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Wer nicht einkauft, kann nicht

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Wer nicht einkauft, kann nicht verkaufen

Es geht zur Sache: In der letzten Orderrunde hat der Handel noch einmal drastisch bei der Vororder gespart. Das bringt nicht nur langjährige Partnerschaften auf den Prüfstand. Wo sind die schwindenden Limits spürbar geworden und worauf haben die Händler stattdessen gesetzt? Text: Nicoletta Schaper. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler. Fotos: Gesprächspartner

Jetzt hat Andreas Weitkamp einen klaren Cut gemacht. „Wir haben für Frühjahr/Sommer 2017 nichts geordert, wovon wir nicht hundertprozentig überzeugt waren“, erklärt der Geschäftsführer des Modehauses Schnitzler. „Das heißt, wir haben radikal gekürzt bei dem, was uns nicht gefiel, und mehr ausgegeben für das, was uns gefallen hat. Genau das macht uns unser Kunde vor: Er kauft nur das schönste Teil.“ Die Order Frühjahr/Sommer 2017 steht exemplarisch dafür, was sich schon länger abzeichnet. „Wir stehen an einem Entscheidungszeitpunkt“, sagt Peter Haertel, dessen Agentur Vestitus mit Marken wie Jacob Cohën, Herno, Santoni und Antonelli auf das Luxussegment spezialisiert ist. „Die Händler verabschieden sich jetzt auch von Produkten, denen sie lange treu geblieben waren, weil die Abverkäufe nicht mehr gestimmt haben.“ Der Druck hat zugelegt und die Volumina abgenommen – um die zehn bis 15 Prozent, mitunter ist von einem Orderrückgang von 30 Prozent die Rede. Das bringt manche Anbieter stark in Bedrängnis. Kommt damit eine Marktbereinigung? Sie ist in vollem Gang. Es gibt von allem zu viel – und vor allem zu viel Austauschbares. Einwaller hat die Einkaufsstrategie entsprechend neu ausgerichtet und sich damit auch von einigen großen Kollektionen verabschiedet. „Wir haben uns schwer getan, langjährige Partnerschaften zu beenden Aber die Entwicklungen haben gezeigt, dass Industrie und der Handel manchmal zu weit vom Endverbraucher entfernt sind“, sagt Theresa Minatti-Einwaller, die den Einkauf für das Familienunternehmen managt. „Der Kunde kauft heute nur noch das Richtige. Zum Glück gibt es nach wie vor Marken, die super Umsätze erzielen; von denen haben wir mehr geordert. Was außerdem keinen Sinn für uns macht, sind viele kleine Labels. Wenn wir hier mal für 5.000 Euro ordern und da mal, ergibt das keine Aussage im Laden und rettet unseren Umsatz nicht. Lieber verzichten wir auf die Riesenauswahl und bieten als Fachhändler unserem Kunden die Orientierung, die ihm oft fehlt.“

Konzentration Die Zeit stellt langjährige Vertriebspartnerschaften auf die Probe. Große Order garantieren mitunter beste Zusammenarbeit, Entgegenkommen und damit reibungslose Abläufe. Dennoch hat Andreas Weit

Andreas Weitkamp, Geschäftsführer Modehaus Schnitzler: „Alles, was austauschbar ist, verliert gnadenlos.“ Theresa Minatti-Einwaller, Einkauf Einwaller: „Es braucht die Zahlen, aber es braucht viel mehr Emotionen und Risikobereitschaft, damit es nicht ausschaut wie bei allen anderen.“

Oliver Feske, Geschäftsführer Agentur P4: „Es verlieren die Marken, die überdistribuiert sind, oder diejenigen, deren Kollektion nicht zeitgemäß ist.“

