9 minute read

Es ändert sich. Alles

Die Digitalisierung verändert die Modeindustrie in ihren Grundfesten. Mit dem Aufstieg des E-Commerce und der Social Media hat es angefangen. Mit den Produktionsprozessen und der Transformation des Wholesale-Business geht es weiter. Text: Quynh Tran. Illustration: Claudia Meitert @Caroline Seidler

Digitalisierung. Ursprünglich bedeutete das lediglich die Überführung von Inhalten auf analogen Datenträgern in digitale Systeme, etwa von Papier auf CD-ROMs und Disketten. Mit dem Internet hat der Prozess eine ganz andere Dimension bekommen. Mittlerweile sind es nicht nur Daten, sondern Gegenstände, Räume, Prozesse, die digital werden. In der Modebranche hat E-Commerce gezeigt, welche Auswirkungen die Digitalisierung hat. Hat man vor zehn Jahren noch an Onlineshops gezweifelt, ist heute klar, dass der Onlinehandel den Markt bereits komplett umgewälzt hat. Fragt man, was durch Digitalisierung noch verändert wird, so ist die Antwort: alles. Das fängt bei der Produktion an und geht über den Handel bis hin zur Kommunikation mit dem Kunden. „Die entscheidende Herausforderung für Modeunternehmen heute ist: Was bedeutet es, ein wirkliches digitales Modeunternehmen zu sein? Das betrifft zum einen alle Faktoren, die mit Prozess- und Effizienzoptimierung zu tun haben, zum anderen alle Schnittstellen zum Kunden. Digitalisierung bedeutet nicht einfach nur einen Webshop einzurichten. Digitalisierung erfordert eine ganz andere Art und Weise zu denken“, sagt Javier Seara, Partner und Global Sector Leader für Fashion/Apparel bei The Boston Consulting Group. „Schaut man sich heute ein Kleidungsstück an, liegen die Herstellungskosten bei etwa 20 Prozent des Verkaufspreises. In den 80 Prozent dazwischen liegen viele Ineffizienzen in Geld und Zeit, die durch Technologie optimiert werden können“, schätzt Seara.

Digitalisierung heißt heute: Anders denken, agil denken Neue Technologien gestalten immer mehr Schritte im Herstellungsprozess effizienter. Virtuelle 3D-Modelle von Kleidungsstücken erleichtern die Konzeption von Kollektionen, 3D-Drucker können unmittelbar darauf Prototypen erstellen und die Informationen für Schnittmuster dann in Echtzeit zu den Lieferanten bringen. Vom Kollektionsentwurf bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Kollektion im Laden hängt, vergeht heute bis zu einem Jahr – diesen Zeitraum zu verkürzen, ist ein Segen, den sich die Modebranche von der Digitalisierung erwartet. Auch Inventur und Lieferung von Kleidung kann durch digitale Mittel optimiert werden. Gerry Weber oder Marc O’Polo gehören zu den ersten Marken, die RFID-Technologien eingeführt haben, um Produkte in der gesamten Wertschöpfungskette, vom Produktionsstandort bis zum Laden, berührungslos über elektromagnetische Wellen zu verfolgen. Mittlerweile hat auch die Inditex-Tochter Zara die Technologie implementiert und will bis 2016 in allen Produktionsstätten und Stores RFID haben, die den Warenbestand automatisch erfasst und Zeit und Kosten spart.

Die Herausforderungen des Handels Den größten Impact hatte und hat die Digitalisierung allerdings im Handel. Der Aufstieg des E-Commerce mit Größen wie Asos und Zalando hat den Markt, allen voran den Einzelhandel, grundlegend erschüttert. Doch statt sich zu kanibalisieren, greift Stationäres und Digitales immer mehr ineinander –Einwegstrategien funktionieren in Zeiten hoch anspruchsvoller Kunden nicht mehr, Multi- und Omnichannel sind das Gebot der Stunde. „On- und Offline müsse Hand in Hand gehen, müssen voneinander lernen“, sagt Anita Tillmann, Gründerin und Geschäftsführerin der Premium. Das Kaufverhalten hat sich durch die Digitalisierung und die Nutzung von Smartphones, Tablets etc. (mobile Devices) sehr stark verändert – alles ist jederzeit verfügbar. Das führt zu Online-Impulskäufen, die stark kontextabhängig sind. Dennoch wird der Großteil der Verkäufe zur Zeit im stationären Handel getätigt. Denn für den Kunden sind immer noch der direkte Kontakt und eine kompetente Beratung wertvoll und wichtig. Das haben einige Onlineangebote durch Curated Shopping mit individualisierter Auswahl und Stylingberatung bereits umgesetzt. „Onlineplattformen haben die ,Customer Journey‘ perfektioniert – wie führe ich den Kunden durch das Sortiment? Wie gebe ich adäquate Kaufimpulse auf Basis der Einkaufshistorie –und das ist ein Lernpotenzial für den stationären Handel.“ Dass die beiden Welten immer mehr ineinandergreifen, sieht man nicht nur an großen Onlineretailern, sondern auch am stationären Handel, der nach und nach supplementär Onlineshops einrichtet. „Durch die großen Player sind die Standards im E-Commerce sehr komplex und schon definiert. Als klassischen Einzelhändler stellt uns das vor eine große Herausforderung, weil wir relativ spät in den Onlinehandel gestartet sind und mit wenig Ressourcen das ins Digitale übertragen müssen, was wir im Stationären anbieten: Inhalte, die über das Produkt hinausgehen, und Emotionen. Um das Einkaufserlebnis in den virtuellen Raum zu bringen, braucht es ein individuelles Storytelling, eine redaktionelle Denkweise, die wir mit unserem Relaunch im Herbst schaffen werden“, sagt Andreas Kampe,

