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Das WBG zwischen 1994 und 2020 – Erinnerungslücken eines Schulfossils

Die Ergebnisse der erfolgreichen Rettungsaktionen hatten sich in Stadthagen nicht sofort überall herumgesprochen. Wer im Juni 1994 hier ankam, um sich am neuen „Dienstposten“ vorzustellen, konnte einen Augenblick des schaumburg-lippischen Pans erleben: „Wilhelm-Busch-Gymnasium? Gibt’s hier nicht“, war sich der Taxifahrer sicher, der den hoffnungsvollen Aspiranten dann doch in die Schachtstraße fuhr, weil es dort ja die IGS gebe.

In Wiedensahl lebt Wilhelm Busch und dichtet, (auch das kann Hamann) Und: Er richtet’s!

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Das Neue Gymnasium war allerdings definitiv Geschichte. Erdrückt vom roten Ziegelstein eines Neubaus im Westen, sah der der graue Sichtbeton aus den 70er Jahren zwar wenig ansprechend aus, aber im Innern ging es höchst lebendig zu – an einem Freitagnachmittag. In der Pausenhalle auf der Bühne - jetzt strahlt am gleichen Ort die „Cafte“ - probte ein Theaterkurs und in der Turnhalle trainierte die VolleyballAG. Schulleben, dem Unterrichts- und Bürozeiten nicht reichten. Auch der Schulleiter war noch vor Ort. In seinem Büro herrschte gesteigerte Lebendigkeit zwischen wohlgeordneten Leitzordnern und Loseblattsammlungen; einnehmende Zuversicht und optimierender Ideensprudel begrüßten den Neuen, als habe die Schule nur auf ihn, seine Einsatzfreude und Engagement gewartet. Das schmale, spartanisch eingerichtete Büro des Schulleiters, der sich damals mit ca. 15 m² begnügte und im Nachbarzimmer segensreich von Frau Heiber unterstützt wurde, war offenbar eine Herzkammer des Neuanfanges, deren Tür tatsächlich im Regelfall jedem und jeder zu allen Zeiten offenstand. Gearbeitet wurde trotzdem, klug, zielstrebig und in genauer Kenntnis der Bedingungen vor Ort. Diese Schule suchte freundlich kollegial, immer pädagogisch reflektiert, häufig fröhlich und (gelegentlich) feierlustig nach neuen Wegen zwischen traditionellem Gymnasium und IGS. Eine Schule im Aufbruch.

Was im Einzelnen hinter dem Kollegium lag, konnte der Neuankömmling noch nicht wissen. Eigenwerbung und bunte Selbstdarstellung, die sich heute jeder zuvor auf der Homepage angesehen hätte, waren damals beschränkt auf die Seiten der Lokalzeitungen. In einer Kleinstadt wie Stadthagen, damals noch mit – selbst backenden – Bäckern und Knochenhauern, existierten noch zwei unabhängige Redaktionen. Artikel zum drohenden Ende des zweiten Stadthäger Gymnasiums entstanden hier seit 1993 nicht mehr. In einer „Bilanz nach 300 Tagen“ halten die SN fest: Die Umstellung auf den Ganztagsbetrieb ermögliche die gezielte Förderung aller Schüler in den Hauptfächern, während in A&Ü Hausaufgaben erledigt werden könnten und in Zusammenarbeit mit der Kreisjugendmusikschule „MuPra“ angeboten werde, so dass „behutsame Begabtenförderung und umfassende Breitenförderung“ gelinge und man „mit Optimismus in die Zukunft schauen“ könne. Ein schulpolitischer Spagat, den andere Gymnasien in Niedersachsen inzwischen auch beherrschen. Was heute landesweit Standard ist, entwickelte sich seit 1993 am WBG notwendigerweise früher: 1995 wurde die Musikpraxis („MUPRA“) als Schulversuch als eine von niedersachsenweit sieben Schulen anerkannt. Grundsätzlich jeder Schüler sollte ab Jg. 7 die Möglichkeit haben, praktische Erfahrungen an einem Instrument zu erwerben. Das Sponsoring der Instrumente lag Herrn Bertram besonders am Herzen. Die heutigen Bläserklassen im Jg. 5 und 6, die Percussionsgruppe, das Mittel- und Oberstufenorchester sind aus dieser anspruchsvollen Konzeption hervorgegangen. Die Stimmen blieben im Ohr, wenn z. B. VOX MANET, vier von Petra Brauner-Reid und Andrew Reid ausgebildeten Schülerinnen, zu hören waren.