kamp in manchen Fällen auf gute Konditionen verzichtet. Dennoch geht es ihm um partnerschaftliche Zusammenarbeit. „Schaue ich mir die letzte Order an, haben wir vor allem bei denen gut gekauft, die sich persönlich engagieren“, stellt er fest. „Zu viele im Vertrieb beschäftigen sich zu ausschließlich mit Excel-Listen, zu wenige sind bereit, sich auch mal an einem Samstag in den Laden zu stellen, um zu sehen, wie es läuft. Daran lässt sich einiges ablesen.“ Peter Haertel gehört zu denjenigen, die die Reduzierungen in der Vororder wenig zu spüren bekommen haben. „Es gibt keine Markentreue, es gibt nur Servicetreue“, sagt er. Immer ansprechbar sein ist sein erklärtes Prinzip, Ware rasch tauschen, wo sie nicht läuft. „Aber wenn sie läuft, muss schnell nachgeliefert werden können, diese Schnelligkeit ist unser Wettbewerbsvorteil“, erklärt Haertel. „Deshalb legen wir als Agentur die Bestseller aus einzelnen Kollektionen auf Lager, sodass der Händler sie sofort von uns nachziehen kann. Wir gehen hier mit hohem Budget ins Risiko, was sich aber bisher immer gelohnt hat.“ Peter-Boy Weber ist für das Modehaus Ehlers in Wyk auf Föhr auf unbedingte Zuverlässigkeit angewiesen. „Ich brauche den Winterpulli früh, denn wenn die Kundin ihn schon in Hamburg oder München gesehen hat, ist es hier auf der Insel zu spät“, liefert er ein Beispiel. „Für mich ist es ein klarer Imagegewinn, wenn ich die neuesten Sachen früh habe. Kommt die Ware für Winter erst Mitte September, kann das zu spät sein. Dann braucht es eine Sonderregelung mit der Lieferantenseite.“ Mit seinem Geschäft hat er sich mit der letzten Saison einmal mehr auf Premium spezialisiert. Das schützt ihn nicht vor Preissensibilität, die jetzt unisono enorm zugenommen hat. „Es gibt eine psychologische Preisschwelle, die weniger denn je überschritten werden darf“, so Peter Haertel. „Ich brauche Qualität, aber zum richtigen Preis. Unser Endverbraucher ist bereit, viel auszugeben – aber er möchte auch wissen wofür.“ Lang vorbei ist die Blütezeit im Outerwearmarkt, zu der die Konsumenten ohne zu zögern viel Geld für Markenjacken hingeblättert haben. Doch für Kollektionen wie Save the Duck aus Italien ist die Krise eine Chance: Weil sie mit einem frisch-unverbrauchten Namen, dem Bewusstsein für Nachhaltigkeit und last but not least einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis plus hoher Kalkulation punktet. „Der Bestandskunde kauft bei uns 20 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr. Wir haben die Saison mit einer Exportquote von 40 Prozent abgeschlossen“, sagt Daniela Holnsteiner, die für den internationalen Vertrieb von Save the Duck zuständig ist. „Wir haben keine Märkte in Europa, wo unser Produkt nicht funktioniert. Wir entwickeln uns sehr global – und, was auch positiv ist: Wir werden in keine Schublade gesteckt.“ Damit das Label weiter gesund wächst, gilt es, den Vertrieb selektiv und sensibel auszuweiten. „Gerade in einem übersättigten Markt ist es wichtig, nicht von der eigenen Positionierung abzurücken“, weiß Daniela Holnsteiner. „Umso größer ist die Glaubwürdigkeit der Marke.“ Vom Vertrieb hängt sehr viel ab, ist Peter-Boy Weber ebenfalls überzeugt. „Wir haben die Marken im Sortiment verstärkt, die nicht mit Macht auf den Markt drücken, sondern sich ihre Individualität erhalten und so für den Premiumhändler interessant bleiben. Dann gibt es auch kein Problem mit den Abverkäufen.“

Innovation? Ein Muss Um besonders zu sein, ist Innovation ebenfalls unerlässlich, in den Kollektionen, im Handel. Muss dann auch so oft Neues im Laden sein, wie es die Vertikalen vorleben? Verschiebt sich das Budget des Handels stärker in Richtung Kurzfristiges –oder in Richtung NoS? Oliver Feske führt in seiner Agentur das dänische Label Minimum. „Die Kollektion hat ein super Stockprogramm und die Händler profitieren davon. Vielen ist es wichtig, die Bestseller in der Saison nachziehen zu können.“ Dazu kommen bei Minimum vier Ordertermine jährlich, nicht nur für Oliver Feske ist das ein guter Rhythmus. Save the Duck soll jetzt schneller getaktet werden. Das Ziel sind sechs bis acht Ordertermine mit vier Pre- und Haupt- und zwei bis vier Flashkollektionen, die auch über einen virtuellen Showroom zu beziehen sein sollen. „Wichtig dabei ist aber, dass jede Kollektion sich auf ein Thema spezialisiert, das der Handel zu diesem Zeitpunkt braucht, wie zum Beispiel ein Fake-Lederprogramm im Oktober“, so Holnsteiner. „Und da sich die Kollektionen sehr voneinander unterscheiden, entsteht auch kein Warendruck.“ 15 Prozent Spielgeld hatte sich Andreas Weitkamp für die laufende Saison zurückbehalten, für alles, was ihm spontan

Peter-Boy Weber, Geschäftsführer Modehaus Ehlers: „Ich muss mich auf Absprachen verlassen können, ich brauche die Bereitschaft für Sonderregelungen.“ Daniela Holnsteiner, Exportmanager Save the Duck: „Für mich auf Labelseite muss ein bestimmtes Vorordervolumen da sein. Umso mehr Service kann ich geben.“

