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KLAUSEN. DIE KÜNSTLERSTADT

Text: MARIA GALL PRADER

Das Thema „Klausen als Künstlerkolonie“ fasziniert und wäre an sich bereits programmfüllend. Wollte man auf alle Fragen zur Künstlerkolonie ausführlich antworten, so käme man bei einer Stadtführung gar nicht mehr dazu, die Altstadt mit ihren verwunschenen Winkeln und verschlafenen Seitenstraßen zu zeigen. So aber begeben wir uns zur Vertiefung in den ehemaligen „Lamplsaal“, der heute als Ratssaal dient und seit einiger Zeit auch den würdigen Rahmen für Ziviltrauungen und kleine Festakte bietet.

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Der leutselige Wirt Georg Kantioler hatte den Saal 1874 werbeträchtig in „Walthersaal“ umgetauft. Künstler wie Alexander Köster, Franz v. Defregger, Alois Gabl, Mathias Schmid, Robert Ruß hatten hier trotz des an der Wand nicht zu übersehenden Trinkspruches „Er hat nicht wohl getrunken, der sich übertrinket“ ausgelassene Abende gefeiert. Namen von Malern, deren Werke in der Alten Pinakothek in München zu bewundern sind, tauchen im berühmten Gästebuch vom „Gasthof zum Lamm“ auf. Der treueste Gast war wohl der Nürnberger Zeichner und Humorist Ernst Lösch, der zwei Büchlein über die liebenswerten, doch kauzigen Klausner schrieb.

Das Projekt „Kunst boden_nah“ lädt junge Künstler zum Leben und Arbeiten nach Klausen ein. Zurück bleiben Werke an öffentlichen Plätzen und Hauswänden, aber auch mancher erweiterte Blickwinkel.

Der Walthersaal ist ein Schmuckkästchen. Zweimal schon ist der Saal renoviert worden, heute noch sieht er aus wie vor 150 Jahren, als ihn Ernst Lösch und Charles Palmié mit ihren Freunden ausmalten. Abgesehen von ein paar funktionellen Zugeständnissen an die moderne Zeit hat sich bis heute wenig verändert, sogar der mächtige Kronleuchter aus einem eisernen Wagenrad – mit kunstvoll bemalter und beklebter Pappe – hängt noch da. Überbleibsel der launigen Künstlerrunde an einem feuchtfröhlichen Wochenende. Ehe es sich der Lamplwirt nämlich versah, hatten Palmié und seine Freunde den Künstlersaal in eine romantische Weinstube verwandelt. Lösch erzählte später, dass der gute Kantioler ob der eigenmächtigen Ausgestaltung seiner Gaststube etwas irritiert gewesen sei. Als er jedoch bemerkte, dass sich die fidelen Herren Maler über das eigene Werk freuten wie kleine Kinder, hätten sich „seine Stirnrunzeln“ wieder geglättet.

Die Häuser der Oberstadt schmiegen sich an den Felsen, auf dem Kloster Säben steht. In den Garten kommt man bei diesen Häusern – durch den Dachboden!

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war der Lamplsaal nicht die einzige Künstlerstube in Klausen. Gern frequentiert wurden auch die gotische Weinstube im „Mondschein“, das Atelier Gallmetzer am Pfarrplatz, das berühmte Klausner Batznhäusl – die „Rauterstube“ – im „Kreuz“, der Gasthof „zur Post“, das Atelier Rabensteiner und das Atelier Köster in Griesbruck. Auf diese Künstlerstuben weist nicht mehr viel hin; im heutigen Walthersaal hingegen erinnert immer noch eine Abbildung an Walther von der Vogelweide. Er war es auch, dem Klausen seine plötzliche Berühmtheit im späten 19. Jahrhundert verdankte. Als der Innsbrucker Professor Ignaz Vinzenz v. Zingerle (und mit ihm noch manch anderer Forscher) glaubte, am Innervogelweiderhof im nahen Lajen-Ried die Geburtsstätte des Minnesängers gefunden zu haben, zog er mit seinen wissenschaftlichen Artikeln und seiner überzeugenden Persönlichkeit Künstler aller Art aus Deutschland und Österreich ins Eisacktal. Sie kamen mit der neu errichteten Eisenbahn und entdeckten beim Aussteigen ein verschlafenes mittelalterliches Städtchen, das ihrem romantischen Geist entsprach: Klausen. Hier schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Hier sollten Maler, Schriftsteller, Bildhauer, Forscher fortan die Sommermonate verbringen und sich gegenseitig befruchten. Und hier an der Zughaltestelle beim Gasthof „Krone“ konnten sie bequem den nächsten Zug besteigen und wieder im Trubel der Großstadt untertauchen, falls sie der Idylle und Beschaulichkeit überdrüssig wurden.

