte mit Orchester und Orgel sind immer wieder hörenswert – insbesondere wenn klassische Musik im Mittelpunkt steht.“

„Hier in der Gemeinde lernt man immer wieder nette neue Leute kennen. Aus diesen Bekanntschaften sind auch schon einige echte Freundschaften entstanden – zum Beispiel während der Konfirmandenzeit oder bei den Konfi-Freizeiten. Zwar bin ich keine regelmäßige Kirchgängerin, aber besondere Gottesdienste besuche ich gerne – zum Beispiel zur Weihnachtszeit.“ Celine Knigge (14 Jahre), Stadthagen

Günther Harten (95 Jahre), Stadthagen

„Mit der St.-MartiniGemeinde verbindet mich eine inzwischen fast 30-jährige ‚Beziehung‘: So lange wohnen meine Familie und ich bereits in Stadthagen. In dieser Zeit durfte ich bereits 18 Jahre lang im Kirchenvorstand mitarbeiten. Besonders gerne denke ich an die vielen Begegnungen mit ganz verschiedenen Menschen, die immer wieder neue Erfahrungen und Einsichten eröffneten. An dem ausgesprochen vielfältigen Gemeindeleben schätze ich insbesondere die sonntäglichen Gottesdienste mit dem anschließenden Kirchenkaffee.“ Brigitte Gude (57 Jahre), Stadthagen

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Hospiz-Gruppe Stadthagen Begleitung schwerkranker, sterbender, trauernder Menschen Von Christine Göbel

Ps.16,10: „ Du wirst mich nicht dem Tode überlassen“ – Sterbende begleiten Unter diesem Gedanken gründete sich im Herbst 1995 eine Hospizgruppe unter dem Dach der St.-Martini-Gemeinde, Mitinitiator war Herr Vikar Hinz.

lichen fachliche Kompetenzen zu den Themen Sterben, Tod und Trauer, z.B. die Sterbephasen nach Frau Kübler-Ross oder Frau Chris Paul und viel anderes mehr.

Stadthäger/innen fanden sich zur ehrenamtlichen Arbeit zusammen. Herr Pastor Zoske aus Bergkirchen, damaliger Hospizbeauftragter der Schaumburg-Lippischen Landeskirche, führte eine erste Ausbildung durch.

Daneben geht es in der Qualifizierung auch um die eigenen Erfahrungen, die wir in unserem Leben gemacht haben und auch darum herauszufinden, ob ich diese schwere Arbeit auch wirklich tun kann und möchte.

Im Laufe von nun mehr als 22 Jahren ist die Gruppe gewachsen.

In einer praktischen Phase kann ich mein Erlerntes erproben und überprüfen.

Heute sind wir eine bunt gemischte Gruppe aus vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, zusammen mit Mitgliedern der katholischen St.-Joseph-Gemeinde und den freikirchlichen Gemeinden leben wir ein Stück Ökumene in Stadthagen. Bei unseren Treffen wird über das Leben gesprochen, denn der Tod ist ein Teil davon. Im 4wöchigen Turnus treffen wir uns im MarieAnna-Stift.

Als Ehrenamtliche bin ich als „neutraler Begleiter“ an der Seite von Betroffenen und Ihren An- und Zugehörigen.

Alle Ehrenamtlichen haben eine 1jährige Ausbildung absolviert. In dieser erhalten die Ehrenamt-

Wichtig in unserer Arbeit ist es, die Grenzen der Menschen zu respektieren! Die gesetzliche Vorgabe, dass auch diese ehrenamtliche Arbeit sich durch Fort- und Weiterbildungen gegenüber den Krankenkassen legitimieren muss, verdeutlicht den gesellschaftlichen Auftrag, dem sich die Hospizgruppe verpflichtet weiß.

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Gedenkgottesdienst

Erwähnenswert sind besondere Veranstaltungen wie unsere 16-Jahr-Feier unter dem Motto „Hospiz ist Leben“ im September 2011 und der „Tag des Friedhofs“ 2013. Beide Veranstaltungen sollten den Menschen die Hospizbewegung näher bringen.

Bei unseren Gruppenabenden arbeiten wir einerseits an der o.g. Thematik und planen andererseits gemeinsame Veranstaltungen wie z.B. Museumsbesuche („Mein Koffer für die letzte Reise“) und Exkursionen, z. B. einen Besuch des Jüdischen Friedhofs in Hannover, und vieles MEHR!

16 Jahre Hospiz-Gruppe

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Tag des Friedhofs

HospizGruppe

Alljährlich im November, am Samstag vor dem Ewigkeitssonntag, gestaltet die Gruppe den ökumenischen Gottesdienst zum Gedenken der Verstorbenen im ablaufenden Kirchenjahr.

Und so geht‘s weiter!

Ein besonderer Gottesdienst, der mittlerweile auch von zahlreichen Menschen besucht wird, die in diesem Rahmen ihrer Angehörigen gedenken, die bereits vor vielen Jahren verstarben. Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit, denn wir möchten die Menschen ermutigen, das Sterben als ein Teil unseres Lebens anzunehmen. Unser Hauptanliegen aber ist und bleibt, dass jeder, auch und gerade der von schwerer Krankheit und Leiden betroffene Mensch, menschenwürdig bis zu seinem Tod leben kann. Unser Begleitungsangebot richtet sich folglich an alle betroffenen Menschen, unabhängig von Herkunft, Glaube und finanzieller Situation. Herzlich willkommen sind alle, die mit uns gemeinsam ehrenamtlich in der Hospizarbeit tätig werden möchten. Sprechen Sie in Ihrem Freundesund Bekanntenkreis über Sterben, Tod und Trauer. Auch das ist ein Stück Hospizarbeit!

Seit 1. April 2018 hat ein neuer Abschnitt der Hospizarbeit begonnen. Die Hospizgruppen aus Bückeburg und Stadthagen haben sich zu einem gemeinsamen Hospizdienst im Gebiet der Landeskirche Schaumburg-Lippe unter der Trägerschaft des Diakonischen Werks der Landeskirche zusammengeschlossen. Frau Karin Schulz leitet, begleitet und organisiert als Koordinatorin die Arbeit der nach wie vor ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gemeinsam haben sich die Gruppen einen neuen Namen gegeben und arbeiten künftig unter ihrem neuen Logo für ein lebenswertes Leben, in dem Sterben, Tod und Trauer ihren Platz haben. ■

AMBULANTER HOSPIZDIENST OPAL Ansprechpartner Frau Karin Schulz (Koordination) Bahnhofstraße 16 31655 Stadthagen Tel. 0176 1 57 22 99-4 ambulanter-hospizdienst@diakonie-sl.de

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1. Logo der HospizGruppe Stadthagen 1995 – 2000

2. Logo der HospizGruppe Stadthagen 2000 – 2018

Aktuelles Logo des Hospiz-Dienstes Opal seit 2018

Gruppenbild der HospizGruppe Stadthagen

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Der Lektorenkreis von St. Martini

Die Anfänge des heute allgemein bekannten Lektorats beim Sonntagsgottesdienst in St. Martini gehen auf das Jahr 2001 unter Oberprediger Dr. Pönnighaus zurück. Frau von Harpe und Frau Künnecke waren die ersten, die einen Lesedienst in unserer Gemeinde versehen haben. Heute ist der Lektorenkreis eine feste Institution, die von Hindrik Jan Egbers geleitet wird, betreut von Pastor Jörg Böversen neben seiner amtlichen Tätigkeit. Jedes Jahr wird eine Fahrt organisiert, bei der aber leider nie alle Lektorinnen und Lektoren teilnehmen können wegen der zu unterschiedlichen beruflichen Verpflichtungen. Wir fahren mit dem Kirchenbulli und Privatwagen. Wir besuchten im früheren Kloster Brenkhausen das koptische Zentrum in Höxter. Dann schauten wir uns die Ausstellung ‚Gesichter der Religionen‘ in Hameln an, wo wir die Jesiden kennen lernten. In Hildesheim waren wir während der Neugestaltung des Domes beim 1000-Jahre-Jubiläum in der Sankt-Michaelis-Kirche, der Grabeskirche Bischof Bernwards. Sehr beeindruckt waren wir in Wülfinghausen bei Elze von dem geistlichen Leben einer evangelischen Kommunität, wo wir an einem

Gottesdienst teilnehmen konnten. Das Bibeldorf Rietberg bot uns die Möglichkeit, in die orientalische Welt um Christi Geburt einzutauchen – mit allen Sinnen. Im Juni des vergangenen Jahres war Telgte an der Ems unser Ziel. Unser Kreis besteht zur Zeit aus 12 Damen und Herren, die nach einem zweimal im Jahresablauf vereinbarten Plan den Lesedienst übernehmen. Doch hat man dann einen Termin einmal vergessen oder passt der Lesedienst nicht in den Ablauf des Gottesdienstes, z.B. beim Familiengottesdienst, wird umgestellt oder man muss ‚schnell‘ einen Ersatz finden. Dann kann es vorkommen, dass die ‚Hälse gereckt werden‘ wenn nicht Frau XY, sondern Herr AB lektoriert – auf dem Gottesdienstzettel es aber anders vermerkt ist. In jedem Jahr gestaltet der Lektorenkreis einen eigenen Gottesdienst. In diesem Jahr stand er unter dem Thema ‚Bittgottesdienst für den Frieden‘. Bei einer nicht vollständigen Umfrage unter den Lektorinnen und Lektoren ergaben sich verschiedene Motivationen und Erfahrungen. Manche hatte schon Erfahrung als Lesepatin, manche kam aus einer Gemeinde, in der der Lesedienst schon praktiziert wurde. Andere sind durch räumliche Entfernung – im Studium – oder durch eine Erkrankung teilweise nicht in der Lage, regelmäßig den Lesedienst zu versehen, fühlen sich aber dem

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sucht – die Akustik ist leider im Chorraum so, dass die Stimme des Pastors von der Kanzel nicht im Umkreis des Altars zu verstehen ist. Aber solche Fragen können ja beim Kirchenkaffee im Turmraum angesprochen werden … wie auch die Hinweise auf ‚Unverständlichkeit oder gute Aussprache‘, die ein wesentlicher Teil der Resonanz sind.

