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Auf der dunklen
Seite des Mondes
Gallus Theater: »Gifted²« ist ein neues Geschenk der Delattre Dance Company bösen (und hinlänglich bekannten) Entgleisung gegenüber einer Kritikerin weithin geächtete Künstler überhaupt eine Bühne erhält. »gerade NOW« titelt der Abend. »Midnight Raga« heißt Goeckes Beitrag dazu, ein zur Musik von Ravi Shankar und Etta James nun mit Tänzern des Hessischen Staatsballetts entwickeltes Duett, das trotz seines orientalischen Zuschnitts Göckes typisch- nervöse Tanzhandschrift erkennen lässt. Uraufgeführt wurde es bereit 2017 vom Nederlands Dans Theater. Komplettiert wird der Now-Abend von Martin Harriagues Choreografie »Of Prophets and Puppets«. In einem genreübergreifenden Mix aus Tanz, Schau- und Puppenspiel erzählt der Franzose von Macht, Manipulation und dem Einfluss der Medien im Spiel mit Fakten und Fiktionen. Im Rahmenformat einer Talkshow lässt es Harriague mit den Mitteln von Choreografie und Tanztheater zu einer fiktiven Begegnung der beiden ikonenartigen Personen Greta Thunberg und Donald Trump kommen. (Termine: 27., 28. Mai, jew. 19.30 Uhr) Unter dem spektakulären, den bipolaren Schriftsteller Thomas Melle zitierenden Titel »Sex mit Madonna« steht eine Choreografie von Chris Jäger in der Wartburg auf dem Programm. Die dort formulierte Spannung zwischen Manie und Depression gehen Justyna Kalbarczyk, Cordelia Eleonore Lange und Louis Thato Partridge mit 100 Kilo Konfetti an. Wie vom Blitz getroffen tanzen sie euphorisch, schon lange ihrer Kräfte beraubt. Ihre Körper flehen nach Entspannung, doch sie finden keine Ruhe. (Termin: 24., 25 Mai, jeweils 19.30 Uhr). www.staatstheater-wiesbaden.de wird`s beim Duett »S(t)ick through Sightlessness«. Iannis Teirlijnck greift bei diesem Liebestanz mit teuflischem Verlangen nach der Begehrten (Andre), das emotionale Spiel schwankt über in sanftere Momente, in denen sich das Paar auf Augenhöhe aneinander klammert. Medizinisches Piepsen betont die Ausnahmesituation. gt
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»Gifted« war etwas Besonderes. Die erste Premiere, die Stéphen Delattre mit seiner Dance Company im Frankfurter Gallus Theater feierte, nachdem die Mainzer immer wieder mit Repertoire-Abenden auf der Bühne in der Kleyerstraße aufgetreten waren. Ein knappes Jahr nach diesem Treuegeschenk folgte nun eine zweite Auflage, »Gifted²« bietet erneut einen vielfältigen Reigen an kurzen Stücken, mit exzellenter Technik vorgetragen, acht an der Zahl. Der französische Choreograf hat sich dafür Kollegen an die Seite geholt, auch Francesco Gammino, Roberta Ferrara, Thomas van der Linden und Alekseij Canepa präsentieren Werke.
Es beginnt mit einer Beziehungsgeschichte, »Embracing Emptiness«, eine Frau (Mélanie Andre) zwischen zwei Männern (Claudio Ingenhoff, Marco Biscaro). Wo eben noch scheinbar vollkommene Harmonie im Duo herrschte, verändert sich die Stimmung, als ein Dritter in Erscheinung tritt. Delattre führt hier ein Mittel ein, das Teile der zweimal 30 Minuten prägen wird: Das hautfarbene Oberteil der hochgewachsenen, langbeinigen Tänzerin verschmilzt für die Augen mit der nackten Haut ihrer Partner, deren blaue Hosen wiederum heben sich kaum vom dunklen Hintergrund ab. Die sich in- und umeinander schlingenden Körper verlieren ihre Grenzen.
Wie man sich der Körper der anderen noch weitergehend bedient, sie für einen Aufstieg zu Höherem nutzt, an ihnen entlang gleitet, sie miteinander zu eigenen Zwecken kombiniert, thematisiert »Beatitudine!«. Ein schier nicht enden wollender, variantenreicher Bewegungskanon klafft dabei auf. Nachdem »Where Silence becomes a Voice« auf die dunkle Seite des Mondes führt, mit ausdrucksstarken Sequenzen zu schwerem Atem und düsterem Trommeln, wird’s danach fidel und lustig. Ramón Castano und Coke López liefern sich im hellen Lichtkegel ein Duell um den Zuspruch des Publikums, quirlig, witzig, mit blitzschnellen Wechseln und voller Esprit. Auch das kann der Tanz, zum Lachen bringen.
Dem intensiven Auftakt zur PianoMusik der Amerikanerin Carly Comando folgt ein »Ritual der Tarantel«, das deutlich weniger wild daherkommt, als man vermuten könnte. Vielmehr zeichnen das Miteinander des Quartetts fließende Bewegungen aus, was dunkle Ganzkörperanzüge unterstützen. Ein bisschen unheimlich
Mit Scheuklappen rast das Ensemble danach durch »Limitless«, ein Stück, das auf den Egoismus jedes Einzelnen in der Gesellschaft anspielt und ohne Worte zeigt, wie sehr das Miteinander bereichern kann. Hell gewandet verabschiedet sich die Truppe schließlich mit »Shaped by the Wind«, zeigt sich ausgelassen, von der Lust getrieben, wie befreit. Ein mitreißendes, motivierendes Ende für einen sehr abwechslungsreichen und vom Publikum gefeierten Abend.
Katja Sturm
Termine: 19.-20. Mai 2023, jeweils 20 Uhr, 21. Mai 19 Uhr www.gallustheater.de
Abschied mit Augenzwinkern
Dresden Frankfurt Dance Company zeigt Jacopo Godanis »Symptoms of Developments«
Jetzt ist es soweit. Am 20. Mai steigt Jacopo Godanis letzte Neukreation als Künstlerischer Leiter der Dresden Frankfurt Dance Company im Bockenheimer Depot. Und das doch recht überraschen Augenzwinkern und Selbstironie: »Symptoms of Development« nennt der italienische Choreograf und langjährige Solist der Forsythe Company seine Produktion, die uns mit einem Nur-Hereinspaziert in ein ominöses »Zentrum der Bewegung und Forschung« lädt. Genauer: In ein Laboratorium, das sich ganz der Aufgabe verschrieben hat, den Code zur Nutzung des maximalen Potenzials des Körpers und der Bewegung zu knacken. Wer da nicht an den Maestro selber denkt und beispielsweise seine Kooperationen mit dem SenckenbergMuseum!
Die Produktion reflektiert humorvoll nicht nur, wie sich die Company in den vergangenen acht Jahren unter seiner Leitung entwickelt hat, sondern auch, wie sie von außen gesehen wurde. Und wird! »Ich wollte immer klare Botschaften vermitteln, zum Beispiel in den Performances unsere Zeit reflektieren, mit schnellen Schnitten, mit schnellen Szenen, und dabei demonstrieren, was ›zeitgemäß‹ für uns bedeutet«, lässt Godani uns wissen. Mit viel Freiheit und mit Erweiterung der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten durch das Wort wird »Symptoms of Development« zum finalen Satyrspiel, in dem alles auf den (Versuchs-) Tisch kommt.
Termine: 20., 25.–27. Mai, 20 Uhr; 21., 28. Mai, 16 Uhr dresdenfrankfurtdancecompany.com
Try a little genderness
Gallus Theater: In »Transitions« wird der ex-DFDC-Tänzer Joel Small zu Reflektra
Frankfurter Tanzfans haben ihn noch gut als Mitglied und Solotänzer der Dresden Frankfurt Dance Company in Erinnerung: den Australier Joel Small, der mehrmals auch schon bei den Solocoreografico-Festivals von Raffaele Irace im Gallus Theater brillierte, aber auch im DFDC-Projekt »Open Grounds« (Strandgut 11/2017) mit eigenen Arbeiten vertreten war. Jetzt kehrt der seit 2019 in Berlin lebende Tänzer mit einer eignen Choreografie als REFLEKTRA mit seiner Arbeit »Transitions« in den Frankfurter Westen zurück. Small präsentiert uns eine theatrale Performance im Zeitgenössischen Tanz, die sich an die Drag-Kultur anlehnt, doch völlig fern von gängigen klischeeisierten DragQueen-Shows bewegt. Choreografisch humorvoll, berührend und