Strandgut 11/2021

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Ein Kino-Märchen »Eine Handvoll Wasser« von Jakob Zapf Frankfurt im Herbst. Das kann sehr trüb sein, auch und gerade in den mehr oder weniger grünen Vorstädten mit ihren Reihen- und Einfamilienhäusern. Hier lebt Konrad (Jürgen Prochnow), hoch in den Achtzigern, nach dem Tod seiner Frau allein, geplagt von Erinnerungen, von Nachbarschaft, mit deren Zudringlichkeit er nichts anfangen kann, und von familiären Problemen. Konrad kann es offenbar schwer ertragen, dass seine Tochter eine Frau geheiratet hat und mit ihr gemeinsam Kinder adoptieren will. Ansonsten legt man ihm nahe, sich auf ein Leben im Altersheim vorzubereiten. Und dann hat man ihm auch noch einen Raubfisch verkauft, der seine Neos frisst. Konrad fühlt sich bedroht, von »Zigeunern«, die in sein Haus einbrechen und gegen die er sich mit Vorhängeschlössern und bereit gelegter Bewaffnung wappnet. Und eines Nachts erwischt er auch einen von ihnen mit seiner Nagelschusspistole. Allerdings handelt es sich nicht um einen finsteren Kriminellen sondern um ein junges Mädchen. Thurba (Milena Pribak) ist geflohen, als man die Mutter mit ihren Kindern gerade ausweisen wollte. Solange Thurba nicht von der Polizei gefunden ist, kann die Familie bleiben. Konrad nimmt sich widerwillig des Mädchens an. Die Versorgung der Wunden, eine Pizza (ohne Fleisch), ein Nachtlager. Danach soll sie aber abhauen. Daraus wird natürlich nichts. Nach einigem Hin und Her muss Konrad sogar zum Fluchthelfer werden.

Ganz nebenbei erinnert er sich schließlich, dass auch er als Kind ein »Flüchtling« war. (»Du bist kein Deutscher?« fragt Thurba erstaunt.) Um Thurba die Reise zu Verwandten nach London zu ermöglichen, muss Konrad noch einmal in sein altes Auto steigen, von dem er sich schon verabschiedet hatte, muss die Polizisten abwimmeln, die er vorher selber gerufen hat, und sich mit seiner Tochter versöhnen. Es wäre wohl zu viel verlangt, eine solche Geschichte jenseits aller Plot-Modelle und vollkommen klischeefrei zu erzählen. Die Zutaten des Feelgood-Movies mit humanistischer Botschaft schimmern immer wieder durch. Wahrscheinlich wird man »Eine Handvoll Wasser« am meisten gerecht, wenn man ihn als eine Kino-Märchen-Variante der »Little Lord Fauntleroy« (Der kleine Lord)-Art versteht: Die Geschichte vom Kind, das das Herz eines alten, verbitterten Mannes erweicht und ihn noch einmal zurückholt ins Leben. Oder: Die Geschichte vom tapferen Mädchen, das sich mit Beharrlichkeit ihren Retter sucht. Ein Gegenstück zu Jakob Zapfs vorhergegangenem (kurzen) Spielfilm »Sein Kampf«, in dem ein Junge, der drauf und dran ist, zu den Neonazis zu gehen, von einem HolocaustÜberlebenden vor seinem verhängnisvollen Familien- und Gruppenzwang gerettet wird. Für ein solches Kino-Märchen der versöhnenden Art bietet Frankfurt eine ideale Kulisse – von der »spießigen« Siedlung bis zur Skyline, die einen verabschiedet –, weil das Setting weniger verbraucht ist als das anderer deutscher Kino-Städte, in denen die Gentrifizierung sogar die möglichen Drehorte drastisch verlangweiligt hat. »Eine Handvoll Wasser« fängt eine Stimmung von Einsamkeit und trügerischer Normalität ein. So mag sich die Fabel entfalten wie eine Geschichte, die man sich zum Trost erzählt, wenn die Wirklichkeit mal wieder unerträglich zu werden droht. Georg Seeßlen EINE HANDVOLL WASSER von Jakob Zapf, D 2020, 96 Min. mit Jürgen Prochnow, Milena Pribak, Pegah Ferydoni, Anja Schiffel, Anke Sevenich Drama / Start: 11.11.2021

Fotos: © Daniel Dornhöfer

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