Gemeinsames Lernen

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Mit dem Gesicht zu den Menschen.

Gemeinsames Lernen

Wie kommen wir zu einer Schule f체r alle?

M채rkische Hefte November 2012

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Verantwortlich

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medienlabor – Agentur für Kommunikation und Medienentwicklung KG

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Liebe Brandenburgerinnen, liebe Brandenburger, Kinder sind das Wichtigste, das wir haben. Deshalb brauchen wir Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen. Bisher verlassen rund 9 Prozent unserer Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss – die meisten von ihnen haben eine Förderschule besucht. Diese jungen Menschen starten mit ungleich schlechteren Bedingungen in das Berufsleben als die Schülerinnen und Schüler mit einem qualifizierten Schulabschluss. Das wollen wir ändern. In Brandenburg sollen deshalb ab dem Schuljahr 2014/2015 auch Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine inklusive Grundschule besuchen können. Die inklusive Grundschule als „Schule für alle“ ist ein wichtiger Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit. Studien und die Erfahrungen unserer europäischen Nachbarn beweisen, dass der gemeinsame Unterricht von lernstarken und lernschwachen Schülern auch bei den Lernstarken zu größeren Bildungserfolgen führt. Im Schuljahr 2012/2013 starten in ganz Brandenburg 85 Pilotschulen. Wir wollen damit an die guten Erfahrungen anknüpfen, die wir mit inklusiver Bildung gemacht haben, neue Erkenntnisse gewinnen und auch so manche Vorbehalte entkräften. Dafür ist der intensive Austausch zwischen Lehrern, Schülern und Eltern ganz wichtig. Wir sind überzeugt davon, dass wir auf diesem Wege unser Bildungssystem nicht nur in seiner Qualität weiter verbessern, sondern es auch sozial gerechter gestalten. Wir Sozialdemokraten wollen kein Kind zurücklassen. Wir sorgen dafür, dass nicht länger viel zu viele Kinder in gesonderten Schulen ausgegrenzt und ihnen damit gute Startchancen genommen werden. Jedes Kind soll in Brandenburg eine gute berufliche Perspektive bekommen.

Ralf Holzschuher MdL Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

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Martina Münch

Die Schule der Zukunft ist die inklusive Schule le gehen, werden schon bald Verantwortung übernehmen in einer Welt, die deutlich vielfältiger und heterogener sein wird, als wir uns das heute vorstellen können. Inklusion ist zukunftsorientiert und bedeutet vor allem Wertschätzung der Vielfalt. Vielfalt ist eine große Entwicklungschance. Dr. Martina Münch ist Ministerin für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg

Genau an dieser Stelle setzt inklusive Bildung an, denn sie schließt alle Kinder und Jugendlichen ein. Inklusive Bildung ist ein

Solidarität und Chancengleichheit sind

Menschenrecht und eine Forderung zu-

sozialdemokratische Leitmotive. Deshalb

kunftsorientierter Bildungspolitik, nicht erst

ist das gleichberechtigte Zusammenleben

seit Ratifizierung der UN-Konvention.

unterschiedlichster Menschen uns sehr wichtig. Unser Ziel ist es, niemanden zu-

Eine inklusive Schule geht von den individu-

rückzulassen. Genau darum geht es bei

ellen Stärken aller Kinder und Jugendlichen

dem etwas sperrig anmutenden Begriff

aus, ermöglicht diskriminierungsfreies Ler-

„Inklusion“.

nen und Leben in einer Balance von Vielfalt

und Gemeinsamkeit und unterstützt jede

Inklusion ist ein Thema, das alle Lebensbe-

Schülerin und jeden Schüler, seine individu-

reiche und unsere gesamte Gesellschaft

ellen Fähigkeiten voll zu entfalten.

betrifft. Ein zentraler Bereich ist dabei die Bildungspolitik. Hier entscheidet sich bereits

Dass hier zunächst Vorbehalte existieren, ist

sehr früh, ob alle Kinder die gleichen Start-

nachvollziehbar. Eine so breite Diskussion kann

chancen ins Leben bekommen.

gar nicht immer nur von Übereinstimmung geprägt sein. Damit inklusive Bildung für alle

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Kinder sind das Wichtigste, das wir haben.

Kinder und Jugendlichen gelingt, brauchen wir

Gerade im Bildungsbereich brauchen wir

deshalb eine breite und nach vorne gerichte-

Chancengleichheit für alle Kinder und Ju-

te Diskussion. Wir alle müssen tagtäglich ein

gendlichen. Die Kinder, die heute in die Schu-

Stück mehr Experten für Inklusion werden.

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Unser Ziel ist: Wir wollen kein Kind zurück-

■■ durch Verankerung von inklusionspäda-

lassen. Jedes Kind ist an der Schule seines

gogischen Inhalten in die Lehramtsaus-

Wohnortes willkommen – mit seinen Stär-

bildung.

ken und Schwächen, mit seinen Begabungen und seinem Unterstützungsbedarf. Wir wol-

2. Qualifizierung von Lehrkräften zur Wei-

len eine Schule, die jedes Kind dort abholt

terentwicklung des integrativen Unter-

und fördert, wo es steht.

richts durch Individualisierung auf dem Weg zu einer „Schule für alle“.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben alle Ressorts der Landesregierung unter Feder-

3. Abstimmung mit den Schulträgern und

führung des Sozialministeriums ein Maß-

den kommunalen Spitzenverbänden über

nahmenpaket für das Land Brandenburg

die quantitative und qualitative Auswei-

zur Umsetzung der UN-Konvention für die

tung der Angebote des gemeinsamen

Rechte der Menschen mit Behinderungen

Unterrichts in Grundschulen und weiter-

erarbeitet Einige wichtige Maßnahmen im

führenden Schulen für Schülerinnen und

Bildungsbereich sind:

Schüler mit Förderbedarf körperlich-motorische Entwicklung, Sehen, Hören, geis-

1. Qualitätssicherung

des

gemeinsamen

tige Entwicklung und Autismus.

Unterrichtes 4. Sicherung von Rahmenbedingungen für ■■ durch bessere Verbindung von schulischer

Diagnostik und Bereitstellung entspre-

eine landesweit vergleichbare Qualität der inklusiven Schulbildung.

chender Förder- und Beratungsangebote, 5. Schrittweiser Umbau des Parallelsystems ■■ durch Ausweitung und Qualifizierung des

von Förderschulen und gemeinsamem

Bildungsberatungs-Angebotes für Schüle-

Unterrichts in Grundschulen und weiter-

rinnen und Schüler mit sonderpädagogi-

führenden Schulen für Schülerinnen und

schen Förderbedarfen sowie deren Eltern,

Schüler mit dem sonderpädagogischen Förderbedarf LES hin zu einer inklusiven

■■ durch Neustrukturierung der sonderpä-

Schule beginnend ab dem zum Schuljahr

dagogischen Beratung und Unterstüt-

2012/13 mit den Pilotschulen. Ab 2015 soll

zung in den staatlichen Schulämtern und

es beginnend mit der Jahrgangsstufe 1

Standardisierung und Zentralisierung der

keine Einschulungen mehr in Förderschu-

Feststellungsverfahren sowie

len für diese Förderschwerpunkte geben.

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

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Bei der Umsetzung von Inklusion brauchen

konzept sein kann. Die Beschlüsse des Land-

wir die Erfahrungen und das Knowhow aller

tages und der Regierungsfraktionen über

Beteiligten. Dabei ist mir eines besonders

den Landeshaushalt zeigen deutlich, dass

wichtig: Die vor uns liegenden Prozesse wer-

uns dies auch Ernst ist.

den Veränderungen in der Arbeit vieler Fachkräfte mit sich bringen, die bisher in Spezi-

Wir werden unser Bildungssystem behutsam

aleinrichtungen unterschiedlicher Art tätig

und mit Augenmaß weiterentwickeln. Dabei

sind – z.B. in Förderschulen. Wir werden sie

liegt unser Hauptaugenmerk zunächst auf

und ihr Können unvermindert brauchen.

Schülerinnen und Schülern mit besonderem Unterstützungsbedarf in den Förderschwer-

Selbstverständlich brauchen wir rechtliche,

punkten Lernen, emotional-soziale Entwick-

pädagogische, personelle und finanzielle

lung und Sprache (LES). Hierzu haben wir

Rahmenbedingungen. Ich habe immer nach-

– beginnend mit dem Schuljahr 2012/13 – in

drücklich vertreten, dass Inklusion kein Spar-

allen Schulamtsbezirken insgesamt 85 Pilot-

Gemeinsames Lernen in Brandenburg auf dem Vormarsch. Teilnehmende Schulen am Pilotprojekt „Inklusive Grundschule“

UM

PR OPR

OHV

HVL

Brandenburg

BAR

MOL Potsdam

Frankfurt (Oder)

LOS

PM

LDS TF

SPN Cottbus

Quelle: MBJS 2012

EE 6

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OSL


schulen, davon 11 in freier Trägerschaft, ein-

Prozent der Gesamtschülerzahl für för-

gerichtet. Diese werden wir wissenschaftlich

derdiagnostische Lernbegleitung in den

begleiten und Erfahrungen beim Aufbau

Schwerpunkten LES und zusätzliche Leh-

inklusiver Schulangebote systematisch sam-

rer-Wochenstunden bei besonderen Prob-

meln.

lemlagen.

Pilotschulen stärken gemeinsames Lernen

■■ Die Pilotschulen erhalten eine prozessbe-

gleitende Fortbildung und Beratung und Transferleistungen durch regionalen und

Die Idee des gemeinsamen Unterrichts ist

überregionalen Erfahrungsaustausch mit

nicht grundsätzlich neu. Bereits jetzt lernt

anderen Schulen.

fast jeder zweite Schüler mit Förderbedarf an einer Regelschule, viele Grundschulen

■■ Grundprinzip ist die kollegiale Fortbil-

haben bereits Erfahrungen mit inklusiver

dung in Netzwerken. Zielgruppen der

Bildung gesammelt. Die Pilotschulen sollen

Fortbildung sind Schulen und deren Netz-

hier ansetzen, Erkenntnisse vertiefen und

werke, nicht Einzelpersonen. Daneben

auf dem Weg zu einer „Schule für alle“ eine

werden Angebote für die Schulleitungen

Brückenfunktion übernehmen.

der Pilotschulen entwickelt.