Kreis so verbunden und von ihm begleitet, dass sie unbedingt einen Lesetermin für sich eintragen lassen. Ganz wichtig ist dabei auch die Thematik der Praefamen, das sind kurze Hinführungen bzw. Erläuterungen zu den in den Perikopenbüchern der lutherischen Konferenz festgelegten Texten. Gehören sie dazu oder sind sie unnötige Zusätze? Ganz wichtig ist, dass der Lektor oder die Lektorin sich den für den Gottesdienst vorgesehenen Text vorher anschaut und laut vorliest … eventuell auch den Zusammenhang durch eine Bibellektüre zu verstehen versucht.

Und noch eine Bitte der ‚kleineren Lektoren / Lektorinnen‘: eine Fußbank am Lesepult – damit man beim Lesen über das Pult hinausschauen kann, bzw. die Gemeinde wirklich sehen kann, ‚wer‘ denn da liest… … kommen Sie doch einfach mal zu einem Treffen des Lektorenkreises, wenn Sie jetzt neugierig geworden sind – und an der Gestaltung des Gottesdienstes ein klein wenig mitarbeiten möchten. ■

Sicher hat sich schon mancher Gottesdienstbesucher gewundert, dass der mit dem Pastor seitlich des Altars Platz nehmende Lektor oder die Lektorin nach ‚ihrer Arbeit‘ sich einen anderen Sitzplatz

Lektorenkreis

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Kirchenkaffee

Seid gastfrei gegeneinander ohne Murren.

Kirchenkaffee

(1. Petrus 4,9)

Der Kaffee ist fertig! So beginnt ein Lied des österreichischen Liedermachers Peter Cornelius aus dem Jahre 1980. Ein Lied, das damals auch bei uns in der Bundesrepublik ein Hit wurde. Seit 2006 ist bei uns in der St.-Martini-Gemeinde der Kaffee fertig – nach fast jedem Gottesdienst stehen im Turmraum Stehtische bereit, an denen die Gottesdienstbesucher bei Kaffee, oder aber auch Tee und Gebäck, ein wenig zusammenstehen, gemütlich plaudern, Verabredungen treffen oder den Gottesdienst bedenken können. So hatten es die Initiatorinnen des Kirchenkaffees, Cornelia Pönnighaus und Brigitte Gude, damals formuliert, als sie sich den Kirchenkaffee als regelmäßige Einrichtung im Gemeindeleben wünschten. Kirche und Kaffee, Religiosität und Weltlichkeit – passt das zusammen? Das war damals vor elf Jahren durchaus ein Thema. Würde die „Zweckentfremdung“ des Kirchenraumes viele Gläubige stören? Wird der Kirchenraum durch eine profane Handlung „entweiht“? Diese Bedenken hatten zumindest einige Mitglieder der Gemeinde und standen dem Projekt zunächst skeptisch gegenüber. So mussten die Begründerinnen des Kirchenkaffees nicht nur freiwillige Mitstreiterinnen für den Kirchenkaffee suchen, sie mussten auch Überzeu-

gungsarbeit leisten. Und das mit Erfolg! Der Theologe Guido Fuchs, der über Kulinaristik und Religion forscht, behauptet, dass Gastfreundschaft in der Kirche zu vermitteln letztendlich auch heißt, auf Gott als eigentlichen Gastgeber zu verweisen, denn Gottes – und auch Jesus Wesenszüge sind Menschen – und Gastfreundschaft. Für viele Gemeindemitglieder gab es von Anfang an keine Bedenken oder Berührungsängste, denn das Angebot wurde und wird weiterhin gut angenommen. Und daher gibt es jetzt im 11. Jahr den Kirchenkaffee, der von bisher 20 ehrenamtlich Tätigen (Frauen) mitgestaltet wurde. Einige der Helferinnen sind mittlerweile ausgeschieden, andere neu dazugekommen und einige sind sogar seit Anbeginn dabei und immer noch aktiv. So hat die St.-Martini-Kirche 700 Jahre nach ihrer Entstehung ein modernes Element, die kommunikative Fortsetzung der Gottesdienstgemeinschaft in Form des Kirchenkaffees erhalten, hält sich aber damit auch an eine biblische Weisung, die noch viel älter als St. Martini ist: Seid gastfrei gegeneinander ohne Murren. (1. Petrus 4,9) ■

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FamilienGottesdienste Von Sibyll Richter-Hanßmann

Dabei sein

Erster Advent in der Martini-Kirche. Erwartungsvoll wandern die Blicke zum großen Adventskranz über den Altarstufen: brennt die erste Kerze? Ja, sie brennt schon und im weiten Rund der Vierung liegen Tannenzweige und bilden auf dem Boden einen weiteren Kranz, um den sich Groß und Klein versammeln. Mittendrin stehen die Kinder des Kindergartenchors auf einem Podest und bald schon erklingt mit Begeisterung „Jeder macht sich nun bereit“ und „Zünd ein Licht an in der Dunkelheit“. Es ist zum guten Brauch geworden, dass der Beginn des Kirchenjahres mit einem Familiengottesdienst gefeiert wird. Drei bis vier Mal im Jahr finden sonntagmorgens in der Martini-Kirche weitere kurzweilige Gottesdienste für Familien mit Kindern und alle Gemeindemitglieder statt, die sich über besonders abwechslungsreich gestaltete Inhalte freuen. Es geht stets lebhaft zu. Anspiele, Aktionen, gemeinsames Singen. Die Kinder sitzen in den ersten Reihen, werden aktiv ins Gottesdienstgeschehen einbezogen. Auch für die Erwachsenen ist etwas dabei. Anregungen für die eigene Lebens- und Glaubensgestaltung finden sich an unterschiedlichen Stellen. Nach dem Gottesdienst gibt es einen gemeinsamen Brunch im Gemeindehaus, zu dem alle eingeladen sind und jeder etwas beisteuern kann. Jetzt

brummt und wuselt es im Marie-Anna-Stift, und während die Kinder schon bald nach schneller Sättigung draußen oder im Jugendkeller zusammen spielen, gibt es oben im großen Saal viel Gelegenheit zum Gespräch und Austausch von Erlebnissen und Erfahrungen. Vorbereitet werden diese Gottesdienste vom Familiengottesdienstkreis oder vom Team des Kindergartens „Schatzkiste“ zusammen mit Wolf-Peter Koech. Nach der Themenfestlegung werden kreative Ideen zur Gestaltung geboren, Aktionen geplant, Utensilien besorgt und die Kirche und der Saal mit viel Arbeitseinsatz hergerichtet. Und nachdem die letzen Gäste gegangen sind, gibt es noch eine Menge zum Abwaschen und Aufräumen. Dass sich diese Gottesdienste trotz der aufwändigen Vorbereitung fest im Gemeindeleben etabliert haben, ist einerseits dem großen Engagement der Mitarbeiterinnen zu verdanken, andererseits aber natürlich ihrer großen Beliebtheit. Immer ist die Kirche gut gefüllt und es entsteht eine schöne Gemeinschaft. Mittlerweile sind auch neue Formate zu den bereits länger schon bestehenden Familiengottesdiensten zur Kinderbibelwoche oder zum Erntedankfest dazugekommen. Dazu gehört etwa die Einbeziehung des Kinderchormusicals in den Gottesdienst oder das Tauffest in diesem Jahr. Die Familiengottesdienste zeigen etwas von dem, wie man sich Gemeinde wünschen kann: bunt, lebendig und kommunikativ. ■

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Renaissanceverein

zugänglich. Mitarbeiter/innen des Renaissancevereins führen interessierte Besucher durch die Kirche und das Mausoleum und erläutern dabei sachkundig die vielfältigen bedeutsamen Kunstschätze und ihre historischen Hintergründe.

