DIETER BALZER ISBN 978-3-939855-10-1
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DI ETER BALZER 2004–2008
mit Beiträgen von with essays by Lida von Mengden Dieter Balzer Gerd Ohlhauser Linde Hollinger Dirk Martin
Herausgeberin Editor Linde Hollinger
SURFACE ISBN 978-3-939855-10-1
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Inhalt Content
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Geometrie und Ornament Lida von Mengden
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Geometry and Ornament Lida von Mengden
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Statement Dieter Balzer
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Dekonstruktion Di eter Balzer, Interview mit Annegret Laabs und Ulrich Gellner
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Deconstruction Di eter Balzer, Interview with Annegret Laabs and Ulrich Gellner
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Farbe Resopal Dieter Balzers „Unschärferelationen“ Gerd Ohlhauser
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Resopal Color Dieter Balzer’s “Blurring Relations” Gerd Ohlhauser
115
Dieter Balzer’s Arbeit „Flex“ Zitat Linde Hollinger
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Dieter Balzer’s work „Flex“ Quote Linde Hollinger
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Sampler Dirk Martin Sampler Dirk Martin
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Vita und Ausstellungen Vita and exhibitions
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Impressum Imprint
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GEOMETRIE UND ORNAMENT Lida von Mengden
"Was für die Evolution der Gesellschaft die Evolution der Sprache bedeutet hatte, ist für die Evolution des Kunstsystems die Evolution des Ornaments." Niklas Luhmann (1)
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Der Galerist Hubertus Schoeller, der etwa 30 Jahre lang eine Galerie für konstruktive und konkrete Kunst in Düsseldorf geführt hat, lobte diese Kunstrichtung als jene, die als einzige das gesamte 20. Jahrhundert hindurch Gültigkeit gehabt hätte, weil sie keinerlei Moden unterworfen wäre und deshalb immer von Bedeutung sei. Schoellers Betrachtung ist grundsätzlich richtig, dennoch sollte man nicht annehmen, dass es innerhalb der konkreten Kunst zu keinerlei Veränderungen gekommen wäre. Auch sie konnte nur lebendig und für ihre jeweilige Zeit interessant und wichtig bleiben, indem sie sich offen hielt für neue Fragestellungen, die das gesellschaftliche Umfeld aufwarf, und deshalb Wandlungen innerhalb ihres Spektrums zuließ.
Piet Mondrian, Broadway Boogie Woogie, 1942-1943 Museum of Modern Art, New York
Obwohl auch heute immer noch der klassische Konstruktivismus - die Gruppe De Stijl, der russische Suprematismus, die Zürcher Konkreten - und der us-amerikanische Minimalismus entscheidende Bezugspunkte darstellen, gehen inzwischen auch von der Popkultur, der Computerästhetik, Film und (Musik)-Videos, dem Design, um nur die wichtigsten zu nennen, wesentliche Einflüsse aus. Allgemein gesprochen findet sich in den Werken, die heute eine abstrakte, geometrisch konstruierende Formsprache einsetzen, "eine komplexe Struktur, die sich orientiert im Spannungsfeld von persönlicher Gefühlswelt und der kommunikativen Wirklichkeit." (Lucius Burckhardt) Diese Tendenz ist seit den 80er Jahren virulent; eine neue Künstlergeneration bedient sich des klassischen Formenvokabulars, ohne es als formales System der Offenlegung und Rationalisierung bildnerischen Denkens zu verwenden. Sie benutzt geometrische Formen aus einer postmodernen Haltung heraus unter anderem einfach als Muster, deren klare und präzise Strukturen von außerordentlicher Bildwirkung sind, sowohl