Für die Pilotschulen werden wir im Jahr 2012

■■ Die Fortbildung der Fachberater/-innen

zwei Millionen Euro zusätzlich einsetzen. Für

und Moderator/-innen hat bereits begon-

die Fortbildung der Lehrkräfte stehen im Jahr

nen.

2012 zusätzlich eine Million Euro zur Verfügung. Die 85 Pilotschulen, die jetzt an den

■■ Die FLEX-Klassen erhalten wie bisher

Start gehen, erhalten gute Startbedingun-

zusätzlich 5 Lehrer-Wochenstunden für

gen:

Differenzierung. Dabei ist die bisher gesonderte Zuweisung für die förderdiag-

■■ Die Pilotschulen werden kleinere Klassen

haben – mit einem Frequenzrichtwert

nostische Lernbegleitung in der Grundausstattung bereits enthalten.

von 23 Schülerinnen und Schülern und ei■■ Diese Rahmenbedingungen bilden für die

ner Obergrenze von 25.

beteiligten Schulen eine verlässliche Basis ■■ Sie erhalten 3,5 Lehrer-Wochenstunden

pro Schüler als Basisausstattung für fünf

für die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler.

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

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Um die beteiligten Lehrkräfte auf die Beson-

derungen, Lehrerverbänden, kommunalen

derheiten einer inklusiven Schule bestmög-

Spitzenverbänden und Schulen, Kirchen und

lich vorzubereiten, erhalten sie eine pro-

weiteren Verbänden sowie den bildungspo-

zessbegleitende Fortbildung und Beratung.

litischen Sprecherinnen und Sprechern der

Daneben können sie vom regionalen und

Landtagsfraktionen.

überregionalen Erfahrungsaustausch mit den anderen am Vorhaben beteiligten Schu-

Seit Oktober 2011 arbeitet der wissenschaft-

len profitieren. Durch Austausch und Fortbil-

liche Beirat von zehn ausgewiesenen Exper-

dung werden Erfahrungen bei dem bereits

tinnen und Experten für Inklusive Bildung.

praktizierten binnendifferenzierten Unter-

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-

richt optimiert. Schulen erhalten zusätzlich

ler für inklusive Bildung haben ihre grund-

bei besonderen Problemlagen Unterstüt-

sätzliche Zustimmung für den Brandenbur-

zung durch wissenschaftliche und fachliche

ger Weg signalisiert. Der Beirat berät das

Begleitung.

Ministerium bei der Umsetzung inklusiver Schulangebote in Brandenburg.

Wenn wir zum Schuljahresbeginn 2015 mit inklusiven Schulangeboten in der Jahrgangs-

In diesem Jahr haben wir das Gesamtkon-

stufe 1 im ganzen Land starten, wird das Wis-

zept weiterentwickelt und die Pilotschulen

sen der Pilotschulen anderen Schulen helfen.

benannt. Jetzt kann die Umsetzung vor Ort

Es wird uns für die Umsetzung inklusiver

erfolgen. Dabei kommt es auch auf eine

Angebote ein klares Bild liefern, in welchen

enge Kooperation zwischen Schule, Kinder-

Bereichen die Schulen bereits sehr gut auf-

und Jugendhilfe und dem Gesundheitsbe-

gestellt sind und an welchen Stellen Nach-

reich an, um erfolgreich lokale und regionale

steuerungsbedarf besteht. Diese Erfahrun-

Strukturen für inklusive Angebote zu entwi-

gen werden auch den Schulträgern helfen,

ckeln.

die tatsächlichen Bedarfe inklusiver Schulen noch besser einschätzen zu können.

Natürlich haben die Schulträger eine große Bedeutung in unserem Vorhaben. Wir ken-

Wir sind gut vorbereitet

nen inzwischen zahlreiche Bürgermeister und Landräte, die unsere Bemühungen tat-

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Im September 2011 hat der Runde Tisch Inklu-

kräftig unterstützen. Auch mit den kommu-

sive Bildung seine Arbeit aufgenommen. Er

nalen Spitzenverbänden sind wir dazu im

tagt mit ca. 35 Vertreterinnen und Vertretern

laufenden Kontakt. Wir möchten die Schul-

von Verbänden der Menschen mit Behin-

träger u.a. ermutigen, die Entwicklung inklu-

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siver Schulangebote in die Erstellung ihrer Schulentwicklungspläne einzuarbeiten und dabei nicht nur für fünf Jahre, sondern längerfristig voraus zu planen. Die demografische Entwicklung hat auch Einfluss auf die Standorte der Förderschulen. Auch deshalb ist es wichtig, regionale und lokale inklusive Bildungsangebote zu stärken. Gute Beispiele von Schulen in Brandenburg zeigen, dass die Entwicklung inklusiver Schulangebote schon begonnen hat. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, die

Bildungsministerin Martina Münch liest Grundschülern zum Welttag des Buches vor.

Bertelsmann Stiftung, die Sinn-Stiftung und

Unser Ziel ist eine Schule für alle Kinder.

die Deutsche UNESCO-Kommission zeichnen

Internationale

jährlich bundesweit Schulen mit herausra-

tungen und Unternehmen haben es längst

genden inklusiven Angeboten aus. Ich freue

erkannt. Vielfalt ist eine wichtige Ressource.

mich, dass dieses Jahr mit der Regine-Hilde-

Aus Vielfalt und Verschiedenheit entstehen

brandt-Gesamtschule

aus

wissenschaftliche

Einrich-

Birkenwerder

neue Ideen und Kreativität. Eine Reihe von

schon zum zweiten Mal eine Brandenburger

wissenschaftlichen Studien, allen voran die

Schule diesen Preis erhalten hat. Damit wird

Bertelsmann Studie 2009 belegen das aus-

deutlich, dass es bereits hervorragend funk-

drücklich auch für die Schule. Kinder lernen

tionierende Konzepte für inklusive Schulan-

besser im gemeinsamen Unterricht. Er hilft

gebote in Brandenburg gibt.

ihnen, ihre Fähigkeiten voll zu entfalten und individuelle Bestleistungen zu erlangen. Es

Inklusive Bildung beginnt nicht erst in der

gibt kaum einen besseren Ort, an dem Kinder

Schule, sondern bereits in der Kita. In Bran-

den Umgang mit Vielfalt und Heterogenität

denburger Kitas werden Kinder mit und

lernen können, als die Inklusions-Schule.

ohne Förderbedarf gemeinsam betreut. Auch an diese Erfahrungen können wir an-

Wir haben allen Grund zuversichtlich zu sein

knüpfen auf dem Weg zur Entwicklung in-

und werden den Weg zur inklusiven Schule

klusiver Schullandschaft.

gemeinsam meistern.

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

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Professor Dr. Ulf Preuss-Lausitz

Was bedeutet inklusive Bildung? ge der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen.“ Kinder mit Behinderungen sollen „Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben und innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung“ erhalten.1 Prof. Dr. Ulf Preuss-Lausitz war von 1980 bis 2008 Professor für Erziehungswissenschaft/Schulpädagogik an der Technischen Universität Berlin. Er ist u.a. Mitglied des Sprecherrats des Expertenkreises Inklusive Bildung der Deutschen UNESCO-Kommission und Mitglied des Fachbeirates Inklusion beim Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg.

Diese und andere Formulierungen der Konvention verweisen auf einen Bildungsbegriff, der zum einen die individuellen Bedürfnisse und Potenziale, zum anderen das diskriminierungsfreie Lernen und Leben in der Ge-

Seit Jahren wird in der allgemeinen wie in der

meinschaft des sozialen Näheraums her-

Fachöffentlichkeit die Frage diskutiert, wel-

vorhebt – in einer Balance von Vielfalt und

che Konsequenzen aus der seit März 2000

Gemeinsamkeit, geprägt von Wertschätzung

gültigen Übernahme der UN-Behinderten-

und anspruchsvoller Bildung und Förderung.

rechtskonvention (UN-BRK) in das bundes-

Die UN-BRK schließt damit an ein zukunfts-

deutsche Recht für Kinder und Jugendliche

fähiges Bildungsverständnis an, das von den

mit Behinderungen in Kita und Schule zu zie-

Stärken (Potenzialen) jedes Menschen und

hen sind. Die hier zentralen Sätze in Artikel

zugleich von der Notwendigkeit individuel-

24 der UN-BRK lauten: „Die Vertragsstaaten

ler Förderung und Unterstützung ausgeht,

anerkennen das Recht von Menschen mit Be-

und das schon in den 1990er Jahren von der

hinderungen auf Bildung. Um dieses Recht

Salamanca-Konferenz der Unesco von 1994

ohne Diskriminierung und auf der Grundla-

(Unesco 1996), vom Unesco-Report „Lernen

1 ) Der Text der UN-BRK mit seinen 50 Artikeln für alle Lebensbereiche ist in englischer und deutscher – auch einfacher – Sprache u.a. auf der Internetseite des Deutschen Instituts für Menschenrechte (www.institut-fuer-menschenrechte.de) zu finden. Dort sind außerdem juristische und andere Stellungnahmen zu Einzelfragen der UN-BRK abrufbar.

