11 minute read

Rein in die Nische

Next Article
Komplett

Komplett

Die Hosen sind von Levi’s und Carhartt, die Jacken von Schott und Mackintosh, die Anzüge von Brioni, der Rucksack von Eastpak, die Schuhe von Manolo Blahnik und Dr. Martens. Nein, dies ist kein extravagant sortierter Multilabelstore, sondern die Show des Pariser Designer-Kultlabels Vetements, die im Juni in den Galeries Lafayette über die Bühne ging. Für Head Designer Demna Gvasalia war eines ausschlaggebend: Für die einzelnen Produktgruppen wählte er beispielhafte Spezialisten. Selbst die Power einer Luxusmarke kann wenig gegen deren Expertise ausrichten. „Es ging darum, das absolut typische Produkt jeder Marke herauszusuchen und es in unserem Kontext weiterzuentwickeln“, so Gvasalia – und viele waren bei dem Experiment gerne dabei. Was paradigmatisch für die Luxusmarke zu funktionieren scheint, findet auch im Premiumsegment seinen Widerhall. Viele Händler haben genug von Marken mit profillosen, austauschbaren und überdies meist zu großen Kollektionen, bei denen man nicht mehr weiß, wofür sie eigentlich stehen und welches Teil daraus man ordern soll. In dieser Saison wurde oft Was kannst du wirklich gut? Diese Frage stellte sich so mancher im Handel und der Industrie in der vergangenen Saison. Everybody’s Darling zu sein, ist nicht die Lösung. Unterschiedliche Strategien führen zum Erfolg, aber ein gutes Produkt scheint schon mal die halbe Miete zu sein. Text: Ina Köhler. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler. Fotos: Gesprächspartner

über das „zu viel“ diskutiert: Zu viele gleiche Kollektionen, zu viel Ware, zu viele Wege, zu viele Ordermöglichkeiten. Spezialisierung und Fokussierung scheint ein Weg aus der Misere. „Die Händler haben keine Lust mehr darauf, gegängelt zu werden“, meint Valentino de Luca von Lucky de Luca. „Viele Gespräche drehten sich um Minimums – warum sollte ein Händler in jeder Saison mehr von einem Produkt kaufen, wenn es noch nicht mal gut ist?“ Und: „Wer will denn noch von Kopf bis Fuß in der gleichen Marke herumlaufen, von der Sonnenbrille bis zum Schuh? Das ist doch nicht mehr zeitgemäß.“ Warum also sollten Marken und Händler nicht das tun, was sie richtig gut können?

Glücklich mit einer Produktgruppe Viele arbeiten jetzt schon erfolgreich so und verzichten dabei ganz bewusst auf eine breitere Kollektion. Ein Beispiel ist der Oberteilspezialist Better Rich: „Unsere Kunden bekommen bei uns cozy Oberteile aus bester Baumwolle oder feinen italienischen Garnen, die perfekt kombinierbar sind“, sagt Carina Wyen, tätig im Marketing der Brand. „Seit 2009 machen wir immer das Gleiche – was aber auf keinen Fall bedeutet, dass alles gleich bleibt. Wir orientieren uns bei der Erstellung der Kollektionen gezielt am herrschenden Zeitgeist und den modischen Veränderungen, die im Markt zu erspüren sind.“ Normalerweise geht der Weg erfolgreicher Labels dann sehr oft in die Breite. Nicht so bei Better Rich: „Häufig werden wir nach Produkterweiterungen wie Hosen oder Jacken gefragt. Aber das, was wir machen, machen wir richtig und nicht einfach, weil es gefragt wird. Gerade das kommt bei unseren Kunden an und verschafft somit Sicherheit auf allen Seiten.“ Better Rich ist ein Beispiel von vielen Unternehmen, die bei ihrem Leisten bleiben. In Bezug auf Jacken kann man Parajumpers nicht viel vormachen, denn darauf ist man seit der Gründung spezialisiert. „Technologie und Funktionalität unserer Produkte war immer unser erster Fokus“, meint Ermanno Paulon, CEO von Ape & Partners, dem Unternehmen hinter Parajumpers. „Die Qualität der Materialien und der Finishings sind die Elemente, mit denen wir unsere Teile auf dem Toplevel des Marktes positionieren. Unsere Produkte sind dafür gemacht, dass sie viele, viele Jahre halten, der Fokus liegt auf Langlebigkeit sowohl im Style als auch in der Produktion.“ Das schafft Selbstbewusstsein, aber wäre nicht eine breitere Kollektion die logische Weiterentwicklung? „Wir wollen immer ein hohes Qualitätslevel garantieren, insofern fokussieren wir uns auf Produkte, von denen wir wissen, dass wir sie sehr gut realisieren können“, hält Paulon dagegen. „Das ist unsere Strategie, die uns die Möglichkeit gegeben hat, in jedem Jahr zu wachsen.“