was ihre ästhetische Dimension als auch ihre Signalkraft betrifft. Verfahren der Aneignung führen zur expliziten Monumentalisierung dieser Formen, aber auch ihrer Dekonstruktion, dem Aufbrechen der Ordnungsstrukturen, die aber noch als Impulsgeber erhalten bleiben. Neue Wege wurden eingeschlagen durch den Mix mit unterschiedlichen Medien, wie Design, computergenerierte Verfahren, Video, Film und Architektur. Und so stellt Markus Brüderlin resümierend fest, dass die junge Generation beginnt, aus einem Rückblick einen Neuanfang zu generieren: "Die Moderne beginnt, über sich selbst, über die
Kasimir Malewitsch, Suprematistische Komposition, 1915 Staatliches Russisches Museum, St. Petersburg
Richard Paul Lohse, Reihenelemente zu rhythmischen Gruppen konzentriert, 1949/1956/1, Kunsthaus Zürich ©VG Bild-Kunst, Bonn 2008
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Dynamik der Avantgarde, über ihr Diktat der Reinheit und ihren ästhetischen Utopismus aber auch über ihre eigene Geschichtlichkeit nachzudenken." (2) Der Grund für einen derartigen Neuanfang, der eigentlich eine Appropreation darstellt, liegt in der besonderen Eignung geometrischer Formen, Aspekte des Technoiden wie des Idealen gleichermaßen zu transportieren, und sich damit den veränderten Wahrnehmungswelten industrialisierter Gesellschaften anzupassen. So können in einer von Geschwindigkeit und dem Überfluss medialer Botschaften bestimmten Welt Zeichen gesetzt werden und als Signal wirken. Diese Entwicklung hin zu einer Dramaturgie der Erregung ist seit langem beobachtet worden. Der französische Philosoph Lyotard hat bereits vor 20 Jahren mit der provokanten These Aufsehen erregt, dass Kunst nicht mehr "...der Repräsentation oder der Kritik im herkömmlichen Sinne (dient), sondern Transformator von Energie-Dispositiven (ist), denen als einzige Regel gemeinsam ist, intensive Wirkung zu produzieren." Eine genauere Analyse verdeutlicht, dass die Wirkung und Signalkraft geometrischer Formen auf ihrer Vereinzelung beruht. Auf diese Weise zeigt sich ihr ornamentaler Charakter, ein Perspektivwechsel, der erst jetzt langsam ins Bewusstsein dringt. Wir haben es in der konkreten Kunst mit einer Rückkehr des Ornamentalen zu tun, jener seit dem frühen 20.Jahrhundert obsolet gewordenen repetitiven geometrischen Konfiguration, seit Adolf Loos mit seinem berühmten Ausspruch "Ornament ist Verbrechen" die geometrische Revolution und zugleich die Idee der "Reinheit" der Moderne propagierte. (3)
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Donald Judd, Untitled , 1984 - Privatsammlung Schweiz ©Art Judd Foundation. Licensed by VAGA, NY / VG Bild-Kunst, Bonn 2008
Frank Stella, Hyena Stomp, 1962 - Tate Modern, London ©VG Bild-Kunst, Bonn 2008
Stellas frühe mäanderartige Streifenbilder wurden nun mit dem Begriff der "Ornamentalisierung des Minimalismus" in einen neuen Zusammenhang gerückt, der sichtbar machte, dass die geometrischen Superzeichen in ihrer Signifikanz eine enigmatische Wirkung entfalten; das heißt, dass die vermeintlich reine, gegenstandsfreie, "objektive" Sprache der Geometrie, aufgeladen wird mit Subjektivität, sobald sie ihren zeichenhaften Charakter offenbart. Für den Kunsthistoriker und Philosophen Hans Heinz Holz aktiviert daher die Vereinzelung, er nennt es "Individualisierung" der geometrischen Formen wieder die ursprüngliche Sinnhaftigkeit von Ornamentformen: "Die Aufnahme des Ornamentalen als Bildform bewirkt so einen merkwürdigen Umschlag: indem sich die Malerei, die auf die Darstellung von Inhalten verzichtet, der strengsten Form des Dekors überlässt, gewinnt sie einen, wenn auch chiffrierten Inhalt zurück." Ein Blick zurück auf die Geschichte des Ornaments verdeutlicht, dass ornamentale Strukturen weit davon entfernt, nur