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– Der innere Reichtum“ (1996/7) und von

ist nicht der Fall: Die Umsetzungszeit wird

einzelnen Pädagoginnen und Pädagogen in

nicht vorgegeben. Der Zeitplan ist jedoch

Deutschland (z.B. Prengel 1993, Hinz 1993,

nicht beliebig. Die UN-BRK verpflichtet jeden

Preuss-Lausitz 1993) formuliert wurde. Die

Unterzeichnerstaat, in regelmäßigem Ab-

zitierten Sätze aus Art. 24 UN-BRK verweisen

stand über die Umsetzung in den einzelnen

darauf, dass das gemeinsame Lernen und Le-

Bereichen gegenüber der UN zu berichten,

ben alle Bildungseinrichtungen – von Anfang

und in jedem Staat gibt es eine Monitoring-

an – einschließen, sich also nicht nur auf

Stelle, die den Realisierungsprozess kritisch

Schule beschränken, auch nicht nur auf die

begleitet. In Deutschland ist dies das Deut-

gemeinsame Grundschulzeit. Welche Schlüs-

sche Institut für Menschenrechte.

se sind außerdem zu ziehen? Die UN-BRK formuliert das Recht auf inklusive Bildung

Überschaut man die Zeitpläne einzelner

von Kindern und Jugendlichen mit Behinde-

Bundesländer zur Umsetzung der UN-BRK

rungen in Bezug auf allgemeine Menschen-

im Bereich Bildung, so wird deutlich, dass es

rechte. Das ist etwas anderes, als diesen

unterschiedliche ‚Geschwindigkeiten’ und

Kindern nach Maßgabe vorhandener Mittel

Entwicklungen gibt – wie immer in Bildungs-

gemeinsamen Unterricht zu gewähren (ci-

fragen. Brandenburg und einige andere Län-

vil rights statt charity). Vielmehr ist damit

der haben sich mit dem Zwischenziel 2020

ein uneingeschränktes Individualrecht auf

einen Zeitpunkt für die Verwirklichung be-

inklusive Bildung gesetzt (vgl. dazu u.a. das

stimmter Ziele gesetzt. Solche ‚benchmarks’

Institut für Menschenrechte Berlin oder das

sind nötig, um planen zu können, Klarheit

Gutachten von Riedel 2010). Dieses Individu-

für alle Beteiligte zu schaffen und bei Nicht-

alrecht gilt seit März 2009; es muss jedoch

erreichung konkreter Teilziele neue Schritte

zur Klarstellung in den (Bildungs-) Gesetzen

einzuleiten.

der Bundesländer verankert werden, schon zur besseren Information nicht nur von El-

Die UN-BRK zielt mit ihrer Formulierung „in-

tern, sondern auch aller anderen Akteure im

clusive education at all levels“ auf die Inte-

Bereich von Bildung und Förderung.

grationsfähigkeit und Nichtdiskriminierung des gesamten Bildungssystems. Es geht also

Häufig wird unterstellt – und zuweilen wer-

um mehr als um individuelle Förderung: In-

den daraus Horrorszenarien abgeleitet –, die

klusion verlangt auch systemische Antwor-

UN-Behindertenrechtskonvention verlange

ten für die Teilsysteme der Frühförderung,

nun einen sofortigen und totalen Umbau

der Kindertagesstätten, der Schulen und ih-

des Bildungssystems und der Schulen. Das

res sozialen Umfeldes, des Freizeitbereichs,

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

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UN-Behindertenrechtskonvention, Artikel 24 Menschen mit Behinderungen sollen zur

nicht aufgrund von Behinderung vom unent-

wirklichen Teilhabe an der Gesellschaft be-

geltlichen und obligatorischen Grundschul-

fähigt werden

unterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden.“

„… Menschen mit Behinderungen dürfen

Geltendes Völkerrecht, Beschluss Bundes-

nicht aufgrund von Behinderung vom all-

rat und Bundestag, Ratifizierung 2009 mit

gemeinen Bildungssystem ausgeschlossen

Rechtsbindung für die Umsetzung in den

werden und Kinder mit Behinderungen

einzelnen Bundesländern

der Unterstützungssysteme der Jugend- und

richtlich sei ‚Inklusion’ etwas Neues, was

der Familienhilfe, der beruflichen Übergänge

von den bisherigen Unterrichts- und Schul-

usw. Daher sind alle Akteure – die Träger von

erfahrungen der Integrationslehrkräfte ab-

Kitas und (Sport-) Vereinen, die Schulträger,

weiche, und etwas Besseres. Die wertvollen

die kommunalen Ämter des Sozialwesens,

Erfahrungen, die Sonderpädagogen als auch

der Jugend- und Familienhilfe, das Land, die

allgemeine Lehrkräfte im gemeinsamen Un-

Eltern und Kinder, die Pädagoginnen und Pä-

terricht bislang gewonnen haben, sind viel-

dagogen usw. aufgefordert, mehr als bisher

mehr eine hervorragende Grundlage für die

zu kooperieren, vernetzt zu denken und ge-

Ausdehnung und systemische Umstellung

meinsam zu handeln.

auf ein insgesamt inklusives Bildungssystem in jeder Region. Der Inklusionsanspruch gilt,

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Zugleich ist zu betonen: Gemeinsames Ler-

wie die Textpassagen der UN-Behinderten-

nen von Kindern mit und ohne Behinderun-

rechtskonvention deutlich machen, nicht für

gen ist nichts Neues. In Brandenburg gibt es

bestimmte Schulformen und Trägerschaften,

in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien

sondern generell. Auf Deutschland übertra-

Stadt seit 20 Jahren Erfahrungen mit ge-

gen: also auch für das noch vorhandene ge-

meinsamem Unterricht. Solch ein gemeinsa-

gliederte (Sekundar-) System, und für private

mer Unterricht – der bislang unter ‚Integra-

Schulträger ebenso wie für öffentliche. Was

tion’ firmierte –, war und ist ‚inklusiv’, wenn

dies jedoch etwa für ein Gymnasium kon-

und weil er sich an gemeinsamen Lernsitu-

kret bedeutet, ist zu klären. Zumindest was

ationen und den didaktischen Grundsätzen

den ‚zielgleichen’ (rahmenlehrplankonform)

eines guten Unterrichts orientierte. Es gibt

gemeinsamen Unterricht, etwa für Kinder

daher keinen Grund, anzunehmen, unter-

und Jugendliche mit Sinnes- und Körperbe-

Märkische Hefte 26 | November 2012


hinderungen, aber auch mit sprachlichem,

Abbau segregierender Praktiken sowohl in

emotionalem und sozialem Förderbedarf

der einzelnen Schule als auch im gesamten

oder mit autistischen Zügen betrifft, müs-

Schulsystem.

sen sich auch Gymnasien der inklusiven Beschulung öffnen und – im weitesten Sinne

‚Kinder mit Behinderungen’ werden im eng-

– barrierefrei werden. Grundsätzlich kann

lischen Original der UN-BRK students with

von einem „inklusiven Bildungssystem“

disabilities genannt, in der englischsprachi-

allerdings erst dann gesprochen werden,

gen Fachliteratur wird von students with

wenn es überall Schulen für alle Kinder und

special educational needs gesprochen. Die

Jugendlichen vorhält, die auf Zurückstellun-

deutschen Bildungsminister vermeiden seit

gen und (zwangsweisem) Sitzenbleiben ver-

Jahren die Begriffe „Behinderung“ und „be-

zichten, nicht ‚abschulen’ und alle Bildungs-

hinderte Kinder“ und sprechen stattdessen

abschlüsse ermöglichen. Die Erfahrungen

von „Schülerinnen und Schülern mit sonder-

mit gemeinsamem Unterricht machen für

pädagogischem Förderbedarf“.

viele Beteiligte die Widersprüchlichkeit von Inklusion und Selektion deutlicher. Mögli-

Dieser Förderbedarf wird, international be-

cherweise führt diese Erfahrung zu einem

trachtet, durchaus auf unterschiedliche

16.000 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Brandenburg nach Förderschwerpunkten

Quelle: MBJS 2010

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

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Gruppen bezogen: In vielen Staaten sind

mit (festgestelltem) sonderpädagogischem

damit nur Heranwachsende mit Sinnes-,

Förderbedarf seit Jahrzehnten steigt: Lag er

körperlichen und geistigen Behinderungen

1990 noch in der DDR und in der Bundesre-

gemeint, häufig nicht jedoch jene, für die wir

publik bei ca. vier Prozent, so stieg er bis 2010

bislang (sonderpädagogische) Förderung im

auf etwa sechs Prozent, also um mehr als ein

Bereich Lernen, emotionale und soziale Ent-

Drittel mit weiter steigender Tendenz. Es ist

wicklung und Sprache feststellen (für diese

nicht so, dass die – leichte – Zunahme der

werden dann meist allgemeine pädagogi-

Kinder mit Förderbedarf im gemeinsamen

sche Förderkonzepte vorgehalten). Manche

Unterricht (GU) zu einer generellen Abnah-

Staaten ziehen also engere Grenzen des

me im Förderschulsystem führt; vielmehr

Begriffs disability. Der breitere deutsche Be-

steigen sowohl die Anteile im GU als auch im

hinderungsbegriff (im Sinne pädagogischer

Förderschulsystem (im Einzelnen vgl. Preuss-

zusätzlicher Unterstützung) ist begrüßens-

Lausitz 2010 mit Zahlen seit 1950).

wert, schafft er doch eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass individuelle Förderung

Blickt man auf die europäische Entwicklung

auch realisiert wird. Er hat jedoch auch dazu

im gemeinsamen inklusiven Unterricht, dann

geführt, dass der Anteil der Schüler/-innen

muss man feststellen, dass das deutsche Konzept – gemeinsamer Unterricht für eine Min-

Anteil gemeinsamen Unterrichts in Europa 2009

derheit, für die breite Mehrheit separierende Förderschulen mit extrem unterschiedlichen Chancen für gemeinsamen Unterricht zwischen und in den Bundesländern – ein negativer, aussondernder Sonderweg ist: Gerade in Kenntnis solcher Vergleiche erleben viele Eltern von Kindern mit und ohne Behinderungen, wie ungerecht die Chancen auf Inklusion in Deutschland verteilt sind. In den letzten Jahren hat die Zustimmung zum gemeinsamen Unterricht deutlich zugenommen. Darauf verweist eine repräsentative Umfrage von Infratest unter allen Eltern mit Schulkindern. Diese Eltern wurden gefragt,