Die Intensität des Engagements des Kollegiums und die Lebendigkeit des ganzen Schulorganismus in den neunziger Jahren, prägte auch die Ge-

samtkonferenzen, die – vor dem neuen Schulgesetz von 1998 – Wichtiges selbst Schulgesetz von 1998 – Wichtiges selbst entscheiden konnten. Der WBG-Neuentscheiden konnten. Der WBG-Neuling, der ritualisierte Grabenkämpfe aus ling, der ritualisierte Grabenkämpfe aus drei anderen Gymnasien kannte, konnte drei anderen Gymnasien kannte, konnte sehen, dass es hier ernsthaft um Pädagosehen, dass es hier ernsthaft um Pädagogisches und Inhaltliches ging. Heutiger gisches und Inhaltliches ging. Heutiger Hygge- und EntschleunigungssehnHygge- und Entschleunigungssehnsucht dürfte das befremdlich vorkomsucht dürfte das befremdlich vorkommen. Die Atmosphäre im Lehrerzimmer men. Die Atmosphäre im Lehrerzimmer knisterte bereits morgens. Ein sonst imknisterte bereits morgens. Ein sonst immer freundlich entspannter, begeistert mer freundlich entspannter, begeistert alle Kollegen umarmender, souveräner alle Kollegen umarmender, souveräner Schulleiter war angespannt, wenn am Schulleiter war angespannt, wenn am Nachmittag eine GK anstand, obwohl er Nachmittag eine GK anstand, obwohl er auf seinen gut instruierten Mittelstufenkoordinator zählen konnte. Entspannt, vielleicht sogar in deutlicher Vorfreude auf die Auseinandersetzungen am Nachmittag wirkte dagegen sein Stellvertreter, kommissarischer Vorgänger und Nachfolger, Herr Sassenberg. Erfahrungen in der Kommunalpolitik relativierten vielleicht schulische Sensationen.

Die Debatten und Diskussionen wurden mit Verve und Temperament geführt, so dass es zu einer Willensbildung des ganzen Kollegiums kam, wie sich die Schule weiter entwickeln sollte. Wo heute politisch korrekt von „Mitnehmen“ und „Augenhöhe“ die Rede ist, musste das Kollegium sich streiten, trug den jeweiligen Beschluss dann aber (zumindest vergoldender Erinnerungen eines ehemaligen Neulings nach) sicher mit. Zu entscheiden gab es viel: Pädagogische entscheiden gab es viel: Pädagogische Konkretisierung des Ganztagskonzeptes, Konkretisierung des Ganztagskonzeptes, Klassenlehrerpädagogik, Gestaltung der Klassenlehrerpädagogik, Gestaltung der Mittagspause, Aufsichtspflichten, FörMittagspause, Aufsichtspflichten, Förderkonzepte, Hausaufgabenregelung, derkonzepte, Hausaufgabenregelung, Wochenplan, Vorschläge der PädSchul, Wochenplan, Vorschläge der PädSchul, Kooperationen mit dem FachgymnaKooperationen mit dem Fachgymnasium Technik, den Orientierungsstufen, sium Technik, den Orientierungsstufen, der Oberstufenkooperation mit der der Oberstufenkooperation mit der IGS, Modellversuch D-Zug – Klasse, EinIGS, Modellversuch D-Zug – Klasse, Einführung der Fächer Spanisch, Informatik führung der Fächer Spanisch, Informatik und Wirtschaftslehre, bilingualer Zweig und Wirtschaftslehre, bilingualer Zweig bis zum Abitur, Austauschmaßnahmen mit England, USA, Frankreich, Polen, Finnland, Ungarn, Spanien. Die Diskussionen kreisten immer auch um die pädagogischen Konsequenzen der jeweiligen Innovation: Die Schüler sollten (und sollen) sich in der Schule wohlfühlen. Jede und jeder soll eine faire Chance haben, Anstrengungsbereitschaft zu entwickeln und Spaß am eigenen Leistungsvermögen zu bekommen. Wenn er oder sie, sie oder er, dabei eigene Interessen entwickelt und ein Bewusstsein für die eigenen Stärken bekommt, fällt nach dem Abitur die Entscheidung für ein Studium oder eine Berufsausbildung hoffentlich auf einer guten Grundlage. Die Basis für dieses Profil unserer Schule wurde in diesen Jahren gelegt. Das gilt auch für Entscheidungen über vermeintliche Kleinigkeiten: kreisförmige Anordnung der Tische zumindest in den Räumen der Kursstufe, Glasfenster in den Türen der Klassenräume, Zugang zu den Klassenräumen auch in der Mitzu den Klassenräumen auch in der Mittagpause und vor dem Unterricht. Das tagpause und vor dem Unterricht. Das Motto „Wertschätzung, Bildung, GeborMotto „Wertschätzung, Bildung, Geborgenheit“ konnte so später zu Recht auf genheit“ konnte so später zu Recht auf die Homepage gestellt werden. die Homepage gestellt werden.

