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23. Nippon Connection Festival

Eine Gruppe von jungen Leuten erlebt jeden Montagmorgen im Büro dasselbe: Ihr Chef begrüßt sie mit den gleichen Worten, ein Vogel fliegt gegen die Fensterscheibe und stürzt ab, eine Gruppe von Fußgängern überquert in gleicher Anordnung die Straße vor dem Haus. Und so geht es weiter bis zum Wochenende, um sich in der nächsten Woche zu wiederholen. Es dauert nicht lange, bis die Angestellten bemerken, dass sie in eine Zeitschleife geraten sind. Wesentlich länger dauert es, bis sie herausfinden, woran dies liegt und wie sie wieder herauskommen können. Ryo Takebayashi hat daraus die rasante Komödie »Mondays: See You ›This Week!‹« inszeniert, die trotz der Wiederholungen nie langweilig wird: Auch wenn man vielleicht nicht jede Anspielung auf das japanische Büroleben, das offenbar kein nennenswertes Privatleben neben sich duldet, mitbekommt, wird auch dem hiesigen Publikum klar, dass es sich bei dem Film um eine einfallsreiche Parodie auf die Geschäftswelt handelt, die der Regisseur persönlich im Festival vorstellen wird.

Hat sich Takebayashi an »Täglich grüßt das Murmeltier« orientiert, so ist füt Kazuya Shiraishis »Lesson in Murder« offensichtlich »Das Schweigen der Lämmer« ein Vorbild. Allerdings fehlt Sadao Abe, der den Serienmörder spielt, die dämonische Ausstrahlung von Anthony Hopkins. Der inhaftierte Täter erregt das Interesse eines angehen- den Anwalts durch die persönliche Bekanntschaft vor Jahren und eine vermutete Verwandtschaft. Die sich hinziehende Klärung der Zusammenhänge wird durch ein paar schwer erträgliche Grausamkeiten untermalt.

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Das japanische Kino bringt aber noch immer meditative Filme hervor, die an die große Filmtradition des Landes anknüpfen. Dazu zählt »Mountain Woman«, die Geschichte einer jungen Frau, die im späten 18. Jahrhundert aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen wird und sich in die Berge zurückgezogen hat. Regisseur Takeshi Fukunaga wird den Film zum ersten Mal in Europa präsentieren. Rund hundert japanische Lang- und Kurzfilme, von aktuellen Werken etablierter Regisseure über Animes bis zu Independent- oder Dokumentarfilmen, werden im Juni in Frankfurt zu besichtigen sein. Darunter sind 30 Deutschland-, 10 Europa-, 28 internationale und eine Weltpremiere. Viele Filmschaffende werden ihr Werk dem Publikum mit faszinierend höflicher Zurückhaltung vorstellen.

Der Rising Star Award für herausragende Nachwuchstalente des japanischen Kinos wird in diesem Jahr erstmals verliehen. Preisträgerin und Stargast des Festivals ist Toko Miura, bekannt aus dem oscarprämierten Drama »Drive My Car« (2021) von Ryusuke Hamaguchi.

Der Themenschwerpunkt »Cityscapes And Countryside – Contrasting Lives In Japan«, den der Kulturfonds

Frankfurt RheinMain fördert, beschäftigt sich mit dem Kontrast zwischen dem Leben in futuristischen Metropolen und ländlichen Regionen in Japan. Besonders empfehlenswert ist die diesjährige Retrospektive, in der neun Filme von Keisuke Kinoshita im analogen 16mm und 35mmFormat aus dem Archiv der Japan Foundation Tokyo gezeigt werden. Kinoshita gilt mit seiner großen Experimentierfreude als Wegbereiter der Neuen Welle Japans. Er bezog in seinen Filmen schon früh entschieden Stellung gegen den Krieg und drehte den ersten japanischen Farbfilm.

Zusätzlich zu den Filmen stehen mehr als 60 Workshops, Konzerte, Vorträge, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen und Performances in einem umfangreichen Rahmenprogramm, das die japanische Kultur abbilden soll. Auf dem Festivalgelände um Naxoshalle und Mousonturm sind Marktstände mit japanischem Kunsthandwerk, Filmen, Büchern und vielem mehr aufgebaut. Außerdem werden japanische Speisen und Getränke angeboten. Weitere Veranstaltungsorte sind das Eldorado Arthouse Kino, das Kino des DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, das Mal Seh’n Kino, das NaxosAtelier, das Internationale Theater Frankfurt und das Ruby Louise Hotel.