Darstellung Gottes auf dem Grabmal von Bürgermeister Jobst Lüderßen

Der Renaissance Stadthagen e. V. (Renaissanceverein) gratuliert der Ev.-luth. St.-Martini-Kirchengemeinde in Stadthagen zum 700jährigen Bestehen der St.-Martini-Kirche. Als bedeutsame Stadtkirche möge St. Martini weiterhin Glaubensmittelpunkt, Ort für feierliche Gottesdienste, für Konzerte sowie für besinnliche Einkehr sein; für alle Menschen, die sich in dem architektonisch wertvollen Gotteshaus geborgen und von ihm angezogen fühlen. Der Renaissanceverein ist seit gut 10 Jahren Gast in Ihrem Gotteshaus mit dem angrenzenden Mausoleum des Fürstenhauses Schaumburg-Lippe. Im gegenseitigen Interesse und stetem Einvernehmen zwischen der St.-Martini-Kirchengemeinde und dem Renaissanceverein ist die St.-Martini-Kirche spätestens seitdem für die breite Öffentlichkeit insbesondere auch außerhalb der Gottesdienste

Immer wieder geäußertes Interesse der Kirchenverantwortlichen von St. Martini, die Schönheiten und Bedeutung des gewaltigen Sakralbaus einem interessierten Publikum zu zeigen, wurde mithilfe des Renaissancevereins und seinem Mitarbeiterkreis so Wirklichkeit. Sicherheit für die wertvollen Kunstschätze in der Kirche und im Mausoleum waren mit der Personalaufsicht des Vereins gegeben, gleichzeitig öffnete sich für die Stadt Stadthagen und ihren politisch Verantwortlichen eine touristische Besonderheit von hohem Rang, die man seitdem bewusst jährlich in beachtlichem Maße finanziell unterstützt; dies gilt insbesondere für die anfallenden Personalkosten. Der Renaissanceverein selbst konnte so seinen zentralen Vereinszweck, Renaissance als wichtigste Epoche der Stadtgeschichte Stadthagens, der Stadt der Weserrenaissance, und der Region thematisieren. Mit der umfassenden, viele Jahre andauernden Sanierung des Mausoleums bis ins Jahr 2011 gelang dem Verein eine viel beachtete fachliche Leistung, mit der das Mausoleum als Gesamtkunstwerk im Renaissancestil eine nennenswerte Aufwertung und Beachtung erfuhr, letztlich damit auch die St.-Martini-Kirche.

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Altarbild

Maßgebende Vorstandsmitglieder des Renaissancevereins organisierten und verantworteten das gesamte Sanierungsprojekt Mausoleum über den langgestreckten Bauzeitraum ehrenamtlich, insbesondere auch die ausschlaggebende finanzielle Seite, und führten die Restaurierung zu einem großartigen Ende. Dabei konnten mit Verständnis für vorübergehende Beeinträchtigungen in der Nutzung der Martini-Kirche stets einvernehmlich zwischen den verantwortlichen Seiten Lösungen gefunden werden, insbesondere auch, wenn es um den Schutz der empfindlichen Orgel vor Staubemissionen ging. Das bronzene Grabmonument von Adrian de Vries mit dem auferstandenen Christus sowie die Freskenmalerei des sogenannten Engelschors in der Kuppel des Mausoleums stehen nunmehr im

glanzvollen Mittelpunkt des restaurierten Mausoleums und ziehen die Besucher in die Kirche und die Grabstätte an. Der Renaissanceverein dankt der St.-Martini-Kirchengemeinde für das stetige Einvernehmen in der Nutzung der Kirche und des Mausoleums, um der Öffentlichkeit das kirchliche Gesamtbauwerk erläutern zu können. Dieses Einvernehmen möge auch weiterhin bestimmend für beide Partner sein, im begründeten Interesse interessierter Besucher der Kunstschätze in St. Martini und im Mausoleum, aber auch ebenso im Interesse der öffentlichen Hand. Von Harald Weidenmüller Vorsitzender Renaissance Stadthagen e. V.

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18 Taufen am Sonntag Trinitatis

In einer kurzen interaktiven Predigt erzählte Pastor Böversen davon, dass Jesus Kinder herzlich aufgenommen und gesegnet hat, obwohl seine Jünger ihn davon abhalten wollten. Wie damals riefen auch die Kinder in der St.-Martini-Kirche: „Wir wollen Jesus sehen!“ Alle Pastoren, sowie die Pastorin der St.-MartiniKirchengemeinde und die Jugenddiakonin in der Region waren im Gottesdienst beteiligt. Eine Band mit drei jungen Sängerinnen begleitete den Gottesdienst im Wechsel mit der Orgel. Beim Bewegungslied „Gottes Liebe ist so wunderbar“, kam die ganze Festgemeinde in Aktion.

Am Sonntag, 27. Mai 2018, fand in der St.-MartiniKirche ein großer Taufgottesdienst statt, in dem 17 Kinder und eine Erwachsene getauft wurden. Der Taufgottesdienst nahm die Kinder und ihre Familien besonders in den Blick. So erzählte zum Beispiel „Pastor Bremer“ - eine Handpuppe, die vor allem den Kindern aus dem Ev. Kindergarten Regenbogenhaus bekannt ist - wie er selbst beinahe nicht getauft werden konnte, da das Wasser im Taufbecken zugefroren war.

Im Anschluss an den Gottesdienst waren die Täuflinge und ihre Gäste zu einem Grillfest sowie zu Kaffee und Kuchen eingeladen. So wurde noch bis in den Nachmittag hinein bei bestem Wetter, guter Stimmung, Spiel und Spaß für Kinder weiter gefeiert. Mit diesem Fest wollte die Kirchengemeinde ihre neuen Mitglieder in ihrer Gemeinschaft willkommen heißen. In der St.-Martini-Kirchengemeinde wurde zuletzt 2012 ein Tauffest dieser Art gefeiert. In Zukunft soll dies regelmäßig angeboten werden. Von Pn. Nora Vollhardt

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„Langweilig wird‘s nie“ Sigrid Stoltze ist seit fast 20 Jahren als Pfarrsekretärin tätig

Ohne Pfarrsekretärin Sigrid Stoltze käme ein Teil des Gemeinde­lebens zum Erliegen.

Sie gehört quasi zum Inventar der Stadthäger St.-Martini-Gemeinde: Sigrid Stoltze gestaltet den alle zwei Monate erscheinenden Gemeindebrief „Martini-Bote“, kümmert sich um den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahlen zum 24-köpfigen Gemeindekirchenrat, führt das Protokoll bei den zahlreichen Sitzungen dieses Gremiums und seiner Ausschüsse, bereitet die vielen Jubelkonfirmationen vor und fungiert selbstverständlich auch als Ansprechpartnerin für die Pastoren und die rund 7200 Mitglieder. „Langweilig wird‘s jedenfalls nie“, sagt die mit einer Vollzeitstelle ausgestattete Pfarrsekretärin schmunzelnd. Ihren Arbeitsplatz hat sie direkt in der Oberpfarre am Kirchhof. Dort laufen die organisatorischen und administrativen Fäden der Gemeinde bereits seit 19 Jahren zusammen.

An ihren ersten Arbeitstag erinnert sich die 59-jährige Stadthägerin noch ganz genau: „Das war der 3. Mai 1999 – ich bin also mit einem freien Wochenende in meinen neuen Job gestartet.“ Nachdem der damalige Kirchenvorstand sie aus mehr als 30 Bewerberinnen und Bewerbern ausgewählt und eingestellt hatte, stand Stoltze aber zunächst einmal vor einem Problem: „Mir wurde ein Karton mit lauter unbeschrifteten Schlüsseln in die Hand gedrückt.“ Die Folge: „Ich musste erstmal rausfinden, welcher Schlüssel in welches Türschloss passt.“ Neben dieser Anekdote sind der gebürtigen Lindhorsterin vor allem „zahlreiche herzliche Begegnungen mit völlig unterschiedlichen Menschen“ in Erinnerung geblieben. Besonders stolz ist Stoltze auf die vielen ehrenamtlichen Austräger des Gemeindebriefs, der sechsmal jährlich in einer Auflage von 2500 Exemplaren angeliefert wird. „Einige Familien betätigen sich hier bereits in dritter Generation“, stellt sie erfreut fest. Leider würden die Austräger jedoch nicht nur immer älter, sondern auch immer weniger. „Deshalb könnten wir gut Nachwuchs gebrauchen.“ Wer Interesse hat, den „Martini-Boten“ alle zwei Monate zu verteilen, kann sich in der Oberpfarre (Am Kirchhof 3) melden: Telefon (05721) 780711. Das Büro ist montags bis freitags von 9 bis 12 Uhr geöffnet, dienstags und donnerstags zusätzlich von 14 bis 16 Uhr. ■

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„Der MartiniGemeinde bin ich seit meiner Konfirmandenzeit in der St.-Martini-Kirche im April 1983 verbunden. Am Gemeindeleben schätze ich die Gemeinschaft, die große Vielfalt des kirchlichen Lebens und die große Anzahl an verschiedenen Aktivitäten – insbesondere die großartige Forderung und Förderung von Musikern. Aufgrund meiner Tätigkeit im Europäischen Parlament und den damit verbundenen Aufgaben im In- und Ausland kann ich die vielfältigen Angebote der Martini-Gemeinde leider nur sehr bedingt nutzen. Ich freue mich aber immer wieder, wenn es mir gelingt, einen Gottesdienst oder eine andere Veranstaltung der Gemeinde besuchen zu können.“ Burkhard Balz (49 Jahre), Stadthagen

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Diakonie & Sozialstation – Pflege für Notstände

Seit 37 Jahren ist die Diakonie-Sozialstation ein kleiner Teil der Sankt Martini Gemeinde. Wir lieben unsere Arbeit an Groß und Klein, an Alt und Jung, mit Herz, Verstand und aus gutem Grund. Wir beraten, um zu starten, betreuen, ohne zu bereuen, leben, um zu pflegen. Wir sind keine Macht, sondern nur die Pflegekraft. Glaube, Hoffnung und Liebe, geben wir und keine Hiebe.

