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Die eine Hand und die andere

Während Onlineshops antesten, wie sich „brick and mortar“ anfühlt, wissen stationäre Händler: Digital ist die Zukunft. Grenzen überschreiten und aus Trennendem etwas Verbindendes zu machen, das ist die Kunst der Stunde. style in progress hat Menschen und Unternehmen aufgesprürt, die aus dem Buzzword Multichannel machen, was es erst zum Leben erweckt: ein einträgliches Geschäft.

Stylealbum

Onlineconceptstore im Hinterhof

Mit einem ausgewogenen Mix aus luxuriöseren und günstigeren Produkten spricht Stylealbum coole Businessladys und trendige Studentinnen an. Nun hat die kleine Onlineboutique einen Laden in Düsseldorf eröffnet.

Wer online präsent ist, darf sich stationär auf Lagen verlassen, die nur informierte Kunden finden: In einem Hinterhof in der Bastionstraße 9 im Düsseldorfer Stadtteil Carlstadt hat der Onlineconceptstore Stylealbum Ende August einen 180 Quadratmeter großen Laden eröffnet. Das Sortiment beinhaltet neben Mode von Designern wie Achtland, Stine Goya, Kaviar Gauche, Baum und Pferdgarten, Just Female und Malaika Raiss auch Accessoires, Schmuck, Papeterie, elektronische Gadgets, Beauty- und Interieurartikel, die im luftigen Loftambiente präsentiert werden. Letztes Jahr hatte Stylealbum-Gründerin und Modedesignerin Sue M. Lee mit einem dreimonatigen Pop-upStore in der Bilker Allee bereits einen Ausflug in die Welt des stationären Handels unternommen. Acht Jahre zuvor hatte Lee den Onlineshop eröffnet. Warum jetzt also doch fest stationär? „Der Sortimentsmix von Stylealbum ist sehr besonders. Das Umfeld ist wichtig für die Inszenierung der Produkte und die persönliche Ansprache der Kunden. Die Fotos im Internet werden den besonderen Details und aufwändigen Verarbeitungen der Designerteile nicht immer gerecht. Die Erfahrung aus dem Pop-up-Store hat gezeigt, dass die Kundinnen gerne beraten werden wollen und sich die einzelnen Teile auch gerne erklären oder kombinieren lassen. Es geht primär nicht nur ums Shoppen, sondern um ein Erlebnis. Dennoch ist die Verbindung von offline und online wichtig, um bestmöglichen Service anbieten zu können.“ In der Lage im Hinterhof sieht sie keinen Nachteil: „Wir sind davon überzeugt, dass das Konzept funktioniert. Conceptstores wie der Voo Store in Berlin oder Merci in Paris machen vor, dass die Lage in einem Hinterhof durchaus erfolgreich sein kann. Wir planen regelmäßig Veranstaltungen im Store, wie beispielsweise Lesungen, Filmabende oder Produktpräsentationen, um immer wieder Anreize zu schaffen, uns regelmäßig zu besuchen. Wir möchten, dass der Kunde sich bei uns wohlfühlt

und sich gerne bei uns aufhält und das über das reine Shoppen hinaus.“ www.stylealbum.com

Sue M. Lee ist selbst Modedesignerin, für ihren Onlineshop Stylealbum wählt sie Kollektionen, die sich oft nicht selbst erklären – da kommt der neue, stationäre Laden genau richtig.

Online City Wuppertal

Jede Stadt ist Klein-Amazon

Das deutschlandweit einmalige Förderprojekt „Online City Wuppertal“ will die Ohnmacht des stationären Handels angesichts überregionaler Onlinekonkurrenten beenden und Wuppertaler Kunden das gute Gefühl geben, dass sie online shoppen und dennoch die lokale Wirtschaft stärken können.