Claus Wecker

www.nipponconnection.com

Ein wahrer independent-Film

Für viele Menschen im Nahen und Mittleren Osten ist Europa das Gelobte Land. Doch wenn sie es über das Mittelmeer geschafft haben, werden sie nicht willkommen geheißen. Die Menschen, die auf einem überfüllten Schlauchboot die Küste einer griechischen Insel erreichen, werden von den Einheimischen beschimpft und aufgefordert, zurück in die Türkei zu fahren. So wird es jedenfalls am Anfang des Dokumentarfilms »Picknick in Moria« gezeigt.

Der Film der Litauerin Lina Luzyte ist ein Ruf nach Aufmerksamkeit weltweit. Und er bedient sich einer Konstruktion, die zumindest bei Filmfans Interesse wecken dürfte: Film im Film. Das ganze Projekt leuchtet schon deshalb ein, weil sich einige der Menschen, die unter unwürdigen Zuständen in hoffnungslos überfüllten Auffanglagern festsitzen, Gedanken machen, wie sie die lange Wartezeit auf eine Anerkennung als Flüchtlinge sinnvoll nutzen könnten.

Als gegen die Hoffnungslosigkeit kämpfendes Vorbild diente Talibshah Hosini, ein Schauspieler und Filmemacher, der nach kräftezehrender Flucht aus Afghanistan, wo er die Taliban heftig kritisiert hatte, mit seiner Familie im berüchtigten Lager Moria auf Lesbos feststeckte. Dort schrieb und drehte er mit anderen Asylsuchenden einen Spielfilm über eine geflüchtete Familie. Er filmte die nachgestellte Wirklichkeit seines Griechenlandaufenthaltes mit allen Enttäuschungen, wenn etwa ein Mann von der Ablehnung seines Asylantrags erfährt, oder mit der Verzweiflung, die einen anderen dazu gebracht hat, sich aufzuhängen. Die Dreharbeiten verlaufen immer wieder mit Zwischenfällen. Da rennen spielende Kinder durchs Bild, oder Talibshahs kleine Tochter lässt sich nicht nach der Regieanweisung ins Meer fallen. Es entsteht halt ein wahrer Independent-Film – mit ein fachsten Mitteln, aber viel Enthusi asmus produziert.

Zwischendurch zeigt Talibshah Hosini auch, wie er sich im Lager eingerichtet hat. Auffallend ist der Optimismus, den viele Lagerinsas sen an den Tag legen. Wenn Gott will, wird alles gut ausgehen. Und sie glauben, dass sie es mit einem barmherzigen Gott zu tun haben. Im Frühherbst 2020 brannte das Lager nieder. Die Asylsuchenden hofften, dies würde endlich Freiheit bedeuten, aber 72 Stunden später wurde ein neues Lager errichtet, in das die Menschen auf unbestimmte Zeit gebracht wurden. Später wurde ein Teil von ihnen in Deutschland aufgenommen. Die Familie Hosini lebt inzwischen in Deutschland in einer Wohnung, hat den Flüchtlingsstatus erhalten und hofft mit guten Aussichten auf den Asylstatus.

Claus Wecker

PiCKNiCK iN mORiA – BlUE RED DEPORT von Lina Luzyte, D 2022, 82 Min. Dokumentarfilm / Start: 08.06.2023 Es existieren zwei Verleihfassungen: eine mit Untertiteln und eine mit eingesproche ner Übersetzung.

>> 1.6.2023

THE BOOGEYmAN von Rob Savage, USA/CDN 2023, 198 Min. mit Sophie Thatcher, David Dastmalchian, Chris Messina, LisaGay Hamilton, Marin Ireland, Vivien Lyra Blair Horrorfilm

Die 16 Jahre alte Sadie Harper (Sophie Thatcher) und ihre Schwester Sawyer (Vivien Lyra Blair) belastet der tragische Tod ihrer Mutter. Ihr trauernder Vater (Chris Messina) kann ihnen nicht die dringend benötigte Liebe und Unterstützung schenken. Er arbeitet als Psychater und bekommt eines Abends den Besuch eines verzweifelten Patienten (David Dastmalchian), der vom mysteriösen Tod seiner Kinder erzählt, die beide zuvor »Boogeyman« riefen. Freie Adaption einer Kurzgeschichte von Stephen King. https://disney.de

EiSmAYER von David Wagner, A 2022, 87 Min. mit Gerhard Liebmann, Luka Dimic, Julia Koschitz, Anton Noori, Christopher Schärf, Karl Fischer

Drama

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