Genauso wie die künstlerische Tätigkeit florierte in Klausen zur Jahrhundertwende die Gasthauskultur, Künstler wie Ernst Lösch und Charles Palmié vergnügten sich in den Gaststuben der Stadt.

3 × Kulinarik & Kultur in Klausen

1. KUNST BODEN_NAH

Das zeitgenössische Kunstprojekt bezeichnet sich als „Galeriekonzept, das an keinen festen Raum gebunden ist“: Internationale Künstler werden zum Leben und Arbeiten nach Klausen eingeladen, gegen Kost und Logis bevölkern die resident artists mit ihren Werken leer stehende Geschäftsräume und öffentliche Plätze der Stadt. Auch 2020 sind drei junge Künstler eingeladen (Ausstellung: 07.–14.08.2020). www.kunstbodennah.it

2. GASSLBRÄU

Eine der acht Südtiroler Wirtshausbrauereien befindet sich mitten in der Klausner Altstadt: Hier braut Norbert Andergassen Helles, Dunkles und Weizen nach dem Reinheitsgebot sowie kreative saisonale Biere wie das beliebte Kastanienbier. Dazu: solide Wirtshausküche. www.gassl-braeu.it

3. GOLDENE ROSE

Im ältesten Gasthaus der Stadt speist man wie einst die legendäre Klausner Künstlerkolonie. Auf einem alten Holzherd werden Gerichte von damals zubereitet, etwa Kutteln und Stockfischgröstl. Im mondäneren Felsenkeller genießt man dank natürlicher Belüftung eine Zigarre zum Gin. www.goldene-rose.it

Im aufgelassenen Kapuzinerkloster mit seinem ruhigen Innenhof befindet sich heute das Stadtmuseum, das mit wechselnden Ausstellungen an die Vergangenheit Klausens als Künstlerkolonie anknüpft.

Nach dem Ersten Weltkrieg war der Glanz der Künstlerkolonie jäh zu Ende. Klausen bemüht sich seit einiger Zeit intensiv, mit Sonderausstellungen des Stadtmuseums, der Aktion „Artists in Residence“, durch die Partnerschaft mit anderen Künstlerstädten und mit „Kunst boden_nah“ an die Blütezeit anzubinden. Heute zeigt sich ein überraschendes Phänomen: Klausens Kunst hat mit Sonya Hofer und Astrid Gamper eine weibliche Variante erhalten, Künstlerinnen! Ihre Themen sind tiefgründig. Mit winzigen Schichten umhüllt Astrid Gamper weibliche Körper und entblößt sie teilweise wieder, um im intensiven Bearbeitungsprozess zwischen Auftragung und Ablösung die Verwundbarkeit und Stärke der Frau offenzulegen. Sonya Hofer experimentiert zurzeit mit Ton und Muscheln als Symbol für den Ursprung des Lebens.

Wir verlassen nun den Lamplsaal und werfen beim Hinausgehen einen Blick auf das wunderschöne alte Gasthausschild. In der Stadt hängen überall noch kunstvolle eiserne 12 Gasthausschilder, auch an Häusern, die längst keine Gäste mehr empfangen – wie das „Mondschein“, der „Graue Bär“, das „Weiße Rössl“. Auf der Straße gegenüber sehen wir das zinnengeschmückte Gasthaus „Walther von der Vogelweide“, schon in uralter Zeit als Gastwirtschaft und Badestube für betuchte Bürger erwähnt. Seine Vorderseite zum Eisack hin fasziniert durch die herrschaftliche Fassade mit dem Fresko des Minnesängers. Der Lamplwirt Kantioler hatte das ehemalige Löwenwirtshaus als Dependance gekauft und umgetauft. Berühmt wurde es wegen des mediterranen „Walthergartens“, der bis zum Eisack reichte und zum erholsamen Treff der Künstlerrunde wurde. Heute ist die „Vogelweide“, wie sie die Klausner liebevoll nennen, vor allem für ihre wunderschöne Terrasse bekannt. Und der junge Gastwirt Simon Rabensteiner ist auf dem besten Wege, die Zimmer in ein kleines Art-Hotel umzuwandeln.