„Wir wollen den Wuppertaler Kunden zeigen, dass die Produktbreite und -vielfalt der großen Onlinemarktplätze bereits in der eigenen Stadt verfügbar ist, wir müssen sie nicht von irgendwo herholen“, erklärt Projektmanagerin Christiane ten Eicken von der Wirtschaftsförderung Wuppertal. Gemeinsam mit Wirtschaftspublizist und Innovationsberater Andreas Haderlein hat sie die Stadt Multichannel-fähig gemacht. „Die Produktvielfalt und -verfügbarkeit ist kein Alleinstellungsmerkmal von Amazon & Co. Sie ist in der eigenen Stadt ja vorhanden“, so Haderlein. Bereits 65 stationäre Händler nehmen an dem Projekt teil und bieten über 8.000 Artikel online an. Viele der Händler sind inhabergeführte kleinere Geschäfte aus den Segmenten Mode, Schmuck, Lebensmittel und Möbel. „Aus Projektmitteln hätten wir nie die Möglichkeit gehabt, einen Onlineshop für die ganze Stadt zu realisieren. Daher sind wir froh, mit der österreichischen Firma atalanda einen Partner gefunden zu haben, der die Plattform für den Marktplatz und die Abwicklung für die taggleiche Lieferung anbietet – ein unschlagbarer Wettbewerbsvorteil gegenüber den Großen im Internet“, sagt ten Eicken. Die Zustellung der online bestellten Produkte übernimmt der Lieferdienst MyCocktail Taxi, der damit tagsüber seine Fahrzeugflotte optimal auslastet. Wer bis 16.30 Uhr bestellt, bekommt seine Ware noch am gleichen Tag. Das überzeugt: Die teilnehmenden Händler berichten über mehr Frequenz, auf der Fläche wohlgemerkt! Umsatzsteigerungen mitunter in zweistelliger Höhe sind die Folge. Der Onlinepräsenzanbieter atalanda ist derzeit mit 130 Städten im Gespräch, im Herbst wollen Attendorn, Göppingen und Wolfenbüttel mit eigenen Marktplätzen starten. In der Wuppertaler Rathaus Galerie entsteht derzeit in einem ehemaligen TV-Studio das „Retail Lab“. Hier sollen zukünftig überregionale Onlinehändler in einem Shop-in-ShopKonzept angesiedelt werden. „Sie können hier im Rahmen

des Pilotprojektes temporär innovative Multichannelkonzepte auf der Fläche testen“, berichtet Haderlein. Zudem wird in Kürze ein Drive-in-Schalter eröffnet, an dem Pakete bequem mit dem Auto abgeholt und retourniert werden können. www.onlinecity-wuppertal.de

65 stationäre Händler bieten 8.000 Artikel an. Wuppertal macht vor, dass Sortimentsbreite und -tiefe kein Monopol der Big Player im E-Commerce sind. Projektmanagerin Christiane ten Eicken kann Erfolg vermelden: mehr Frequenz und Umsatzsteigerung.

Kresnik Woman Store

Curated Shopping, handgemacht

Hinaus in die Welt – oder zumindest erstmal nach Österreich und Deutschland – so könnte man die Zielvorgabe von Helga und Helmut Kresnik für das Jahr 2015 fassen.

In der südsteirischen Kleinstadt Leibnitz ist der Name ein Begriff, denn schon vor 58 Jahren hat Helga Kresniks Schwiegermutter begonnen, den Familienbetrieb mit den ersten Modefachgeschäften aufzubauen. Mittlerweile gibt es auf dem Leibnitzer Hauptplatz drei Franchiseläden und seit zwölf Jahren die eigene Multibrandboutique Kresnik Woman Store mit Marken im gehobenen Preissegment. Geschäftsführerin Helga Kresnik ist erreichbar für ihre Kundinnen, vor Ort, per Telefon und seit Juni 2015 auch online auf der Personal-ShoppingPlattform mywomanstore.at. Begonnen hat alles vor sieben Jahren, als eine Freundin einer Kundin nach der Herkunft ihres tollen Outfits gefragt hat. Kresnik hat ihr kurzerhand per Post ein Outfit geschickt und diesen Service seitdem immer wieder erfolgreich weitergeführt. Mit ihrer Website, einer Curated-Shopping-Plattform, ist das, was sie im Stationären schon anbietet auch online verfügbar: „Wir wollen kein Sortiment ins Internet stellen, sondern unsere Serviceleistungen und damit unser Geschäft stärken“, sagt Kresnik. Als Kundin registriert man sich mit persönlichen Angaben und Geschmackspräferenzen auf der Website, wird dann vom Stylingteam per Telefon und E-Mail zwecks Feinabstimmung kontaktiert und bekommt gegen eine Sicherheitsleistung ein personalisiertes Überraschungspaket, in der Regel, mit zwei miteinander kombinierbaren Outfits im Wert von 2.500 Euro von Marken wie Burberry, Max Mara, Marc Cain, Michael Kors, Moncler, Più & Più, Schumacher oder Strenesse. Was die Kundin von den Outfits nicht behalten möchte, kann sie zurückschicken. Was Kresnik von klassischen Curated-Shopping-Plattformen unterscheidet? „Ich glaube, dass wir das besser können. Wir müssen zwar viel über das Internet lernen, aber mit Beratung haben wir große Erfahrung und sind viel näher am Kunden dran.“ Aufmerksamkeit bekommt mywomanstore.at auf jeden Fall: Neben Facebook-Likes und stetigen Neuanmeldungen wurden im ersten Monat schon zehn Päckchen verschickt. www.mywomanstore.at

Ein Onlinestore hätte sich wohl lange nicht rentiert – die Beratung ihres Ladens ins Internet zu übertragen, erschien Helga Kresnik da schon schlauer. Zehn Päckchen im ersten Monat sind der gute Anfang.

Amsterdenim

Die Win-winSituation

Das holländische Label Amsterdenim will seinen Händlern mit dem eigenen Webshop keine Konkurrenz machen. Es überlässt deshalb die Erlöse aus dem Onlineverkauf seinen stationären Händlern.

Amsterdam gilt als inoffizielle Denimhauptstadt der Welt. Daher nannte Ben Fokkema sein Label kurzerhand voller Stolz Amsterdenim. Das Logo spiegelt wider, was Amsterdam so besonders macht: die historische Altstadt mit den vielen Brücken, malerischen Grachten und filigranen Hausgiebeln. In bester holländischer Kaufmannstradition hat Fokkema auch sein sympathisches Businessmodel entwickelt. Händler, die Amsterdenim verkaufen, können am Online Community Programm teilnehmen. Online erwirtschaftete Umsätze gehen dabei komplett, abzüglich der Versandkosten und einer Bearbeitungspauschale, an die teilnehmenden Händlern. Ben Fokkema erklärt das Konzept: „Wenn ein Endverbraucher den Onlinestore besucht und ein Produkt findet, das ihm passt, bekommt er einen Store in seiner Nähe angezeigt. Hat der Kunde das Produkt gekauft, kann er entscheiden, ob er die Ware im Store abholen will oder ob wir sie nach Hause liefern sollen. Entscheidet er sich für die Abholung, senden wir die Ware sofort an den Shop. So hat jeder Händler die Möglichkeit, auf die gesamte Kollektion zuzugreifen. Der Kunde kann die Ware anfassen, anprobieren, sich beraten lassen und sich im Zweifelsfall für ein andere Größe oder ein anderes Modell entscheiden. Wir glauben, dass diese Vorgehensweise der nächste Schritt in puncto Einzelhandel und Brand Marketing ist.“ Bereits 65 Händler nehmen an dem Programm teil. Erklärtes Ziel ist es, alle Amsterdenim-Händler zur Teilnahme zu bewegen und das Netz der Abholstationen weiter zu verdichten. Momentan arbeitet Amsterdenim an einer eigenen Software, die es ermöglicht, die Warenbestände der Händler in Echtzeit zu verbinden, damit die Verfügbarkeit in Echtzeit dem Konsumenten kommuniziert werden kann. Bisher wird der Service nur in den Niederlanden angeboten. Ab Februar 2016 soll das Win-win-Konzept auch in Deutschland und in anderen Ländern zum Einsatz kommen. www.amsterdenim.com

Mit dem Online Community Programm will Amsterdenim-Gründer Ben Fokkema seinen Händlern das Geschäft ins Geschäft bringen: Wer online bestellt, kann im Shop abholen.

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