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Ein Tag mit… einem Schneekatzenfahrer

Das Skigebiet Gitschberg Jochtal ist Konrad Unterkirchers Revier. Unterwegs mit einem, der Tag und Nacht auf der Piste ist

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Text — MARIANNA KASTLUNGER Fotos — MICHAEL PEZZEI

„So ein Gerät macht Spaß. Bis man es allerdings richtig beherrscht, dauert’s a narrische Zeit.“

Das Skigebiet Gitschberg Jochtal liegt zwischen 1 300 und 2 500 Meter Meereshöhe und bietet Skivergnügen auf über 55 Pistenkilometern.

Unterkirchers Schneekatze ist zehn Meter lang, 14 Tonnen schwer und kostet eine halbe Million Euro. Sie verfügt über 530 PS, zwei Antriebsmotoren und eine Arbeitsbreite von sechs Metern.

3:00 Uhr

Wenn Wind, Sturm, Sonne, Schnee und Regen den Joballtag bestimmen, ist Flexibilität gefordert. Konrad Unterkircher ist ein sehr flexibler Mensch. Er muss es sein. Es geht nicht anders. Legt sich nachts eine zentimeterdicke Schneedecke über die Pfunderer Berge, dann steht der 62-jährige Pistenchef zusammen mit zwei Kollegen noch bei Dunkelheit am Südhang. So wie auch heute Nacht. Fünfeinhalb Stunden haben sie nun Zeit, mit ihren Schneekatzen den Neuschnee platt zu walzen. Fünfeinhalb Stunden Präzisionsarbeit. Volle Konzentration. Erst wenn für die Skifahrer der neue Pistentag anbricht, macht Unterkircher Pause. Pause, nicht Feierabend, denn der Tag ist noch lang. Er hat ja gerade erst angefangen. „Einen typischen Arbeitsablauf?“ Der Mann lacht. „Gibt es nicht“, sagt er dann.

11:30 Uhr

Unterkircher ist alles in einem: Pistenchef, Schneekatzenfahrer, Pistenaufseher. Irgendwie gehört er hier zum Inventar – seit Jahrzehnten schon. Sein Arbeitsplatz, das Skigebiet Gitschberg Jochtal, liegt zwischen 1 300 und 2 500 Meter Meereshöhe und bietet Skivergnügen auf über 55 Pistenkilometern. Aufgewachsen ist er auf dem elterlichen Bauernhof im benachbarten Weitental, der Umgang mit Raupenfahrzeugen und Baggern faszinierte ihn aber schon als Jugendlicher. Die Nacht, die Wolken, der Schneefall sind vorüber. Die Sonne strahlt, Unterkircher ebenso. Er hat die Katze mit den Skiern eingetauscht. Schaut man ihm zu, wie er über die Pisten wedelt, dann sieht das nicht nach Arbeit aus. Ist es aber. „Pistencheck“, sagt er und erklärt seine tägliche Inspektion: Er muss und will die Schneelage auf allen Abfahrten persönlich überprüfen.

Vor der Gitschhütte stellt Unterkircher seine Skier ab. Sein Sohn Meinrad betreibt seit 15 Jahren die Hütte, heute findet auf der Terrasse eine Après-Ski-Party statt. Der Vater ist nicht nur Pistenmann, sondern auch gelernter Koch. Er hilft überall, wo er gerade gebraucht wird, kennt hier oben viele Leute und grüßt alle freundlich. „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“, tönt es aus den Lautsprechern. Der Sohn eilt von der Theke in die Küche. Der Vater versorgt derweil die Gäste mit Käseknödeln, Omeletten und Gulasch.