Die Debatten der Anfangsjahre, die alle Die Debatten der Anfangsjahre, die alle Kollegen so intensiv beschäftigten, dass Kollegen so intensiv beschäftigten, dass sie anschließend im „Setzkasten“ oder in anderen Lokalitäten (mit nicht immer druckreifen Kommentaren) nachberaten werden mussten, sind vorbei. Nach der Änderung des Schulgesetzes von 1998, mit dem die Stellung der Schulleiter gestärkt und ein Schulvorstand eingerichtet wurde, ist die Bedeutung der GK deutlich gesunken. Sie soll zwar noch über pädagogische Angelegenheiten entscheiden, ist aber i. d. R. zu einem Präsentationsforum gestutzt worden, in dem die verschiedenen Gremien der Schule berichten: Die SV hat über die Gestaltung des Schulhofes gesprochen, ihr alljährliches Klassensprecherseminar abgehalten, den Weihnachtsbazar, das Sommerfest oder das Nachbarschaftsfest mit der IGS organisiert; die Elternvertretung hat sich über die Situation an der Bushaltestelle mit dem Landkreis ins Benehmen gesetzt, Arbeitsgruppen präsentieren ein Konzept, dem dann zugestimmt wird. Entscheidungen fallen vorher, in der Verwaltungsrunde, im Schulvorstand oder den Arbeitsgruppen. Die Entscheidungsprozesse sind so deutlich verschlankt und beschleunigt

worden. Aber Vorentscheidungen von Gremien, die dann – auf welchem Wege auch immer – in der GK eine Mehrheit finden, garantieren nicht immer, dass die Schule als Ganzes sich weiterentwickelt. GK heute – nach zwei Stunden ist der Pflichttermin sicher vorbei.

In Wiedensahl lebt Wilhelm Busch und schreibt Was Knechtel plant, das klappt und bleibt.

Nur Wachstum reiche nicht, hatte Friedhelm Hamann, der Schulleiter von 1993 bis 2002, beim Abschied der Zeitung anvertraut. Neuerungen der Schulstruktur bedeuteten für die Schule aber zunächst genau dies. Es begann eine Zeit, in der nicht von der Schule selbst die Neuerungen ausgingen, sondern der Gesetzgeber, nach dem Pisa-Schock zur Hyperaktivität neigend, eine Änderung vor der nächsten für eine jetzt „eigenverantwortlich“ genannte Schule anordnete. Einiges blieb bis heute, anderes verschwand stillschweigend oder unter heftigem Mediengerausche. Das G8, das Abitur nach 12 Jahren, ist mittlerweile in Niedersachsen wieder Geschichte. Die jahrelange Arbeit an Erstellung, Evaluation und Überarbeitung schulinterner Curricula ist damit hinfällig, darf aber neu aufgenommen werden: Was seinerzeit „stofflich entschlackt“ werden sollte, gilt es jetzt zu dehnen.