Die Bilder spiegeln uns wieder als: ….. Servicekraft ….. Waffelbäcker ….. Haushaltshilfe ….. Pflegekraft …...Betreuungskraft ….. Retter in der Not. ■

Außer Rand und Band, aber mit Verstand, auf dem Land und in der Stadt, sind wir wohl bekannt. Unsere Hoffnung gibt uns Kraft, drum trinken wir nur Saft, unser Glaube macht uns stark und bringt uns sicher durch den Tag.

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Wer hat an der Uhr gedreht? Kinder wie die Zeit vergeht Der Kindergarten Schatzkiste

Kindergarten „Karl-Wolperding-Haus“ (heute: Schatzkiste) bei der Eröffnung 1956. Man glaubt es kaum, aber es ist wahr, unser Kindergarten ist schon 61 Jahr. Die Kinder in Stadthagen wurden immer mehr, deshalb musste ein neuer Kindergarten her. Der Martini Gemeinde gehörten ziemlich viele Felder, also sammelte Oberprediger Karl Wolperding Spendengelder. Kaum war dies geschehen, konnte der Bau des Kindergartens losgehen. Viele fleißige Hände, führten 1956 zu einem schnellen Ende. Nun stand der Kindergarten, aber er war noch leer,

Kindergarten Schatzkiste mit neuem Anbau

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Kinderbibelwoche in der Schatzkiste „Das Festmahl“

also mussten viele Spielsachen und Möbel her. Zur Eröffnung war die Freude groß, täglich von 7.00 – 17.00 Uhr und sogar samstags bis 12.00 Uhr ging es los. Nun konnten ca. 90 Kinder in 3 Gruppen in den Kindergarten „Büschingstraße“ geh`n, doch aus Dank hieß er bald „Karl-WolperdingHaus“ – das konnte man versteh`n. Unten wurde gemalt und gebastelt mit Farben und Kleister, oben wohnte die Leitung und die Familie vom Hausmeister. Am Anfang hatten die Kinder noch aufs freie Feld geschaut, doch 2 Jahre später wurde das Pfarrhaus gebaut. Dabei blieb es aber nicht lange, das Josua Stegmann Heim stand schon in der Warteschlange. Für das Altenheim musste ein Grundstück her und der Bedarf wurde mehr und mehr. Also musste der Gemüsegarten vom Hausmeister weichen,

wird es jetzt noch für das frisch gekochte Mittagessen der Kinder reichen? Das war aber kein Problem, denn 1968 sollte das Josua Stegmann Heim steh`n. Und ab dann drangen die schönsten Gerüche auch für uns aus der Altenheimküche. Die drei Gruppen waren zusätzlich verbunden durch eine Schiebetür, die nur geöffnet wurde für die lange Tafel, die bei Festen dort stand, damit jedes Kind einen Platz auch fand. Malen, basteln, spielen und singen ist für die Entwicklung richtig doch gemeinsames waschen, kämmen, Zähne putzen und schlafen war damals genauso wichtig. Früher mussten die Kinder lange sitzen und über Arbeitsblättern schwitzen. Denn anfangs waren die Gruppen für sich und nicht offen, später durften sie mit den Funktionsräumen auf mehr Bewegung hoffen.

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Kindergartenandacht

Natur auf dem Außengelände erleben, darauf sollten sich Sträucher, Bäume und Hügel erheben. Deshalb halfen uns 2002/2003 viele tüchtige Hände, die Holunderschule, Eltern, Kinder und Erzieher veränderten das Gelände. Nun können die Kinder dort toben und sich verstecken und viele Pflanzen und Tiere entdecken.

Dabei blieb es aber nicht, denn Pädagogik verändert stetig ihr Gesicht. Hier die wichtigsten Veränderungen in Kürze: • die Erzieherinnen trugen Schürze, • ihr Privatleben war wenig, • sie waren meist ledig. • (Die Eltern waren schon am raten, • dürfen die Erzieherinnen im ev. Kindergarten nicht heiraten?) • gerufen wurden sie Fräulein oder Frau • zum trinken gab es Milch, Carokaffee und Kakao • nachmittags gab es 1x die Woche Kuchen • den Honig im Tee konnte man bald suchen Denn 1997 kam die jetzige Leitung Frau Kliemann in den Kindergarten und ab dann konnten die gesunde Ernährung und die Entrümpelung starten. Sie kam mit vielen neuen Ideen, es wurde geräumt, gerückt, sortiert und zum Schluss blieb nicht viel steh`n. Der Wunsch kam auf, die Kinder sollten mehr

In der St.-Martini-Gemeinde ist unser Kindergarten gut aufgehoben, das wollen wir hier auch erwähnen und loben. Als Pastor steht uns Herr Koech zur Seite, auf dass er unsere religionspädagogische Arbeit begleitet. Er hat für uns manch guten Rat und wir setzen um, viele Planung in die Tat. Als Nachbar kommt er schnell vorbei und bei Andachten und der Kinderbibelwoche sind alle Kinder gern dabei.

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Der Familiengottesdienst in der Kirche zur Weihnachtszeit macht uns alle zum stimmungsvollen Jahresabschluss bereit. Im Laufe der Zeit feierten wir viele Feste, zu denen kamen kleine, große und ehemalige Gäste. Ein besonderes Highlight sind immer unsere Jubiläen, dort präsentieren wir was Neues, damit es alle sehen. Zum 50-jährigen sah unser Namensschild plötzlich anders aus, seit dem steht dort „Schatzkiste“ im Karl-Wolperding-Haus. Für unsere 90 Kinder brauchten wir auf dem Flur und zum Essen mehr Platz, es wurde geplant, gebaut und fertig gestellt – Ratz – Fatz

Für unser 60-jähriges haben wir geprobt, gebastelt und vorbereitet – sehr lang, dann wurde der Anbau eingeweiht mit Modenschau und Gesang. Nun besuchen 102 Kinder Eulennest, Fuchsbau, Storchennest und Bärenhöhle, dort hört man sie singen, lachen und spielen – auch mal mit Gegröle. Im Laufe der Zeit gingen viele Leitungen und Mitarbeiter hier ein und aus und brachten mit ihren Persönlichkeiten und Ideen stetig Veränderungen ins Haus. Viele Eltern und Kinder wurden hier groß, wo ist die Zeit geblieben bloß? Wer hat an der Uhr gedreht? – Kinder wie die Zeit vergeht! ■

Kinderbibelwoche „Abraham“

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Die Geschichte von einem regenbogenbunten Kindergarten Der Kindergarten Regenbogenhaus

Vorgängergebäude des heutigen Kindergartens „Regenbogenhaus“, 1972 Es war einmal eine kleine Stadt im großen Land Niedersachsen. In dieser Stadt, sie hieß Stadthagen, lebten viele Menschen und es gab noch mehr Kinder und deshalb entschied der Herrscher der Stadt zusammen mit der Kirche:“ Es muss ein Haus für Kinder gebaut werden!“

Im Jahre 1973 waren so viele Kinder jeden Tag in dem Haus, dass eine weitere Frau dort arbeiten sollte. Sie wurde so dringend gebraucht, dass der Herrscher sie von der Polizei abholen ließ, damit sie schnell bei den Kindern war. Was für ein Schreck!!!

So entstand im Jahre 1972 ein Kindergarten zum Spielen, Lernen und Toben für alle kleinen Bürger der schönen Stadt.

Viele Jahre spielten, lachten und lernten die Kleinen und Großen gemeinsam in dem Kindergarten.

Es wurden Erzieher eingestellt, um auf die Kinder zu achten.

Doch dann geschah in einer Nacht das Schreckliche. In der Dunkelheit einer Nacht im Jahre 1987 zog eine fürchterliche Räuberbande durch die kleine Stadt. Sie waren wilde Gesellen und hatten großen Spaß an der Zerstörung. So kam es, dass sie das schöne Haus für Kinder in Brand steckten und dieses bis auf den letzen Stein niederbrannte.

Erzieher, das sind Frauen und Männer mit ganz großen Herzen und unendlicher Geduld. Sie spielen, basteln, singen, werken, turnen, toben, musizieren, lesen, kochen, helfen, trösten, backen, kuscheln, räumen auf, erklären die Welt, beantworten (fast) alle Fragen, haben immer ein offenes Ohr, geben Ratschläge und sind immer für die kleinen Besucher des Kindergartens und ihre Eltern da.

Weder die eilig von den Bürgern herbei gerufene Feuerwehr noch die Leitung und ihre Erzieher konnten den Kindergarten retten.

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Schnell füllten die Kinder und Erzieher das neue Haus mit Leben und Lachen. Im Jahre 2006 wurde eine Hortgruppe für Schulkinder eröffnet. Hier konnten Kinder nach der Schule Mittag essen, lernen und spielen.

