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Parasport

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MIT DR. MED. GERMAN E. CLÉNIN

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interview: Patrizia Zanetti

DR. MED. GERMAN E. CLÉNIN (53) IST SEIT 2007 LEITER DER EIGENEN SPORTMEDIZINISCH-INTERNISTISCHEN PRAXIS IM HAUS DES SPORTS IN ITTIGEN BEI BERN (WWW.SMZBI.CH).

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Zuvor war Clénin an der EHSM am Bundesamt für Sport in Magglingen Co-Leiter des Swiss Olympic Medical Centers, Leiter der Sportmedizin und Leistungsdiagnostik und betreute bereits da national und international aktive Spitzenathleten. Er ist seit 2014 Teamarzt von Swiss Ski Freestyle, zudem betreut er schon lange Topathleten von Swiss Orienteering und Swiss Athletics. Er hat noch einen Lehrauftrag an der medizinischen Fakultät an der Universität in Bern und seit vier Jahren ist Clénin Präsident der SEMS Sport & Exercise Medicine Switzerland (vormals SGSM, Schweizerische Gesellschaft für Sportmedizin, wwww.sgsm.ch). Clénin ist zudem Autor des sportmedizinischen Handbuches «Gesund zur Top-Leistung», welches sich an Athleten, Trainer, Eltern und Fachpersonen im Leistungssport richtet (http://www.drathleteshealth.ch/).. Disziplin kommen Massnahmen wie zum Beispiel den Unfallbildern, welche im Ski Freestyle vorkommen. angewandten Forschungs- und Entwicklungsprojekte in erarbeiteten wir zusammen mit Swiss Snowboard auf den Weg in den Wettkampfsport begleitet. Hier

SPORTFISI@: Worin besteht ihre Aufgabe als Teamarzt von Ski Freestyle?

Clénin: Als Leitender Verbandsarzt für die Teams von Swiss Ski Freestyle habe ich diverse Aufgaben:

Leitung und Koordination des Medical Teams zusammen mit dem Ressortverantwortlichen Ski Freestyle Christoph Perreten

Durchführung der Sportmedizinischen Untersuchungen bei den Kaderathletinnen und -athleten einmal jährlich

Sicherstellung des ärztlichen Back-Ups 24h x 7d in enger Zusammenarbeit mit der Sportphysio des entsprechenden Teams

Konzeptuelle Arbeiten zur Unfallprävention, Gesundheitsförderung und Optimierung der Betreuung der einzelnen Disziplinen.

Wie kann man sich als Athlet im Freestyle Ski am besten vor Verletzungen schützen?

Das ist eine Frage, welche sich in jeder Sportart stellt. Wie wir alle wissen, kann sie nur teilweise beantwortet werden. Wir Aerzte und Physios im Medical Team versuchen, die Athleten, Disziplinen- und Konditrainer, in ihrer Saisonvorbereitung bestmöglich zu unterstützen. Wir sind überzeugt, dass ein gesunder, physisch top-fitter und mental ausgeglichener Athlet ideal in die Saison einsteigen Hirnerschütterungen vermieden werden können.

kann. So gelingt es trotz oftmals gut gefüllten Trainings- und Wettkampfkalendern mit Reisen rund um den Globus, das Risiko für Verletzungen, Überlastungen und auch Krankheit relevant zu reduzieren.

Neben der konsequenten und idealen physischen und mentalen Vorbereitung, gehören die seriöse Trainings- und Wettkampfvorbereitung, technisch einwandfreies Skimaterial und das Tragen der Schutzausrüstung zu den wichtigen Vorkehrungen. eines Rückenprotektors minimaler Standard. Je nach beim Skicross ein im Protektor integrierter NackenRücken-Hüft-Airbag dazu.

Wie hoch ist das Risiko im Vergleich zu anderen Sportarten betreffend Rückenmarksverletzungen und oder Gehirnerschütterung / Schädelhirntraumata?

Die Hirnerschütterung (Commotio bzw. englisch Concussion) ist häufig und auch Schädel-HirnTraumata sowie Rückenverletzungen gehören leider zu In diesem Bereich wollen wir bezüglich optimaler Begleitung und Prävention besser werden. Aus diesem Grund legten und legen wir den Hauptfocus unserer diesen Bereich. So haben wir in den letzten Jahren die Früherkennung der Concussion und Erstversorgung auf der Piste bis ins Spital standardisiert. Ebenso ein einheitliches Return-to- Snow-Protokoll, welches den Athleten nach einer Hirnerschütterung zurück war es uns wichtig, dass diese Standards für Freestyle Ski und Snowboard gelten, mit der FIS und dem SCAT (SportConcussionAssessmentTool) übereinstimmen und für unsere Verhältnisse in den Teams und der Schweiz optimal anwendbar sind.