An die „Abschlussprüfungen“ am Ende des Jahrgangs 10 in zwei Fächern schriftlich, in einem mündlich auch am Gymnasium, parallel zu den Abiturprüfungen, denkt heute kaum noch jemand. Sie verschwanden schon nach zwei Jahren wieder, stillschweigend, zum Glück und zu Recht. Vergleichsarbeiten im Jg. 8 werden nur noch in Mathematik, nicht mehr in Englisch oder Deutsch durchgeführt. Wie die Schulinspektionen weitergeführt werden, ist z. Zt. unklar. Beide hat das WBG mit immer erfreulichem Ergebnis absolviert, aber die vorher zu leistenden Schreib- und Dokumentationspflichten gingen auf Kosten der Unterrichtsvorbereitung und verstauben jetzt im Archiv der Schule und der Behörde. Heiko Knechtel, der Schulleiter von 2002 bis 2012, steuerte das WBG-Schiff in diesen bürokratischen Orkanen sicher und verlässlich „mit ruhiger Hand“, wie die SN bei seiner Verabschiedung titelten. Er organisierte die Verwaltung in der Schule, nachdem die Bezirksregierungen aufgelöst worden waren und der auf der Mittelebene nun „schlanke Staat“ unten, auch in unserer Schule, verdickte. Oberratsstellen mussten bevorzugt mit Verwaltungsaufgaben „gewidmet“ werden, auch wenn diese, dotiert mit A 14, oft nur im Erstellen von Kurslisten, Abrechnungen und Statistiken oder anderen Sekretariatsarbeiten bestehen. Ob der Etat des Landes so geschont wird?

Auch „Wachstum“ ließ sich nicht vermeiden. Die Abschaffung der Orientierungsstufen in Niedersachsen im Sommer 2004 brachte den weiterführenden Schulen einen Schüleransturm, für den sie sich sehr viel Neues einfallen lassen mussten. Vier sechste Klassen kamen nach den Sommerferien von den ehemaligen Orientierungsstufen an das WBG, fünf Fünfte direkt von den Grundschulen. 250 neue Schüler waren vom Schuljahr 2004/05 an unter zu bringen und zu „beschulen“. Zum Glück wurden von den Orientierungsstufen auch Lehrer abgeordnet. Karin Gramel von der OS Stadthagen, Elke Beutler, Edith Griese-Hüsemann aus Helpsen, Doris Bleibaum-Lichtner aus Bückeburg. Sie betreuten als Klassenlehrer die neuen Fünften. Die zuvor über zehn Jahre lang an den Orientierungsstufen eingesetzten Stammkollegen konnten mit ihrem seinerzeit abgeordneten Stundendeputat in diesen Jahrgängen eingesetzt werden, so dass die ’Kleinen‘ in bewährte Hände kamen. Die Schule profitierte davon. Den Kindern wurde ein Schulwechsel erspart, das WBG jünger, auch wenn die ‘Großen‘ anfangs irritiert reagierten, angesichts des – so empfundenen – respektlosen Gewusels in ihren heiligen Gängen, die jetzt mit Schulranzen im Großformat und den anhängenden Quintanern bevölkert wurden.

Ein besonderes Glück dabei: Karin Gramel brachte aus der OS Stadthagen den Grundstock für die Klassenbüchereien der fünften und sechsten Klassen mit, die so mit regelmäßig erneuertem Lesefutter aus Kinder- und Sachbüchern ausgestattet sind. Auch der Vorlesewettbewerb im Jahrgang 6 kehrte dank des Engagements von Elke Beutler an das Gymnasium zurück.

Es wurde also eng. Während der Sommerferien hatte das WBG zwar von der IGS das zweite Stockwerk seines Westtraktes wiederbekommen, leider ohne voll ausgerüstete Schulküche, die in den Jahren zuvor gut nachbarschaftlich für gemeinsames Pizzabacken oder andere frugale Klassenaktivitäten hatte genutzt werden können. Auch sie musste Klassenraum werden, so dass 15 Räume zusätzlich zur Verfügung standen. Aber die Bagger und Betonmischer wurden für die nächsten Jahre zu festen freien Mitarbeitern, bis im September 2007 die Bautätigkeiten zunächst abgeschlossen waren. Das Gebäude war eindeutig schicker geworden: Es hat seitdem einen repräsentativen Verwaltungstrakt mit Industrieparkett und rotem Kunstfaserteppich, eine Licht- und Sonnenhitze durchflutete Pausenhalle, die – auf dem Papier – auch eine bespielbare Bühne aufweist. Deren Akustik allerdings ist wenig schallgeschützt. Krach aus der alten Pausenhalle stört seitdem regelmäßig alle Veranstaltungen mit leiseren oder nachdenklichen Tönen. Nur bloco

Die Abschaffung der Orientierungsstufen brachte den weiterführenden Schulen einen Schüleransturm, für den sie sich sehr viel Neues einfallen lassen mussten.

