3 minute read
Katja Kleiber: »Das Kind mit der Knarre« Ingmar Bergman: »Ich schreibe Filme«
Fast alles wird gut
Advertisement
»Das Kind mit der Knarre« – zu reizvoll schien der Frankfurter Autorin Katja Kleiber wohl dieser alliterierende Titel für ihren vierten Kriminalroman um die Frankfurter Privatermittlerin Sandy Hardenberg, als dass sie aus inhaltlichen Gründen darauf hätte verzichten mögen. Denn wer hier zur Waffe greift, ist längst kein Kind mehr, sondern ein junger Mann. Auch wenn sein genaues Geburtsdatum nicht bekannt ist, dürfte Wahid, der es zusammen mit seinem kleinen Bruder von Afghanistan bis in eine Frankfurter Flüchtlingsunterkunft geschafft hat, mindestens siebzehn Jahre alt sein. Aber sei’s drum. Als Flüchtling in einem fremden Land nimmt man vielleicht automatisch eine kindliche Perspektive ein. Und diese authentisch zu vermitteln, gelingt Katja Kleiber ziemlich gut. Wahid stößt übrigens erst ziemlich spät durch Zufall auf die Knarre, aber sie kommt ihm sehr gelegen, denn er will seinen Bruder, der bei einem neonazistischen Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim ums Leben gekommen ist, rächen. Ein früherer Versuch, sich auf dem Schwarzmarkt eine Waffe zu besorgen, ist gescheitert. Aber nun ist er ausgerüstet und entschlossen, während Sandy, die eher zufällig in die Sache geraten ist, ihn aufzuhalten versucht. Das klappt nicht ganz, steht aber dem eher märchenhaften Schluss dieses flott erzählten Romans nicht entgegen. Die Autorin versteht es nämlich, gesellschaftliche Wirklichkeit, von der Situation minderjähriger Flüchtlinge bis zur Entdeckung rechtsradikaler Netzwerke bei der Polizei, und genrespezifische Fiktion auf unterhaltsame Weise zu kombinieren. Also wundern wir uns nicht zu sehr über eine in der linksautonomen Szene verwurzelte junge Privatschnüfflerin mit Punkvergangenheit, die mit dem Chef der Mordkommission liiert ist, was sie aber nicht davon abhält, ihre erotischen Interessen auch im eigenen Milieu zu verfolgen. Gemeinsam mit der linken Anwältin Freya von Buckow und dem Hamburger Punk Wombel bildet sie ein schlagkräftiges, aber nicht immer zielsicheres Team, das den dumpfen Naziskins aus dem Kampfsportstudio natürlich überlegen ist. Also wird fast alles gut. Und das lesen wir, angesichts der oft so wenig erfreulichen Realität, ja auch nicht ungern.
Joachim Feldmann
Katja Kleiber: Das Kind mit der Knarre. ein Krimi aus Frankfurt. Neopubli, Frankfurt am Main 2021. 295 Seiten, 12 euro.
Muschel und Perle
Was macht man, wenn man ein Hirn hat wie meines?, notiert Ingmar Bergman am 15.6.1938, kurz vor seinem 20. Geburtstag. »Ja doch, man dreht in der kleinen Küche zu Hause den Gashahn auf und alles fliegt davon. Boff!!« Er tut es dann doch nicht, in seiner närrischen kleinen Seele hegt er nämlich einen kleinen hochmütigen Gedanken: »Vielleicht wird sich einmal – irgendwann einmal – etwas Helles und Schönes aus all dem Elend schürfen. Wie eine kleine, kleine, kleine Perle aus einer großen schwarzen, vertrackten Muschelschale.« Diese Muschelschale hält man nun mit »Ich schreibe Filme. Arbeitstagebücher. 1955–2001« in der Hand, 448 Seiten dick, schwarzer Umschlag, gute Haptik, dies ist schließlich ein Buch aus dem Hause Berenberg. Die kundige Herausgeberin Renate Bleibtreu hat 2002 bereits das 886 Seiten starke Ingmar Bergman-Werk-Porträt »Im Bleistift-Ton« (Rogner und Bernhard bei Zweitausendeins) vorgelegt und dafür größtenteils unveröffentlichte Materialien – Erzählungen, Tagebucheinträge und vor allem Drehbücher und Szenarien – zusammengetragen. Schon damals wurde gemäkelt, ob es sinnvoll sei, »einen Regisseur von der Seite des Schreibens her kennenzulernen«. (Antwort: Nein, für Leute, die keine Bücher lesen, nicht.) Vierzig Regalmeter umfasste der Nachlass, den Bergman dem Schwedischen Filminstitut vermachte. Die Arbeitsbücher darin, wie er sie nannte, sechzig Spiralblocks, blieben unzugänglich, weil Experten erst die Schrift entziffern mussten. 2008 erschienen dann im Verlag Norstedts zwei Bände mit mehr als tausend Seiten. Sie sind die Quelle dieser Ausgabe. »Der Spiegel ist zerschlagen, und was spiegeln die Scherben?«, fragt ein Eintrag. Kunst war für Bergman »Bewusstmachung des Unbewussten, Ausspruch des sozial Unausgesprochenen«. In diesen Journalen ringt er darum. Rasend spannend für Leute, die Bücher lesen und Filme schauen.
Alf Mayer
ingmar Bergman: ich schreibe Filme. arbeitstagebücher. 1955–2001 (arbetsboken 1955–1974 / 1955–2001; 2008 erschienen). in einer auswahl übersetzt, kommentiert, herausgegeben, aus dem Schwedischen übersetzt und mit einem Nachwort von renate Bleibtreu. Berenberg verlag, Berlin 2021. 448 Seiten, Halbleinen, fadengeheftet, 28 euro.