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Staatstheater Mainz Theaterklassiker
Stabil mit Shakespeare und Schiller auf allen vieren
Das Staatstheater Mainz bringt die Klassiker auf abwegen zu neuen Zielen
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Dem klassischen Theaterfreund wie der Freundin von Theaterklassikern musste zu Beginn der Spielzeit 21/22 das Staatstheater Mainz als Insel der Seligen erscheinen. Friedrich Schiller, William Shakespeare, Ödön von Horvath standen dort gewissermaßen en bloc mit »Kabale und Liebe«, »Der Widerspenstigen Zähmung« und »Glaube Liebe Hoffnung« zur Premiere. Wer sich daraufhin ganz auf anspruchsvolle gutbürgerliche Unterhaltung eingerichtet haben mag, hat seine Rechnung ohne die Regie gemacht – könnte aber trotzdem auf seine Kosten kommen.
Am ehesten, dies vorweg, ausgerechnet bei Ödön von Horvaths kleinem Totenztanz, den der Regisseur Jan Neumann mit Live-CamEffekten und Gruselkostümen ins Expressionistische transformierte und mit einem herrlichen Schlagerpotpourri aus 70ern anreicherte. Was uns denn auch mit und noch mehr dank Maike Elena Schmidt in der Rolle des Stehaufmädchens Elisabeth ganz prima gefiel (s. Verena Rutkowskis Besprechung im Strandgut 11/21).
Bitch-Revue ins Misogyne Mit den anderen Inszenierungen aber tun wir uns schwerer – was nicht gegen sie spricht, aber auch nicht an zu hohen Ansprüchen liegt. Shakespeares zotige Komödie aus dem Jahr 1564 hat Regisseurin Stephanie von Batum laut Programmheft von vornherein und auch mit guten Gründen als unterirdisch und unbespielbar empfunden. Schließlich handelt der Meister darin ab, wie einer jungen selbstbewussten Frau zum Vergnügen aller Männer vom Übelsten seines Geschlechts mit roher wie auch psychischer Gewalt – Zwangsehe inklusive – das stolze Ego ausgetrieben, gebrochen wird. Jausa, was haben sie gelacht, die alten Briten! Und was lachen sie, so hat die Regisseurin schnell festgestellt, weltweit noch heute. So mega-anders geht es weder auf den Straßen, noch in den Kanälen und Strömen der Sozialen Medien nicht zu. Von Batums Entschluss, den alten weißen Shakespeare zum Tanzen zu bringen, indem sie ihm die eigene Melodie vorspielt, hat sie mit der (tollen) Darstellerin Gesa Geue umgesetzt, die Shakespeares Zoten in den Netz-Jargon und prollige Bro-Culture übersetzt. Was als rotzfreche Bitch-Revue mit Lisa Eder on stage, Geue als opportunistischem It-Girl und einer riesigen als pinkfarbener Vorhang getarnten vagina dentata (Bühne Bettina Kirmair) beginnt, mündet schon bald in misogynen MachoBahnen mit Klaus Köhler als abgewichstem Superproll Petrucchio. Dass er und seine Kumpanen sich mit »stabihhhl, stabihhhl« anfeuern, hielt der Schreiber für eine witzige Idee bis ein kürzlicher Stopp an der Frankfurter Fachhochschule ihn ein solches Grußritual live unter Brüdern erleben ließ. Es ist nicht alles schlüssig, was wir auf der Bühne sehen, und in entscheidender Hinsicht weit weniger lustig, als es im freudig mitgehenden Publikum empfunden wird. Ein wahrhaft toxisches Finale nach Weiberart setzt den implantierten Schluss einer Inszenierung, die durchaus auch zum Update in Sachen Youth-Culture für fortgeschrittene Lebensalter empfohlen werden kann.
Da werden Weiber zu Waranen Endlich klassisch, historisch, auf der großen Bühne hebt Schillers »bürgerliches Trauerspiel« um die junge Luise Millerin und ihren Fürstensohn Ferdinand an, die zu Opfern politischer Willkür und Machtgier werden. Regisseur Alexander Nerlich inszeniert »Kabale und Liebe« wesentlich als Generationenkonflikt, in dem sich die jungen Protagonisten zu Rebellen in einem autokratischen, übermächtigen Überwachungsstaat mausern. Während Schiller seiner Luise die egalistische Sehnsucht anvertraut, in einer nahen Zukunft »nichts als Mensch« sein zu dürfen, lässt Nerlich sie im Gespräch mit Mama davon faseln, dass Mann und Frau nur die »beiden Seiten des großen radikalen Holismus« seien, um sich dann Tête-à-Tête mit ihrem Lover darin zu versteigen, die Regierungsmaschine (dessen Vaters) »mit dem eigenen Leben als Gegengewicht« zu stoppen. Das stammt zwar von Henry David Thoreau («Pflicht zum Ungehorsam«) und wird auch in der Klimaschutzbewegung gerne aufgegriffen, klingt aber zumindest zu Schiller auch ziemlich quergedacht. Weshalb sich Luise in einer Fantasy Sub-Szene auf allen Vieren zu einem sich häutenden Waran erklärt, bleibt auch nach dem Griff zu Brehms Tierleben ein Rätsel. Was sie von diesem wackelpeter-haft vorgetragenen Ferdinand will, allerdings auch. Ohnehin spitzt Nerlich das Stück durch gezielte Überzeichnungen und symbolgeladene Choreografien, die alle Beteiligten in Bewegung halten, zu. Der egomanische Fürst weidet den dekorativ im Palast gehängten Rehbock martialisch aus und vergnügt sich in putinesken Posen damit, seinen Adjutanten Wurm mit Gewehrsalven einzuschüchtern. Lady Milford, eigentlich eine sehr sensibel zu handhabende Position im Stückgeschehen, wird hier zur Stangentänzerin herabgewürdigt, Hofmarschall Kalb zum drogensüchtigen Lüstling. Selbst Ferdinand stickt der übergewaltige Vater sozialisationstechnisch noch in den dünnen Knochen Auch wenn am Ende wenigstens die Limonade giftig bleibt und Luises Eltern im Hochbett-Heim unabgehoben real, überwiegt doch der Eindruck, dass von allem weniger für alle mehr gewesen wäre. Wahrscheinlich sogar ein richtiger Schiller. An den Schauspielern läge es nicht.
Winnie Geipert
Termine Glaube, Liebe, Hoffnung: 28. Dezember 19.30 Uhr, 9. Januar 18 Uhr
Termine Kabale und Liebe: 28. Dezember 19.30 Uhr, 9. Januar, 18 Uhr
Termine Der Widerspenstigen Zähmung: 4., 31. Januar jeweils 19.30 Uhr www.staatstheater-mainz.de