Das WBG zwischen 1994 und 2020 – Erinnerungslücken eines Schulfossils –
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ie Ergebnisse der erfolgreichen Rettungsaktionen hatten sich in Stadthagen nicht sofort überall herumgesprochen. Wer im Juni 1994 hier ankam, um sich am neuen „Dienstposten“ vorzustellen, konnte einen Augenblick des schaumburg-lippischen Pans erleben: „Wilhelm-Busch-Gymnasium? Gibt’s hier nicht“, war sich der Taxifahrer sicher, der den hoffnungsvollen Aspiranten dann doch in die Schachtstraße fuhr, weil es dort ja die IGS gebe. In Wiedensahl lebt Wilhelm Busch und dichtet, (auch das kann Hamann) Und: Er richtet’s! Das Neue Gymnasium war allerdings definitiv Geschichte. Erdrückt vom roten Ziegelstein eines Neubaus im Westen, sah der der graue Sichtbeton aus den 70er Jahren zwar wenig ansprechend aus, aber im Innern ging es höchst lebendig zu – an einem Freitagnachmittag. In der Pausenhalle auf der Bühne - jetzt strahlt am gleichen Ort die „Cafte“ - probte ein Theaterkurs und in der Turnhalle trainierte die VolleyballAG. Schulleben, dem Unterrichts- und Bürozeiten nicht reichten. Auch der Schulleiter war noch vor Ort. In seinem Büro herrschte gesteigerte Lebendigkeit zwischen wohlgeordneten Leitzordnern und Loseblattsammlungen; einnehmende Zuversicht und optimierender Ideen-
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Wilhelm-Busch-Gymnasium
sprudel begrüßten den Neuen, als habe die Schule nur auf ihn, seine Einsatzfreude und Engagement gewartet. Das schmale, spartanisch eingerichtete Büro des Schulleiters, der sich damals mit ca. 15 m² begnügte und im Nachbarzimmer segensreich von Frau Heiber unterstützt wurde, war offenbar eine Herzkammer des Neuanfanges, deren Tür tatsächlich im Regelfall jedem und jeder zu allen Zeiten offenstand. Gearbeitet wurde trotzdem, klug, zielstrebig und in genauer Kenntnis der Bedingungen vor Ort. Diese Schule suchte freundlich kollegial, immer pädagogisch reflektiert, häufig fröhlich und (gelegentlich) feierlustig nach neuen Wegen zwischen traditionellem Gymnasium und IGS. Eine Schule im Aufbruch. Was im Einzelnen hinter dem Kollegium lag, konnte der Neuankömmling noch nicht wissen. Eigenwerbung und bunte Selbstdarstellung, die sich heute jeder zuvor auf der Homepage angesehen hätte, waren damals beschränkt auf die Seiten der Lokalzeitungen. In einer Kleinstadt wie Stadthagen, damals noch mit – selbst backenden – Bäckern und Knochenhauern, existierten noch zwei unabhängige Redaktionen. Artikel zum drohenden Ende des zweiten Stadthäger Gymnasiums entstanden hier seit 1993 nicht mehr. In einer „Bilanz nach 300 Tagen“ halten die SN fest: Die Umstellung auf den Ganztagsbetrieb
ermögliche die gezielte Förderung aller Schüler in den Hauptfächern, während in A&Ü Hausaufgaben erledigt werden könnten und in Zusammenarbeit mit der Kreisjugendmusikschule „MuPra“ angeboten werde, so dass „behutsame Begabtenförderung und umfassende Breitenförderung“ gelinge und man „mit Optimismus in die Zukunft schauen“ könne. Ein schulpolitischer Spagat, den andere Gymnasien in Niedersachsen inzwischen auch beherrschen. Was heute landesweit Standard ist, entwickelte sich seit 1993 am WBG notwendigerweise früher: 1995 wurde die Musikpraxis („MUPRA“) als Schulversuch als eine von niedersachsenweit sieben Schulen anerkannt. Grundsätzlich jeder Schüler sollte ab Jg. 7 die Möglichkeit haben, praktische Erfahrungen an einem Instrument zu erwerben. Das Sponsoring der Instrumente lag Herrn Bertram besonders am Herzen. Die heutigen Bläserklassen im Jg. 5 und 6, die Percussionsgruppe, das Mittel- und Oberstufenorchester sind aus dieser anspruchsvollen Konzeption hervorgegangen. Die Stimmen blieben im Ohr, wenn z. B. VOX MANET, vier von Petra Brauner-Reid und Andrew Reid ausgebildeten Schülerinnen, zu hören waren. Die Intensität des Engagements des Kollegiums und die Lebendigkeit des ganzen Schulorganismus in den neunziger Jahren, prägte auch die Ge-