Quelle: Daten (gerundet) nach Preuss-Lausitz 2012

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ob sie eher Vor oder Nachteile im gemeinsa-


Wie kommen wir zu einer Schule für alle? Auf einer Veranstaltung der SPD-Landtagsfraktion im März 2012 holt die SPD die Meinung von Fachleuten ein. Im Bild Professor Dr. Ulf Preuss-Lausitz, Bildungsministerin Dr. Martina Münch und der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Thomas Günther (v.l.n.r.)

men Unterricht von Kindern mit und ohne

Eltern sprachbehinderter Grundschüler/-

Behinderung sehen, und wie sie diese Frage

innen in entsprechenden Förderschulen

in Bezug auf Primar- und Sekundarstufe be-

und im gemeinsamen Unterricht nach ihrer

urteilen. Das Ergebnis: Rund 75 Prozent der

Einschätzung der Zufriedenheit, Diskrimi-

Schuleltern sehen große oder eher Vorteile,

nierungserfahrung und Zukunftschancen

und zwar für Primar- und Sekundarstufe in

ihrer Kinder befragt. Das Ergebnis: Die El-

fast gleichem Maß. 20 Prozent sehen für den

tern sind in beiden Settings mit ihren Schu-

Primarbereich, 25 Prozent für den Sekundar-

len in gleichem Maß zufrieden. Eltern von

bereich Nachteile, darunter nur fünf Prozent,

Kindern im GU berichten aber signifikant

die große Nachteile annehmen (Infratest

häufiger von weniger Diskriminierung ihrer

2011).

Kinder (!), von mehr Zuversicht, dass ihre Kinder die Sprachprobleme überwinden

Auch eine zweite Elternbefragung kann In-

würden, und sie sind optimistischer in Be-

klusionsbefürworter optimistisch stimmen.

zug auf bessere Schulabschlüsse (vgl. Lüke/

In Nordrhein-Westfalen wurden über 500

Ritterfeld 2011).

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

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Diese Umfrage bestätigt eine schon ältere

Literatur

brandenburgische

Elternbefragung. Dort

Heyer, P. / Preuss-Lausitz, U. / Schöler, J. (Hrsg.): „Behin-

wurde festgestellt, dass anfangs eher skepti-

derte sind doch Kinder wie wir!“ Gemeinsame Erzie-

sche Eltern (nicht behinderter Kinder) durch

hung in einem neuen Bundesland. Berlin 1997.

die Erfahrung ihrer Kinder und den Einblick in die pädagogische Arbeit der (Grundschul-) Lehrkräfte überzeugt wurden von den Vorzügen gemeinsamen Lernens: „Erfahrungen fördern Akzeptanz“ (vgl. Heyer u.a. 1997, 151ff.). Das gilt nicht nur für Eltern. Deshalb sollten bei der landesweiten Umsetzung der inklusiven Schule alle jene Schulen und Lehrkräfte in einem peer-peer-System durch inte-

Hinz, A.: Heterogenität in der Schule. Hamburg 1993. Infratest: Ergebnisse einer Umfrage zur gemeinsamen Unterrichtung, Nov. 2011. Lüke, T. / Ritterfeld, U.: Elterliche Schulzufriedenheit in integrativer und segregativer Beschulung sprachauffälliger Kinder. Ein Vergleich zwischen Förderschule und Gemeinsamem Unterricht. In: Empirische Sonderpädagogik Nr. 4, 2011, 324-342.

grations- und inklusionserfahrene Schulen und Lehrkräfte begleitet werden. So können

Prengel, A.: Pädagogik der Vielfalt. Opladen 1993.

Ängste abgebaut und Probleme gemeinsam

Preuss-Lausitz, U.: Die Kinder des Jahrhunderts. Zur

gelöst werden.

Pädagogik der Vielfalt im Jahr 2000. Weinheim und

Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag, der im Januar 2012 im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg in Potsdam gehalten wurde.

Basel 1993. Preuss-Lausitz, U.: Separation oder Inklusion. In: Bos, G. u.a. (Hrsg.): Jahrbuch für Schulentwicklung, Bd. 16, Weinheim und München 2010, 155-181. Riedel, E.: Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Gemeinsam Leben, Gemeinsam Lernen NRW e.V., Dortmund 2010. Unesco: Österreichische Unesco-Kommission: Pädagogik für besondere Bedürfnisse. Die Salamanca-Erklärung vom Juni 1994, Wien 1996. Auch unter www. bidok.uibk.ac.at/library/unescosalamanca.html.

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Märkische Hefte 26 | November 2012


Thomas Günther und der Bildungsexperte Wilfried Steinert im Interview

„Jedem Kind von Anfang an eine gerechte Chance geben“ Herr Steinert, Sie haben 2002 in Templin da-

Herr Günther, was spricht aus Ihrer Sicht für

mit begonnen, eine Schule für geistig beein-

gemeinsames Lernen?

trächtigte Kinder umzugestalten, um so gemeinsamen Unterricht mit allen Kindern zu

Günther: Wenn wir von einer „Schule für

ermöglichen. Wie erklären Sie Eltern, warum

alle“ sprechen, dann verbinde ich auch im-

ein gemeinsamer Unterricht für ihre Kinder

mer „Chancen für alle“ damit. Das ist unser

gut ist?

sozialdemokratischer Ansatz. Es ist schlichtweg unfair, lernschwächere Kinder auszu-

Steinert: Ganz wichtig ist, die Eltern frühzei-

grenzen. Wir wissen, dass viele von ihnen kei-

tig einzubeziehen und sie mit Argumenten

nen anerkannten Schulabschluss schaffen

zu überzeugen. Viele Vorbehalte der Eltern

und dann auch kaum Perspektiven auf dem

lösen sich dann auf, wenn sie vom Gesamt-

Arbeitsmarkt haben. Wir müssen aber jedem

konzept überzeugt sind.

Kind von Anfang an eine gerechte Chance geben. Das schaffen wir am besten, indem

Was verstehen Sie unter gemeinsamem Ler-

lernstarke und lernschwächere Kindern zu-

nen?

sammen lernen. Das ist auch unsere Vorstellung von einer modernen Gesellschaft, in der

Steinert: Meine Schulphilosophie ist: „Wir

Menschen mit unterschiedlichen Fähigkei-

brauchen alle Kinder, niemand bleibt zurück,

ten nicht getrennt sind, sondern zusammen

niemand wird beschämt”. Das heißt, wir wol-

lernen, arbeiten und leben.

len individuelles Lernen für alle Schülerinnen und Schüler. Das Ziel dieses pädagogischen Ansatzes besteht letztlich darin, voneinander zu lernen. Und zwar beide Seiten! Denn sowohl lernstarke als auch lernschwächere Kinder profitieren im tagtäglichen Umgang voneinander. Die Stärkeren helfen den Schwächeren, umgekehrt werden die Lernschwächeren herausgefordert, mehr lernen zu wollen. Das ist die beste Konstellation, um die soziale Kompetenz aller Kinder zu stärken.

Thomas Günther ist Mitglied des Landtags Brandenburg und bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

17


Was sind die Voraussetzungen dafür, dass

Steinert: Eine ganz klare Stärke ist, dass in

gemeinsames Lernen gelingen kann?

Brandenburg die Klassengröße im Rahmen der inklusiven Bildung auf 23 Schüler redu-

Steinert: Am Anfang geht es im Unterricht

ziert wird und für fünf Prozent der Schüler

darum, dass alle Beteiligten lernen, wie

einer Schule zusätzlich 3,5 Stunden pro Schü-

man lernt. Das betrifft zum einen die Schü-

ler bereitgestellt werden – bei 100 Schülerin-

lerinnen und Schüler, die wissen müssen,

nen und Schülern sind das also 17,5 Stunden

wie man gemeinsam lernt. Aber natürlich

Sonderpädagogik. Damit wird eine solide

sind auch die Pädagogen gefordert. Man

Basis für einen guten inklusiven Unterricht

braucht dazu ein Konzept, wie gemeinsamer

geschaffen. Allerdings muss aber noch kon-

Unterricht aussieht. Das gelingt nur, wenn

kreter beschrieben werden, wie die Son-

Fachlehrer und Sonderpädagogen an einem

derpädagoginnen und -pädagogen in den

Strang ziehen. Natürlich muss auch die Infra-

Unterricht einbezogen werden. Was nicht

struktur stimmen: Relativ kleine Klassen und

passieren darf ist, dass man die Förderkin-

eine gute Betreuungssituation mit Pädago-

der einfach aus dem allgemeinen Unterricht

gen sind wichtig.

herausnimmt und extra unterrichtet – und damit erneut stigmatisiert. Die Rolle der

Schildern Sie doch bitte mal aus der Praxis:

Sonderpädagogen wird sich gegenüber dem

Wo steht Ihrer Einschätzung nach Branden-

früheren Förderschulsystem ganz sicher ver-

burg beim gemeinsamen Lernen? Was sind

ändern und darin sehr viel qualifizierter wer-

die Stärken, was bleibt noch zu tun?

den. In diesem Veränderungsprozess muss

Gemeinsames Lernen: Wie viele Förderschüler besuchen reguläre Schulen? (2010/2011)

Brandenburg ist bei der inklusiven Bildung bundesweit mit an der Spitze. 39 Prozent der Förderschüler besuchen reguläre Schulen – bundesweit sind es durchschnittlich nur 22 Prozent. Quelle: Bertelsmann Stiftung 2012

