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No Season

Pre-, Main- und Postcollection. Die Taktung hat sich deutlich erhöht und gleichzeitig ist immer irgendwo Sale, zusätzlich befeuert von den vorherrschenden Order- und Lieferrhythmen. Wie ließe sich die Terminsteuerung neu denken und lenken, damit der Modehandel nicht zum Daueroutlet wird? Text: Nicoletta Schaper. Illustration: Claudia Meitert @Caroline Seidler

Am Tag vor der Eröffnung zeigt sich die neue Filiale von Kastner & Öhler im österreichischen Ried im besten Licht. Die Ware hängt, die Deko steht, die modischen Looks sind auf der Fläche ansprechend präsentiert. „Zu diesem Zeitpunkt lässt sich ungemein viel im Sortiment erkennen“, sagt Alexander Petrskovsky, Vorstand Mode und Personal. Denn für das neu entwickelte Ladenkonzept wurde an nicht wenigen Stellschrauben gedreht, auch im Sortiment. Weniger Marken und weniger Klassik, dafür dominantere Fashionthemen, ergänzt von vielen Accessoires und Non-Fashion wie im Conceptstore. „Wir wollen begehrlicher präsentieren, mit Flair und Spannung“, erklärt Petrskovsky. „Das heißt zukünftig auch, neue Ware nicht immer sofort auf die Fläche zu bringen, sondern nach und nach einzuspielen, sodass sie näher am Bedarf ist. Für uns bedeutet das zwar viel mehr Aufwand. Aber daran führt kein Weg vorbei.“

Terminliche Unlogik Bikinis im Dezember, dicke Daune im Juli. Was absurd klingt, ist oft gelebte Realität, in den Auslieferungen, am PoS. Müßig, zu überlegen, wie es zu

Alexander Petrskovsky, Vorstand Mode und Personal bei Kastner & Öhler: „Die idealtypische Saison gibt es nicht, oft kann der Handel gar nicht festmachen, was genau er wann braucht. Stattdessen kann er sich nur auf eine Mischung aus Bauchgefühl und Empirie verlassen.“

dieser terminlichen Unlogik eigentlich kommen konnte. Wann überhaupt der richtige Zeitpunkt für die Ware wäre, das sieht jeder Händler anders und das Wetter macht ohnehin, was es will. Fakt ist: Der alte Rhythmus – zweimal jährliche Vororder für drei Liefertermine im Halbjahr – reicht heute kaum einem erfolgreichen Händler aus. Auch Kastner & Öhler hat für seine 15 Modefilialen mittlerweile zu einem großen Teil Kollektionen mit zwölf Lieferterminen, vorrangig aus dem Young-Fashion-Bereich. „Aber das Problem bleibt das gleiche: Ich muss zu einem Zeitpunkt ordern, wo ich keine Ahnung vom Bedarf am Point of Sale habe“, so Petrskovsky. „Die Kunden kaufen ungleich bedarfsnäher, dennoch brauche ich den gleichen Vorlauf von meist vier bis sechs Monaten. Industrie und Handel scheinen immer noch zu sehr an die langjährig aufgebauten Strukturen gebunden zu sein.“ Michaela Schirlbauer von Misc in Salzburg hat ebenso festgestellt, dass ihre Kunden heute deutlich näher am wirklichen Bedarf kaufen: Wenn es kalt wird, wollen sie den Pulli, wenn es heiß ist, das Sommerkleid. Im vergangenen heißen Sommer haben die im August letzten Jahres georderten und auf Schirlbauers Wunsch erst im Juli gelieferten Kleider punktgenau zu den heißen Temperaturen gepasst; kein einziges ging reduziert über den Ladentisch. Die Händlerin setzt auf ein skandinavisch geprägtes Sortiment mit kleinen, sehr individuellen Marken, der Rhythmus ist klassisch. Dem hat sich Schirlbauer angepasst. „Ich lasse mir Frühjahr-/Sommer-Ware möglichst nicht vor dem 15. Februar liefern, denn im Januar, Februar ist es sehr ruhig in Salzburg, es ist schwierig, genau dann die großen Rechnungen zu bezahlen“, sagt sie. „Die meisten Firmen liefern früher aus, als mir lieb ist, dafür kommen sie mir oft mit den Zahlungskonditionen entgegen. Aber manchmal geht diese Rechnung nicht auf, weil kleine Marken darauf angewiesen sind, früher zu liefern, um ihre Vorfinanzierung schnell wieder reinzubekommen.“