Brandschaden 1987 Doch „Gott sei Dank“ und das ist wörtlich zu nehmen, lebte direkt nebenan der Pastor in seinem Gemeindehaus. Er bot den Kleinen und Großen einen Unterschlupf an. So konnten sie im Jakob-Dammann-Haus gemeinsam weiter die Welt erkunden, spielen und lernen. Der Herrscher der Stadt und die Kirche beratschlagten. Was sollte nun geschehen? Wo sollten die Kinder unterkommen? Die Antwort war schnell gefunden: „Der Kindergarten muss wieder aufgebaut werden!“ So geschah es und viele fleißige Handwerker arbeiteten Tag und Nacht. Alle Bürger von Stadthagen konnten mit verfolgen, wie der neue Kindergarten größer und größer wurde. Nach vielen Monaten harter Arbeit war es dann im Januar des Jahres 1989 soweit, die Kleinen und Großen konnten in das neue Haus einziehen. Es war viel größer als das alte Haus und hatte mehr Platz. So kam es auch, dass viel mehr Kinder den neuen Kindergarten besuchen konnten. Es gab nun 4 Kindergruppen am Vormittag und 3 am Nachmittag.

Da viele Eltern in der kleinen Stadt den ganzen Tag arbeiten mussten, kam eine Gruppe bis 15 Uhr und eine Ganztagsgruppe dazu. Am heutigen Tag besuchen 130 Kinder zwischen 3 und 10 Jahren das Regenbogenhaus und dort arbeiten 20 Mitarbeiter. Nun gibt es das Regenbogenhaus schon seit 45 Jahren, in dieser Zeit besuchten viele Kinder die Kindertagesstätte und auch einige Erwachsene und Pastoren kamen und gingen. Doch auch nach all den vielen Jahren ist das Regenbogenhaus immer noch ein Ort zum Wohlfühlen, Lernen und Spielen, der immer mit viel fröhlichem Lachen erfüllt ist. Kommen Sie doch einfach mal vorbei, wenn Sie zufällig in der kleinen Stadt Stadthagen sind. Sie werden bestimmt mit offenen Armen, freundlichen Worten und von vielen fröhlichen Kindern empfangen. ■

Das Haus bekam auch einen neuen Namen:

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Jugendarbeit ist Fit-For-Life

„Fit-For-Life ist super!“ Dies sagen sowohl Teilnehmende wie auch Mitarbeitende. Warum? Ein begeisterter Jugendlicher äußerte sich so: „Ich finde, dass der Fit-For-Life-Kurs interessant und spannend ist, da man viel Neues lernen kann und gemeinsame Erfahrungen macht. Dazu kommt noch, dass man alles mit seinen Freunden machen kann!“

Was ist Fit-For-Life, und was macht den Reiz an Fit-For-Life aus? Gruppenabend im Jugendraum Ist Fit-For-Life für jeden etwas? Vor über 10 Jahren starteten wir an St.-Martini den ersten Fit-For-Life-Kurs. Wir waren überrascht, wie viele Jugendliche sich seitdem an einem dieser Kurse beteiligt haben. Knapp 200 werden es bis heute gewesen sein. Aus unserer Gemeinde ist dieser Kurs nicht mehr wegzudenken. Fit-For-Life trägt dem Interesse Jugendlicher Rechnung, sich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen. Neben der für Jugendliche als lang empfundenen Schulphase, in der sie oft wenig Verantwortung übernehmen können, bietet Jugendarbeit den Raum zur Übernahme von Verantwortung und damit die Erfahrung „Ich werde gebraucht“. Diese Übernahme von Verantwortung wird durch Fit-For-Life unterstützt und ausgebildet.

Fit-For-Life hat nicht ausschließlich die Wissensvermittlung im Zentrum, Fit-For-Life ist und bleibt ausgerichtet auf die Glaubens- und Persönlichkeitsentwicklung. Daher sind auch die nach erfolgreichem Abschluss erhaltenen Zertifikate für den beginnenden beruflichen oder studentischen Weg von Bedeutung. Mit 16 Jahren dürfen die Jugendlichen sogar die Jugendleiterkarte beantragen. Bei Fit-For-Life geschieht die Wissensvermittlung zum einen in organisierten Bildungsprozessen, aber eben auch als „learning by doing“. „Dabeisein ist alles“, die Lebensentwürfe derer, die gemeinsam im Fit-For-Life-Kurs sind, führen in die Reflexion. Die erlebte Auseinandersetzung mit dem Glauben ermöglicht eine andere Sicht der Welt und der Menschen. Fit-For-Life bildet! Von besonderer Bedeutung ist bei Fit-For-Life die Praxisphase.

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Zu den Kursinhalten gehört: » Persönlichkeitstraining (Die eigene Person, Stärken und Schwächen kennen lernen, Interessen und Zukunftspläne abklären.) » Glaube live (Über Basics des christlichen Glaubens diskutieren, Christen auf den Zahn fühlen, Zweifel und Fragen loswerden.) » Action (In Outdoor-Aktionen üben wir Mut und gegenseitiges Vertrauen.) » Praxis-Projekte (In der Gruppe einen Jugendgottesdienst organisieren, neue Möglichkeiten von Jugendarbeit kennen lernen, ein Projekt oder eine Gruppenstunde vorbereiten und durchführen.) » Teamarbeit (Herausforderungen im Team meistern, sich in der Gruppe ausdrücken, Spannungen und Konflikte erkennen und lösen.) » Organisation, Recht, Finanzen (Die rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Seiten der Jugendarbeit kennen lernen.)

» Highlights (Freizeiten, Konfirmandenabschlussfreizeit auf Spiekeroog und besondere Aktionen.) Am Ende der Konfirmandenzeit laden wir zu unserem Fit-For-Life-Kurs ein. Wir treffen uns ein Jahr lang jede Woche für 1 ½ Stunden im Jugendkeller des Marie-Anna-Stiftes. Geleitet wird der Fit-For-Life-Kurs von Pastor Jörg Böversen und der Regionaldiakonin Amelie Schmidt. Zusammen mit unterschiedlichen Mitarbeitern wurde das Programm kontinuierlich verbessert und weiterentwickelt. Auch im Jubiläumsjahr werden am Fit-For-Life Kurs wieder erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Jugendarbeit beteiligt sein, die ihr Know How in Sachen Jugendarbeit einbringen werden. Wir freuen uns sehr darauf, die Jugendlichen zu fördern und zu begleiten und sind schon gespannt, was für unterschiedliche Persönlichkeiten im neuen Fit-For-Life-Kurs sich zeigen werden. ■

Die Fit-For-Life-Gruppe 2018

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Café Martini

Was passiert im Café Martini Woche für Woche? Warum freuen sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen offensichtlich auf jedes Treffen? Einige Zeit sorgte zum Beispiel „Das Buch von allen Dingen“ für Gesprächsstoff. Das Verhalten des Vaters erregte Anstoß, der Fantasie des Jungen musste man erst auf die Spur kommen und die übrigen weiblichen Personen, die Hexe von nebenan, die Mutter und die Schwester lernte man schätzen. Wie würde das nur ausgehen? Manch eine der Anwesenden konnte es kaum ertragen, auf das Ende der Geschichte in Ruhe zu warten. Manchmal sind es Märchen, die zum Nachdenken anregen, und unsere BesucherInnen kennen sich aus. Wissen Sie, aus welchen Märchen folgende Sätze stammen? 1. ...die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen 2. Kikeriki, unsere goldene Jungfrau ist wieder hie! 3. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? 4. Rapunzel, lass dein Haar herunter! 5. Heute back‘ ich, morgen brau‘ ich, übermorgen hol‘ ich der Königin ihr Kind; ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiss‘! 6. Wovon sollt‘ ich satt sein? Ich sprang nur

über Gräselein und fand kein einzig Blättelein. Mäh!Mäh! 7. Was macht mein Kind? Was macht mein Reh? Nun komm‘ ich noch zweimal und dann nimmermehr. 8. Heinrich, der Wagen bricht. – Nein, Herr, der Wagen nicht, es ist ein Band von meinem Herzen, das da lag in großen Schmerzen, als Ihr in dem Brunnen saßt, als Ihr eine Fretsche (Frosch) wast (wart). Lösungen in ungeordneter Reihenfolge: Der Froschkönig, Rapunzel, Schneewittchen, Rumpelstilzchen, Tischlein deck dich, Frau Holle, Brüderchen und Schwesterchen, Aschenputtel. Gern und viel wird gesungen. Lieder aus dem Gesangbuch wie „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“, „Nun steht in Laub und Blüte“, „Ein feste Burg ist unser Gott“, „Komm, Herr, segne uns“, „Vertraut den neuen Wegen“, „Bewahre uns Gott“ sind Beispiele. Hinzu kommen aber Volkslieder aus dem neu angeschafften Liederbuch im Großdruck „Kein schöner Land“ wie Bunt sind schon die Wälder, Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen, Im schönsten Wiesengrunde. Die Besucher und Besucherinnen kommen gerne, um andere inzwischen vertraute Personen zu treffen, um zu singen, sich zu unterhalten und natürlich auch, um Kaffee zu trinken. ■

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Ohne sie geht gar nichts.