14:11 Uhr

Unterkircher begutachtet die Schneekatze, die er am frühen Morgen hinter der Gitschhütte abgestellt hat. Das Ungetüm hat viele Namen: Pistenraupe, Pistenwalze, Pistenfahrzeug, Pistengerät. „Schneakåtz sagen wir in Südtirol“, sagt Unterkircher. Ein Führerschein Klasse C und eine zusätzliche Ausbildung für Raupenfahrzeuge sind erforderlich, um die Schneakåtz lenken zu dürfen. Schon seit den frühen Siebzigern ist Unterkircher mit solchen Maschinen unterwegs – im Winter fast jeden Tag. Im Laufe der Jahrzehnte nutzte er zwölf verschiedene Modelle, Gefallen fand er an allen: „So ein Gerät macht Spaß. Bis man es allerdings richtig beherrscht, dauert’s a narrische Zeit.“ Samt Fräse ist Unterkirchers aktuelles Exemplar knapp zehn Meter lang, 14 Tonnen schwer und kostet eine halbe Million Euro. 530 PS, zwei Antriebsmotoren. Eine Arbeitsbreite von sechs Metern. Jeden Tag muss das Fahrzeug gewartet werden: Ist der Wasserstand in Ordnung? Ist genug Treibstoff im Tank? Unterkircher prüft auch die Hydraulik und den Motorölstand. Die Schneekatze ist bereit für den Einsatz.

Wussten Sie …

… dass sich das Wort „Ski“ vom altnordischen Wort „skíð“ ableitet, das „gespaltenes Stück Holz“ bedeutet?

… dass Archäologen in China 5 000 Jahre alte Malereien gefunden haben, die unsere Vorfahren beim Skifahren zeigen?

… dass es weltweit über 2 000 Skigebiete mit insgesamt rund 27 000 Liftanlagen gibt? Ein Drittel davon befindet sich in den Alpen.

… dass der Skigeschwindigkeitsrekord bei 255 Stundenkilometern liegt? Die durchschnittliche Skigeschwindigkeit beträgt etwa 50 Stundenkilometer.

„Das Gelände sollte man in- und auswendig kennen“, sagt Konrad Unterkircher, „um sich auch bei Nebel oder Schlechtwetter zurechtzufinden.“

16:15 Uhr

Der Gitschlift stoppt. Die letzten Skifahrer schwingen sich über die Piste ins Tal hinab. Langsam wird der Berg wieder menschenleer. Unterkircher funkt seine beiden Kollegen an. Nun sind alle drei Maschinen startklar – und legen erneut los. Die Präparierung des Pistenbereiches um den Gipfel herum erledigen sie gemeinsam, ihr Auf und Ab sieht kurz vor der Dämmerung aus wie ein Synchrontanz. Die Schneekatzen schnurren dabei überraschend leise. Vor der letzten Abfahrt in diesem Abschnitt macht Konrad noch einen Abstecher zur Aussichtsplattform. Das Panorama gibt den Blick in alle Himmelsrichtungen und auf über 500 Gipfel frei: zu den Pfunderer Bergen, aber auch auf die Dolomiten und die Plose. „Schian, net?“, sagt er und hält kurz inne. Dann geht’s zurück an die Arbeit.

Viel Platz zum Wenden gibt es nicht. Unterkircher manövriert die Maschine konzentriert entlang der schroffen Abgründe. „Heute ist die Sicht gut, da kommt man leicht zurecht“, sagt er. Die Fahrerkabine ist komfortabel, ein Bordcomputer erleichtert die Steuerung und ermittelt laufend Daten zur Höhe der Schneedecke, die gerade geplättet wird. „Das Gelände sollte man trotzdem in- und auswendig kennen“, sagt Unterkircher, „um sich auch bei Nebel oder Schlechtwetter zurechtzufinden.“

17:15 Uhr

„Alfred, hier ist kein Mensch mehr, nur noch die Hüttenarbeiter“, gibt Unterkircher per Funk an einen Kollegen durch. Mittlerweile haben alle 15 Bahnen im Skigebiet den Betrieb eingestellt. Die drei Pistenmänner sind nun allein unterwegs. Immer per Funk besprechen sie, wer welchen Abschnitt übernimmt. Falls sie dennoch Skifahrer auf dem Weg zur Talstation entdecken, warnen sie sich gegenseitig. Unterkircher übernimmt heute die Pisten Segerwiese und Nesselwiese. Dort gibt es Hänge mit bis zu 37 Prozent Steigung, zur Sicherheit setzt er die Seilwinde ein. Für gewöhnlich lässt sich diese ganz bequem

In ganz Südtirol gibt es rund 30 Skigebiete mit ca. 1 211 Kilometer Skipisten, die täglich für den Skibetrieb präpariert werden.

per Fernbedienung steuern – heute macht sie aber Faxen. „Das sind die Batterien“, vermutet der Pistenchef und springt aus der Fahrerkabine, um die Winde zu überprüfen. Er liegt richtig, tatsächlich streiken die Batterien. Er dreht die Winde also eigenhändig vom Fahrzeug weg, zieht das Metallseil mit dem schweren Metallhaken ein paar Meter lang und hängt es an einem speziellen Zementpflock ein. Dieser dient nun als fixer Anker für das Raupenfahrzeug in der Steillage.

17:52 Uhr

In steilem Gelände unterstützt das knapp 1200 Meter lange Drahtseil das Pistenfahrzeug vor allem beim Bergauffahren. „Wenn es aber auf Zug geht, sollte niemand in der Nähe sein, das ist lebensgefährlich“, sagt Unterkircher und deutet just in der Sekunde nach oben, als die Winde das Seil wieder einzieht. Durch die zunehmende Spannung im Hang schießt das Seil plötzlich wie ein Peitschenhieb über die Piste. Deshalb legen die Pistenarbeiter immer erst nach dem Pistenbetrieb los. Die Hüttenwirte richten sich nach den Betriebszeiten der Bahnen, für Skitourenfans werden wöchentlich eigene Bereiche für Nachttouren gesichert.

Regelmäßig üben die Pistenprofis den richtigen Umgang mit der Seilwinde – auch erfahrene Fahrer wie Unterkircher. Den Job macht er schon seit 1972, eröffnet wurde das Skigebiet zwei Jahre zuvor. „Damals war ich der einzige Pistenmann. Ich musste mir alles selbst beibringen“, sagt er. Später übernahm er die Ausbildung seiner zukünftigen Kollegen. Was schätzt er an seinem Job am meisten? „Das unmittelbare Ergebnis, eine schöne Piste zu hinterlassen“, sagt er ohne Umschweife. Was gefällt ihm nicht? Er zuckt die Schultern. Lächelt zufrieden.

„Ich genieße das Panorama“, so Unterkircher, „bei jedem Licht und zu jeder Jahreszeit. Es gibt immer neue Facetten zu entdecken.“

20:45 Uhr

Stück für Stück werden die hügeligen Pisten zu platten, gleichförmigen Flächen. „Heute ist der Schnee weich und lässt sich leicht glattstreichen“, sagt Unterkircher. Es reicht also, wenn die Schneekatze ein einziges Mal über die Piste fährt. Heute liegt hier genügend echter Schnee, Kunstschnee dagegen kann hartnäckiger sein. „Den walzen wir bis zu drei Mal pro Nacht, bis er passt.“ Präzisionsarbeit. Unterkircher achtet besonders auf die Übergänge, damit die Ränder der gewalzten Flächen sauber mit dem Bereich daneben vermengt sind. „Nicht, dass Klumpen entstehen und sich über Nacht verhärten“, sagt er. Er macht keine Pause, er scheint keine Müdigkeit zu kennen. Langweilig wird ihm dabei auch nie: „Ich genieße das Panorama, bei jedem Licht und zu jeder Jahreszeit. Es gibt immer neue Facetten zu entdecken.“

21:00 Uhr

Durch die günstigen Temperaturen, die den Schnee so schön geschmeidig geformt haben, kommt der Feierabend heute schneller als an anderen Tagen. Konrad Unterkircher und seine Kollegen treffen sich zu einem gemeinsamen Abendessen, werfen aber immer wieder einen Blick auf den aktuellen Wetterbericht. Der Himmel hat sich wieder zugezogen. In der Nacht wird es wieder schneien. Sie müssen wohl wieder in aller Frühe raus. Dann beginnt alles von vorne.

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