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Die Vision ist, alles zu vernetzen

„Die Vision ist,

alles zu vernetzen.“

David Schneider (im Bild) und Robert Gentz haben Zalando 2008 gegründet und zum größten Onlinehändler Europas gemacht.

Es ist ein American Dream des Unternehmertums, den man so aus Europa kaum kennt. Nach einer gescheiterten Firmengründung in Mexiko und der Rückkehr nach Deutschland mit leeren Händen haben die Studienfreunde Robert Gentz und David Schneider es noch einmal gewagt – und innerhalb von sieben Jahren aus einem kleinen Start-up ein MDAX-notiertes Milliardenunternehmen gemacht: Zalando. Vom stationären Handel als alles verschlingenden Kannibalen beäugt, hat der E-Commerce Gigant einen Wandel durchgemacht, was zu Beginn nur grell und laut war, ist zur Plattform für Mode gewachsen. Wie es mit seinem jungen Team, extremer Agilität und den Möglichkeiten der Technologie in die Zukunft gehen soll, wo das Digitale ins echte Leben greift, verrät Vorstand David Schneider im Interview mit style in progress. Interview: Stephan Huber, Quynh Tran. Fotos: Bernhard Musil

Was war das Einkaufserlebnis, das dir am meisten in Erinnerung geblieben ist?

Gerade wenn wir davon reden, wohin wir uns in Zukunft entwickeln wollen, hat sich mir ein Erlebnis besonders eingeprägt: Wir hatten ein Treffen mit Adidas, ich brauchte noch am selben Tag einen Adidas-Schuh und war natürlich viel zu spät dran – auch bei uns hätte ich die Lieferung nicht mehr rechtzeitig bekommen. Ich habe dann geschaut, wo ich den Schuh so schnell noch finden kann, bin durch Berlin gerannt, irgendwann im Adidas-Store gelandet und habe am Ende einen ganz anderen Schuh gekauft, als ich eigentlich wollte. Da habe ich mich gefragt, wie man einen solchen Bedarf besser bedienen kann. Kunden sind heute mobil unterwegs, niemand ist mehr an den Desktop gebunden, deshalb möchten sie auch im E-Commerce eine übergangslose Erfahrung. Im Idealfall würden wir einem Kunden sagen können, wo er das Produkt findet und ihm 30 Minuten später einen Fahrradkurier schicken. Dafür müsste man etwas schaffen, das lokalen Standorten den Zugang zu einem zentralen Netzwerk ermöglicht. In diesem Zusammenhang wird es extrem interessant, wie sich die Landschaft zwischen den dezentralen und lokal gewachsenen Strukturen des klassischen Handels und den großen, zentralen und besser skalierbaren Strukturen des ECommerce entwickeln wird.

Könnte man dann statt der bisherigen Konkurrenz an eine sinnvolle Koexistenz von Fachhandel und E-Commerce denken?

Absolut. Unsere Vision ist, Menschen und Mode zu vernetzen. Zum Beispiel haben wir jetzt schon angefangen, dass Marken wie Mango einen Teil ihrer Produkte direkt an Kunden liefern. Natürlich legen wir Wert darauf, dass der Kunde das gleiche Serviceversprechen erhält, gleichzeitig sind wir aber nicht limitiert auf das, was in unseren Logistikcentern verfügbar ist, sondern haben Zugang zum Gesamtsortiment der Marke und dadurch ein größeres Angebot. Man könnte da noch ein Stück weitergehen und sagen, warum nicht auch lokale Händler anbinden. Wir verstehen uns darüber, dass wir die Technologie stellen – wir investieren extrem viel in technologische Infrastrukturen, die so etwas möglich machen und damit auch einzelnen Händlern und kleinen Marken eine Anbindung sowie eine viel größere Reichweite ermöglichen. Wir sind der Matchmaker, wir kennen den Kunden, seine Vorlieben, haben Zugang zu ihm und die nötige Technologie, um das richtige Produkt mit dem richtigen Kunden zu verbinden. Wir können es schaffen, ein großes Netzwerk aufzubauen, das eine Verbindung herstellt von jeglichem Laden zu jeglichem Kunden. Natürlich müssen da noch Fragen wie die lokale Logistik oder die Inventarerfassung geklärt werden, aber die Frequenzfrage kann für viele Händler interessant sein, da die lokale Anbindung auch Einschränkung bedeutet. Wenn man Servicepartner in einer großen Struktur ist, haben Kunden ganz andere Gründe physisch in den Laden zu kommen. Unser Ziel ist es, das Netzwerk dafür zu schaffen.

Was war die ursprüngliche Vision?