Ankunft

In einem Raum versammelt

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Café Martini – ein Gedicht Waren Sie schon mal im Martini-Café? da gibt es donnerstags Kaffee und Tee. „Café Martini“ heißt es richtig, so steht‘s im „Martini - Boten“, und das ist wichtig. Auch steht da der Beginn, wann und wo, im „Marie-Anna-Stift um 15.00 Uhr“, darüber sind wir ganz froh. Auch zu erwähnen ist das tolle Kuchenangebot; in der Erdbeerzeit sind die Erdbeeren sogar knallrot . Auch an Diabetiker ist gedacht, da wird extra etwas mitgebracht, und wer nicht mehr ist gut zu Fuß, der wird abgeholt mit einem B u s. Doch nun müssen wir berichten, das ist uns klar, denn wir wollen Sie ja weglocken von Ihrem Sofa. Deshalb wartet auf Sie ein abwechslungsreiches Programm, wobei oft Ihr Gedächtnis gefordert und mitspielen kann. Wenn gefragt wird zum Beispiel : „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Ja, wer kann sich dann erinnern an die schöne Märchenzeit oder an die schönsten Volkslieder aus der Jugendzeit? Doch es werden nicht nur Volkslieder gesungen, auch die neuen Kirchentagslieder mit ihren guten Texten sind ja gelungen. Doch wir, „das Team“, richten uns gern nach Ihren Wünschen, mal spaßig – mal ernst – mal hintergründig. Auch Wissenswertes wird vermittelt und erforscht. Was verstehn wir unter „Gründonnerstag“? Unser Gedächtnis ist dann morsch. Zur Abwechslung wird auch mal gerätselt – was man so weiß, und am Ende gibt es zur Freude auch manchmal einen Preis. Zu erwähnen wäre noch, dass kleine Festlichkeiten uns erfreun, mal ist´s die Tanzgruppe, mal die Diakonie oder Darbietungen von Kindern. Wir hoffen, wir haben Sie nun neugierig gemacht, und Sie kommen jetzt jeden Donnerstag zu uns und werfen ab ihr „Ach“. Mit herzlichen Grüßen Ihr Café Martini-Team Karin Bantje, Bärbel Oerke, in Vertretung Rose-Marie Brühl, Norbert Radeck

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Weltcafé Von Stephanie Südmeyer

Es ist mir peinlich, aber manchmal nerven mich die Kopftücher. Und manchmal fühle ich mich an einem durchschnittlichen Dienstagabend auf dem Stadthäger Marktplatz etwas verloren, so als eine von wenigen offensichtlich Deutschen dort. Und da helfen keine Gedanken wie „Na ja, da sind wir Deutschen auch selbst schuld, wenn wir zu Hause sind und uns nicht abends gesellig hier einfinden. Sei doch froh, dass auf dem Marktplatz überhaupt noch Leben ist.“ Diese Gedanken sind zwar wahr, aber sie helfen nicht, weil sie negativ sind. Weil ein „Selbst-Schuld“ in der Regel kein gutes Gefühl macht, keine Versöhnlichkeit herstellt. Wenn ich meinen Verstand einschalte, fällt mir der Bericht ein, den ich kürzlich über unser Pflegewesen gelesen habe und der eindringlich darstellt, wie es um uns bestellt wäre ohne ausländische Pflegekräfte. Aber das ist der Verstand… er ist wichtig, aber wenig emotional. Gegen mein Gefühl des Unwohlseins hilft er nicht. Und dann erblicke ich in der Gruppe ausländischer Menschen dort auf dem Marktplatz ein Gesicht, das ich kenne. Es gehört zu einer jungen Frau, die mich jetzt anstrahlt. Sie kennt mich auch. Wir haben mal zusammen versucht, ein Lied zu singen. Oder es gehört zu einem älteren Mann, mit dem ich mal einen Kaffee getrunken und über seine Kinder gesprochen habe. Auch er lächelt mich an und grüßt mich. Und was eben noch eine bestenfalls indifferente oder vielleicht sogar beklommen fremde Situation war, wandelt sich in etwas An-

genehmes, ein bisschen Vertrautes. Plötzlich sind diese Menschen dort nicht mehr einfach nur fremd und so sehr anders. Sie sind auf ihre Weise anders, keine Frage. Aber mein Gefühl hat durch unsere frühere Begegnung eine Stelle gefunden, an dem es andocken kann. Die Pädagogik lehrt uns, dass wir leichter Interesse entwickeln können für Themen, von denen wir schon einmal etwas gehört haben. Wir horchen auf, wenn in den Nachrichten von einem unserer früheren Urlaubsziele die Rede ist. Und eine neue Tanzfigur lernt sich leichter, wenn der Grundschritt als Voraussetzung bekannt ist. Diese Erkenntnis ist es auch, die mein Herz soeben bestätigt hat. Was ich kenne, das interessiert mich eher. Ich weiß um die Nöte der Familie des Mannes, den ich soeben gesehen habe. Und ich weiß, dass seine Tochter Medizin studiert und sein jüngster Sohn ein Kind ist, das herzhaft lachen kann und alle mit diesem Lachen ansteckt. Ich weiß das, weil ich das Glück hatte, vor Jahren eingeladen worden zu sein, zum Weltcafé in das Marie-Anna-Stift zu kommen. Jeden letzten Dienstag im Monat um 17.30 Uhr öffnet unsere Gemeinde dort ihre Türen und begrüßt alle, die in einen Austausch treten möchten. Wer mag, bringt Kuchen oder Obst mit. Kaffee und Tee werden vor Ort gekocht. Und sonst? Manchmal wird gebastelt, oft gespielt, fast immer ein Lied zur Begrüßung gesungen. Vor allem aber versu-

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chen wir – mit wachsendem Erfolg – miteinander zu sprechen. Manchmal fehlen die Worte. Manches lässt sich auch mit Händen und Füßen nicht erklären. Aber das sind Ausnahmen. Oft hilft ein Landsmann aus oder ein Kind übersetzt. Meistens lassen sich Gespräche auch mit einfachen Vokabeln führen. Und wenn nicht, so tritt ein Lächeln an die Stelle von Worten. Was vielleicht nach wenig klingt, ist in Wahrheit sehr viel wert. Für die Geflüchteten, weil sie im Weltcafé ein kleines bisschen Integration erfahren und praktische Hilfe bekommen. Und für uns Einheimische, weil es schön ist, in ein ausländisches Gesicht zu schauen und einen Bekannten darin zu erblicken. Einige von uns haben sogar Freundschaften geknüpft.

Und ganz gewiss haben wir sehr gelacht, als wir kürzlich versucht haben, einander Tänze aus den verschiedensten Gebieten der Welt beizubringen. Am letzten Dienstag des Monats ist die Welt immer noch groß und grausam. Aber sie ist auch ein Ort der Freundlichkeit und der Begegnung von Rami und Ulrike, von Marah und Ahmad, von Klaus-Dieter, von Beni, von Jan, von Rajil, von Aniced, von Sibyll, von Hassan, von Leyla, von Karin, von Emma, von Hussein, von Finja, von Christina, von Anna... ■

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Ein ganz besonderes „Klicken“ Von Florian Redecker

Kennst Du das? Gibt es Geräusche, mit denen Du eine Situation, eine Stimmung oder ein Bild in Verbindung bringst?

Pastors oder der Pastorin wieder ins Leben. Vielleicht gehen wir nachdenklich weiter, vielleicht auch voller Freude.

Bei mir gibt es solch ein Geräusch, bei dem ich an unsere schöne St.-Martini-Kirche denke. Ein Geräusch, mit dem ich den Kindergottesdienst, die Konfirmandenzeit oder manch stimmungsvollen Heiligabend- oder Weihnachts- oder sonstigen Gottesdienst verbinde. Vielleicht auch eine Taufe oder eine Hochzeit, bei der man gespannt ist, wer da draußen mit Aktion oder Spalier vor der Tür wartet. Besonders wenn draußen schon Schnee liegt, viele andere Geräusche von ihm geschluckt zu werden scheinen, ist der Klick des Türhalters am vorderen Eingang im Turm der Sankt Martini Kirche unverkennbar.

Wie alt mag er sein. Betagt sieht er aus, versieht seine Arbeit aber zuverlässig wie am ersten Tag. Er scheint das Ergebnis fachkundiger Hände Arbeit zu sein. Wenn man ihn sich genau ansieht, dann könnte man meinen, der Kopf eines Vogels schaue aus dem Pflaster. Und doch folgt der Form dieses robusten Helfers nur die Funktion.