American Denim Die Agentur Brama Gallery führt bislang ausschließlich US-Brands wie Current Elliott und Mother Denim, die nach amerikanischem Prinzip monatlich ausgeliefert werden – Jeanskollektionen mit einem wachsenden Anteil an Oberteilen. Das ermöglicht einen monatlichen Warenfluss, plus Bestseller on Stock, die noch mal nachgezogen werden können. Seit Start der Düsseldorf-Dépendance im Juli letzten Jahres konnten über 250 Kunden gewonnen werden, eine Leistung im deutschsprachigen Markt, die nicht nur auf die prominenten Brands zurückzuführen ist, sondern auch auf die Vorteile des Order- und Lieferrhythmus.

Markus Funder, Design und Produktion Better Rich: „Es gibt viele Schlaue, die schnell nach Auslieferung noch mal nachziehen. Sie minimieren das Risiko auf ihrer Seite, indem sie auf die bestverkaufte Ware setzen.“

„Anfangs haben wir uns den Mund fusselig geredet, denn viele Händler hat unser System erst einmal irritiert und verunsichert“, erzählt Janine Knizia, die den deutschen Showroom leitet. „Doch wir haben es ihnen auf der Stange demonstriert, dass nicht nur die Ware auf die Monate verteilt wird für ein immer spannendes Bild im Laden, sondern auch die Rechnungen aufgesplittet werden. Das sind Vorteile, die unsere Kunden heute klar erkennen und zu schätzen wissen.“ Das bedeutet weniger Warendruck im Handel und weniger Druck auf der Finanzseite, für den Vertrieb, allerdings mehr Aufwand und Lagerhaltung, was das Unternehmen Brama allerdings aufgrund seiner Größe und eines großen Lagers für alle Agenturlabels europaweit am Hauptsitz in Modena gut bewältigen kann. Auch die Ordertaktung ist bei Brama mit Precollections erhöht; was der Kunde im August ordert, ist bereits ab Oktober auf der Fläche. Doch wie geht der Händler mit zwei statt einem Ordertermin in der Saison um? „In Paris und Modena kommen die Brama-Kunden ohne weiteres für die Pre- und Mainorder in den Showroom,

das wird gar nicht in Frage gestellt“, sagt Janine Knizia. Anders im deutschsprachigen Markt. „Ich kann es mir nicht leisten, im Mai und Oktober noch einmal

Janine Knizia, Agenturleiterin Brama Gallery Deutschland: „Unser schneller getaktetes System ermöglicht eine enge Kundenbindung, wir sind permanent im Gespräch. Aber es lässt sich nicht auf jeden übertragen, denn es braucht die entsprechende Produktionskapazität und Lagerhaltung.“

zur Order zu reisen“, sagt nicht nur Michaela Schirlbauer. „Im Mai startet im Handel bereits der Sale, da brauchen wir im Vertrieb keinen Händler anzusprechen“, bestätigt Janine Knizia. Oft hat der Handel nicht mehr das Budget und empfindet das Verkaufszeitfenster als zu klein. Das Precollectionprinzip kann den Warendruck also nur verringern, wenn der Händler anders einteilt – und es keine zu großen Minimumvorgaben gibt.