Schulleitung 2006: Thomas van Gemmern (von links), Holger Wirtz, Horst Sassenberg, Heiko Knechtel, Dela Buchmeier, Manfred Kreft

loco kann sich souverän gegen das – hygienisch zweifellos notwendige – Geklapper beim Geschirrspülen in der ‚CAFTE‘ durchsetzen. Die neue Cafeteria ist – nach vielen Umzügen – zum echten Kommunikationsmittelpunkt der Schule gewordenen, der nicht nur mental und geistig den Schulorganismus nährt, sondern dank der Eltern und Schülern, die den Betrieb organisieren, ihren Brötchen, Snacks für die gesunde Ernährung des Ganzen sorgt. Auferstanden aus den Diskussionen um eine gesunde Ernährung sind mittlerweile sogar die Würstchen von ERNST, dem legendären Hausmeister Ernst Röhrkasse, der immer „zuständig“ und verlässlich erreichbar war und – von keiner Arbeitszeitverordnung gedeckt – in sommerlichen Hitzeperioden morgens um vier alle Räume der Schule händisch lüftete, so dass der Unterricht vier Stunden später wohltemperiert beginnen konnte. Heute sind Sekretariat und Schulleiterzimmer Zufluchtsorte in heißen Sommertagen. Dort sorgt eine Klimaanlage dafür, dass Verwaltungsarbeit kühl gelingt. Die Klassenräume dampfen, aber wenigstens im – entschleunigten – Doppelstundentakt, mit Schwerpunkt auf den MINT-Fächern in ausgezeichnet ausgestatteten Räumen.

In Wiedensahl lebt Wilhelm Busch und malt, aus Boston grüßt jetzt Holger Wirtz und strahlt.

„Internationalisierung“, „Digitalisierung“ und Inklusion waren die Stichworte der nächsten Jahre. Mit den Austauschfahrten der 90er Jahre war für das erste eine solide Basis bereits vorhanden: Ließen sich Großbritannien, USA, Finnland, Polen, Schweiz, Frankreich oder Spanien (fast) klimaneutral mit Schiff oder Bahn erreichen, die Niederlande mit dem fiets, mussten jetzt CO2-Zertifikate erworben werden, um in die Zielländer Indien und Japan zu kommen.

Die Digitalisierung, die mit zwei Computern begonnen hatte, eroberte erst einen, dann drei Räume. Inzwischen stehen überall Geräte, die den Zugang zur Welt öffnen. Dank Adam Klameth funktionieren sie sogar, meistens zuverlässig. Neu sind zwei Räume, in denen Lego-Roboter Kunststücke einüben und Schüler Programmieren lernen. Bei den eindrucksvollen Präsentationen erinnert sich ein Schulfossil gern an das eigene Spielen mit der Modelleisenbahn. Was Digitalisierung in der Bildung bedeutet, ist so klar nach wie vor nicht. Denken, Sprechen und Urteilen, Arbeit und Fleiß, Phantasie, Persönlichkeitsentwicklung,

soziale Empathie und soziale Verantwortung u.v.a. bleiben hoffentlich nicht auf der Strecke. Zu befürchten ist, dass es nicht darum geht, die Kinder fit zu machen, damit sie als Hacker ihren Weg gehen, sondern um eher Schlichtes: Wir haben eine Tablet- Klassenstufe mehr als – andere. Bei uns kommen schon die Siebtklässler in der Zukunft an. Man kann es sehen: Der Landkreis, der mit einem Betrieb des Madsack-Konzerns (wie früher die Sparkasse zum Weltspartag mit roten Sparschweinen an sich) die Kinder an die Marke mit dem angenagten Apfel bindet, hat entschieden. Jgg. 7 und 11 setzen das Tablet als „digitales Hilfsmittel“ ein. Das mag im Unterricht von Kollegen, die sich mit diesen Großhandys auskennen, nicht weiter stören. Für ein Fossil, dem Lesen und Schreiben Voraussetzung für Verstehen und Denken sind, schon. Ja, ich mag es, mit meinen Schülern zu sprechen, sie vielleicht sogar zum Selber- oder zumindest zum Nachdenken anzuregen. Die Vorstellung, am classroom-manager zu überprüfen, ob im Unterricht nur vor sich hin gesurft oder ‚gespielt‘ wird, kann man als Reduzierung auf die Rolle eines Vollzugsbeamten empfinden. Aber vielleicht hat es ja auch einen Reiz, Bildschirme schwarz zu schalten. Vorbehalte von gestern. Wie hilfreich Tablets sind, sieht man doch schon an Bushaltestellen. Selbst hier werden die „digitalen Hilfsmittel“ intensiv genutzt: Schüler mit gesenktem Kopf und zweifellos vertieft – in Bildungswelten. Dem Landkreis sei Dank, dass er in die Curricula des Landes so zukunftswirksam eingegriffen hat. Und die Phäaken sind glücklich.