Spezialitäten – kein Gemischtwarenladen Es scheint in der Branche eine Rückbesinnung auf alte Tugenden zu geben. Denn kaum etwas ist heute so fatal, wie Everybody’s Darling für alle Kunden sein zu wollen. Wer alles kann, kann eben nichts richtig wirklich gut. Bietet der Imbiss chinesisches, bayerisches und türkisches Essen parallel an, endet es im Einheitsbrei. Der schmeckt keinem mehr – weder Einkäufern noch Kunden. „Wenn auf einer Speisekarte zu viele Gerichte stehen, dann kann nichts gut sein. Wir liefern ein bis zwei Gerichte in der besten Qualität“, erklärt Valentino de Luca, der mit Lucky de Luca und Barb’one zwei erfolgreiche

„Zeit ist Geld. Einkäufer haben keine Lust mehr, 400 Musterteile zu sichten, um dann drei auszuwählen.“ Matthias Schwarte, Agentur Schwarte

Spezialiäten etabliert hat. „Unser Motto von Beginn an: Fokussierung auf ein tolles Produkt, eine sehr gute Produktion, exzellente Materialien und Finishings.“ Deren Qualität wissen viele Händler und Endkunden zu schätzen. Und weil es mit den Hemden so gut lief, wurde mit dem Hosenlabel Barb’one noch eins draufgesetzt: „Die Händler haben uns unterstützt und vertraut, dass wir es hinkriegen. So haben wir aus dem Stand geschafft, eine Nische zu besetzen.“ Als Hemdenmarke liefert Lucky de Luca lediglich vier bis fünf Modelle für Männer und Frauen in unterschiedlichen Qualitäten. Eine bewusste Reduktion. Das gilt auch für die Vororder. Wenn das Produkt ausverkauft ist, gibt es keine Nachlieferung. „Wir gehen den anderen Weg und wollen lieber langsam und stetig das Business erweitern. Bei mir kann man auch mal nur 30 Teile bestellen – das funktioniert. Die Branche muss umdenken“, meint de Luca.

Klares Profil = glückliche Kunden Die Einsicht, dass große Kollektionen zu viele materielle und personelle Ressourcen binden, greift um sich. Für die Marken sind die Kosten einfach zu hoch, wenn aus einer riesigen Musterkollektion letztlich nur

„Wenn uns der Kunde glücklicher verlässt, als er den Laden betreten hat, haben wir alles richtig gemacht.“

Max Schoenberg, Fifty-6, Saarbrücken

ein kleiner Teil ausgewählt und dann produziert wird. Auch dem Einkäufer hilft es nicht weiter. Matthias Schwarte hat dies in seiner Münchener Agentur beobachtet: „Der Einkäufer muss in drei Minuten verstehen, worum es geht. Zeit ist Geld, Einkäufer haben keine Lust mehr, 400 Musterteile zu sichten, um dann drei auszuwählen. Die Marke ist oft nicht so entscheidend. Wenn das Produkt gut ist und sich selbst erklärt wie People of Shibuya, hat man ganz schnell die Einkäufer mit im Boot. Der Kunde sucht klare, fokussierte Produkte, die Spannung ins Sortiment bringen. Unsere Daseinsberechtigung als Agentur liegt darin, ihm diese zur Verfügung zu stellen.“ Auch im Handel profitieren diejenigen, die besondere Artikel zeigen. Max und Romy Schoenberg betreiben in Saarbrücken ihre sechs Fitfty-6-Läden mit Schuhen und Bekleidung – jeder individuell mit einem jeweils eigenen Konzept für ganz unterschiedliche Kunden. Das bedeutet einen Einkaufsmarathon, den die Inhaber persönlich absolvieren. Für sie ist er die vorweggenommene Kür durch die Showrooms Europas. „Wir legen in acht Wochen Einkauf pro Saison den Fokus auf das Ordern von Ware, die das Versprechen von Mode und Qualität erfüllt – mit einer enormen Bandbreite an Marken, aber immer mit der Ausrichtung, topmodisch und tragbar zu sein“, erklärt Max Schoenberg. Das bedeutet harte Detailarbeit für jedes einzelne Teil und ein hoher Aufwand, der sich nicht für austauschbare Produkte rechtfertigt. Für Schoenberg zählen Werte wie Service und Einzigartigkeit. „Alle 45 Mitarbeiter müssen mit der Überzeugung, die richtige Ware in Griffweite zu haben, den Kunden als Menschen glücklich machen. Wenn uns dieser glücklicher verlässt, als er den Laden betreten hat, haben wir alles richtig gemacht.“

