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Michael Kohlhaas im Schauspiel Frankfurt
vom Kohlhaas und Kohlhäsje?
Bitte heinrich von Kleist nicht kleiner machen als er ist am Schauspiel Frankfurt
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Es fing so gut an und endete so schief. Die neue Inszenierung des »Michael Kohlhaas« von Felicitas Brucker, die auf die fantastische One-Man Performance von Isaak Dentler am Schauspiel Frankfurt folgt, hat sich vorgenommen, den berühmtesten Titelhelden, den Heinrich von Kleist je geschrieben hat, in einen gesellschaftlichen Kontext zu platzieren, in die Gegenwart hinübergleiten und dann mit einer zeitgemäßen Botschaft ausklingen zu lassen. Das Problem dabei ist nur, dass Heinrich von Kleist nicht Paulchen Müller ist, sondern eben Heinrich von Kleist, und seine KohlhaasErzählung aus dem Jahr 1810 in eine atemlose, kunstfertigste, unglaubliche Sprachperfektion kleidet, Heinrich von Kleist eben, die man doch bitte dort stehen lassen möchte, wo sie steht, sie ist einfach einzigartig. Felicitas Brucker ist es dabei hervorragend gelungen, diese Erzählung zum einen in ein Theaterstück zu gießen, das es ja nicht ist, und zum anderen trotzdem ein Gefühl für Kleists Sprache zu erwecken, über große Strecken der anderthalbstündigen Aufführung jedenfalls. Was ich überhaupt nicht gelungen finde, ist, wie sie die Inhalte in eine Jetztzeit überführt. Die zeitgemäße Botschaft ist erschreckend banal. Popkulturelle Zitate wie Zombieballett a la Michael Jackson und Nietenlederhosen für die Bösen helfen einer so wuchtigen, brennenden, eigentlich für die Ewigkeit geschriebenen Figur wie Michael Kohlhaas keineswegs auf den Sprung in die Aktualität, im Gegenteil, sie verkleinern ihn nur. Und der Schluss ist einfach nur angeklatscht und überflüssigerweise ziemlich dumm, weil er die zuvor erreichte Intensität der Inszenierung ans Banale verrät. Denn viele der interpretatorischen Spuren, die Felicitas Brucker mit ihrem Ensemble und ihrer Bühnenbildnerin Viva Schudt für diese Geschichte von herzzerreißender Ungerechtigkeit legt, sind atemberaubend, aufregend und berührend innig, dort, wo sie beim Text bleiben. Und der beruht auf einer wahren Begebenheit aus dem 16. Jahrhundert. Der rechtschaffene gottesfürchtige Pferdehändler Michael Kohlhaas aus Brandenburg wird bei einer seiner Handelsreisen nach Sachsen fälschlicherweise von zwei machtbesoffenen Junkern seiner schöngepflegten Pferde beraubt, die sie ihm als Gegenleistung dafür abfordern, dass er keinen Pass zur Durchreise vorweisen kann. Das ist reine Willkür, die Kohlhaas auch beim Kurfürsten anklagt. Korruption, Vetternwirtschaft, Adelsprivilegien, Ignoranz verketten sich zu einer nicht endend wollenden Verschleppung, Nicht-Beachtung, schlicht zur kafkaesken Hölle, und Kohlhaas wird zum fürchterlich brandschatzenden Rächer. Der sich als Erzengel Michael begreift, Fürst des Lichts und Posaunist am Ende aller Tage, wenn die Apokalypse gekommen sein wird. Doch einen Halt hat er: seine Gespräche mit Martin Luther, von dem er sich Absolution erhofft. Hier fallen auch die wichtigsten Sätze der Erzählung, wie z.B.: »Verstoßen nenn ich den, dem die Gesetze versagt sind«. Überhaupt sind diese Dialoge eigentlich bis zur Neige gefüllt mit einer ewigen Gültigkeit, die für alle Gesellschaften und zu allen Zeiten zutreffen, da braucht man gar nichts zu aktualisieren, überhaupt rein gar nichts, nur aufmerksam zuzuhören. Obwohl es natürlich gut aussieht, wenn Stefan Graf im schwarzen Hemd der italienischen Faschisten auftritt und Nils Kreutinger mit toller barocker Langhaarperücke. Und Matthias Redlhammer im klinisch überirdischen Weiß eines Arztes, Herrgotts, Therapeuten? Ein bisschen genderfluid ist auch dabei, wenn Sarah Grunert und Annie Nowak sehr witzig in die Rollen von Hinz und Kunz schlüpfen. Und doch gelingen immer wieder eindrückliche Bilder, die sich festsetzen werden: Wie Sebastian Reiß als Kohlhaas eine zartgraue Gazeflagge schwingt, von der die verbrannten Funken zu stäuben scheinen, mit einem Gesicht, über das Ratlosigkeit und Trotz im ständigen Wechsel hinweg gleiten. Wie er, in eine kleine Kammer gedrückt, eine Kinderzeichnung seines Hauses an die Wand heftet. Ein tolles Bild auch, wie er den Lilienstrauß, der das Grab seiner toten Frau schmückte, als Fackel nutzt und zum Widerstand aufruft. Das bewegliche Bühnenbild ist zunächst bloß ein Guckkasten im Wohnzimmerhabit, das sich allmählich zu einem überdimensionalen Setzkasten ausweitet, und lässt den Hintergrund frei für Videoprojektionen (Luis Krawen), die die Handlung illustrieren, interpretieren, vorantreiben. Dieser Setzkasten kann alles sein: Kammer, Schloss, Gefängnis, ordnet strikt in ein Oben und Unten, und wird virtuos bespielt. Ein Lob allen Schauspielern, für ihr Gefühl für Timing und für ihre unwiderstehliche Präsenz.
© Thomas Aurin
Susanne Asal
Termine: 3., 24.10., 18 Uhr; 15., 16., 29. 10., 19.30 Uhr www.schauspielfrankfurt.de
WENN BÜCHER BRENNEN
WIRD ES HELL. RAUCH STEIGT AUF, ASCHE FÄLLT E9N Ensemble 9. November www.e9n.de info@e9n.de
PREMIERE OKTOBER 2021
auf der Bühne im Gallus Theater Mittwoch 13. Oktober 20 Uhr Donnerstag 14. Oktober 20 Uhr Freitag 15. Oktober 20 Uhr
REGIE / OBJEKTE / BÜHNE:
Dr. Wilfried Fiebig KOMPOSITION: Theodor Köhler LEITUNG E9N: Helen Körte / Dr. Wilfried Fiebig 069 75 80 60 20 Kleyerstraße 15, 60326 Frankfurt http://www.gallustheater.de