Günter Fruhtrunk , Umkehrende Reihen, 1962/63 Städtische Galerie im Lenbachhaus, München ©VG Bild-Kunst, Bonn 2008
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dekorative Funktionen zu erfüllen, in frühen Kulturen innerhalb eines Systems magischer Riten und Beschwörungspraktiken eine zentrale Rolle spielten. Nach Ernst Gombrich ist der Ursprung und der Zweck wohl aller Ornamente in einer apotropäischen Funktion zu sehen (4). Bis heute zeigt sich, dass ornamentale Formkomplexe eine besondere suggestive Kraft entwickeln und sie deshalb immer wieder zur Darstellung profaner oder säkularer Macht benutzt werden (5). 8
Auch Dieter Balzer kann der oben genannten neuen Künstlergeneration zugerechnet werden; denn auch er deutet das vorhandene Repertoire der konstruktiv-konkreten Kunst um, stellt es in neue Zusammenhänge. Er reichert das bekannte Formvokabular mit einer ungewohnten Farbigkeit an, arbeitet mit Gitterstrukturen, komplexen Überlagerungen, die eine Dynamisierung zur Folge haben und entwickelt neue Strategien gegenüber einer lauten, schnell agierenden Medienästhetik. Wie unschwer an den neuen Arbeiten zu erkennen ist, nutzt Dieter Balzer das geometrische Repertoire sowohl in seiner Abstraktheit als auch in seiner Zeichenhaftigkeit. Er benutzt das Regelsystem der Geometrie mitsamt den vorgegebenen Variationen, er setzt es als einfachste und zugleich grundlegendste Form einer (Signal)-Sprache ein, die sich die klassische Codierung der Elemente zunutze macht. Seit Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit gestaltet Balzer mit geometrischen Elementen. Er fertigte Konstruktionen aus Tonplatten, später, als die Formate größer wurden, aus Sperrholz, seit den 90er Jahren ist MDF der bevorzugte Werkstoff. In einer Zwischenphase wandte er sich der Malerei zu. In den Streifenbildern dieser Zeit lotete er das Potential der unterschiedlichen Farbwerte aus, die Farbnachbarschaften der einzelnen Farbtöne, ihre Raumhaltigkeit, ihre Dynamik. Kennzeichen der Streifenbilder war bereits das Prinzip des Kombinierens, der Künstler entwickelte für das Zusammenfügen der mehrteiligen Tafeln verschiedene Optionen, um Bildvarianten zu ermöglichen. Aus dieser Zeit stammen zwei der zentralen Formprinzipien Balzers, die bis heute Gültigkeit haben: das Prinzip der Variation und Rückkoppelung sowie die Bedeutung des Linearen, das gerade in den neueren Arbeiten eine zentrale Rolle spielt. In den folgenden Werkreihen erwies sich der Künstler als Konstrukteur, für den die Farbe zum unabdingbaren Moment des Gestaltens gehört. Neben die Formalisierung des künstlerischen Repertoires - das Arbeiten mit geometrischen Flächenformen, insbesondere die Bevorzugung des Quadrats bzw. des
Rechtecks, die Verwendung von geklebten Farbfolien anstelle von mit dem Pinsel aufgetragener Farbe - trat konsequent die Formalisierung seiner Arbeitsmethode. Von diesem Zeitpunkt an "baute" der Künstler nach vorformulierten Regeln, nach einem Plan, um das Ganze als rational nachvollziehbare Kombination einzelner Elemente nachzuweisen. Balzer entwickelte ein modulares System, das eine Vielzahl von Kombinationen identischer Elemente erlaubt. Dieses System beinhaltet das Potenzial einer großen Variantionsbreite unterschiedlicher Objekte, seien es Bildkästen, Reliefs oder Skulpturen. Folgerichtig stellen die realisierten Arbeiten - für die der Computer Entwurfsskizzen liefert, auch das gehört zum System - für den Künstler nur Eckpunkte einer virtuellen Serie dar. Die Zielsetzung, ein konstruierendes Gestalten einem rationalen Produktionsprozess zu unterwerfen - hier einem Grundgedanken des klassischen Konstruktivismus folgend - führte den Künstler