3 minute read
Frauen vor und hinter der Kamera
In den USA gab es das It-Girl, das durch sein selbstbewusstes Auftreten die Männerwelt aufmischte und Konventionen brach. In Deutschland gab es Asta Nielsen und Filme wie »Anders als die Anderen« (Richard Oswald, 1919) oder »Mädchen in Uniform« (Leontine Sagan, 1931). Wer ein paar Filme aus den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts gesehen hat, weiß, dass in ihnen die Frauenbilder viel variantenreicher und moderner waren als in denen späterer Jahrzehnte. Das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum ist nun der Sache nachgegangen und großenteils eine Ausstellung der Deutschen Kinemathek aus Bonn und Berlin aufgegriffen, die sich den Frauen vor und hinter der Kamera im Kino der Weimarer Republik widmete, und mit neuem Material ausgestattet.
Der äußerst grausame Weltkrieg hatte die alte europäische Welt erschüttert und ganz besonders die Rolle der Frauen verändert, die in und nach dem Krieg als Arbeitskräfte gebraucht wurden. So geht der Ausstellungsteil »Frauen und Geschlechterfragen im Film« auf die einschneidenden sozialen Veränderungen der Zeit ein. Die Filme ergreifen Partei in den Konflikten um das gesellschaftliche Selbstverständnis oder versuchen, ihnen auszuweichen, was nicht weniger interessant ist.
Advertisement
Auffällig ist ihr Streben nach realistischer Darstellung. Weil sie auch das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums beachten, unterscheiden sie sich deutlich von ihren heutigen Arthouse-Nachfolgern. Die Neue Frau ist mit einem pflegeleichten Bubikopf und bequemen, das Knie befreiende Hängekleidern ausgestattet. Sie nutzt die neue Beinfreiheit, arbei- tet als Telefonistin oder im Büro und geht abends zum Tanz. In der Mode wird sie zunehmend schlanker und knabenhafter – ein Ideal, das der Film vorantreibt. Sie fährt ihren Wagen selbst oder reüssiert als Rennfahrerin oder Fliegerin. Andererseits gibt es auch den männerverschlingenden Vamp wie etwa Marlene Dietrich in »Der blaue Engel« (1930), für dessen Produktion der emigrierte Josef von Sternberg extra aus den USA nach Deutschland zurückkam. Dieser männerverschlingende Typ sollte später als ›femme fatale‹ in den Krimis der Schwarzen Serie seine Vollendung finden. Raunender Mythologie widmet sich 1928 Henrik Galeen in »Alraune« in Gestalt von Brigitte Helm, die exemplarisch den neuen Frauentyp verkörperte. (Tonfilmfassung zwei Jahre später von Richard Oswald; 1952 Remake von Arthur Maria Rabenalt mit Hildegard Knef). In der Ausstellung sind Fotografien, Kostümentwürfe, Filmplakate und Zeitungsausschnitte zu sehen. Originalkostüme werden von historischen Schaufensterpuppen getragen, die in Aussehen und Pose den damaligen Stars nachempfunden sind. Projizierte Ausschnitte aus zahlreichen Filmen geben einen Eindruck von der stilistischen und inhaltlichen Vielfalt.
Der Teil »Frauen in der Filmindustrie« widmet sich den Frauen hinter der Kamera. Viele ergriffen die beruflichen Möglichkeiten in der wachsenden Filmindustrie und arbeiteten im Kostüm- und Szenenbild, komponierten und schrieben Lieder, stellten als Grafikerinnen Filmplakate her und betätigen sich im Filmverleih, als Produzentinnen, Regisseurinnen (Leni Riefenstahl) und vor allem als Drehbuchautorinnen. Fritz-Lang-Filme wie
»Metropolis« (1927) entstanden nach Drehbüchern von Thea von Harbou, Langs damaliger Ehefrau, die mit den Nazis gut zurecht kam. Die Kostüme stammten von Änne Willkomm. Lotte Reinigers Silhouettenfilm »Die Abenteuer des Prinzen Achmed« gilt als erster noch erhaltener abendfüllender Animationsfilm der Welt. Als Filmkritikerinnen setzten sich Lotte Eisner und Lucy von Jacobi auch mit der Wirkung von Filmen auseinander. In der Ausstellung werden Ausschnitte aus einigen der von ihnen rezensierten Filme mit den zugehörigen Filmkritiken synchronisiert.
Der Teil »Kino und Gesellschaft« zeigt, wie die Leinwand zum Spiegelbild von Alltagsthemen und -typen wird, zugleich aber auch zum Leitmedium aufsteigt, das Rollenvorbilder hervorbringt und Ideale setzt. In den Jahren zwischen den Weltkriegen avancierte der Film zum Massenmedium. Die Zahl der Kinos verdoppelte sich zwischen 1918 und 1928. In den Großstädten entstanden mondäne Kinopaläste, unter den etwa zwei Millionen Menschen, die Mitte der 1920er Jahre täglich ins Kino gingen, waren vermulich mehr als zur Hälfte Frauen. Und wie heute dürften sie beim Kinobesuch mit ihrem Partner die Filmauswahl bestimmt haben.
Claus Wecker
Bis 12.11.2023: Di.–So. 11–18 Uhr, www.dff.film
Begleitend zur Ausstellung gibt es ein vielfältiges Programm mit Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen.
Der Plot des neuen Romans ist schnell erzählt. Ein junger Mann, Robert Simon, eröffnet 1966 in Wien eine Kneipe, die er Café nennt. Nach zehn Jahren muss er das Lokal wieder schließen. In dieser Zeit begegnet er naturgemäß vielen Menschen. Er erfährt ihre Lebensgeschichte. Er nimmt teil an ihren Schicksalen. Und wir, die Leser, mit ihm. Seethaler versteht, uns Menschen nahezubringen, mit denen wir normalerweise wenig zu tun haben.
Robert Simon war ein »hagerer Mann mit sehnigen Armen und langen, dünnen Beinen. Seine Augen waren blau. Sie waren das einzig wirkliche Schöne an ihm«. Sieben Jahre lang hatte er als Gelegenheitsarbeiter auf dem Markt um die Ecke gearbeitet. Aber immer hatte er davon geträumt, »hinter der Schank seiner eigenen Wirtschaft zu stehen«. Das Café, das Robert dann pachten kann, ist eigentlich eine Kneipe. Zu Bier oder Schnaps gibt es dort Schmalzbrote und Salzgurken.
Das Viertel ist eines »der ärmsten und schmutzigsten, aber es war im Wandel«. Simons Gäste sind Schichtarbeiter, Händler vom Markt, kleine Leute also, die sich gerne einmal ein Glas Wein gönnen. Es kommen Stammgäste, so zwei ältere Damen, die in sechs von den neununddreißig Kapiteln auftauchen und das Leben im Allgemeinen und die Menschen, die sie im Blick haben, wortreich kommentieren. Frauen, die das Leben hinter sich haben, und es deshalb nüchtern kommentieren. »Wenn man früher einmal schön war, ist das Altwerden schlimm. Der Fall ist dann tiefer.« Oder »was soll ich ständig nach vorne schauen, wo da nichts mehr ist.« Für jede Gelegenheit ein passender Spruch: »Ich habe die Männer nie richtig
Literaturhaus Frankfurt
Schöne Aussicht 2, 60311 FFM
Telefon: 0 69/75 61 84 10 info@literaturhaus-frankfurt.de
Robert Seethaler:
»Das Café ohne Namen« Roman, Claassen Verlag, Berlin, 2023, 283 S., 24 €