Head of E-Commerce des Berliner Departmentstores Quartier 206. Zum eigenen Webshop gibt es eigentlich keine Alternative – was jedoch nicht heißt, dass man das Onlinebusiness auch selbst betreiben muss: Die globale Plattform Farfetch präsentiert das Sortiment von momentan etwa 300 Luxusboutiquen, übernimmt Marketing, Sales und Logistik und lässt sich am Gewinn beteiligen – ein Modell, das Ressourcen bündelt und teilt.

Wenn der Wholesale digital wird Eine ganz andere Sphäre der Digitalisierung hat Tommy Hilfiger mit seinem digitalen Showroom eingeführt. Statt Musterteile an der Stange zu flippen, setzt sich der Händler an ein iPad. Auf einem großen Bildschirm kann er dann die Modelle an einer Puppe sehen, im 360°-Radius anschauen, heranzoomen, Materialien und Farben variieren und Informationen abrufen. Das einzige „Echte“ sind nur noch ein paar Stoffproben und natürlich der menschliche Kontakt zu den Mitarbeitern der Marke. „Wenn sich der digitale Showroom durchsetzt, und ich bin überzeugt, dass er das tut, dann könnte dies das gesamte Wholesale-Modell damit grundlegend verändern. Der gesamte Wholesale-Gedanke ist insgesamt veraltet. Es muss sich etwas ändern – und diese Veränderung wird digital sein“, sagt Javier Seara. „Die Idee des digitalen Showrooms wurde anfänglich, auch intern, skeptisch beäugt. Aber das System wurde nicht nur für uns, sondern auch für den Einkäufer viel übersichtlicher und effizienter“, sagt Daniel Grieder, Global CEO von Tommy Hilfiger. Und weiter: „Für mich ist es nicht eine Frage, ob, sondern wann sich digitale Showrooms in der Textilindustrie durchsetzen werden, weil es so viele Vorteile gibt. Dazu kommt ein weiterer wichtiger Faktor: Die heutige Generation bewegt sich immer mehr dahin, dass der Endverbraucher online kauft, sie ist daran gewöhnt, alles online zu machen, und das sind auch die Einkäufer von morgen. Sie wollen einen digitalen Showroom. Sie wollen zum Markt kommen, wollen aber am Bildschirm einkaufen. Die Menschen sind es gewohnt, Dinge auf Bildschirmen zu machen.“ „Digitale Orderprozess machen vieles einfacher, man kann seine Bestellungen sehen und Farbe und Quantität ändern, statt sich mit unzähligen Papierdurchschlägen herumzuschlagen. Für die mittelpreisigen und vielleicht auch die Premiumsegmente kann ich mir das sehr gut vorstellen, für den Luxusbereich eher nicht“, schätzt Milena Lubosch, Head of Buying E-Commerce beim Departmentstore Quartier 206.

Digitale Strukturen Holger Peterman, Geschäftsführer der Think Inc Communications GmbH schätzt das Potenzial positiv ein: „Was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert. Das betrifft den Handel, Messen und Kommunikation. Durch digitale Strukuren, werden auch neue Flächen und Räume geschaffen. Im Handel sowie auf Messen könnten Showflächen für Key-Produkte geschaffen werden, die sich besonders und markenbewusst inszenieren lassen. Der Rest wird von der Stange in die digitale Fläche verschoben.“ „Für Marken, bei denen es um systematisches Einkaufen geht, macht ein digitaler Showroom Sinn, für andere weniger. Im Premiumsegment kann ein digitaler Showroom eine Hilfeleistung sein, aber er genügt nicht“, resümiert Anita Tillmann. „Als Messe stellen wir die neuesten Trends vor, wir sind Mediator und Informant und bringen relevante Player aus Mode und Industrie im Tech-Gebiet zusammen. Die Digitalisierung von Orderprozessen ist nicht unsere Kernaufgabe.“ Für Tommy Hilfiger ist der digital unterstützte Showroom schon jetzt ein Erfolg: „Die Geräte optimieren die Prozesse und verkürzen die Orderzeit um die Hälfte und sobald die Leute das verstanden haben, waren sie begeistert“, berichtet Grieder.