18

Märkische Hefte 26 | November 2012


es gelingen, den hohen Qualitätsstandard der Sonderpädagogik in unserem Land zu erhalten, denn dieser wird europaweit geschätzt. Und es wird sich noch ein zweiter Effekt einstellen: Die PISA-Untersuchungen haben festgestellt, dass die soziale Schere in Deutschland immer weiter auseinander geht. Finnische Freunde fragen mich, ob das nicht daran liegt, dass wir bisher die Sonderpädagogik aus der allgemeinen Schule ausgegrenzt und in das Sondersystem Förderschule verlagert haben. Aber gerade die schwächeren Schülerinnen und Schüler der Regelschulen könnten von sonderpädagogischer Unterstützung profitieren. Wenn nun durch die Entwicklung inklusiver Bildung die Sonderpädagogik ein fester Bestandteil der Arbeit an den Regelschulen wird, profitieren alle Kinder davon – und wir werden sensibel

Wilfried W. Steinert war von 2002 bis 2010 Schulleiter der integrativen Waldhof-Ganztagsgrundschule Templin. Die Schule ist im Jahr 2010 als inklusive Grundschule mit dem deutschen Schulpreis ausgezeichnet worden. Wilfried Steinert arbeitet heute als Bildungsexperte mit dem Schwerpunkt „Inklusive Schule“ und ist Mitglied im Expertenkreis „Inklusive Bildung“ der Deutschen UNESCO-Kommission.

dafür, wo Kinder eine besondere Unterstüt-

beit von allen an der Schule Beteiligten muss

zung und Aufmerksamkeit brauchen. Um

geübt und gelernt werden. Es darf nicht so

die Qualität der sonderpädagogischen Ar-

sein, dass der Lehrer sagt: Schön dass wir

beit weiterzuentwickeln, wäre es aus meiner

Sonderpädagogen haben, ich mache Unter-

Sicht wichtig, in den Schulamtsbezirken son-

richt, vermittle Lerninhalte und wenn es ein

derpädagogische Fachkonvente einzurich-

Problem gibt, haben wir da den Sonderpäda-

ten. Hier können Erfahrungen ausgetauscht

gogen. Das würde dem Ansinnen der Inklu-

und reflektiert werden. Durch gegenseitiges

sion zuwiderlaufen. Darauf müssen wir auch

Mentoring kann die Zusammenarbeit der

bei dem neuen Studiengang Inklusionspä-

unterschiedlichen pädagogischen Professi-

dagogik achten. Er muss so konzipiert sein,

onen gefördert und die gemeinsame Unter-

dass er die Rollen von Sonderpädagogen

richtsarbeit weiter verbessert werden.

und Lehrern zusammenführt, so dass fachliche Synergien entstehen. Ohne das aktive

Günther: Hier hat Herr Steinert etwas ganz

Mittun und den Austausch aller Beteiligten

wichtiges angesprochen. Die Zusammenar-

kann Inklusion nicht funktionieren.

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

19


Zur Frage von Umsetzung und Geschwindig-

den. Gleichzeitig muss allen Beteiligten klar

keit: Wie gehen wir voran? Mit Macht, um

sein, dass es ab 2015/2016 kein „Wegstehlen“

viel zu erreichen oder behutsam, um mög-

mehr gibt. Alle haben jetzt drei Jahre Zeit,

lichst keinen zu verprellen?

sich zu qualifizieren und auf den inklusiven Unterricht vorzubereiten. Auch die weiter-

Steinert: Ich halte den Weg mit den Pilot-

führenden Schulen haben so die Chance, sich

schulen für einen Königsweg. Er ist mit den

darauf einzustellen, den Unterricht so zu

85 Pilotschulen breit genug angelegt, um

verändern, dass keiner mehr ausgeschlossen

eine positive Grundstimmung vor Ort zu er-

wird. Eigentlich muss es selbstverständlich

zeugen. Gleichzeitig lernt man nicht nur am

sein, dass sichergestellt wird, dass kein Kind

Einzelfall einer ausgewählten Schule, son-

aus dem gemeinsamen Unterricht mit dem

dern wir werden Erfahrungen von ganz vie-

Wechsel auf eine weiterführende Schule

len Schulen mit ganz unterschiedlichen Aus-

wieder in das alte Förderschulsystem zurück-

gangsvoraussetzungen sammeln. Einerseits

fällt. Damit sind auch schon die weiterfüh-

können wir damit erproben, ob die zur Verfü-

renden Schulen in der Verantwortung und

gung gestellten Ressourcen ausreichen, an-

müssen entsprechend unterstützt werden,

dererseits können Vorbehalte abgebaut wer-

sich auf ihre neue Rolle vorzubereiten. Durch

Entwicklung des Schüleranteils mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Brandenburg

Quelle: Preuss-Lausitz 2012

20

Märkische Hefte 26 | November 2012


das Bildungsministerium werden in diesem

Zum Abschluss: Wie sieht Ihre persönliche

Prozess Chancen eröffnet, die wir nutzen

Vision für inklusive Bildung in Brandenburg

sollten, um unser Bildungssystem zukunfts-

aus?

fähig zu machen und zu einer deutlichen Qualitätssteigerung unserer Unterrichtsan-

Steinert: Meine Vision ist, das wir etwa um

gebote zu kommen.

2025/2030 keine Förderschulen mehr in Brandenburg haben und damit auch im in-

Günther: Diese Chance muss man auch wert-

nerdeutschen Ranking bei den Vergleichs-

schätzen. Es ist unsere Aufgabe, die vorhan-

studien einen gewaltigen Schritt nach vorne

denen Sorgen der Eltern ernst zu nehmen,

machen, weil Inklusion ausweislich aller Un-

aber auch über die tatsächlichen Fakten zu

tersuchungen zu einer Qualitätssteigerung

sprechen. Wenn man die Anzahl der Kinder

führt und die individuellen Bildungschancen

zum Maßstab nimmt, die heute an den För-

erhöht.

derschulen „Lernen, emotional-soziale Entwicklung und Sprache“ unterrichtet werden,

Günther: Ich würde keine Jahreszahlen nen-

werden rechnerisch höchstens ein oder zwei

nen. Ich setze darauf, dass es sich durch unsere

Schüler mit entsprechendem Förderbedarf

Erfolge mit dem gemeinsamen Lernen keiner

in einer Klasse hinzukommen. Rechnet man

mehr vorstellen kann, sein Kind an einer För-

jetzt noch die zusätzlichen Unterstützungs-

derschule unterrichten zu lassen. Das muss

angebote durch Sonderpädagogen und

die Perspektive werden! Was die allernächste

Stundenaufstockungen hinzu, wird das nach

Zeit angeht, ist es die große Aufgabe, die Ver-

meiner Überzeugung keine Klasse und kei-

lässlichkeit dieses Modells zu organisieren.

nen Schüler überfordern. Ich bin ja regelmä-

Der Zeitplan ist da, wir haben die finanziel-

ßig in anderen Bundesländern unterwegs. In

len und organisatorischen Voraussetzungen

Gesprächen höre ich oft: Wenn Brandenburg

geschaffen, jetzt liegt es an allen Beteiligten,

das kann, warum kann das unser Bundesland

dass Inklusion in Brandenburg zu einem Er-

nicht? Das ist glaube ich die beste Auszeich-

folg wird – damit wir unserem Anspruch „Kein

nung, die man erhalten kann.

Kind zurücklassen“ gerecht werden.

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

21


Hansjörg Behrendt

Ein Praxisbericht: Gemeinsamer Unterricht in der Regine-Hildebrandt-Gesamtschule Birkenwerder verordnung, dass die Klasse 23 Schülerinnen und Schüler hat, von denen vier einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Zum Personal: An der Schule arbeiten 68 Lehrkräfte, davon 12 Sonderpädagoginnen; dazu kommen acht Referendarinnen und Referendare, fünf pädagogische Hilfen, eine Physiotherapeutin, eine Sozialarbeiterin, zwei Mitarbeiter im Bundesfreiwilligendienst, zwei Hausmeister und zwei Schulsekretärinnen. Hansjörg Behrend war von 2000 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2012 Schulleiter der Regine-Hildebrandt-Gesamtschule Birkenwerder (Oberhavel). Seither arbeitet er als freier Bildungsreferent.

Seit Anfang der 1990er Jahre kann die RHS in Birkenwerder auf eine ereignisreiche Geschichte zurückblicken. Mitte der 1990er Jahre wurde den Schulträgern klar, dass an

Im Schuljahr 2011/12 lernten in der Regine-

diesem Standort zwei Sekundarschulen aus

Hildebrandt-Schule (RHS) insgesamt 680

demographischen Gründen nicht haltbar

Schülerinnen und Schüler, von denen 12

waren. Unter Einbeziehung aller Beteiligten

Prozent sonderpädagogischen Förderbedarf

begann ein beispielhafter Schulentwick-

haben. Auf die sechszügige Sekundarstufe

lungsprozess, der 1999 bis 2005 in einem

I (Klassen 7 – 10) entfallen 513 Schülerinnen

Schulversuch mündete.

und Schüler, die in 22 Klassen ausschließlich im gemeinsamen Unterricht unterrichtet

Im Schulversuch sollten vor allem zwei

werden. Es gibt keine Regelklassen mehr,

Schwerpunkte untersucht werden:

weder in der Sekundarstufe I noch in der Se-

22

kundarstufe II (Klassen 11 – 13). „Gemeinsa-

■■ Wie gelingen Schulfusionen – hier: dieje-

mer Unterricht“ – auch „Integrationsklasse“

nige einer Förderschule mit einer Regel-

genannt – bedeutet nach Sonderpädagogik-

schule?

Märkische Hefte 26 | November 2012


■■ Wie kann die Integration von Schülerin-

nen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf am besten gelingen? Ist eine Förderklasse (Kooperationsklasse) neben den anderen Integrationsklassen hilfreich? Als Ergebnisse dieses Schulversuchs können zwei zentrale Erfolgsbedingungen vorweg hervorgehoben werden. Zum einen geht es um Beteiligung und Ressourcen. Am Beispiel der Regine-Hildebrandt-Schule ist nachweisbar, dass Schulfusionen hervorragend gelingen können, wenn alle Betroffenen, vor allem Lehrer, Schüler, Eltern und staatliche Institutionen, gut miteinander zusammenarbeiten. Zudem müssen die Schulen auch nach der Startphase angemessenen unterstützt werden mit Personal, Fortbildungen, Qualifizierungen und wissenschaftlicher Begleitung. Zum anderen geht es um eine gute Integration. Eine parallele Förderklasse, die mit einer Integrationsklasse kooperiert, ist nur zu Anfang, in einer Übergangsphase einer Schulfusion hilfreich. Für eine längerfristige Inklusion ist dies nicht zielführend. Seit 2005 gibt es an der Regine-Hildebrandt-Schule keine Förderklasse mehr im jeweiligen Jahrgang. Alle Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nehmen regulär am gemeinsamen Unterricht teil.

Die Regine-Hildebrandt-Schule in Birkenwerder ist eine Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe, die im gebundenen Ganztagsbetrieb geführt wird. Die Schule hat auf dem Weg zum gemeinsamen Unterricht schon ein gutes Stück des Weges beschritten und wurde 2012 mit dem Jakob-Muth-Preis der Bertelsmann-Stiftung ausgezeichnet. Im Folgenden geht es darum, über die praktischen Erfahrungen zu berichten, die die RHS auf dem Weg zum gemeinsamen Unterricht gemacht hat.

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

23


Diese Erfolgsbedingungen können auf mög-

Ausgeglichene Zusammensetzung

liche Schulfusionen übertragen werden, die in den nächsten Jahren eine reale Perspekti-

Die Erfahrungen an der Regine-Hildebrandt-

ve für einige Brandenburger Schulen werden:

Schule zeigen, wie wichtig eine ausgeglichene Zusammensetzung jeder einzelnen Klasse

Gutes Schul- und Lernklima

ist. Es wird darauf geachtet, dass jede Klasse ein Drittel gymnasialempfohlene Schülerin-

Die meisten Besucher der Schule erleben ein

nen und Schüler hat, denn Leistungsspitzen

entspanntes Schul- und Lernklima. Hierzu

sind in jeder sozialen Gruppe notwendig.

trägt das Leitbild der Schule bei. An der RHS

Dies, der Ausgleich zwischen Jungen und

umfasst das Leitbild die Begriffe Leistungs-

Mädchen, die Vermeidung einer Häufung

bereitschaft, Selbstständigkeit, Teamfähig-

von disziplinschwachen und die sehr diffe-

keit, Toleranz, Hilfsbereitschaft und Rück-

renzierte und individuelle Platzierung von

sichtnahme. Das gute Schulklima ist, neben

Kindern mit sonderpädagogischem Förder-

dem Ganztagsbetrieb und der gymnasialen

bedarf führt zu heterogenen Lerngruppen.

Oberstufe, ein wichtiger Grund für die ho-

In der Fachliteratur ist nachgewiesen, dass

hen Anmeldezahlen, welche die Kapazitäten

alle Mitglieder von heterogenen Gruppen

der Schule vor allem beim Übergang von der

dort mehr lernen als in homogeneren Grup-

sechsten zur siebten Klasse bei weitem über-

pen. Zumindest lernen gute Schüler kognitiv

steigt.

nicht weniger, aber im Bereich der sozialen Lernziele um ein Vielfaches mehr. Diese Erkenntnis war für Lehrer und Eltern gleichermaßen etwas Neues.

Teamarbeit Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der hohen Arbeitszufriedenheit bei den Lehrern – die wiederum in hohem Maße den Schülern zugutekommt – hat die starke innere Vernetzung der Schule, sprich „Teamarbeit“. Jeder Kollege ist auf allen Ebenen der Organisation in Teams eingebunden:

24

Märkische Hefte 26 | November 2012


■■ Es gibt eine erweiterte Schulleitung, die

der wichtigsten Lehrer-Arbeitsgruppen

das Konzept von flachem Management

an der Fortentwicklung des Schulpro-

und eine „Ermöglichungskultur“ prakti-

gramms.

ziert. ■■ Jede Klasse wird von einem Klassenleiter-

Handlungsspielräume und Eigenverantwortung

Tandem geführt. Beide Klassenleiter sind gleichberechtigt. Es gilt der Grundsatz,

Für all diese organisatorischen Einheiten –

dass möglichst viel Unterricht in der eige-

vor allem für die Jahrgangsteams und die

nen Klasse erteilt werden soll, damit der

Fachkonferenzen – gilt, dass sie im Rahmen

pädagogische Kontakt zwischen Lehrern

des Gesamtsystems über großen Entschei-

und Klasse sehr eng und der Einfluss der

dungsspielraum verfügen und in hohem

Klassenleiter sehr intensiv ist.

Maße eigenverantwortlich handeln. Für den Schulalltag sind in dieser Hinsicht zwei

■■ Jedes Klassenleiter-Duo ist Teil des Jahr-

Aspekte besonders wichtig. Erstens betrifft

gangsteams (mit Jahrgangsleiter), das

dies die Aussetzung der äußeren Teilung bei

sich mindestens einmal im Monat zu pä-

der Leistungsdifferenzierung. Nach wie vor

dagogischen und organisatorischen Sit-

werden die Schüler gemäß den Richtlinien

zungen trifft. In der Regel sind in einem

in zwei Differenzierungsgruppen – Grund-

Jahrgangsteam auch alle Fächer vertre-

und Erweiterungskurse – eingeteilt. Sie

ten, so dass jedes Jahrgangsteam auch

werden aber in den bekannten fünf Dif-

mit allen Fachkonferenzen vernetzt ist.

ferenzierungsfächern im Klassenverband binnendifferenzierend unterrichtet. Damit

■■ Die meisten Lehrerinnen und Lehrer sind

werden sie genauso wie in allen anderen Fä-

auch in Lehrer-Arbeitsgruppen organi-

chern auch im Klassenverband unterrichtet.

siert, die sich u.a. mit Evaluation, Organi-

Dies hat den Vorteil der zweiten Neuerung:

sation, Ganztagsbetrieb, Sozialarbeit oder

Dadurch, dass die Stundenplaner die bisher

Sonderpädagogik beschäftigen.

vorhandenen Lehrerwochenstunden für die Leistungsdifferenzierung mit der hohen

■■ In der Steuergruppe als Schnittstelle zwi-

Zahl von regulären Integrationsstunden

schen Schulleitung und Schulentwick-

und der Einsatzmöglichkeit von Referen-

lungsprozessen der gesamten Schule

daren bündeln, können zumeist gleichzei-

arbeiten die gewählten Vertreter der Jahr-

tig zwei Lehrer eingesetzt werden. Es liegt

gänge, die Schulleitung sowie Vertreter

auf der Hand, dass ein Team von zwei Leh-

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

25


rern einen bedeutend flexibleren, lern- und

samer Unterricht und Inklusion können gut

übungsintensiveren Unterricht gestalteten

gelingen,

kann. ■■ wenn die Bereitschaft aller dazu vorhan-

Diese bessere Förderung und Unterstützung

den ist: bei Eltern, Schülern und Lehrern,

des Lernens kommt allen Schülern zugute.

Sozialarbeitern, Schulträgern, staatlichem

Dabei können alle Lehrer ihre Kompetenzen

Schulamt und Ministerium;

einbringen und weitergeben. Dies betrifft auch die Sonderpädagogen, die nicht mehr

■■ wenn qualifiziertes Fachpersonal vor Ort

Schüler vereinzelnd aus dem Unterricht her-

dauerhaft und in ausreichender Zahl vor-

ausnehmen, sondern sie in einem gemeinsa-

handen ist;

men Unterricht integrieren. Mit dieser Maßnahme konnten die Leistungsergebnisse

■■ wenn die Schule zusammen mit Schul-

aller etwas besser werden! Mit diesem Argu-

amt und anderen Institutionen häufige

ment können viele Eltern überzeugt werden.

Fortbildungen anbieten kann zu den The-

Unter dem Strich wird sehr wohl von breiten

menbereichen „Behinderungsarten“, „of-

Kreisen wahrgenommen, dass die Schule

fene und kooperative Lernformen“ sowie

zwar nur ein Drittel gymnasialempfohlene

„binnendifferenzierender Unterricht“;

Kinder in die 7. Klasse aufnehmen darf, am Ende der 10. Klasse aber fast doppelt so viele

■■ wenn Verantwortung von der Schullei-

Jugendliche für die gymnasiale Oberstufe fit

tung zielgerecht delegiert und entspre-

gemacht hat.

chend wahrgenommen wird;

Erfolgsbedingungen

■■ wenn alle Klassen tatsächlich heterogen

zusammengesetzt sind und die Vielfalt

26

Als Fazit können eine Reihe von Erfolgsbe-

und Unterschiedlichkeit pädagogisch ge-

dingungen ausgemacht werden. Gemein-

nutzt werden kann.

Märkische Hefte 26 | November 2012


Fragen und Antworten zum gemeinsamen Lernen Was ist inklusive Bildung?

Wenn Kinder mit Lernschwierigkeiten Anre-

Warum brauchen wir sie in Brandenburg?

gung und positive Vorbilder um sich haben, entwickeln sie sich viel besser. Das zeigen

Wir wollen ein Brandenburg für alle! Wir

Studien zu diesem Thema und die Erfahrun-

wollen kein Kind zurücklassen, gerade nicht

gen in unseren europäischen Nachbarlän-

bei der Bildung. In Brandenburg erreichen

dern. Mit einer „Schule für alle“ bekommen

aber 95 Prozent der Jugendlichen in Förder-

Förderschüler deutlich höhere Chancen, ei-

schulen keinen anerkannten Schulabschluss.

nen anerkannten Schulabschluss zu machen.

Das ist den Jugendlichen gegenüber unfair,

Damit das klappt, erhalten Schüler mit För-

die anschließend kaum Chancen auf dem Ar-

derbedarf auch an der Regelschule individu-

beitsmarkt haben. Wir wollen das System des

elle Förderung im gemeinsamen Unterricht.

Aussortierens beenden und jedem Kind eine gute Zukunft in Brandenburg ermöglichen.