Wenn wir nun die lange Gasse der Oberstadt südwärts wandern, fällt uns linker Hand ein dunkelgrün getünchtes Gebäude auf, das mit seinen knapp drei Metern das schmalste Haus in Klausen ist. Hundert Quadratmeter ausgetüftelten Wohnraums auf fünf Etagen bietet es; ganz unten befindet sich ein Felsenkeller. Steigt man über die nahe Tränkgasse zur Eisackpromenade hinunter, sieht man den kleinen Garten, der zum Haus gehört: ein kiesiger, rechteckiger Fleck mit einem alten Birnbaum, der im Sommer Schatten spendet.

Der ruhige Innenhof des Kapuzinerklosters

Alle Häuser der Oberstadt haben Gärten. Bei den Häusern, die zum Eisack hin liegen, kommt man durch den Keller in den Garten – bei denen, die am Säbener Felsen liegen, hingegen durch den Dachboden! Klausens Altstadthäuser sind auf einer „schiefen Ebene“ gebaut, sie drücken sich eng an den Säbener Felsrücken, als wollten sie sich vor dem Wasser des Eisacks schützen, das sie in regelmäßigen Abständen mit Überflutungen bedroht. Die italienischen Mitbürger haben für die Gärten am Säbener Berg den Ausdruck I giardini segreti di Chiusa („die verborgenen Gärten Klausens“) geprägt, weil die Gärten kaum einsehbar sind, aber einen wunderbaren Ausblick bieten.

In der engen Klausner Stadtgasse, die jede Kutsche auf dem Weg durchs Tal passieren musste, waren Balkone verboten. Dafür hat jedes der pastellfarbenen Häuser Erker für den Lichteinfall und als Ausblick über die Gasse.