folgerichtig zum Verzicht auf eine persönliche Handschrift. Konsequent folgte aus diesem Arbeitsansatz die ausschließliche Verwendung von Industriematerialien, also MDF-Platten und Farbfolien. Es ist Balzer wichtig, seine Werke durch dieses formalisierte Vorgehen als prinzipiell von jedermann herstellbar auszuweisen und somit das grundsätzlich Konzeptuelle seines Ansatzes zu unterstreichen. Die Logik, Klarheit und Objektivität des Verfahrens fordert den Verzicht auf subjektive Eingriffe. Balzers Objekte sind in einem Zwischenbereich zwischen Fläche und Raum anzusiedeln. Die Einzelelemente gehören optisch der Zweidimensionalität an, werden aber durch die Art des Zusammenfügens zu räumlichen Gebilden, zu Reliefs oder Skulpturen. Eine strenge formale Linearität wird mit überraschender Vielfarbigkeit kombiniert und durch Verfahren wie Überlagerung, Drehung, Spiegelsymmetrie u.ä. zu komplexen Formen entwickelt. Seit etwa 2003 schichtet Balzer komplexe, rahmenartige Module mehrfach übereinander. Es handelt sich um serielle Elemente, die nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit konstruiert sind, vergleichbar der fraktalen Geometrie. Aus diesen Modulen baut der Künstler differenzierte Gitterstrukturen, die einem quadratischen Ordnungssystem folgen, oder durch Alternieren von Quadraten und Rechtecken unterschiedlicher Größe eine ornamental anmutende Regelhaftigkeit aufbauen. Kalkulierte Überlagerungseffekte, die auch zum Teil Drehmomente und Spiegelungen mit einschließen, laden die Ausgangsfigur mit neuen Gehalten auf. Diese Gitterobjekte sind als bewusst offene Systeme angelegt. Sie stehen für die Leichtig-
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keit und Offenheit einer linearen Struktur, die durch reale Öffnungen mit der dahinterliegenden Wand interagiert und mit dem gesamten Raum in einen Dialog tritt.(6) Damit offenbaren sie Balzers künstlerisches Anliegen: geometrische Konstruktionen auf der Basis eines seriellen Prinzips als pseudo-ornamentale Gebilde zu entwickeln. Die einzelnen Rahmenformen sind überzogen mit einem Muster parallel laufender Farbstreifen, die die lineare Wirkung der Gitter unterstützen, aber auch brechen. Die schrille Buntheit der Farben, meist kontrastiert durch ein dominierendes Schwarz-Weiß, erinnert an den aufreizenden Farbklang der Videospiele. Die Farbstrukturen, oft dual angelegt, haben etwas Zergliederndes, der Rahmen scheint in seiner Materialität wie aufgelöst. Bildzeichen einer neuen ornamentalen Ordnung entstehen, die mit Superzeichen, etwa der Kreuzform, Akzente setzen, neue Figur-Grund-Beziehungen entwickeln. Überrascht gesteht sich der Betrachter ein, dass der Wechsel der Farbordnungen, von schwarz-weißen zu bunten Farbstreifen, für das Auge die Vorstellung eines schnellen Wechsels virtueller Geschwindigkeiten hervorruft, insbesondere in der Werkgruppe der Hybrids, die Assoziationen an Computerplatinen nahe legt. Dieter Balzer lotet hier das Bewegungspotential linearer Strukturen aus - ein Thema, das übrigens auch bei den russischen Suprematisten zentrale Bedeutung hatte (7) und potenziert es mit dem der Farben. Ein virtuelles Vor und Zurück im Raum, sowohl farbdynamisch begründet, als auch realiter durch die visuelle Einbeziehung der Wand, die als Folie, als statisches Element wahrgenommen wird, rhythmisiert die Komposition. Weil die Öffnung der Gitterstruktur als Teil des Werks wahrgenommen wird, alternieren Bewegung und Beschleunigung der Lineargeometrien mit dem Stillstand der Wand. Dieser innerbildliche Rhythmus, der das Werk durchpulst, erscheint der Wirkung des Rapports im klassischen Ornament vergleichbar, und es entwickelt sich ein kompositorisches Gefüge anhand ornamentaler Formmentalitäten.
Rapport, usw.), vor allem die Wiederkehr ähnlicher oder identischer Versatzstücke übt einen Zwang auf den Wahrnehmenden aus."(9) Balzers komplexe Bildstruktur ist Ergebnis eines streng geregelten Ordnungssystems, dessen Komplexität ins Ornamentale umschlägt, weil es durch Serialität, Rhythmus und Bildzeichen organisiert ist. Die ornamentalen Strukturen intensivieren die sinnliche Kraft der Reliefs vermittels ihres wirkungsästhetischen Potentials, aber fungieren ebenso als Ordnungsfaktoren und übernehmen im von seinen mimetischen Aufgaben entbundenen Werk strukturierende Funktionen. Gerade von den neueren Reliefs geht eine sogartige Wirkung aus. Sie vermitteln die Vorstellung einer außerordentlichen Geschwindigkeit, von etwas Fließendem, das das Auge mitzieht. Die immanenten Zeitsequenzen und Brüche der Bildrhythmik teilen sich dem Betrachter direkt mit. Er wird sich der Zeitgebundenheit des Sehens bewusst und erkennt die eigenen Rhythmen innerhalb seiner Wahrnehmungslinien. Mit "Distance/Vitesse", einem Text von Paul Virillo entlehnt, könnte man den Effekt beschreiben, Distanz und Geschwindigkeit. Virillo erfasst hier wesentliche Charakteristika der westlichen Industriegesellschaften. Von der Reflexion unserer Lebenswelt in einer von zunehmend kodifizierten und repetitiven Strukturen beherrschten Gesellschaft handeln auch die Arbeiten Dieter Balzers.
1) Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt 1995, S. 349 2) Markus Brüderlin, Ornamentalisierung der Moderne - Malerei der 80er und 90er Jahre, in: Kat. Ornament und Abstraktion, Fondation Beyeler, Riehen/Basel, DuMont Verlag Köln 2001, S. 206 3) Vgl. zur Thematik den Ausstellungskatalog "Ornament und Abstraktion", a.a.O. 4) Ernst Gombrich, Ornament und Kunst. Schmucktrieb und Ordnungssinn in der Psychologie des dekorativen Schaffens, Stuttgart 1982, S. 269 5) vgl. hierzu Hans Zitko, Rationalisierung im Dienste der Tradition. Ornament und Serie in der Kunst der Moderne, in: Kat. Ornament und Abstraktion, a.a.O.,
Bereits Nietzsche erkannte, welch entscheidende Bedeutung der Rhythmus für das Ornament hat: "... der Rhythmus ist ein Zwang, er erzeugt eine unüberwindliche Lust, nachzugeben, miteinzustimmen; nicht nur der Schritt der Füße, auch die Seele selber geht dem Takte nach - wahrscheinlich auch die Seele der Götter!"(8) Für Hans Zitko, der über das Zusammenspiel zwischen dem Seriellen und dem Ornamentalen geforscht hat, liegt darin die außergewöhnliche Wirkung ornamentaler Konfigurationen begründet: " Ornamenten eignet vielfach eine spezifische Suggestivität. Die in ihnen vorliegende Stilisierung der Formen, das Vorherrschen bestimmter Ordnungsparameter (Symmetrie,
s. 57 ff 6) Die Gestaltung folgt der Idee einer prinzipiellen Offenheit so konsequent, dass übereinander liegende Module durch Abstandshalter getrennt werden, um die Vorstellung der linearen Konzeption zu betonen. 7) Zur Bedeutung der Linie bei Rodtschenko schreibt Brüderlin: "1921 erhob der russische Konstruktivist Alexander Rodtschenko die Linie zum obersten Gestaltungsmittel im Dienste des Fortschritts und der Überwindung der Malerei.", in: Kat. Ornament..., a.a.O., S. 99 8) Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, in: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hg. G. Colli, M. Montinari, München/Berlin/New York 1980, Bd. 3, S. 440, Aph. Nr. 84 9)Vgl. Anm. 5, s. 59
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Modell f端r eine begehbare Skulptur, galerie linde hollinger, Ladenburg
Produktionselemente
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Produktionselemente, Serie Hybrid, Atelier Dieter Balzer
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GEOMETRY AND ORNAMENT Lida von Mengden
“What the evolution of language meant for the evolution of society is the evolution of the ornament for the evolution of the art system.” Niklas Luhmann (1)