Haben Sie hier noch weitere Ideen bzw. an was sind Sie aktuell dran?

Ja, wir wollen uns hier unbedingt weiter verbessern, innerhalb von Swiss Ski und in Zusammenarbeit mit externen Partnern. Es geht darum, in der Prävention weiterzukommen, zu schauen, wie Dabei sind das Tragen eines guten Helmes und

Vermutlich braucht es hierzu auch ein Denken «Outside the Box». Ebenso ist der Helm für uns ein Thema: Wie ist der ideale Helm konstruiert, damit bei einem Sturz der Kopf bestmöglich geschützt wird. 49

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Skicross-Team Männer Olympic Games mit Nationaltrainer Ralph Pfäffli bei der Videoanalyse des Starts

Führen Sie ein «klassisches» Screening bei diesen Athleten aus oder fügen sie jeweils noch detaillierte Tests hinzu?

Die einmal jährlich durchgeführte Sportmedizinische Untersuchung (SPU) gemäss Standards von Swiss Olympic und der SEMS bildet die Grundlage. Dieses jährliche Screening geht bereits sehr weit. Sie beinhaltet einen breiten und sportspezifischen Interviewteil, eine ausführliche klinische Untersuchung Kopf bis Fuss, inklusive Gelenkprüfungen auf Bewegungsumfang und Stabilität sowie Muskellängentests. Abgerundet wird die SPU durch das grosse Sportlerlabor (Blut- und Urinuntersuchungen zur Erkennung von Mangelsituationen oder allfälligen Krankheiten) und alle zwei bis drei Jahre ein EKG. Bei den Leistungsstests fokussieren wir auf Explosiv- und Sprungkraft und arbeiten mit der Kraftgruppe rund um Klaus Hübner von der EHSM Magglingen zusammen.

Wie geht man vor, wenn ein Athlet einen Sturz auf den Kopf erleidet? Wie sehen erste Massnahmen und Langzeitbehandlungen aus? Wo werden die Athleten behandelt?

Wie vorhin berichtet, haben wir einen Algorhythmus, welchen wir für die Früherkennung und das initiale Management anwenden.

Ist die Diagnose einer Concussion gestellt und die notwendigen medizinischen Abklärungen gemacht, orientieren wir uns am «Return-to-Snow»-Protokoll, welches uns durch die kommenden Tage und Wochen begleitet. Im optimalsten Fall ist ein Athlet in 7 Tagen wieder zurück auf dem Schnee, oftmals geht es etwas länger. Denn die einzelnen Steigerungs-Stufen werden erst freigegeben, wenn die aktuelle Belastungsstufe ohne Schmerzen und ohne neurologische oder vegetative Symptome absolviert werden kann. Glücklicherweise sind die langen Verläufe und das Auftreten eines postkommotionellen Syndromes sehr selten. Wir haben uns aber klar zum Ziel gesetzt, mit einem optimalen Management postkommotionelle Syndrome zu vermindern oder wenn ein solches auftreten sollte, dies frühzeitig zu erkennen.

Von aussen betrachtet wirken alle 6 Freestyle Ski Disziplinen für die Athleten sehr waghalsig. Mittlerweile sind aber alle vom olympischen Komitee für die Teilnahme an den Olympischen Spiele anerkannt worden (Ski Cross, Halfpipe, Slopestyle, Big Air, Aerials, Moguls). Dies wiederum steigert die Popularität der Sportarten zusätzlich. Sehen sie Auswirkungen davon in ihrem beruflichen Alltag?

Die Freestyle Disziplinen sind für Zuschauer als auch für Athleten äusserst attraktiv. Unsere Athleten müssen physisch und technisch top-vorbereitet sein, um ihre Läufe und Sprünge sauber und mit guten Noten runterzubringen. Die Vielfalt der Disziplinen, die verblüffenden Tricks (Slopestyle, BigAir und in der Halfpipe), die technischen Herausforderungen (Moguls, Aerials) und die Athletik sowie der Renncharakter (Skicross) sind weitere Elemente, welche die Anziehungskraft der Freestyle-Disziplinen steigern. Dabei wirkt das Ganze trotz der Anforderungen irgendwie spielerisch leicht. Ebenso sieht es so aus, als hätten die Athleten einen Riesen-Fun.- Und ja, den haben sie wirklich. Aber es steckt ein hartes und konsequentes Training dahinter.