Kehren wir zur Klausner Stadtgasse zurück, durch die im Laufe der Geschichte 66 deutsche Könige und Kaiser und unzählige Kaufleute und Pilger auf ihrem Weg nach Süden zogen. In diesem Nadelöhr, das jeder passieren musste, der mit der Kutsche über den Brenner kam, waren Balkone verboten. Dafür hat jedes Haus Erker: für den Lichteinfall und als Ausblick (um nicht zu sagen: zur Kontrolle) über die ganze Gasse. Schön sind die Hausfarben der Ober- und Unterstadt, ein sanftes Ensemble aus Pastelltönen, das von einer städtischen Farbkommission vorgegeben wird. Streng sind die Auflagen, die ein Hausbesitzer beachten muss, wenn er sein Haus umbaut. Mittlerweile sind fast alle Altstadthäuser liebevoll renoviert worden, sodass sie ein schmuckes Gesamtbild bieten. Sie stehen sich so eng gegenüber, dass ein deutscher Reisereporter 1867 meinte, ein großer Bader mit „besonders langen Armen“ könne dem gegenüber wohnenden Nachbarn mühelos von Fenster zu Fenster den Bart scheren. Heute wird diese Enge genutzt, um Seile von einer Seite zur anderen zu spannen und die Gasse in luftiger Höhe mit bunten Tupfern wie Schirmen oder Fahnen zu beleben. Unten auf der Straße laden indessen kleine Geschäfte zum Einkaufen ein, zu persönlicher Beratung und zu einer herzhaften Plauderei mit dem Besitzer. Beeindruckend ist die schwarze Tür am herrschaftlich weißgetünchten Haus in der Mitte der Oberstadt; kohlschwarz ist sie von der Beize, die die Besitzer zum Schutz aufgetragen haben. Zwei Wappen an der Tür weisen darauf hin, dass das Haus einst im Besitz des Bischofs war und dieser es der Stadt als Rat- und Schulhaus schenkte. Der linksgeneigte Schlüssel im Klausner Wappen spricht für sich: Wer Zoll bezahlte, dem wurden die Stadttore geöffnet, wer kein Geld hatte, dem blieb sie verschlossen. Das andere Wappen verweist mit dem Lamm und dem Kreuz in der Fahne auf den Bischof von Brixen, dem Klausen bis zur Säkularisation 1803 direkt unterstand, wie auch die farbenfrohen Fresken mit den Bischofswappen auf dem Zollhaus nahe dem Brixner Tor eindrucksvoll unterstreichen. Die Häuser in der Oberstadt sind geschichtsträchtig: das an die Apostelkirche angeschlossene Rathaus, das Schulhaus, das 1912 aus drei ehemaligen Häusern entstand, das Neustift’sche Haus, das um 1900 als Gasthof „zum Schlüssel“ fungierte, das Altlöwenhaus mit seinen Wappenmalereien und spitzbogenartigen Türen, das Frühmesnerhaus, das die Familie Rabensteiner kürzlich renoviert hat, das alte Gerichtsgebäude, das einst den Edelleuten von Villanders gehörte, das Brunnerhaus mit der kunstvollen hölzernen Eingangstür und viele mehr. Alle haben spannende Geschichten zu erzählen. Doch die Oberstadt lebt nicht nur von der Vergangenheit. Neben Kaufleuten und Gastwirten betreiben hier immer noch Handwerker ihr altes Gewerbe: die Mair Gretl als Goldschmiedin, die Delmonego Nora als junge Maßschusterin und der Plieger Hermann als Kunstschlosser. Mit offenen Augen durch die Klausner Altstadt zu bummeln bedeutet, sich auf die Spuren der Künstlerkolonie zu begeben, die dem liebenswerten Reiz der mittelalterlichen Baustruktur und dem Charme der geselligen Klausner von Anfang an erlag.

Zwei Künstlerinnen Astrid Gamper und Sonya Hofer über ihre Stadt

„Wir schätzen an Klausen die Ruhe, die Natur und das kulturelle Leben. Dank moderner Kommunikationsmittel sind wir als Künstlerinnen auch hier, in dieser kleinen Stadt, mit der ganzen Welt und Kunstwelt verbunden.“

Astrid Gamper, 1971 geboren, studierte Grafik- und Modedesign und arbeitet seit 2000 in ihrem Atelier in Klausen. Letzte Ausstellung: „Unter die Haut“ (Stadtmuseum Klausen). www.astridgamper.com

Heute ist Kunst in Klausen weiblich: Sonya Hofer porträtierte die Äbtissin des Säbener Klosters („Porträt der Äbtissin Marcellina Pustet“, 2018); Astrid Gamper versucht in ihren Werken die Verwundbarkeit und Stärke der Frau offenzulegen (Werk aus der Serie „Hüllen“, 2018).

„Eines unserer kulturellen Highlights in Klausen ist das Stadtmuseum. Mit seinen fünf Sonderausstellungen pro Jahr zeigt es ein breites Spektrum an zeitgenössischer Kunst.“

Sonya Hofer, 1948 geboren, lebt und arbeitet in Klausen als freischaffende Künstlerin, Porträtistin und Kunstvermittlerin. Letzte Ausstellung: „Schalen“ (50x50x50 ART Südtirol, Franzensfeste). www.sonyahofer.it

Gemeinsam initiierten die beiden 2018 in Klausen das Projekt „ars sacra – Kunst und Kirche im Heute“.

Die Autorin

Maria Gall Prader, geboren 1955, studierte Bildungswissenschaften und Deutsch als Zweitsprache, anschließend absolvierte sie ein Forschungsdoktorat in Allgemeiner Pädagogik, Didaktik und Sozialpädagogik. Sie arbeitet als Dozentin, Forschungsbeauftragte, Touristenführerin und Autorin. Zuletzt erschien: „Klausen gestern und heit – 30 bsundere Leit“ im Athesia-Verlag.

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