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Berlin im Zwielicht
Staatstheater Darmstadt zeigt »Fabian oder Der Gang vor die hunde« als Politrevue
Erich Kästners einziger Erwachsenen-Roman »Fabian oder Der Gang vor die Hunde« ist 1931 erschienen, spielt im Berlin der verblassenden Goldenen Jahre und erzählt vom Untergang eines Menschen in der untergehenden Weimarer Republik. Die Endpointe dieses als »Porträt eines Moralisten« konzipierten Werkes verdichtet dieses Scheitern im bizarren Tod seines resignierten Protagonisten Jakob Fabian, der von einer Dresdener Brücke in die Elbe springt, um ein Kind zu retten, und ertrinkt, weil er nicht schwimmen kann.
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Am Staatstheater Darmstadt setzt der Regisseur Christoph Mehler die Agonie der ersten deutschen Republik als opulentes Musikspektakel á la »Berlin Babylon«, »Cabaret« und »Dreigroschenoper« in Szene und wird dafür am Ende vom begeisterten Darmstädter Premierenpublikum im freilich schnell ersterbenden Klatschrhythmus gefeiert. Das passt dann doch nicht, merkt man, schon gar nicht zu einem Schlussbild mit aufziehenden Braunhemden und projiziertem Hitlerkonterfei. Das ist die Krux dieser groß gestalteten Schau, die geradezu zwangsläufig zu einem Balance-Akt gerät, den man am Ende gelungen findet, oder auch nicht.
Dass am Vorabend der Machtergreifung längst nichts mehr glänzt in Berlin, schon gar nicht golden, das lässt der abgestürzte Neonschriftzug der Eldorado-Bar auf Jennifer Hörrs Bühne ahnen. Soeben mit der Brecht’schen Ziehgardine und einem jazzigen LiedProlog des Brechtgedichts »Berlin im Licht« der schauspielenden
Sängerin Louisa von Spies freigegeben, blicken wir auf ein turmhohes mit rotangeleuchtetem Baldachin überdachtes Stangengerüst, das im Drehgang jeweils passend für Straßen-, Büro-, Heim- und eben auch Nachtclubszenen aufbereitet wird, und überdies als Projektionsfläche für immer wieder eingestreute Filme mit Stadtansichten und politischem Zeitgeschehen dient.
Mehr staunend als frönend, mehr Voyeur als Connaisseur taucht der sich als PR-Texter verdingende promovierte Germanist Jakob Fabian mit seinem Freund Labude in eine Parallelwelt mit allen erdenklichen Spielarten der käuflichen Liebe und des Lasters ein. In »realen« Welt wird Fabian allerdings wie Millionen seiner Landsleute arbeitslos, verliert nicht zuletzt deshalb seine Verlobte Cornelia ans Geld. Die setzt mit aller Konsequenz auf eine Filmkarriere und lässt Fabian als hilf-, wehr- und letztlich hoffnungslosen Zeugen von blutigen Straßenkämpfen um die Macht zurück. Fabians unbedingter Glaube an das Gute im Menschen zerschellt genauso wie der seines Kumpels an die historische Mission der Linken. Grotesk auch dessen Ende: Der dem Aufklärer Lessing verpflichtete Akademiker nimmt sich das Leben, weil er den »Scherz« eines missgünstigen Kollegen über seine Habilitationsschrift für bare Münze nimmt.
Den Dance Macabre der Darmstädter Inszenierung gestaltet eine prächtig live aufspielende Band unter Leitung von Michael Nündel mit den Songs der Zeit und der famosen Sängerin Louisa von Spies, die hier auch schon die Polly Peachum der Dreigroschenoper gab. Lieder von Kurt Weill und den Comedian Harmonists, Swing und Jazz klingen auf, auch viele Texte des selbst von den Nazis verfolgten Bruno Balz sind zu hören, dem Zarah Leander ihre Liedertexte verdankt – und das Deutsche Reich den Durchhalteschlager »Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern« von 1939, der gleichwohl auch hier prächtig passt.
Schrill und schräg wird das Personal eingeführt: Da bilden Mathias Znidarec und Jörg Zirnstein (zum x-ten Mal) im Tunten-Look mit den drei Fräuleins (Edda Wiersch, Gabriele Drechsel, Karin Klein) und dem Ehepaar Moll (Louisa van Spies/Thorsten Loeb) die pittoreske Kulisse für den Barbesuch. Später in tausend anderen Rollen. Béla Milan Uhrlaus Fabian überzeugt als emphatischer Bonvivant und Skeptiker, Sebastian Schulzes Labude nervt leider durch viel zu viel Geschrei. Herr Mehler, möchte man fragen, was soll das? Seine Neigung zur Drastik drückt der frühere Hausregisseur auch in Bildern an der Grenze zum Erbrechen aus, wenn Fabian einen überdimensionierten Gummidildo lutschen und wenig später das glitschige Geschwulst der Blinddarmwunde seines adipösen Chefs (Karin Klein) eigenhändig ausräumen muss. Da wankt der Dampfer, den Mehler effektüberladen auf die lange Reise schickt, doch beträchtlich. Und es braucht Zeit, bis er sich fängt und Fahrt aufnimmt.
Dann aber funkt es, was ganz wesentlich der Musik und der variablen Stimme von Louisa von Spies zu verdanken ist, die als singende Entertainerin brilliert – in einer Nebenrolle aber auch als Nymphomanin Irene Moll besteht. Unbedingt zu erwähnen ist außerdem das feine und glaubwürdige Spiel Edda Wierschs als Cornelia.
Wirkt das Stück vor der Pause noch wie ein szenisches Konzert oder eine Nummernrevue, so gibt es in der zweiten Hälfte in den Monologen und Gesprächen Fabians auch Kästners Zeitdiagnosen den verdienten Raum. Sie bedürfen keiner künstlerischen Transfers, um höchst gegenwärtig zu wirken. Beeindruckend.
Winnie Geipert
Termine: 5., 13., 19. Mai, jeweils 19.30 Uhr www.staatstheater-darmstadt.de
Frankfurter
Bachmannstr.2-4-60488FrankfurtamMain www.fat-web.de-KartenTelefon01714727809
Mai2023