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Vom Gehen und vom Bleiben

Option 1939: Die Bevölkerung Südtirols muss entscheiden, ob sie ins Deutsche Reich aussiedeln oder im faschistischen Italien bleiben will. Eine Zerreißprobe. In Spinges, einem idyllischen Dörfchen bei Mühlbach, entschieden sich rund 85 Prozent für eine Abwanderung – die dann doch anders ablief als geplant

Von den Katakomben an die Frischluft

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Nach Mussolinis Machtübernahme wird die Italianisierung Südtirols vorangetrieben und der deutschsprachige Unterricht verboten. Unerschrockene Lehrkräfte bringen in den sogenannten Katakombenschulen, illegalen Untergrundschulen, den Kindern Lesen und Schreiben auf Deutsch bei. Nach 1939 wendet sich das Blatt: Auch in Spinges gibt es nun Deutsch-Sprachkurse für Optantenkinder. Nach rund 20 Jahren Unterricht auf Italienisch lernen sie nun nicht nur Deutsch, sondern auch ideologische Lerninhalte des NS-Regimes – damit sie gerüstet sind für ihre Umsiedlung ins „Reich“.

Links „Brennende Liab“ und geballte Faust

Die Spingerin Theres Valentini, Witwe Mair, sitzt am Stubentisch, resolut und doch nachdenklich. Vor ihr die rotblühende Geranie, in Südtirol „Brennende Liab“ genannt. Sie ziert heute wie damals die Balkone der Bauernhöfe. In der Optionszeit machten beide Lager, die Optanten und die Dableiber, sie zum Symbol ihrer Propagandaschlachten. Die Dableiber wollten sich nicht von der schönen Blume trennen und schworen dem Vaterland die Treue, die Optanten nahmen die „Brennende Liab“ als Symbol für ihren Schmerz ob des Verlustes der Heimat mit in das neue Land.

Oben

Die Dokumentation des kulturellen Erbes

Die Südtiroler sollten zwar „heim ins Reich“ umsiedeln, doch die bäuerliche Kultur will man, wenn schon nicht erhalten, dann zumindest dokumentieren. Das Hauptanliegen der Arbeitsgemeinschaft der Optanten für Deutschland (AdO) war, die Südtiroler bis zu ihrer Abwanderung zu betreuen und Umsiedlungen zu organisieren. In Spinges fotografiert der AdOKulturbeauftragte Frauen bei ihren alltäglichen Verrichtungen.

Abschied mit Pauken und Trompeten

Der Brixner Bischof Johannes Geisler optiert im Juni 1940 für Deutschland – ungewöhnlich für einen Geistlichen. Obwohl die Kirche in Südtirol immer eine wichtige Rolle spielte und großen Einfluss auf die Menschen hatte, stimmte der Klerus und die Bevölkerung völlig unterschiedlich ab: Rund 85 Prozent der Geistlichen war für den Verbleib in Südtirol.

Links oben Das Hab und Gut auf einem Wagen

Für die Umsiedler bedeutete der Umzug, alles zusammenzupacken, die beweglichen Güter wurden verladen und vorausgeschickt oder zeitweilig eingelagert. Ein enormer Organisationsaufwand. Auch deshalb entschließen sich vor allem Familien mit wenig Besitz für die Abwanderung. Optionsberechtigt waren nur volljährige Männer und volljährige unverheiratete Frauen. Für verheiratete Frauen galt die Entscheidung des Ehemannes. Zum Stichtag 1. Juli 1939 hatte Spinges 254 optionsberechtigte Einwohner, 224 von ihnen stimmten für die Abwanderung.

Links unten Die Propagandamaschine läuft weiter

Die Ausreise der Optanten war ein Ereignis für die ADERSt, die Amtliche deutsche Ein- und Rückwandererstelle, die dem SS-Reichsführer Heinrich Himmler unterstand.

Vor allem zu Beginn der Abwanderung 1940 gibt es an den Bahnhöfen entlang der Brennerlinie inszenierte Volksfeste zur Verabschiedung der Abwanderer. Propagandawirksam hält man fotografisch fest, wie Menschen am Bahnhof Brixen ihren Freunden und Angehörigen bei der Abreise zuwinken.

Oben Neues Heim in der Fremde

Der Optantenfamilie aus dem Eisacktal, die vor ihrem Rohbau in Kärnten steht, erging es besser als vielen anderen Umsiedlern. Die meisten bekamen ihre neuen Heimstätten nie zu Gesicht. Die Wohnungen in den „Südtirolersiedlungen“, wie man sie beispielsweise in Tirol und Vorarlberg aus dem Boden stampfte, waren meist schlecht gebaut: Das Deutsche Reich war mitten im Krieg, die Folgen waren damals schon spürbar. Auch wurden die „Fremden“ nicht mit offenen Armen empfangen, sondern misstrauisch beäugt und ausgegrenzt.

Wieder zurück über den Brenner

Nach Kriegsende kehrt rund ein Drittel der Optanten wieder nach Südtirol zurück. Der Empfang am Bahnhof von Brixen ist zwar herzlich, doch die Situation in der alten Heimat schwierig, die Rückkehrer werden als „Heimatverräter“ gebrandmarkt. Und sie hatten weder Arbeit noch Unterkunft – beides knapp durch die massive Zuwanderung aus dem Süden. Für die Heimgekehrten entstanden Siedlungen im ganzen Land, deren Bewohner oft offenen Anfeindungen ausgesetzt waren.

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