Die Schulpolitik blieb – medial – erregt, auch zwischen Aktendeckeln. In der Wirklichkeit änderte sich wenig. Die Pisaleistungen im Land blieben mittelmäßig. Aber schöner wurde es – für eine Behörde, die Berichte fordert und Erfolgsmeldungen lesen will und für Anwälte, die sich auf Klagen gegen diese Behörde spezialisiert haben. Einer, der all das erfolgreich begleitet hat, war „das Eigengewächs“ (SN) Holger Wirtz. Erfahren in Gremienarbeit, in eleganter öffentlicher Rede nie um ein alttestamentarisches Zitat verlegen, das zukunftssicher in der lingua franca des Nordatlantiks surft, übernahm er 2012 die Rolle des Hausvaters für biblische sieben Jahre. Auch im Alltag paragraphensicher, kannte er entschieden mehr als jene an

zehn, an Fingern abzählbaren Sätze, die Moses seinerzeit den steinernen Tafeln eingeritzt hatte. Während die Zeit der Loseblattsammlungen zum Schulrecht, dem grünen Claus, ihrem digitalen Ende entgegenging, hatte dieser SL alles im Kopf. Wo andere auf schure.de nachblättern mussten, hatte er die einschlägigen Paragraphen im Zwischenohrenspeicher parat. Dabei konnte auch ein Gang in die Stadt, bei dem nur die Stadtbücherei besucht werden sollte, zum juristischen Leckerbissen werden und blieb so – gelegentlich – ungegangen. Dafür aber hagelte es Siglen und Banderolen, u.a. Europaschule, Umweltschule und Schule ohne Rassismus, so dass jetzt der Platz auf dem Briefbogen der Schule knapp zu werden droht. Wir aber, Schülerschaft und Kollegium, konnten uns aufgehoben fühlen. Sicher durch die Erlassfluten und die jeweilige schulpolitische Mode gesteuert, waren wir Objekt einer fürsorglichen Behüterung, die im Alltag Spuren im Teppichflies des Lehrerzimmers hinterließ. Mehrheiten für das jeweilige „Projekt“ mussten vorbereitet werden. Regelmäßige Anlaufstellen dafür waren die „Gleichstellungsbeauftragen“, die Vorsitzende des Personalrates, die Fachobleute, die Vorsitzenden des Arbeits- und Sicherheitsausschusses und andere. Abstimmungen in Gesamtkonferenzen schlossen sich glatt an. Schulleiter zu sein ist kein Spaß, auch nicht für jemanden, der rheinisch - humorvoll, menschennah und kommunikativ ist. Ein ewiger Karneval ist an der Grenze zum Westfälischen – trotz der Mottowochen der Abiturienten – am WBG in diesen Jahren nicht ausgebrochen.

Aber (und das zählt mehr): So lästig Paragraphenreiterei im Alltag einer Schule sein mag, in Notfällen gibt sie Sicherheit. Vor allem dann, wenn sie mit Medienkompetenz und Vernetzung in vielfältiger Gremienarbeit verbunden ist. In der kritischen Situation im Sommer 2018 erfuhr das Kollegium die schlimme Nachricht nicht auf twitter, facebook oder anderen asozialen Aufregungsgeschäftsmodellen, sondern im persönlichen Gespräch auf einer spontan angesetzten Dienstbesprechung. Gemeinsam lässt sich auch Undenkbares ertragen und Schule als Lebensraum, der immer auch auf Vertrauen angewiesen ist, erfahren. Am Donnerstag konnten die Schüler beruhigt und die medial „sozialen“ Erregtheiten abgefedert werden. Nach zwei Tagen waren die Schlagzeilen Schnee von außen.

Das WBG hat Glück mit seinen Schulleitern, Hausmeistern und Sekretärinnen gehabt. Möge das in den nächsten fünfzig Jahren so bleiben!

Wo andere auf schure.de nachblättern mussten, hatte er die einschlägigen Paragraphen im Zwischenohrenspeicher parat.

Dr. Thomas Schmidt

10 JAHRE

GANZTAGSSCHULE

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