Als wir 2008 angefangen haben, war es simpel: Wir haben gesehen, dass das Onlineangebot an Schuhen nicht gut war. Es gab lediglich Kataloghändler, die noch mit großen Telefonbüchern agierten, und den stationären Handel, der Onlineshops zusätzlich als Filiale betrieb. Und da haben wir gesagt, dafür können wir etwas schaffen, das besser funktioniert, Punkt. Wir wollten ein breiteres Angebot mit besserem Zugang zum Sortiment schaffen, kombiniert mit schneller, kostenloser Lieferung und hoher Convenience. Heute ist Zalando etwas ganz anderes als nur ein Onlinehändler mit ganz anderen Visionen – beinahe eine Plattform, auf der alles zusammenläuft, was mit Fashion zu tun hat. Im Endeffekt wollen wir die erste Anlaufstelle für jegliche Fashionfrage oder jegliches Fashionproblem werden. Sucht zum Beispiel ein Kunde einen speziellen Artikel und braucht ihn sofort, wollen wir eine Lösung dafür schaffen. Wenn ein Kunde nur Inspiration sucht und sich Anfang der Saison über neue Trends informieren will, soll er bei uns die richtigen Sachen ausgespielt bekommen. Die E-Commerce-Landschaft ist da noch nicht so weit entwickelt. Bisher war alles sehr transaktional mit einfachen Produkten und unemotionalen Themen. Fashion ist aber eben emotional,

Die Kampagne Zalando x Topshop mit Supermodel Cara Delevingne hat dazu beigetragen, die Außenwahrnehmung des Unternehmens zu verändern.

man muss sich viel tiefergehende Gedanken machen, ähnlich wie bei Musik. Da gibt es heute Services, die einem ein persönliches Angebot liefern, das relevant ist, obwohl es Millionen von Liedern gibt. Wir wollen das auf die Mode übertragen und es schaffen, dem Kunden die relevanten Themen auszuspielen, die Themen, die ihn wirklich persönlich interessieren.

Die Wahrnehmung von Zalando hat eine enorme Transformation durchlebt. Welche Rolle spielen Maßnahmen wie die Reduktion des Marken sortiments oder Kampagnen wie die mit Cara Delevingne für den Wandel des Bilds der Marke nach außen? Wie verän dert das die Art und Weise, wie Leute über Zalando reden?

Wir wollen mit den besten Marken zusammenarbeiten und die neuesten Themen frühzeitig spielen, um einen modisch interessierten und informierten Kundenkreis zu adressieren. Topshop und Gap, die wir dieses Jahr als Markenpartner gewin

„Wir wollen den Standort Berlin mitprägen.“

nen konnten, sind gute Beispiele. Zu diesen Marken hat man in Deutschland sonst nur schwer Zugang. Unsere Themen und die Art und Weise, wie wir kommunizieren, sprechen eine deutlich andere Sprache als noch vor ein, zwei Jahren, auch wenn man sich die Kampagnen anschaut. In der Vergangenheit haben wir sehr stark auf Markenbekanntheit gesetzt und sind dadurch in fast allen Kernländern bei etwa 90 Prozent Bekanntheit. 2010 haben wir richtig losgelegt mit dem Marketing, es war laut, sehr viel Schreierei, aber es hat super funktioniert. Jetzt wollen wir die nächste Stufe schaffen. Wir wollen nicht nur Aufmerksamkeit, sondern dass Fashioninteressierte uns besser kennen lernen, dass es persönlicher wird, dass wir Fans bekommen. Zum einen wird das durch unsere modischere Ausrichtung reflektiert, zum anderen dadurch, dass wir von dieser Einbahnstraßenkommunikation, laute Werbung zu machen, weggehen und stattdessen einen stärkeren Dialog mit den Kunden führen. Das war auch bei der Kampagne mit Cara Delevingne für Topshop der Fall. Vom Kunden kam deutlich mehr zurück, ob nun per Nachahmung oder mit Kommentaren. Wir hatten Campaign Hubs online, wo man seine eigene Stadt eingeben konnte, die dann von Cara nachgesprochen wurden, was man mit Freunden teilen konnte. In der aktuellen Kampagne geht es um „Share Your Style“. Man kann selbst Fotos hochladen und voten lassen – soll ich das tragen oder nicht? Es entsteht eine ganz andere Interaktion.

Brand Awareness, Markenprofilierung, Kundenkommunikation. Was ist die nächste Stufe von Zalandos Evolution?

Momentan sind wir natürlich Händler. Wir selektieren, kaufen Waren ein, gehen durch unsere Prozesse und verkaufen. In Zukunft möchten wir zur Plattform werden, die es ermöglicht, jeden Kunden individuell anzusprechen. Jeder soll den einzelnen Themen und Marken folgen können, die ihn interessieren,

„Momentan sind wir natürlich Händler. Wir selektieren, kaufen Waren ein, gehen durch unsere Prozesse und verkaufen. In Zukunft möchten wir zur Plattform werden.“

und das vielleicht auch mit Freunden teilen. Man kann so ein Modenetzwerk ermöglichen, das die Wünsche der Kunden und die Art und Weise, wie sie Mode erleben wollen, versteht. Hier denken wir in alle Richtungen. Die Bread & Butter zum Beispiel soll Kunden eine physische Plattform bieten, Mode zu erleben. Marken erhalten dort wiederum eine Möglichkeit, ihre Produkte gut zu präsentieren.

Mit der Bread & Butter habt ihr in erster Linie einen internati onal geschützten Namen und einen Mietvertrag erworben. Kam die Debatte um den Flughafen Tempelhof gele gen, länger daran arbeiten zu können? Und soll das Event überhaupt an die Fashion Week angedockt sein, die im Juli ja zeitlich nicht unbedingt vorteilhaft ist?

Das war natürlich höhere Gewalt. Wir waren kurz davor, genauer über die Pläne mit der Bread & Butter zu reden, aber es versteht sich von selbst, dass es nun wichtigere Themen gibt, die wir unterstützen müssen, wo es geht. Weil noch nicht abzusehen ist, wie sich die politische Situation bis zum kommenden Sommer entwickelt, warten wir zunächst ab. Und wir müssen schauen, wie sich die Berliner Fashion Week entwickelt. Wir denken, dass Berlin viel zu bieten hat, um sich gegenüber Mailand, Paris und London abzugrenzen und etwas Neues zu machen. Wir wollen den Standort mitprägen.

Als was für ein Unternehmen wollen ihr euch in Zukunft definieren? Was ist eure Ziel setzung gegeben des Wachstums und der technologischen Möglichkeiten?

Das ist eine schwierige Frage. Wir haben Technologie, wir haben Mode, wir haben den operativen Aspekt und alles ist wichtig und spielt zusammen. Eine starke Differenzierung sehen wir im Investment in die Technologie. Wenn wir jegliches Problem um Fashion lösen wollen, brauchen wir die nötige Technologie und dafür jede Menge Experten. Wir müssen aber auch extrem agil sein. Dafür müssen wir die richtige Kultur schaffen, damit die einzelnen Bereiche unabhängig bleiben, wir Talente anziehen, zum Beispiel mit den neuen Tech-Standorten in Dublin und Helsinki, und sie durch die agile Struktur motivieren, Innovationen zu schaffen.

Zalando ist stark technologisch ausgerichtet und hat gerade Anteile an der Soft warefirma Anatwine gekauft. Wo spielt der Mensch bei so viel Technologie eine Rolle?

Anatwine gibt Marken die Möglichkeit, ihren eigenen Shop anzubinden, direkt an Kunden zu liefern, und stellt Tools zur Verfügung, die eigenen Inhalte und den eigenen Store managen zu können. Es arbeitet sich in die Systeme der Marken ein und bildet eine Schnittstelle zu Zalando. Das unterstützt unsere Vision und verstärkt die technologischen Möglichkeiten.

Trotzdem ist Mode emotional, Menschen wollen nicht von einer Maschine kaufen, sondern interessanten Leuten folgen und sich von ihnen inspirieren lassen. Im E-Commerce war die erste Zündstufe Zugang schaffen. Der Zugang ist mittlerweile geschafft, jeder ist online, überall gibt es Angebot. Was sich im Einzelhandel über Jahrzehnte entwickelt hat – wo baut man einen Laden hin, wie adressiere ich Laufkundschaft, was nimmt der Kunde im Laden wahr, bis hin zum Geruch, wie kann ich ihn persönlich beraten und so weiter – kann man auf den E-Commerce übertragen. Letztendlich läuft es darauf hinaus, dass der Kunde ein gutes Gefühl haben will und Mode als ein emotionales Produkt leben will.

Technologie als Problemlöser – das größte Problem im E-Commerce bleiben aber Retouren. Wie wollt ihr das realistisch lösen?

Retouren sind fester Bestandteil unseres Geschäfts, für uns sind sie kein Problem. Man muss Kleidung anprobieren, um zu entscheiden, das ist auch im Laden so. Was wir nicht wollen sind Retouren, die dadurch zustande kommen, dass der Artikel falsch beschrieben, das Bild nicht gut oder die Beratung oder Qualität schlecht war. Das sind die Retouren, die wir vermeiden wollen. Aber die Retouren, die dadurch entstehen, dass Kunden eine Auswahl bestellen und zu Hause entscheiden möchten, sind für uns völlig in Ordnung. In manchen Ländern, die noch wenig Erfahrung mit E-Commerce haben, betonen wir sogar, dass die Sicherheit, alles zurückgeben zu können, ein zentraler Servicepunkt von uns ist.

Das andere große Problem des Onlinehandels ist die Datensi cherheit. Immer mehr Kunden stellen sich die Frage, was Unternehmen mit dem Wissen, das sie über den Kunden sam meln, machen. Wie kann man Kunden Sicherheit geben?

Das ist ein sensibles Thema. Wir wollen natürlich kundenbezogene Informationen nutzen, um unser Angebot besser zu machen. Bestes Beispiel: Wenn ich personalisieren will, muss ich wissen, was ein Kunde möchte und kann analysieren, was er sich anschaut, wofür er sich interes

„Wir ver- stehen uns als diejenigen, die die Straßen bauen, dem Kunden den Zugang legen, eine starke Reichweite haben, technologisch ermöglichen.“

siert und da die Korrelationen herausziehen. Dadurch kann man ein deutlich besseres und individuelleres Angebot erstellen. Bei unserer Beratungsplattform Zalon telefoniert der Stylist sogar mit dem Kunden, um bestimmte Eckdaten wie Lieblingsmarken und Muster konkret abzufragen. Bei einem lokalen Angebot könnte man sogar schauen, wo der Kunde ist und dadurch vielleicht bessere Angebote bieten. Man muss aber Kunden bewusste Wahlmöglichkeiten geben, personalisierte Dienstleistungen auch wieder abzuwählen. Zusätzlich ist klar, dass wir Daten nie an Dritte weitergeben, außer es ist zwingend notwendig, wie die Adresse bei einer Lieferung durch eine Marke zum Beispiel.

Momentan gibt es sehr viele Onlineshops, aber irgendwann wird der Markt aufräumen. Wo siehst du den Markt und die Verbindungen zwischen onund offline in zehn Jahren?

Wenn man sich überlegt, wo wir vor fünf Jahren standen, kann in zehn Jahren ziemlich viel passieren. Extrem spannend finde ich, wie dramatisch schnell sich das Kundenverhalten durch mobile Geräte verändert. Auf einmal sind Leute nicht mehr in Browsern unterwegs, sondern halten sich überwiegend in Apps auf. Dadurch fängt der Markt an, sich stärker zu sortieren. Wenn ich auf den Startscreen schaue, habe ich nur einen begrenzten Platz für Apps, die ich nutze und die für mich relevant sein können. Da werde ich nicht zehn Shopping-Apps haben, auch wenn alle eine andere anbieten. Da sortiert sich, wer es auf den Startscreen schafft und wer nicht, ein bisschen wie in der Offlinewelt. Wer baut die Einkaufsstraße, wer ist der große Flagshipstore, wer ist der kleine Händler, wer ist in welcher Location. Das bedeutet nicht, dass alles andere nicht gebraucht wird oder ausstirbt, sondern, dass es unterschiedliche Rollen geben wird, die man einnimmt und sich die Verhältnisse anders sortieren werden. Wir verstehen uns dabei als diejenigen, die die Straßen bauen, dem Kunden den Zugang legen, eine starke Reichweite haben, technologisch ermöglichen. Wir schaffen eine Infrastruktur, um beispielsweise Händlern, die stark auf eine spezifische Zielgruppe zugeschnitten und lokal begrenzt sind, Zugang zu Kunden zu haben, in einer Welt die online und mobil ist. Aktuell ist es noch ein Chaos, weil jeder in online/mobile will, langfristig wird sich das sortieren und on- und offline mehr ineinandergreifen. Das wird viel mehr spannende Möglichkeiten eröffnen, auch Kleinhändlern und kleinen Marken.

Zalando SE Gegründet 2008 in Berlin, Deutschland Vorstand: Robert Gentz, David Schneider, Rubin Ritter Startkapital: 50.000 Euro Umsatz: 2,2 Milliarden Euro (2014) Mitarbeiter Ende 2008: 40 Mitarbeiter Mitte 2015: über 9.000 Durchschnittsalter der Mitarbeiter: 30 Aktive Kunden: 16,4 Millionen Besuche des Onlineshops: 135 Millionen pro Monat Anteil der Besuche von mobilen Geräten: 57 Prozent Fotos Content Creation pro Tag: 1.000

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