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Südtirol für Anfänger Folge 2: Im Land der Out door-Fanatiker

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Nah am Himmel

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Südtirol für Anfänger

FOLGE 2:

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Mein Leben im Land der Outdoor-Fanatiker

A

„Der Südtiroler hat im Vergleich zu uns Normalsterblichen eine unglaublich gute Kondition.“ ls ich noch Übersetzerin war, war ein Teil meines Jobs das Beantworten englischsprachiger Online-Rezensionen für eine Berghütte. Mein Mann Lorenzo beantwortete die italienischen. Die Hütte lag auf fast 3 000 Meter Meereshöhe und direkt an einer Skipiste. Aber auch Nicht-Skifahrer konnten sie von der Seilbahn aus zu Fuß erreichen. Die Besitzer hatten die Wanderroute zur Hütte so beschrieben: „Wir befinden uns nur einen kurzen, angenehmen Spaziergang von der Bergstation des Lifts entfernt. Der Weg ist gut markiert und nicht zu steil. Gehzeit: 20 Minuten.“ Irgendwann stand auf dem Bewertungsportal die Rezension eines Mailänder Touristen. Er beschrieb den Weg als einen „fast lebensbedrohlichen“, vertikalen Aufstieg – und verglich sein Vorhaben, die Hütte zu erreichen, mit jenem von Sisyphus in der griechischen Mythologie, der gezwungen war, einen riesigen Felsbrocken bergauf zu rollen, nur um ihn wieder bergab rollen zu sehen. Und das für alle Ewigkeit. Eine Rezensentin aus New York war in ihrem Urteil weniger poetisch: „Nicht kurz. Nicht angenehm. Sicher kein Spaziergang. Sehr wohl zu steil. Kletterzeit: 60 Minuten. Wenn du ein olympischer Athlet bist.“ Daraufhin änderten wir den Text für Gäste aus ferneren Ländern: „Nicht-Skifahrer können die Hütte zu Fuß zu erreichen. Aber beachten Sie bitte, dass es sich um eine lange, sehr steile Wanderung im Hochgebirge handelt.“ Wenig später beschrieb ein britischer Wanderurlauber seinen „puren Horror“, als seine Frau bäuchlings über eine verschneite Wiese hinabrutschte – und unsanft in einem Schneehaufen landete. Da begann die Hütte, Abholungen mit dem Motorschlitten anzubieten. Dabei ist es ja nicht so, als seien diese Gäste unkoordiniert gewesen. Sie waren auch nicht alle in schlechter körperlicher Verfassung. Sie waren einfach keine waschechten Südtiroler. Tatsächlich offenbarte mir die schiere Anzahl solcher und ähnlicher Rezensionen eine universelle Wahrheit: Der durchschnittliche Südtiroler hat im Vergleich zu uns Normalsterblichen einfach eine unglaublich gute Kondition. Und ist daher völlig unzuverlässig, wenn es darum geht, Nicht-Südtirolern die Schwierigkeit einer Wanderung, Fahrradtour oder Skipiste zu vermitteln. Wenn meine amerikanischen Freunde zu Besuch sind, lassen sie sich oft von Einheimischen dazu inspirieren, diese oder jene gar nicht steile, ganz einfach vor dem Mittagessen zu erledigende Du-wirst-so-froh-sein-siegemacht-zu-haben-Wanderung zu unternehmen. Aber nachdem ich für einige zweifelhafte Erlebnisse verantwortlich gemacht wurde, habe ich gelernt, jene meiner Gäste, die sich nicht abschrecken lassen, mit Speckbroten und düsteren Warnungen auf den Weg zu schicken: „Spätestens nach den ersten fünf, sechs Stunden wird deine Lunge brennen. Dann wird dir schrecklich übel werden. Irgendwann wirst du Angst haben, dass deine Hirnzellen durch den Sauerstoffmangel absterben. Viele davon werden das auch, aber keine Sorge, der Mensch hat viel mehr davon, als er wirklich braucht. Aber es ist wirklich total schön da oben. Viel Spaß, bis heute Abend!“ Man muss einfach neidlos zugeben, dass Südtiroler einen unfairen genetischen Vorteil haben: Ihre Vorfahren

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