Dieses Geräusch entlässt uns nach dem Segen des

Er hält die Tür auf. Für die, die kommen und für die, die gehen. Er macht aus der Kirche ein offenes Haus. Eigentlich ein schöner Gedanke. Jeder von uns sollte so einen Türhalter in sich haben, der dafür sorgt, dass wir unvoreingenommen offen miteinander umgehen. ■

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700 Jahre St. Martini 30 Jahre Weltladen Stadthagen

„Am Sonnabend, den 05.12.1987 eröffnet in Stadthagen in der Klosterstraße 9, der „Dritte-Welt-LadenStadthagen“. Der Laden wird unter der Verantwortung des Landesjugendpfarramtes Schaumburg-Lippe geführt. Landesjugendpfarrer Hans Redenius hat zusammen mit dem Arbeitskreis für „Mission und Entwicklung“ das Projekt vorbereitet. Der Arbeitskreis verfolgt das Ziel, Verantwortung für (die) „Eine Welt“ zu wecken und zu stärken.“ Pressemitteilung des Landesjugendpfarramtes vom Dezember

„Wenn Ihr uns gerechte Preise zahlt, könnt Ihr Eure Almosen behalten!“ (Dom Helder Camara, brasilianischer Bischof)

„Fairer Handel heißt für uns, dass wir unsere Kinder zur Schule schicken können.“ (Sunita, Schatzmeisterin der Gruppe Taja 16, TARA Projects, Indien)

Gerechtigkeit (fairer Lohn) im Handel, Menschenwürde zurückgeben Langfristige Verträge und Vorfinanzierungen Verbesserung der Lebenssituation Zukunftsperspektive geben „Hilfe zur Selbsthilfe“ keine Kinderarbeit! Förderung der Entwicklungsmöglichkeiten benachteiligter ProduzentInnen Verbesserung der Welthandelsbedingungen Bewusstseinsstärkung

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Petra Peuser: „Seit 2009 bin ich im Weltladen aktiv! Es macht mir viel Freude, den fairen Handel zu unterstützen und in einem netten Team zu arbeiten!“ Regina Tieste: „FAIRkauf ist mir wichtig und wie ist es bei Dir/Ihnen?“

Sylvia Thieme: „Lieber fairtrade als verdreht!“ Christa Toepfer–Huck: „Im Weltladen mitarbeiten heißt für mich: sich ehrenamtlich für fairen Handel zu engagieren, dadurch die Welt ein wenig gerechter zu machen und dabei viel Freude im Umgang mit Menschen zu haben.“ David Lachmann (Star Wars-Fan): „Ein Schritt auf dem Pfad zur hellen Seite, fairer Handel ist!“ Regine Hauschild: „Wenn die meisten sich schon armseliger Kleider und Möbel schämen, wie viel mehr sollten wir uns da erst armseliger Ideen und Weltanschauungen schämen.“ Albert Einstein Gudrun Stüber: „Ich arbeite gern fair!“ Ursula Biesemeier: „Wir suchen viele helfende und „fairändernde“ Hände im Weltladen und auch im Arbeitskreis: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ Mahatma Gandhi

Weltladen Stadthagen Am Kirchhof 5

05721 / 71809 weltladen-stadthagen@gmx.de www.weltladen.de/stadthagen

Mo – Fr

09.30 - 13.00 Uhr 15.00 - 18.00 Uhr 09.30 - 13.00 Uhr

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Ein „M“ für St. Martini Designerin Katharina Pätzold hat das neue Martini-Logo kreiert

Ein Logo zur Feier des 700-jährigen Bestehens der St.-Martini-Gemeinde entwerfen. „Kann doch nicht so schwer sein“, denkt der Laie. Doch weit gefehlt: Mehr als 35 Stunden reine Arbeitszeit stecken in dem Projekt. „Und dabei habe ich noch gar nicht alle Punkte der Planungsphase einberechnet“, schildert Kommunikationsdesignerin Katharina Pätzold. Neben der generellen Ideenfindung standen auch die Auswahl von Farbe, Form und Schriftart auf ihrem Arbeitsplan.

Voraussetzung sei zum einen der historische Bezug zum Schutzheiligen St. Martin gewesen. Zum anderen sollte das Logo gut verständlich sein und in Print und Web gleichermaßen funktionieren. „Zunächst habe ich mich im Umfeld umgeschaut: Wofür steht St. Martin? Wie möchte sich die Kirche darstellen? Und wie stellen sich andere Kirchen dar?“, erläutert Pätzold den Schaffensprozess. Dabei habe sie Wärme und Herzlichkeit als besonders wichtig eingestuft und dazu passende Rottöne gewählt.

Pätzold kam erst vor zweieinhalb Jahren von Berlin nach Stadthagen und leitet mit ihrer Partnerin Janine Martini das Stoffkontor an der Fröbelstraße. Der Kontakt zur Kirchengemeinde entstand durch ihre Arbeit für die Alte Synagoge, für die sie das optische Konzept zur Ausstellung „Juden in Schaumburg“ entwarf.

Die erste Idee war die Szene der Mantelteilung. Darin zerschneidet ein römischer Offizier, der später zu St. Martin werden sollte, seinen Umhang, um einen unbekleideten Bettler vor der Kälte zu schützen. „Das habe ich jedoch verworfen, weil das Logo auch außerhalb des Jubiläums Verwendung finden und die Historie deutlicher in die Gegenwart bringen soll.“

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Katharina Pätzold zeigt am PC-Bildschirm das von ihr entworfene Logo der St.-Martini-Gemeinde.

Schließlich wählte die Designerin das Initial „M“ als Grundlage. Dieses veränderte und verfremdete sie immer weiter, bis es durch Form und Farbe einem zweigeteilten Umhang ähnlich sah.

Dieses Design konnte sich dann auch bei den Verantwortlichen der Gemeinde durchsetzen. Man sei sich eigentlich schnell einig gewesen, berichtet Pätzold.

Als Grundlage des neuen Logos diente das Initial „M“ des Heiligen St. Martin.

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Der Tag, der alles veränderte Warum Bettina Götz und ihre Familie von „U-Boot-Christen“ zu engagierten Gemeindemitgliedern wurden

„Eigentlich waren wir typische U-Boot-Christen“, sagt Bettina Götz schmunzelnd. Was die 55-jährige Stadthägerin damit meint: Sie und ihre Familie gingen früher lediglich bei besonderen Anlässen in die Kirche – also zur Weihnachtszeit oder gelegentlich zu einem Konzert. Die eigene Konfirmation sowie die spätere Trauung mit ihrem Mann Olaf ändern nichts an der Selbsteinschätzung der zweifachen Mutter. „Obwohl wir nicht zu den besonders Gläubigen gehörten, hätte uns ohne Kirche und Orgel bei der Hochzeit etwas gefehlt“, sagt sie rückblickend über diesen besonderen Tag im November 1991. Einige Jahre später besuchten dann beide Kinder die Martini-Kita Regenbogenhaus. So weit, so normal: Doch dann kam der eine Tag, der alles verändern sollte. „Plötzlich wollte unser Sohn im Teenager-Alter als Posaunist im Posaunenchor der Kirche mitspielen“, erinnert sich Bettina Götz. „Das gefiel ihm so gut, dass seine jüngere Schwester kurz darauf Horn lernen wollte.“ Damit nicht genug: „In der Folge begann mein Mann dort auch noch als Trompeter.“ Alle drei sind nach wie vor mit Herzblut dabei – ebenso wie Bettina Götz, deren Alt-Stimme inzwischen seit vielen Jahren im Chörchen erklingt, dessen Mitglieder sich immer donnerstags zur Chorprobe im Jakob-Dammann-Haus treffen. „Dabei geht es immer ausge-

sprochen locker und entspannt zu“, schildert die gelernte Speditionskauffrau, die im kaufmännischen und administrativen Bereich einer in Helpsen ansässigen Firma arbeitet. Ihrer Kirchengemeinde ist die 55-Jährige quasi von Geburt an treu und eng verbunden: In der St.-Martini-Kirche erlebte sie nicht nur ihre eigene Taufe, Konfirmation und Hochzeit, sondern auch die Einsegnungsfeier anlässlich der Silberhochzeit mit Ehemann Olaf. „Das ist nach 25 Jahren zwar eher ungewöhnlich, war uns aber wichtig“, sagt Bettina Götz, die damit dieselben Feierlichkeiten in dem historischen Gebäude beging wie zuvor bereits ihre Mutter Inge. Und auch deren mittlerweile erwachsenen Enkelkinder fügen sich in diese Reihe ein: „Die Taufen und Konfirmationen fanden selbstverständlich ebenfalls hier in der Gemeinde statt“, macht die 55-Jährige deutlich – findet all das jedoch weder außergewöhnlich noch bemerkenswert: „Denn wir sind nach wie vor ganz bestimmt keine furchtbar musikalische oder christliche Familie, sondern völlig normale Menschen.“

Bettina Götz und ihre Familie sind der St.-Martini-Kirchengemeinde eng verbunden: Während Ehemann Olaf und die beiden gemeinsamen Kinder im Posaunenchor mitwirken, singt die 56-jährige Stadthägerin im Chörchen – dessen Notenblätter in einem dicken Ordner Platz finden.


Statements

„Ich bin in Stadthagen geboren und dann in der St.-Martini-Kirche getauft und konfirmiert worden. Und genau hier habe ich auch geheiratet und später erst meine silberne und dann meine goldene Hochzeit gefeiert. Außerdem helfe ich schon seit vielen Jahren bei den Kaffeenachmittagen im Jakob-Dammann-Haus. Die Gemeinschaft hier ist immer ausgesprochen herzlich und fröhlich – auch bei den kleinen Ausflügen, die wir regelmäßig machen.“

„Ich bin in der MartiniGemeinde aufgewachsen und hier unter anderem in der Jugendarbeit tätig – als Betreuerin ebenso wie in der Organisation von Veranstaltungen. Einer der wiederkehrenden Höhepunkte ist die jährliche Freizeit auf Spiekeroog. Aber auch die Teilnahme an den speziellen Jugendgottesdiensten macht eine Menge Spaß.“ Sabrina Bolten (19 Jahre), Stadthagen

Edith Mensching (85 Jahre), Stadthagen

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„Ich habe als Vierjährige im Kinderchor angefangen und singe inzwischen im Jugendchor. Die Auftritte und Übungsstunden machen total viel Spaß und sorgen für ein tolles Gemeinschaftsgefühl – auch bei den regelmäßigen Chorfreizeiten, an denen ich immer wieder gerne teilnehme.“ Mara Südmeyer (14 Jahre), Stadthagen


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Jahresprogramm Kirchenmusik – eine Auswahl Konzertreihe zum Jubiläum „Annum per annum – Jahr für Jahr“ Messvertonungen durch die Jahrhunderte

In diesem Jahr feiern wir das 700jährige Jubiläum der St.-Martini-Kirche Stadthagen. Stille und Klang haben diesen wunderbaren Raum seitdem gefüllt. Klage und Lob, Verzweiflung und Hoffnung haben viele Generationen christlicher Gemeinde und unzählige Einzelne hier gebündelt und vor Gott gebracht. Von besonderer Beständigkeit ist dabei immer auch die scheinbar so flüchtige musikalische Äußerung gewesen und so lässt sich bei der Vergegenwärtigung meisterhafter Musik tief in vergangene Zeiten hineinhorchen. Erstaunlich viel davon kann auch uns heute von neuem berühren und beeindrucken. Deswegen freue ich mich sehr, Ihnen in diesem Jahr ein besonders reichhaltiges Musikprogramm vorstellen zu dürfen. Mit dem Schwerpunktthema „Annum per annum – Jahr für Jahr“ | Messvertonungen durch die Jahrhunderte kommen alte und neue Kompositionen zum Erklingen, darunter Höhepunkte der Musikgeschichte wie die großen Messen von Mozart und Bach. International prominente Künstler musizieren neben unseren zahlreichen eigenen musikalischen Gruppen, Gäste aus der Nähe und aus Nord-, Süd-, Ost- und Westeuropa bringen uns interessante Begegnungen. Sie sind herzlich eingeladen, dabei zu sein und mitzufeiern. Ihr Christian Richter

So / 21. Januar 2018, 15 Uhr Eröffnung des Jubiläumsjahres „700 Jahre St.-Martini-Kirche Stadthagen“ • Festvortrag: Dr. Johann Hinrich Claussen (Kulturbeauftragter der EKD) • Musik aus dem Jahresprogramm von Ockeghem, Bach, Mozart, Schubert, Martin, Pärt, Chilcott • Dorothea Winkel (Sopran), Markus Manderscheid (Orgel) • St. Martini-Kantorei, Vokalensemble Stadthagen So / 11. März 2018, 17 Uhr Huelgas Ensemble – „Ein polyphones Kaleidoskop“ • Vokalmusik aus dem 14. bis 17. Jahrhundert • Leitung: Paul Van Nevel • veranstaltet vom „Förderkreis für Kirchenmusik an St. Martini“, gefördert durch die Stiftung Niedersächsischer Volksbanken und Raiffeisenbanken und die Volksbank Hameln-Stadthagen So / 29. April 2018, 17 Uhr Frühlingskonzert der St. Martini Brass Band • Leitung: Michael Mensching So / 6. Mai 2018, 17 Uhr Wolfgang Amadeus Mozart: Missa in c KV 427, Klavierkonzert in C KV 467 • Sophia Körber, Karola Pavone, Javier Alonso, Joachim Höchbauer • Eckhart Kuper (Hammerflügel) – Barockorchester L’Arco Hannover • St. Martini-Kantorei, Vokalensemble Stadthagen, Leitung: Christian Richter

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So / 17. Juni 2018, 11 Uhr

So / 30. September 2018, 10 Uhr

„Gegen den Strom“ – ein Kinderchormusical über den Hl. Martin • zum 700jährigen Bestehen der St.-Martini-Kirche (Uraufführung) • vom Autorenteam Disselkamp/Richter/ Südmeyer/Weißbarth • Kinderchöre und Jugendchor an St. Martini, König-David-Band

Musikalischer Gottesdienst mit der G-Dur-Messe von Franz Schubert •M eike Leluschko, Simon Jass, Johannes Schwarz • S t. Martini-Kantorei, Cappella Martini • L eitung: Gerald A. Manig So / 28. Oktober 2018, 17 Uhr Herbstkonzert der St. Martini Brass Band • L eitung: Michael Mensching

12. Orgelsommer an der Kern-Orgel – sonntags jeweils 18 Uhr • Europäische „Martini“-Organisten • So / 1. Juli Zsigmond Szathmáry (Vertreter des Geburtslandes des Hl. Martin Ungarn) • Bruhns, Bach, Franck, Szathmáry • So / 5. August Philippe Bataille (Basilique St. Martin Tours) • Bach, Bonnet, Vierne und Widor • So / 19. August Daniel Beckmann (Hoher Dom St. Martin zu Mainz) • Bach, Reubke und Widor • So / 2. September Leo van Doeselaar (St. Martinikerk Groningen) • Charpentier, Bach und Brahms (Haydn-Variationen)

Sa / 3. November 2018, 19 Uhr Frank Martin: Messe für zwei Chöre Felix Mendelssohn Bartholdy: Te Deum für achtstimmigen Chor und Solisten • Vokalensemble Stadthagen, Wolfsburger Kammerchor • Leitung: Markus Manderscheid und Christian Richter Sa / 1. Dezember 2018, 19 Uhr „Ite missa est – Gehet hin in Frieden“ Musik unter den 18 Schluss-Steinen des Gewölbes von St. Martini • I mprovisationen und Raumkompositionen mit verschiedenen Ensembles •M itwirkende sind unter anderem das Ensemble „Cantus aureus“ mit Dorotea, Karola und Sofia Pavone sowie Kerstin Bauer, der Bariton Christos Pelekanos, die Geigerin Katharina Sommer, Ulrich Meyer am Saxophon und Christian Richter an der Orgel.

So / 19. August 2018, 10 Uhr Musikalischer Gottesdienst mit der Jazzmesse von Bob Chilcott • Vokalensemble „conTakt“, Leitung: Dorotea Pavone Sa / 25. August 2018, 18 Uhr Die St. Martini Brass Band spielt zur Eröffnung des Weinfests der St.-Martini-Gemeinde • Leitung: Michael Mensching

So / 16. Dezember 2018, 15 Uhr Kinderkonzert, 17 Uhr Konzert Johann Sebastian Bach: Weihnachtsoratorium I-III •K arola Pavone, Sofia Pavone, Benjamin Kirchner, Matthias Gerchen • S t. Martini-Kantorei, Vokalensemble Stadthagen, Kinder- und Jugendchor St. Martini •B arockorchester L’arco Hannover, Leitung: Christian Richter

Sa / 22. September 2018, 19.30 Uhr Johann Sebastian Bach: Messe in h-moll • Robin Johannsen (Sopran), Sophie Harmsen (Mezzosopran), Jakob Pilgram (Tenor), Andreas Wolf (Bass), NDR-Chor, Concerto Köln – Leitung: Andrea Marcon • im Rahmen der „Niedersächsischen Musiktage“ – zusammen mit „Kultur Stadthagen“, • gefördert durch die Niedersächsische Sparkassen­ stiftung und die Sparkasse Schaumburg

Do / 27. Dezember 2018, 19 Uhr Weihnachtskonzert der St. Martini Brass Band • L eitung: Michael Mensching

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IMPRESSUM Herausgeber: EV.-LUTH. ST. MARTINI-GEMEINDE Am Kirchhof 3 31655 Stadthagen Oberprediger & Superintendent Martin Runnebaum Mit der Redaktion beauftragt: Bettina Götz, Florian Redecker, Wolf-Peter Koech Layout: Schaumburger Nachrichten, Vera Elze Text: Bei den Beiträgen angezeigt oder von der Redaktion erstellt sowie Holger Buhre und Christoph Scholz Illustration: Philipp Patschan (Hamburg) Lektorat: Sigrid Stoltze Bildnachweis: Aus dem Archiv der Gemeinde (Grabowski, Roger – Stadthagen) – Gude, Dr. Martin (Stadthagen) – Koech, Rahel-Maria (Münster) – Pönnighaus, Helge (Heidelberg) – Reckstadt, Rüdiger (Stadthagen) – Scholz, Dr. Eckhard (Markkleeberg) – Selsemeier, Frank (Stadthagen) – Stadt Stadthagen – Trapp, Tobias (Oldenburg), Vollmer, Theodor (Lauenau) Bilder für diese Ausgabe: Roger Grabowski, Vera Skamira, Holger Buhre, Christoph Scholz Architektur-Bildarchiv – Thomas Robbin, Bahnhofstraße 162, 45701 Herten Die aus dem Archiv verwandten Bilder entsprechen denen des Kirchenführers der St.-Martini-Kirchengemeinde „St.Martini-Kirche / Mausoleum – Stadthagen“

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