Die richtige Wahl des Spezialgebiets Als Spezialist hat sich auch die Agentur Panorama Europe mit Produkten wie Schott NYC, Penfield oder Espadrij l’originale etabliert. Seit vergangenem Jahr auch mit dem eigenen Store Selekteur in der Düsseldorfer Altstadt, wo es neben Bekleidung auch andere wertige Produkte aus europäischen Manufakturen gibt – vom Taschenmesser bis zur Seife. „Im Handel

„Wer will denn noch von Kopf bis Fuß in der gleichen Marke herumlaufen, von der Sonnenbrille bis zum Schuh? Das ist doch nicht mehr

zeitgemäß.“ Valentino de Luca, Lucky de Luca kann man als Spezialist für ein bestimmtes Thema besser auf die Kunden eingehen“, meint Geschäftsführer Felix Staeudinger. „Da online prinzipiell alles verfügbar ist, sollte der stationäre Store ein Statement setzen und Topprodukte der Spezialisten anbieten. Er sollte für etwas stehen, eine eigene Handschrift haben. Das gilt im Prinzip auch für unseren Laden Selekteur in Düsseldorf. Wir zeigen hier Produkte von Manufakturen, die durch die Qualität ihrer Produkte zu Marken geworden sind. Für uns ist es eine super Fläche, um Erfahrung mit Produkten im direkten Kontakt mit dem Endkunden zu sammeln – das hilft uns sehr in der Arbeit im Großhandel. Als Händler und auch als Distribution sollte man grundsätzlich überlegen, wie man sich differenzieren kann – der Charakter eines Shops muss spürbar sein.“ Und wie etabliert man ein Spezialprodukt im Handel? Mit Schott NYC sei man zunächst über das Kernprodukt, die Bomberjacke, eingestiegen, so Staeudinger. „In Frankreich ist die Marke bereits sehr stark, da

„Wir fokussieren uns auf Produkte, von denen wir wissen, dass wir sie sehr gut realisieren können.“

Ermanno Paulon, Parajumpers

funktionieren dann auch andere Produkte.“ Der Vorteil sei, dass man als Spezialist diese Produkte auch dann noch verkaufen könne, wenn sie nicht mehr von allen anderen modischen Anbietern angeboten würden. Das gelte im gleichen Maße auch für Produkte wie Espadrij l’originale. „Wir möchten keinen Total Look anbieten, aber beispielsweise ein Lifestylekonzept, das sind etwa Artikel rund um die Côte d’Azur. Der Kunde kann so in eine neue Welt eintauchen und für ein paar Sekunden den Alltag vergessen.“

Kontrolle der Produktion Viele gute Spezialisten zeichnen sich durch die Kontrolle der Produktion aus. „Wir waren immer schon fokussiert auf unser Kerngeschäft Cashmere-Strick und SeaCell-Cashmere“, sagt Andreas Knezovic, der sich mit FTC durch die eigene Produktion einen Namen gemacht hat, was in dem Markt einzigartig ist. Das Unternehmen bietet Cashmere-Produkte vollstufig an und hat alle Produktionsschritte in der eigenen Hand – von den eigenen Ziegen über die Arbeit mit den Farmern, die Spinnerei bis hin zum fertigen Produkt. „Man kann es gut mit einem Wein vergleichen: Wenn der gut werden soll, muss sich der Winzer um alles kümmern – vom Boden über die Rebe bis hin zum Keltern. Dann entsteht auch ein gutes Produkt. Wir übernehmen Verantwortung,

„Als Komplettanbieter müssen wir in den einzelnen Produktgruppen mindestens so gut sein wie die Spezialanbieter.“

Thorsten Stiebing, Joop auch für die Mitarbeiter, die vor Ort für uns arbeiten.“ Durch die eigene Produktion kann er schnell und passgenau liefern und sehr individuelle Kundenwünsche erfüllen. „Wenn ein Partner für einen Endverbraucher ein spezielles Produkt braucht, können wir es ihm liefern. Wir reden grundsätzlich mit unseren Partnern immer über Geschwindigkeit, Service und Qualität, und das setzt sich langfristig durch. Wir haben beispielsweise erstmals Joyce in Hongkong bedient.“ Schon vor einem Jahr wurde die Kollektion von 120 auf rund 80 Teile reduziert, das erlaube noch schnelleres Agieren und spare Kosten. Wichtiger als die massive Steigerung der Stückzahlen ist Inhaber Knezovic ein respektvoller und wertschätzender Umgang mit den Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen. „Cashmere kann kein Massenprodukt sein. Was wir anbieten, ist bezahlbarer Luxus, darin sehen wir ein großes Zukunftspotenzial.“

Die Nische komfortabel ausbauen In der Nische ist der Markt zwar umkämpft, allerdings hat es auch viele Vorteile. Man kennt das Produkt in- und auswendig und sieht Dinge, die anderen

„Es geht darum, zu erfahren, was der Konsument von uns als Hosenspezialisten letztlich erwartet.“

Marco Lanowy, Alberto

„Im Handel kann man als Spezialist für ein bestimmtes Thema besser auf die Kun

den eingehen.“ Felix Staeudinger, Panorama Europe, Selekteur, Düsseldorf

möglicherweise entgehen. „Wir machen das Thema Hose, bis uns dazu nichts mehr einfällt“, meint Marco Lanowy, Geschäftsführer von Alberto denn auch eher im Scherz. Schon früh hat man bei dem Hosenspezialisten den langfristigen Trend zu schlankeren Passformen vorausgesehen und den Herrenjeans, die heute 65 Prozent des Angebots stellen, einen kleinen Elasthan-Anteil beigemischt. Das macht die Hose komfortabel, ohne dass es nach Stretchhose aussieht. Im Golfbereich hat man sich über die Jahre hinweg zum Marktführer bei Hosen entwickelt. „Das liegt daran, dass wir uns sehr intensiv und bis ins Detail mit dem Produkt und seiner Anwendung im Alltag auseinandersetzen.“ Die neueste Entwicklung ist eine Bike Jeans, die etwas höher geschnitten ist und mit Reflektoren arbeitet. Ab Oktober eröffnet Alberto in Mönchengladbach einen Conceptstore, um im direkten Kontakt mit dem Endverbraucher, noch mehr über dessen Bedürfnisse zu erfahren. „Es geht uns darum, Dinge zu testen und und zu erfahren, was der Konsument von uns als Hosenspezialisten letztlich erwartet.“

Komplettanbieter in Konkurrenz zu den Spezialisten Am spannendsten ist die Frage nach dem Fokus für Komplettanbieter wie Joop, dessen

„Wir reden grundsätzlich mit unseren Partnern immer über Geschwindigkeit, Service und Qualität und das setzt sich lang

fristig durch.“ Andreas Knezovic, FTC

Kollektion in der aktuellen Saison sichtbar weiterentwickelt wurde. Für Thorsten Stiebing, Managing Brand Director ist die Antwort klar: „Wir haben mehr Zeit ins Produkt investiert und sind ins Detail gegangen, gerade bei den Produktgruppen Mantel, Jacke und Anzug. Als Komplettanbieter müssen wir in den einzelnen Produktgruppen mindestens so gut sein wie die Spezialanbieter.“ Das heißt im Umkehrschluss nicht eine größere, sondern eine konzentriertere Kollektion. „Vor einem Jahr haben wir bei allen Produktgruppen jedes Teil in die Hand genommen“, so Stiebing. „Lieber nur zehn Jacken zeigen, die top sind, als 15 generische. Die Kunst des Weglassens ist wichtig, denn dadurch entsteht Qualität. Wir wollen als Marke das Markenversprechen liefern und setzen daher auf Qualität. Wenn Marke, dann funktioniert sie nur mit einem guten Produkt.“ Eine Herausforderung, die bei Joop im Ergebnis gelungen sei, so Stiebing. „Wir haben für die Kollektion Komplimente bekommen; es war wohl sehr leicht für unsere Kunden, etwas Passendes auszusuchen.“

This article is from: