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Metastasen des Wohnungsmarktes
ein Mieter-Aufstand im Mainzer Brückenturm
Es sind die Ausgestoßenen, von denen die Revolution ausgehen muss. Oder wenigstens die Revolte. So ließe sich der Theatermonolog »Mieter« des spanischen Autors Paco Gámez deuten, wenn sein autofiktiver Protagonist, ein sich mit Englischnachhilfe und Kindertheater über Wasser haltender Studienabbrecher, in der Nacht vor der erzwungenen Übergabe seiner gekündigten Mietwohnung ein Amalgam aus Punkern, Bettlern, Transen, Rokkern, Nutten und Obdachlosen zur finalen Party lädt. Für Alk, Rauchund Rauschstoff jeder Couleur ist
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1. Juli an nicht mehr 420, sondern 720 Euro kostet, mehr als 60 Prozent mehr (und nicht wie immer wieder gesagt 75). Was nur ein Missverständnis sein kann, so sein erster, falscher Eindruck. Kaygun macht uns zu Zeugen seiner mit dem Empfang der Nachricht einsetzenden Reaktionen, lässt uns an Besuchen in Ämtern und bei Maklern, aber auch einem schönen Gespräch mit einem Englischschüler teilhaben, dem er die Doppelbedeutung von la casa als house und als home erklärt. Er führt uns durch die Straßen Madrids, um eine bezahlbare
Zum Auftakt kriminell
Die 37. Burgfestspiele Bad Vilbel starten mit »Achtsam morden«
Im Vilbeler Theaterkeller werden zum Auftakt der 37. Burgfestspiele nicht nur die Nerven, sondern auch die Lachmuskeln strapaziert. »Achtsam morden« heißt die nach einem Krimi von Karsten Dusse verfasste Komödie aus der Feder Bernd Schmidts. Dabei lässt sich mit dem Protagonisten Björn Diemel auf aufregend amüsante Weise lernen, was ein AchtsamkeitsSeminar bedeutet und bezweckt. Dessen Prinzipien macht sich der von seiner Frau in ein solches Seminar geschickte Anwalt nicht nur vorteilhaft in der wieder ins Reine gebrachten Ehe zu eigen, sondern auch im Beruf. Er bringt einen aus der Mafia-Szene kommenden brutalen Mandanten um - nach allen Regeln der Achtsamkeit.
Termine: 6.(P), 7., 12.–14., 18.–21. Mai zu unterschiedlichen Uhrzeiten www.kultur-bad-vilbel.de gesorgt – selbst ein Gewehr gibt es aus dem spanischen Bürgerkrieg und »No pasarán!« als Parole. Und doch kommt es ganz anders. Das Mainzer Staatstheater hat für die deutsche Erstaufführung des Stückes (Regie: Anna Werner) einen besonderen Ort gefunden: das im Brückenturm an der Rheinstraße residierende Zentrum für Baukultur Rheinland-Pfalz. Man sitzt nicht eben bequem und jede/r für sich auf Plastikwürfeln im kahlen Parterre, das zugleich als Bühne und Spielfläche des von Benjamin Kaygun gespielten Mieters dient. Eine Treppe gibt es noch, an deren oberen Ende wir uns das Schwimmbad vorstellen dürfen, in dem sich Pacolito, wie er in der Erinnerung vom Großpapa genannt wird, durch wilde Köpfer abreagiert – bis er Hausverbot kriegt. An den farblosen Wänden sehen wir einen Stadtplan, PopPlakate, Umriss-Markierungen der Wohnung (Bett, Tisch, Lampe) und einen großen Monatskalender für den als Countdown angelegten Ablauf.
Tag für Tag wird vom 31. Mai an abgehakt, dem Tag, als ihm die Immobilienfirma per E-Mail mitteilt, dass seine 38 qm-Wohnung in der Madrider Innenstadt vom
Alternative zu finden, nimmt uns mit in den Prado, um auf projizierten Großgemälden Mitleidende zu finden, und sogar ins Bett zu Mercedes, die er Ofelia nennt, mit einem coitus interruptus verlässt. Schock-Zorn-Kampf-DepressionAkzeptanz: Wie nach der Krebsdiagnose, durchläuft der knapp 30 Jahre alte Mann die emotionalen Stadien des Leidens. Gámez thematisiert die in Spaniens Metropolen besonders krassen, aber doch auch längst üblichen Auswüchse großstädtischer Wohnungsmärkte als Metastasen.
Vielleicht liegt es daran, dass man dem Enkel des republikanischen Freiheitskämpfers in seinem von Kayguns energischem Auftritt gepfefferten Furor nicht recht zu folgen mag und dazu neigt, ihn mit Mercedes/Ofelia für ziemlich selbstverliebt zu halten. Statt in den Kampf stürzt sich unser Held denn auch im schwer deutbaren Ende vom Balkon – mit zahllosen anderen Madrilenen. Ist diese Vision ein Fanal, ist das Resignation, ist das Masada? Ziemlich ratlos geht man von dannen.
Winnie Geipert
Termine: 12. April, 19.30 Uhr; 23. April, 18 Uhr www.staatstheater-mainz.com