Streckenbesichtigung Skicross mit Dem späteren Silbermedaillengewinner Marc Bischofberger und Enrico Vetsch Skicross-Trainer

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Sehen Sie durch diese offensichtliche Attraktivitätssteigerung empfangen und an den richtigen Ort weiterbegleitet Auswirkung in Ihrem beruflichen Alltag? werden kann. Oft kommt es vor, dass wir am Abend schaffen? Freestyle-Athletinnen und und organisiert. Da ist die Unterstützung der Swiss-SkiUnfallversicherung Visana ebenfalls ganz wichtig. Von medizinischer Seite werden die Weiterbetreuung und die ergänzende Diagnostik so vorbereitet, dass der/ die in der Schweiz eintreffende Athlet/Athletin nahtlos einen Anruf oder eine WhatsApp-Nachricht erhalten, Die Frage kann ich nicht direkt beantworten. Wenn am nächsten oder übernächsten Tag den Athleten/die ich aber Ski Freestyle etwa mit Ausdauersportarten Athletin in der Praxis sehen, ihn ins MRI schicken und oder Leichtathleten vergleiche, sehe ich klare danach die Diagnose stellen und den Therapieplan Unterschiede. Im Ski Freestyle beobachtet man leider erstellen. Das Einleiten der weiteren therapeutischen vom Verletzungsmuster her Diagnosen, welche die Schritte, die Information des Trainers und des Staffs, ganze Bandbreite der Schweregrade aufweisen, akut das Verfassen einer kurzen Medienmitteilung auftreten und ein unmittelbares Handeln erfordern. und die Organisation des Return-to-Sports mit Wie geht das konkret? Sie können eine solche intensive diese Betreuung ja kaum alleine Athletenbetreuung ab. Die medizinische Kinder sich ernsthaft für Ski Betreuung unserer Freestyle interessieren? -Athleten ist Teamarbeit. Dann sollen Sie sich bei Dies beginnt bereits bei einem lokalen Skiclub der Versorgung vor Ort melden oder einen und geht weiter mit dem der ausgeschriebenen Transport ins Spital und bei Schnupperkurse besuchen. Ereignissen im Ausland mit Im Verlauf kristallisiert der Repatriierung weiter. sich dann heraus, wo Jede Freestyle-Disziplin das Interesse und das hat bei Einsätzen eine/n Talent der Kinder und Physio vor Ort. Nur bei Jugendlichen wirklich liegt. grösseren Anlässen hat Jede Disziplin geht ein es zusätzlich einen Arzt. wenig einen anderen Weg Die Erstversorgung und und lokale Gegebenheiten der Transport ins Spital und das Angebot helfen wird meist durch den bei der Entscheidung Teamphysio koordiniert. etwas mit: So sind für die Danach wird sehr Athletenbetreuung interdisziplinär vor Ort - Marc Bischofberger Förderung der Aerials schnell der Team-Arzt betreut durch Teamarzt Dr German Clénin und Monique Blaser eine Trampolinanlage für miteinbezogen. Bei Sportphysio und eine Wasserschanze Freestyle kommen da ich fürs Sommertraining und die drei Sportmediziner Dr. Harry Leemann, Dr. quasi Voraussetzung. In der Schweiz gibt es eine Christian Hoppe und Dr. Patrick Siragusa ins Spiel. entsprechende Anlage in Mettmenstetten. Für die Zusammen mit den Medicals vor Ort wird die Lage Buckelpistenfahrer (Moguls) braucht es entsprechend beurteilt, eine Diagnose gestellt und beurteilt, wie die präparierte Pisten und Trainer mit dem notwendigen Versorgung weitergeht. Bei dieser Lagebeurteilung Know-How. Da haben wir in der Schweiz eine starke spielen die Schwere und Art der Verletzung, die Tessiner-Trainingsgruppe. Freeski (Slopestyle, Transportfähigkeit des Patienten/der Patientin und BigAir und Halfpipe) wird über verschiedene Sportauch der Aufenthaltsort eine Rolle. Zusammen mit Dr. Gymnasien angeboten. Beim Ski Cross geht die Walter Frey als Chief Medical Swiss Ski und der Rega Entwicklung häufig via einen Einstieg in Ski Alpin mit werden die Möglichkeiten der Repatriierung geprüft einem späteren Wechsel in den Ski Cross. Nachkontrollen runden Was empfehlen sie Eltern, deren 51

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Das CH Aerials Team Olympic Games PyeongChang 2018 mit allen Athleten, Cheftrainer Michel Roth und Staff vor den Schanzen

Das erfolgreiche Ski Cross-Team vor dem House of Switzerland

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Monique Blaser Sportphysio und der Autor im Zielbereich Skicross

CH-Skicrossteam mit WM-Silbermedaillengewinnerin Fanny Smith an der Freestyle WM 2019 Utah / Solitude

Alle Fotos von: Follow me on Twitter @DrAthletesHlth

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