Welchen Platz haben besonders begabte

Wir verfolgen das Bild einer Gesellschaft, in

Kinder in einer inklusiven Schule?

der Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten nicht getrennt voneinander, sondern

Gemeinsames Lernen ist auch für hochbe-

miteinander leben. Auf ein solches Leben soll

gabte Kinder von Vorteil. Gemeinsames Ler-

auch die Schule vorbereiten.

nen auf differenzierten Niveaus – da sind sich Wissenschaftler und Praktiker einig –

Außerdem ist die Inklusion, also das gemein-

kommt allen zugute: Starke Schüler lernen

same Lernen, inzwischen anerkanntes Men-

in inklusiven Schulen genauso viel, wie sie

schenrecht. Mit der Ratifizierung der UN-

sonst auch lernen würden. Sie erweitern

Behindertenrechtskonvention 2009 gilt sie

aber ihre sozialen Kompetenzen in einem

auch in Deutschland. Gemeinsames Lernen

heterogenen Umfeld viel stärker.

ist in vielen europäischen Ländern längst selbstverständlich.

Wie sehen die nächsten Schritte aus?

Bieten die Förderschulen nicht einen Schutz-

■■ Zum Schuljahr 2012/13 werden 84 Grund-

raum und eine bessere Unterstützung für

schulen den ersten Schritt Richtung

Kinder mit besonderem Förderbedarf?

gemeinsames Lernen machen und alle

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

27


Kinder aus ihrer Umgebung aufnehmen,

■■ Langfristig sollen auch Kinder mit ande-

die besonderen Förderbedarf in den Be-

ren Förderschwerpunkten in die Regel-

reichen „Lernen, emotionale und soziale

schulen integriert werden.

Entwicklung sowie Sprache“ (LES) haben. Die notwendigen Rahmenbedingungen

Wie wird der Umbau hin zu einem gemein-

(Zuweisung von Lehrerstunden, Beschrän-

samen Schulsystem unterstützt?

kung der Klassengrößen, Fortbildung und Beratung der Lehrkräfte) werden geschaf-

Inklusion ist kein Sparprogramm. Für die Pi-

fen.

lotschulen werden im Jahr 2012 zwei Millionen Euro zusätzlich eingesetzt. Für die Fort-

■■ Eine Fortbildungsoffensive für Lehrerin-

bildung der Lehrkräfte steht 2012 zusätzlich

nen und Lehrer wird gestartet, mit dem

eine Million Euro zur Verfügung. Die Koaliti-

Ziel sie auf die neuen Herausforderungen

onsfraktionen werden diese Unterstützung

wie den Umgang mit heterogenen Klas-

im anstehenden Doppelhaushalt 2013/14

sen und eine stärkere individuelle Förde-

fortschreiben.

rung vorzubereiten. Welche Förderung erhalten die Pilotschulen? ■■ Der Studiengang „Inklusionspädagogik“

an der Universität Potsdam wird einge-

■■ Die neuen Klassen werden kleiner sein.

richtet, um Sonderpädagogen auszubil-

(Richtgröße von 23 Schülerinnen und

den, aber auch alle anderen Lehramts-

Schülern und eine Obergrenze von 25).

studierenden

für

den

gemeinsamen

Unterricht zu qualifizieren.

■■ Sie erhalten pauschal 3,5 Wochenstunden

für fünf Prozent der Gesamtschülerzahl

28

■■ Ab dem Schuljahr 2015/16 soll jede mär-

als Basisausstattung zur förderdiagnos-

kische Grundschule beginnend mit Jahr-

tischen Lernbegleitung in den Schwer-

gangsstufe 1 alle Kinder mit Förderbedarf

punkten LES. Darüber hinaus bekommen

LES aufnehmen. Die entsprechenden

sie zusätzliche sonderpädagogische Un-

Förderschulen werden dann schrittweise

terstützung bei besonderen Problemla-

auslaufen.

gen.

Märkische Hefte 26 | November 2012


SPD-Fraktionschef Ralf Holzschuher zu Besuch in einer Kita in Brandenburg an der Havel.

■■ Sie erhalten eine prozessbegleitende Fort-

■■ Es wird nach einem schulinternen Un-

bildung und Beratung durch regionalen

terrichtskonzept auf der Grundlage von

und überregionalen Erfahrungsaustausch

Rahmenplänen unterrichtet und für jedes

mit anderen Schulen.

Kind ein individueller Lehrplan bei differenzierter Leistungsbewertung geführt.

■■ Zielgruppen der Fortbildung sind Schulen

und deren Netzwerke, nicht Einzelperso-

■■ Die Arbeit der teilnehmenden Schulen

nen. Daneben werden Angebote für die

wird wissenschaftlich begleitet, das Mo-

Schulleitungen der Pilotschulen entwi-

dell evaluiert.

ckelt.

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

29


Bildungspolitisches Massnahmenpaket der SPD-Landtagsfraktion

Bildung – Der wichtigste Rohstoff in Brandenburg Die Landesregierung und die sie tragenden

desausgaben für die Kindertagesbetreu-

Fraktionen setzen, wie im Koalitionsvertrag

ung sind seit dem Jahr 2008 von 137 Mio. €

angekündigt, ihren Schwerpunkt auf Bil-

auf derzeit 204 Mio. € gestiegen, ein Plus

dung. Gute Bildung für alle von Anfang an

von 50 Prozent.

ist nicht nur die wichtigste Voraussetzung für die Verwirklichung von Lebenschan-

■■ An der im vergangenen Schuljahr zum

cen sondern auch die Antwort auf die Her-

zweiten Mal verbindlichen flächende-

ausforderungen unserer Zeit. Um zu mehr

ckenden Sprachstandsfeststellung vor der

Chancengleichheit zu gelangen, müssen die

Einschulung haben 97 Prozent der 5-Jäh-

Rahmenbedingungen für eine frühere und

rigen teilgenommen. Aufgrund der Dia-

intensivere individuelle Förderung sowie für

gnose nahmen 29 Prozent der Kinder an

längeres gemeinsames Lernen verbessert

der kompensatorischen Sprachförderung

werden. Damit kann gleichzeitig ein Beitrag

in den Kindertageseinrichtungen teil.

zur Entkopplung von Bildungserfolg und sozialer Herkunft geleistet werden.

■■ Auch die Rahmenbedingungen in den

Schulen haben wir verändert und bereits

Bisherige Erfolge

700 zum großen Teil junge Lehrerinnen

und Lehrer eingestellt. Bis zum Ende der

Wir haben in dieser Legislaturperiode in der

Legislaturperiode werden weitere 1.300

Bildungspolitik bereits wichtige Ziele er-

folgen. Die ursprünglich vorgesehene

reicht.

Zahl der Einstellungen wurde damit von 1.250 auf 2.000 aufgestockt.

■■ Zum Oktober 2010 haben wir den Betreu-

ungsschlüssel in den Kindertagesein-

■■ Um auch in Zukunft den Bedarf an quali-

richtungen in Brandenburg verbessert.

fizierten Lehrerinnen und Lehrern zu de-

Seitdem werden bei den unter 3-Jährigen

cken, wurde die Zahl der Plätze im Vorbe-

sechs Kinder von einer Fachkraft betreut,

reitungsdienst von 600 auf mittlerweile

bei den 3- bis 6-Jährigen ist das Betreu-

900 Referendariatsplätze erhöht.

ungsverhältnis so verbessert worden,

30

dass 12 Kinder von einer Erzieherin oder

■■ Zur Qualitätssicherung an den Schulen

einem Erzieher betreut werden. Die Lan-

wurden verschiedene Maßnahmen ergrif-

Märkische Hefte 26 | November 2012


fen: Die Leseförderung wurde intensiviert

ermöglicht werden, die ohne eine Kosten-

und die verbindliche Lektüre eines Kinder-

beteiligung der Eltern nicht möglich ist.

und Jugendbuches in den Klassen 3 und 8 eingeführt, ein Grundwortschatz für die Klassen 1 bis 4 sowie Basiskompetenzen

Vorsorgende und soziale Bildungspolitik

wurden definiert und Orientierungsarbeiten in den Klassen 2 und 4 implementiert.

In Brandenburg gibt es wie in ganz Deutsch-

Die zweite Runde der Schulvisitationen im

land nach wie vor viele Jugendliche, die nur

Land Brandenburg läuft seit Januar 2011.

mangelhaft lesen und schreiben können. Jeder elfte Schüler (und es sind überwiegend

■■ Nach den Ergebnissen des Länderverglei-

Jungen) verlässt die Schule derzeit ohne ei-

ches wurde eine Fortbildungsoffensive

nen qualifizierenden Abschluss. Diese jun-

für Englischlehrerinnen und -lehrer u. a.

gen Menschen finden nur schwer eine Lehr-

mit zweiwöchigen Kursen im englisch-

stelle und einen Arbeitsplatz. Gleichzeitig

sprachigen Ausland gestartet.

fehlen auf dem Arbeitsmarkt qualifizierte Fachkräfte.

■■ Wir haben das Schüler-Bafög eingeführt:

Im vergangenen Jahr haben mehr als

Vor diesem Hintergrund ist es notwendig

1.250 Schülerinnen und Schüler der elf-

und unser Ziel, eine gute Bildung für alle

ten Klassen auf dem Weg zum Abitur von

Schülerinnen und Schüler in Brandenburg zu

der brandenburgischen Ausbildungsför-

gewährleisten. Viel zu häufig gibt es einen en-

derung (Schüler-Bafög) profitiert. Im ge-

gen Zusammenhang zwischen der wirtschaft-

rade begonnenen Schuljahr werden es

lichen und sozialen Lage des Elternhauses

aufgrund der aufwachsenden Einführung

und dem Bildungserfolg der Kinder. Bildung

weit mehr sein.

ist deswegen heute auch eine „soziale Frage“. Es sind die Schwächsten, die wir besonders

■■ Auch in der Primar- und Sekundarstufe

fördern sollten, um ihnen zu ermöglichen, von

haben wir für Schülerinnen und Schüler

unserem guten Bildungssystem zu profitieren

aus

Familien

und einen Schulabschluss zu machen. Im Sin-

eine schnelle und unbürokratische Un-

ne einer vorsorgenden und sozialen Bildungs-

terstützung geschaffen, den Schulsozial-

politik ist es daher notwendig, weitere Verän-

fonds. Damit soll allen Schülerinnen und

derungen auf den Weg zu bringen.

Schülern eine Teilhabe an den anregungs-

Dafür heißt es, so früh wie möglich mit

reichen Bereichen des schulischen Lebens

der individuellen Förderung zu beginnen.

einkommensschwachen

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

31


Bildungsstudien zeigen, dass eine „gute

in prekärer wirtschaftlicher Lage kommen,

Bildung für alle“ in vielen Fällen dann be-

gilt es zukünftig in besonderem Maße zu

sonders gut gelingt, wenn lernstarke und

fördern und zu fordern, damit auch sie einen

lernschwache Kinder gemeinsam in einer

qualifizierten Schulabschluss erreichen kön-

anregungsreichen Umgebung unterrichtet

nen. Wir wollen damit die Zahl der Schüle-

werden und ein besonderes Augenmerk auf

rinnen und Schüler, die ohne Abschluss ihre

die individuelle Förderung im gemeinsamen

Schullaufbahn beenden, deutlich reduzieren.

Unterricht gelegt wird. Den gemeinsamen Unterricht von lernstarWir haben in Brandenburg bereits wichtige

ken und lernschwachen Schülerinnen und

Schritte unternommen:

Schülern, der vielerorts bereits gelebt wird, zu stärken und weiterzuentwickeln auf dem

■■ Mit der Einführung und dem Ausbau der

Weg zur Inklusion ist für die kommenden

flexiblen Eingangsphase in den Grund-

Jahre und Jahrzehnte unser Vorhaben. Wir

schulen („FLEX“), der individuellen Lern-

werden dabei insbesondere in der Anfangs-

standanalyse für Grundschülerinnen und

phase darauf setzen, dass sich Schulen frei-

-schüler und der förderdiagnostischen

willig an Modellprojekten beteiligen. Am

Lernbeobachtung wurde die individuelle

Ende soll jede Schule eine „Förderschule“

Förderung verbessert.

sein, d. h. in allen Schulen soll die individuelle Förderung jeder Schülerin und jedes Schülers

■■ Es unterrichten auch heute schon 427

gelebt werden. Dafür heißt es die begonne-

Sonderpädagoginnen und -pädagogen an

nen Maßnahmen fortzusetzen und zu inten-

den 417 Grundschulen.

sivieren sowie neue auf den Weg zu bringen.

■■ Bereits heute lernen 39 Prozent der Kin-

der mit sonderpädagogischem Förderbe-

Maßnahmenpaket zum gemeinsamen Lernen

darf im gemeinsamen Unterricht an den Regelschulen (Brandenburg gehört damit

Von Anfang an:

zu den besten fünf Bundesländern). ■■ Erhebungen belegen, dass bei Kindern,

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Bei den lernschwachen Kindern sind es bis-

die im „Netzwerk Gesunde Kinder“ be-

lang allerdings nur 24 Prozent, die am Regel-

treut wurden, seltener ein Sprachförder-

unterricht teilnehmen. Gerade diese Schüle-

bedarf attestiert wird. Auf Grundlage ei-

rinnen und Schüler, die häufig aus Familien

ner mit dem Bundeskinderschutzgesetz

Märkische Hefte 26 | November 2012


einzuführenden Neuregelung in § 20e

Grundschulen weitergeführt werden, gilt

SGB V sind die „Netzwerke Gesunde Kin-

es Kita und Grundschulen noch besser zu

der“ in eine dauerhafte und verlässliche

vernetzen.

Regelfinanzierung zu überführen. Ziel ist es, die Netzwerke so auszubauen, dass möglichst alle Kinder begleitet werden.

■■ Um die neuen Herausforderungen des zu-

nehmend individualisierten Unterrichts in heterogenen Klassen zu meistern, ist eine gute Ausstattung der Schulen mit

In den Kindertagesstätten:

Lehrpersonal und Stunden zu sichern. ■■ Die Förderung der Kinder mit besonderen

Wir benötigen dafür mehr Lehrerinnen

Bedarfen muss in den Kindertagesein-

und Lehrer in den allgemeinbildenden

richtungen einsetzen, zentral ist dabei

Schulen. Dafür brauchen wir auch in den

die Sprachförderung: Bei 29 Prozent der

kommenden Jahren eine Zahl an Studi-

5-Jährigen wurden vor der Einschulung

enplätzen für Lehramt an der Universität

sprachliche Defizite diagnostiziert. Die

Potsdam, die am Bedarf orientiert ist.

Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen soll daher intensiviert wer-

■■ Derzeit ist der Anteil der Kinder, bei denen

den. Dabei gilt es, die alltagsintegrierte

ein Förderbedarf diagnostiziert wird, in

Sprachförderung zu stärken und das Kita-

den einzelnen Landesteilen stark unter-

Personal entsprechend zu qualifizieren

schiedlich, was auch auf die Handhabung

und zu unterstützen.

der Diagnoseverfahren für sonderpädagogischen Förderbedarf zurückzuführen

■■ Es gilt darüber hinaus, in die Ausbildung

des Kita-Personals ein Modul „Förderpä-

ist. Das förderdiagnostische Verfahren soll daher vereinheitlicht werden.

dagogik“ zu integrieren bzw. das KitaPersonal auf die neuen Herausforde-

■■ Wir wollen, wie im Koalitionsvertrag ver-

rungen einer frühzeitigen individuellen

einbart, einen grundständigen Studien-

Förderung vorzubereiten und entspre-

gang der Sonderpädagogik an der Uni

chend fortzubilden.

Potsdam einrichten, der pro Jahr 60 Studierende ausbildet. Inklusionspädagogische Lehrinhalte sollen darüber hinaus in

In den Schulen:

alle lehramtsbezogenen Studiengänge in■■ Damit die Förderbemühungen der Kin-

dertageseinrichtungen

auch

in

den

tegriert werden. Damit sollen die Bedarfe an qualifizierten Sonderpädagoginnen

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

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und -pädagogen in Zukunft gedeckt wer-

Einstellung von Schulsozialarbeiterinnen

den sowie auch alle Lehrkräfte befähigt

und -arbeitern an Schulen mit besonders

werden, eine gezielte individuelle Förde-

heterogenen Schülerschaften eingesetzt

rung durchzuführen.

werden, um eine bessere Vernetzung von Schule, Eltern und sozialem Umfeld zu er-

■■ Die bereits an den Schulen tätigen Lehr-

reichen.

kräfte sollen im Rahmen einer Fortbildungsoffensive unter Beteiligung der

Im Umsetzungsprozess:

Universität Potsdam befähigt werden, in heterogenen Lerngruppen eine indivi-

■■ Zur Begleitung der Einführung von Maß-

duelle Förderung der Schülerinnen und

nahmen zur gemeinsamen Förderung

Schüler zu leisten.

aller Kinder ist es notwendig, auf Landesebene ein Gremium („Runder Tisch“)

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■■ Gemeinsames Ziel ist es, dass die Mittel

einzurichten, an dem die Vertreterinnen

aus dem Bildungs- und Teilhabepaket der

und Vertreter aller Akteure angehört und

Bundesregierung in den Kreisen für die

beteiligt werden.

Märkische Hefte 26 | November 2012


Informationen zu wichtigen Themen der Landespolitik ...können Sie kostenfrei per Post erhalten. Bestellungen nehmen wir telefonisch unter 0331 – 966 13 55 oder per E-Mail an post@spd-fraktion.brandenburg.de gern entgegen. ■■ Auf einen Blick – Die SPD-Fraktion im Brandenburger Landtag ■■ Versprochen – Gehalten!

Eine Zwischenbilanz sozialdemokratischer Politik für Brandenburg. ■■ Faltblatt – 10 Antworten zu Brandenburgs Schüler-Bafög ■■ Faltblatt – Gemeinsames Lernen. Wie kommen wir zu einer Schule für alle? ■■ Faltblatt – Innere Sicherheit. Antworten zur Polizeireform ■■ Elektronischer Newsletter (dafür benötigen wir Ihre E-Mail-Adresse) ■■ Schriftenreihe „Märkische Hefte“

Lieferbar sind noch folgende Titel: 17. Brandenburg steht heute besser da. Bilanz der Arbeit der Wahlperiode 2004-2009. 18. Wie weiter mit der frühkindlichen Bildung? – Dokumentation vom 29. Juni 2010. 19. 20 sozialdemokratische Jahre – Die SPD-Landtagsfraktion 1990-2010. 20. Erneuerung durch Gemeinsinn – Der Brandenburger Weg im dritten Jahrzehnt der Einheit. 21. Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – Dokumentation vom 4. April 2011. 22. Der Mutmacher – Manfred Stolpe legte die Grundlage für Brandenburgs Zukunft. 23. Versprochen und gehalten! Halbzeitbilanz der SPD-Landtagsfraktion. 24. Energieland Brandenburg – Herausforderungen und Chancen der Energiewende. 25. Zukunft im ländlichen Raum – Wie wir das Leben auf dem Land lebenswert gestalten. 26. Gemeinsames Lernen. Wie kommen wir zu einer Schule für alle? 27. 20 Jahre Brandenburger Verfassung. 28. Alt werden in Brandenburg. Aktiv, selbstbestimmt, solidarisch. 29. Starke Städte in Brandenburg.

Gemeinsames Lernen – Wie kommen wir zu einer Schule für alle?

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www.spd-fraktion.brandenburg.de www.facebook.com/SPDFraktionBrandenburg www.youtube.com/SPDFraktionBB SPD-Fraktion im Brandenburger Landtag Am Havelblick 8 14473 Potsdam Tel.: 0331 – 966 13 40 Fax: 0331 – 966 13 41


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