Peter Haertel, Geschäftsführer Agentur Vestitus: „Marken, die nicht richtig betreut werden, haben heute keine Chance mehr.“

gefällt. „Allerdings glaube ich nicht, dass ich in der Saison von den starken Marken noch mal neue starke Flashware bekomme – ebenso wenig wie ich daran glaube, dass wir uns mehr in Richtung Ready to wear bewegen müssen. Wenn meine Winterware erst im November kommt, was hätte ich beispielsweise die letzten drei Augustwochen verkaufen sollen? An einem Montag hatten wir 16 Grad, ein Bombentag, um Outerwear zu verkaufen. Am Freitag 32 Grad. Hätte ich da die Winterjacken raus und die Badehosen wieder reinhängen sollen?“ Im Modehaus Schnitzler gehören Kollektionen wie Dorothee Schumacher, auch Armani und Stone Island zu den starken Komplettlookanbietern. „Aber es verschiebt sich stärker von Weltmarken weg und hin zu Nischenlabels“, so Weitkamp. Wird das Produkt wichtiger? Und damit auch die Produktspezialisten? „Absolut“, antwortet Weitkamp. „Ich denke, dahinter steckt auch eine soziologische Entwicklung. Die Leute erwarten heute so viel mehr Qualität für ihr Geld. Das zeigt sich ja auch stark in der Gastronomie. Für Zweit- und Drittklassiges wollen sie kein Geld mehr ausgeben.“ Klasse statt Masse ist auch Peter-Boy Webers Maxime. Ende September hat er noch einmal einiges an Cruisecollections in Mailand geordert. Für ihn ist das mittlerweile der Hauptanteil der Order, zumal er die Lieferpünktlichkeit der Italiener sehr lobt. Statt großer Kollektionen setzt er stärker auf unbekanntere Namen und Nischenlabels. „Die brauchen wir als Multibrandhändler, um die eigene Dachmarke zu stärken und um unser Profil zu schärfen.“ Bei Einwaller dagegen haben große Namen wie Chloé, Dolce & Gabbana, vor allem aktuell Gucci nichts von ihrer Zugkraft eingebüßt. Die großen Designer stehen nicht nur stark für Innovation, sondern sie sind das Aushängeschild von Einwaller, was nicht nur der Lage der Einwaller-Stores geschuldet ist, die sich am Tourismusstandort Innsbruck auf dem Weg zum Stadtwahrzeichen Goldenen Dachl gruppieren. „Das bringt uns beispielsweise viele asiatische Kunden in die Geschäfte, zusätzlich zu der einheimischen Stammklientel“, so Theresa Minatti-Einwaller. „Du musst heute so viel genauer wissen, wer dein Kunde ist und was genau er will.“ Theresa Minatti-Einwaller hat wie viele andere erfolgreiche Händler nicht einfach die Order reduziert, sondern sie hat sich in der Order konzentriert. „Einfach überall nach Rasenmäherprinzip weniger zu ordern, bringt aber meiner Meinung nach nichts. Da folgen wir im Unternehmen lieber dem Leitsatz meines Vaters Josef Einwaller: Wer keine Ware einkauft, kann auch keine verkaufen.“ Was ist ihr wichtiger: Bauch oder Kopf bei Einkaufsentscheidungen? „Du musst dir die Zahlen schon anschauen, aber am besten gleich wieder vergessen“, so Theresa Minatti-Einwaller. „Es braucht viel mehr Emotion, damit das Sortiment nicht ausschaut wie bei den anderen. Wir stehen für Farbe, aber manchmal bremst dann der Vertrieb. Wen wundert es dann, dass der Kunde nicht die x-te Jacke in Beige oder Dunkelblau kauft! Wir haben als stationärer Einzelhandel irrsinnig große Möglichkeiten, und die fangen im Einkauf an.“

Wer überrascht, gewinnt Aber nicht nur da gibt es Potenzial, das es auszuschöpfen gilt. „Die Kunden wollen konsumieren – doch oft fehlt die Spannung im Geschäft“, meint Oliver Feske. „Wir verstehen uns schon länger als Lifestyleagentur und stellen in unserem neuen Showroom eine 100 Quadratmeter große Conceptstore-Fläche vor, mit Büchern, Elektronik, Schnaps, Duftkerzen, Seife und Möbeln. Darauf haben wir bereits sehr gutes Feedback bekommen.“ Es geht um das Besondere, auch das Unerwartbare. Darin sieht auch Andreas Weitkamp seine Chance im Multibrandgeschäft. „Du musst, damit das Haus spannend bleibt, ins Risiko gehen, gerade in unsicheren Zeiten“, sagt er. „Der Kunde muss überrascht werden, sonst kann er sich ja gleich auf dem Sofa durch sämtliche Onlineshops klicken. Die Überraschung ist das wichtigste Element – und der größte Fehler ist es, immer auf Nummer sicher zu gehen.“

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