Anders einteilen – aber wie? Die Strukturen lassen sich nicht ohne weiteres aufbrechen. „Denkt man im Retail vertikal, ist das No-Season-Denken schon etabliert“, sagt André Berger, Geschäftsführer der Marke Handstich. „Die Liberalität, die damit für den Handel zusammenhängt, ist allerdings ungeheuer komplex. Wann sieht man schon mal eine saisonkompetente Darstellung auf einer Fläche? Wenn wir davon sprechen, wie wichtig Individualität ist, sollte auch jeder Händler etwas anderes wollen. Passen beispielsweise im Juni warme Jacken auf der Fläche eines bestimmten Händlers, muss das nicht für andere Händler in der Stadt gelten.“ Generell ist das Thema Sportswearjacken zurzeit kein leichtes, nicht zuletzt wegen des großen Angebots – wie in eigentlich allen Warengruppen. „Unsere Jacken sind als All-Season-Produkt quasi ganzjährig tragbar. Wir würden uns wünschen, dass wir mehr mit kleinen Paketen in den Handel einsteuern könnten, aber meist ist im Handel kein Limit dafür vorhanden“, so Berger. „Dabei braucht es den Mut, zu fokussieren und spannende Impulse zu setzen. Wir hören verstärkt aus dem Handel, dass Cashcow-Artikel der Saison immer weniger stattfinden und stattdessen die Summe des Ganzen den Ertrag bringt.“ Denn statt eines Megatrends – wann hatten wir den zuletzt? – gibt es heute unendlich viele, zulasten jeder Planungssicherheit von Industrie und Handel, denn, wer auf einen vermeintlichen Trend setzt, muss anderes wegfallen lassen. „Die Industrie hat ein nachvollziehbares Problem damit, wirklich stark an einen Trend zu glauben und ihn dann auch im Handel abzubilden“, bestätigt Alexander Petrskovsky. „Die Bereitschaft des Handels, die Vororder zurückzuschrauben und darauf

Thomas Acksel, Inhaber Franz und Emil: „Wenn ich erst Anfang August T-Shirts bekomme, die mir für Juni, Juli zugesagt waren, muss ich mir überlegen, wie ich den Rest in die nächste Saison übernehme oder wie ich sie loswerde. Da ist der Verkaufszeitraum viel zu kurz.“

zu vertrauen, dass die Industrie kurzfristig Neues bringt, ist noch sehr ausbaufähig.“

Kopf und Bauch Nicht wenige Kollektionen arbeiten heute mit häufigerer Taktung als bisher. Zum Beispiel Marken, die einen eigenen Retail haben, außerdem Produktspezialisten wie Cashmere-Kollektionen oder Hemdenanbieter. Ebenso Better Rich. Helmfried Strupat und Markus Funder haben mit ihrer lässigen Shirt-Sweat-Strickkollektion ein Produkt etabliert, das von Anfang an mit vier Order- und Lieferterminen funktioniert. „Mit diesem Dreimonatsrhythmus halten wir das Risiko überschaubar und sind näher an der Saison“, so Markus Funder. „Was für Sommer Anfang August geordert wird, kommt Anfang November in die Läden. Viele Händler würden im November gern Herbstliches ordern, das nach sechs Monaten in die Läden kommt. Aber bin ich näher an der Saison, kann ich nochmal besser auf Kurzfristiges reagieren. Und bin damit eher auf der sicheren Seite.“ Die Budgetplanung im Handel habe sich leicht verbessert, meint Markus Funder. „Aber viele sind immer noch überrascht, dass sie in der Salephase so viel Ware übrig haben.“ Kann ein höher getakteter Rhythmus dem Sale

Michaela Schirlbauer, Inhaberin Misc: „Ein Ordertermin in der Saison ist mir lieber und dass ich dann nach Bedarf Ware nachziehen kann. Zwischenkollektionen finde ich für mein Konzept nicht notwendig.“

entgegenwirken? Wenn richtig eingeteilt wird, ja, sagt Funder. „Wir buzzern niemanden mit Ware zu und freuen uns, wenn der Händler Ware und Menge realistisch eingeschätzt hat. Aber am einfachsten vermeidet man Sale, wenn die Begeisterung und Sensibilität da ist. Ein bisschen Rechnen hilft auch enorm, aber Warenwirtschaftssysteme sind lediglich ein Hilfsmittel. Kopf und Bauch gehören zusammen.“

Currywurst und Sushi Das heißt auch, flexibler werden in der laufenden Saison. Thomas Acksel von Franz und Emil in Dresden ist als Modehändler Quereinsteiger, seinen Menswearstore plus Onlineshop eröffnete er vor rund eineinhalb Jahren. Doch Verschiedenes scheint er für sein Konzept ganz instinktiv richtig zu machen. „In der Vororder platziere ich 20 bis 30 Prozent meines Budgets, ich versuche mir das Beste herauszupicken, vor allem Modisches“, sagt er. „Ist die Ware dann da, schaue ich, was gut ankommt und ziehe entsprechend nach. Andernfalls wäre mein Risiko zu groß.“ Was am Ende dennoch übrigbleibt, wird zum Saisonwechsel bei der Kick-out-Party veräußert, mit Currywurst, Sushi und Rock ’n’ Roll einer Dresdner Band. Doch fast die Hälfte im Geschäft ist Ware, die Acksel grundsätzlich nicht reduziert, wie zum Beispiel Redwing Boots, Jeans von Levi’s Vintage oder Momotaro. „Jeans ganz grundsätzlich nicht zu reduzieren, funktioniert aber nicht, manche Schnitte ändern sich einfach und auch online bist du zu vergleichbar“, sagt Acksel. Generell würde er sich wünschen, dass die Liefertermine besser eingehalten würden, wie das zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit kleinen italienischen Marken bereits bestens funktioniert. „Shorts Ende August statt am Anfang des Monats machen überhaupt keinen Sinn für mich, aber gerade bei großen Agenturen kann ich mich oft nicht auf feste Liefertermine verlassen. Ich würde mir fixe und verlässliche Liefertermine wünschen, dann könnte ich statt Kick-out-Partys zum Sale auch Kollektionsevents planen, um neue Ware zu promoten.“

Verpasste Chancen? Den Königsweg gibt es bei der Terminsteuerung als Instrument gegen Dauersale nicht. „Eher geht es hierbei um Sensibilisierung und um Partnerschaften“, sagt André Berger. „Es wird künftig noch wichtiger sein, dass der Händler die Saison früh mit ausgewählten Industriepartnern plant. Aber mit jeder Marke muss er unterschiedliche Wege gehen.“ Die Ansprüche seien nicht geringer geworden, sagt auch Markus Funder. „Mit Spaß und Engagement kann man dennoch auch heute ganz weit vorn schwimmen. Dazu gehört Flexibilität auch in der laufenden Saison, was noch zu wenigen gelingt.“ Mit dem zu sklavisch eingehaltenen Vororderrhythmus verpasse der Händler Chancen, meint Alexander Petrskovsky selbstkritisch. „Das Vertrauen in

André Berger, Inhaber Handstich: „Wir sind eine Marke, die versucht, klare Botschaften zu senden und durchaus in Kauf nimmt, dass sie polarisiert. Um unsere Aussage umfassend zu präsentieren, benötigen wir eine positive Risikofreude unserer Handelspartner, die unser Konzept als Ganzes mittragen.“

kurzfristige Hot Shots muss sich die Industrie erst erarbeiten und stärker zum Bestandteil ihres Orderablaufs machen, darin sehe ich ihren größten Veränderungsbedarf.“ Denn Angebot wie auch Nachfrage haben sich nur punktuell verbessert und angenähert – aber nicht in dem Maß, wie der Markt es offenbar braucht.

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