Reverse-Digitalization: Wie das Digitale ins Stationäre zurückkommt Auch im Einzelhandel setzt Tommy Hilfiger auf technische Innovation. Mit dem „Store of the Future“ werden digitale Elemente ins Stationäre gebracht: In den Tommy-Hilfiger-Läden sollen iPads Kunden Zugriff auf ein größeres Sortiment geben, das man vor Ort am Bildschirm einkaufen kann. Ein Konzept, das auch schon Adidas mit seinem adiVerse Touchscreen-Wänden realisiert hat. Topshop hat gar einen Tweet-Mirror eingerichtet, das Kunden in Echtzeit Reaktionen zu ihrem Outfit auf Twitter gibt, C&A Brasilien hat Kleiderbügel, die in Echtzeit Facebook-Likes von Produkten zählen. Für Grieder ist genau diese Vernetzung zwischen on- und offline das Modell der Zukunft: „Die ganze Branche muss Omnichannel werden. Es spielt keine Rolle mehr, wo der Konsument kauft, Hauptsache er kauft. Man muss den Kunden für die Marke gewinnen, es geht nicht mehr um Quadratmeterumsatz, sondern Begeisterung und Innovation pro Quadratmeter. Der Kunde ist mittlerweile schneller als das Unternehmen, und das ist gefährlich. Man muss bereit sein, Veränderungen in das Unternehmen fließen zu lassen und Visionen haben, wie es morgen aussehen könnte. Überlässt man diese Veränderungen der nächsten Generation, ist das zu spät.“ Gerade die Informiertheit des Kunden bietet aber ein großes Potenzial, so Anita Tillmann: „Es gab bisher noch nie so viele Menschen, die an Mode oder Looks interessiert sind und ein Bewusstsein dafür haben, was Mode mit einem macht. Ganz stark sieht man das in der Männermode. Das ist das erste Mal, dass junge Männer sich Gedanken machen, wie sie wirken, und Mode bewusst inszenieren und für sich einnehmen. Das Bewusstsein für Mode hat sich in dieser Selfie-Kultur ganz stark verändert, das hat jetzt schon Effekt auf die Modebranche und wird einen noch größeren Effekt haben. Wenn all diese Kids, die mit den Social Media aufgewachsen sind, mal Geld verdienen, wird das große Auswirkungen auf den Verkauf von Mode haben.“ Dieses Potenzial, so Holger Petermann, kann man gezielt beeinflussen: Petermann kooperiert mit DMR, einem Experten für Social-Media-Analyse und Markenbewertung, um den „Bespoken Process“ zu optimieren, einen Prozess durch digitale Kommunikation „möglichst schnell und zeitgleich Key-Produkte in die Medienwelt zu steuern, um die Wahrnehmung und Relevanz einer Marke bei Endverbrauchern zu erhöhen, Begehrlichkeiten zu fördern und letztendlich einen Kaufimpuls auszulösen. Das wird in dem Zusammenhang extrem wichtig, um das Image einer Marke zu festigen.“

Der Kunde greift in den Produktionsprozess ein Mittlerweile ist der Kunde nicht nur modisch informiert und aktiv, sondern greift sogar in den Produktionsprozess ein. Durch Meinungen in Social Media nimmt er signifikanten Einfluss auf das Sortiment. Firmen wie Google und IBM bieten Big-Data-Analyse-Software an, die Tonalität und Schlagwörter in Nutzermeinungen auswerten, um Kundenpräferenzen zu filtern. Das funktioniert dann so: IBMs „Social Media Analytics“ hat für den Herbst Wildleder als Trend identifiziert, laut Frankfurter Allgemeine Zeitung waren bei H&M bis Ende August bereits über 30 Prozent der Kleidungsstücke ausverkauft. Kosmetikhersteller Bobbi Brown oder Mac gehen sogar so weit, Konsumenten die Farben der nächsten Saison über Likes bei Facebook aussuchen zu lassen. Auch Modeunternehmen greifen immer häufiger auf die Meinung ihrer Kunden zurück und lassen sie durch Customizing selbst entschieden, wie etwa bei Prada bei seinen Schuhklassikern, bei Nikes Laufschuhen, bei Longchamps Taschen. Das ist auch für Tommy Hilfiger ein Thema: „Dass der Kunde sein eigenes Design produzieren kann, auswählen kann, welchen Schnitt, welche Farben, welche Details er will, wird in Zukunft eine große Rolle spielen. Das wird dann direkt digital in einen Produktionsbetrieb übermittelt und zwei Wochen später kann der Kunde sein Customized Produkt im Laden abholen. Die Prozesse in der Produktion werden in Zukunft durch die Digitalisierung extrem verkürzt werden. Digital is the new normal“, sagt Daniel Grieder.

This article is from: