SO LÄUFT’S
S ee C lea r ly
„NACHHALTIGKEIT IN DER MODE IST KEINE PHILANTHROPISCHE AUFGABE“ Eva Kruse ist Mrs. Nachhaltigkeit. Als Gründerin der Global Fashion Agenda und des Copenhagen Fashion Summits, dem weltweit größten Nachhaltigkeitsforum für Mode, hat sie einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, das Thema auf die internationale Agenda zu setzen. Sie war jedoch in ihrem Ansatz nie dogmatisch und setzt sich genauso leidenschaftlich für Kreativität und Schönheit wie für Umwelt, Klima und Menschenrechte in der Mode ein. Interview: Martina Müllner-Seybold. Fotos: Copenhagen Fashion Summit
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style in progress
W
ann war der Moment, in dem Sie erkannten, dass sich das aktuelle System in der Mode ändern muss? Nun, diese Erkenntnis reifte im Laufe der Jahre allmählich – 2005 und 2006, würde ich sagen. Im Jahr 2006 wurde Al Gores „Inconvenient Truth“ veröffentlicht, das hat mich gepackt und nach und nach entwickelte ich ein erhöhtes Bewusstsein für Klima, unseren Planeten und seine Ressourcen. Ein bisschen liegt das in meiner Erziehung: Meine Eltern haben mich immer ermutigt, in einem größeren Kontext über soziale und ökologische Fragen nachzudenken, auch wenn sie mich nicht direkt betroffen haben. Ich fing also an, mit verschiedenen Menschen in der Modebranche über deren Auswirkungen zu sprechen, womit ich viele Marken sehr überfordert habe. Denn sie selbst hatten noch kaum Einblick, wie sehr die Modeindustrie zur Umweltverschmutzung beiträgt. Damals sorgte bestenfalls Kinderarbeit für ein paar Schlagzeilen, aber jenseits dieser Thematik hatte niemand ein klares Bild von den Auswirkungen unserer Branche. Als wir anfingen, tiefer zu schürfen und Stück für Stück mehr herausfanden, war ich von den enormen Auswirkungen wie gelähmt. Die Modeindustrie ist eines der größten Industriesegmente der Welt – und eines der ressourcenintensivsten. Es heißt, der zweitgrößte Umweltverschmutzer … Das ist nicht ganz richtig. Es hängt davon ab, wie Sie es betrachten. Unbestreitbar hat die Mode erhebliche Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen, nicht zuletzt auf Wasser, und durch Chemikalien, Industrieanlagen und CO2-Emissionen. Die Modeindustrie ist für vier Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Ein erheblicher Betrag! Wie weit sind wir auf dem Weg zu einer nachhaltigen Modebranche? Quer durch die Branche kann man sagen, dass Marken und Handelsformate auf dem Weg sind. Es sind nur wenige, die schon sehr weit sind, aber mindestens 50 Prozent unserer Branche hat den Weg nachhaltigerer Geschäftspraktiken eingeschlagen. Das bedeutet auch, dass 50 Prozent entweder sich noch gar nicht bewegt haben oder nicht weit genug gekommen sind. Das ist ein