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The art dealer Hubertus Schoeller, who ran a gallery for Constructionist and Concrete art for over thirty years in Düsseldorf, praised this tendency in art as the only one what remained valid throughout the entire twentieth century because it was not subject to any fashions and was therefore always of importance. Schoeller’s observation is fundamentally correct, but one should not also assume that Concrete Art underwent no development at all. It was only able to remain lively, interesting and significant for contemporaries by remaining open to the new questions posed by its social environment and thus permitted transformations within its spectrum. Although classic Constructivism – the De Stijl group, Russian Suprematism, the Zurich Concretes – as well as American Minimalism still represent decisive points of reference for young artists today, noteworthy influences also now emanate from pop culture, computer aesthetics, film and (music) videos, and design, to name just a few. Generally said, the works that now employ an abstract, geometrically constructive formal vocabulary contain “a complex structure oriented in the tension field of personal emotions and communicative reality,” (Lucius Burckhardt). This tendency has been particularly virulent since the nineteen eighties; a new generation of artists employs the classic formal vocabulary without using it as a formal system of disclosure and rationalizing pictorial thought. They simply use geometric forms as patterns based on a post-modern attitude whose clear and precise structures are of extraordinary pictorial effectiveness as regards their aesthetic dimensions as well as their signal effect. Appropriation methods lead to an explicit monumentalization of these forms, but also to their deconstruction, the breaking open of the ordering structures that nevertheless still remain as instigators. New paths were beaten through the combination with such diverse media as design, computer generated procedures, video, film, and architecture. And so Markus Brüderlin said in summing that the young generation started to generate a new beginning based on a retrospective view: “Modernism began to think about itself, about the dynamics of the avant-garde, about its dictate of purity and its aesthetic utopianism, but also about its own historicality.” (2) The reason behind such a new beginning, which in fact represents an appropriation, lies in the special ability of geometrical forms to transport aspects of the technoid as well as the ideal in equal measure and thus adapt itself to the altered perceptional world of industrialized societies. In this way, examples can be set in a world determined by the velocity and abundance of
media messages and function as a signal. This development in the direction of a dramaturgy of agitation has been noticed for a long time. More than 20 years ago, the French philosopher Jean-François Lyotard provoked a furor with the thesis that art no longer “serves representation or criticism in the conventional sense, but is a transformer of energetic dispositives instead that has the production of intense effects as its sole common rule.” An exacting analysis makes clear that the effect and signal force of geometrical forms rest on their isolation. Its ornamental character is shown in this way, a change of perspective that one is now only slowly becoming aware of. In Concrete Art we are concerned with the return of the ornamental, the repetitive geometrical configuration that has been obsolete since the early twentieth century, ever since Adolf Loos propagated the geometrical revolution and simultaneously the idea of modernism’s purity with his famed dictum “ornament is a crime.” (3) Frank Stella’s early meandering striped pictures were now placed in a new context with the concept of the “ornamentalization of minimalism” that showed that the geometrical super signs unfolded an enigmatic effect in its significance; i.e. that the supposedly pure, non-representational “objective” language of geometry becomes charged with subjectivity as soon as it revealed its emblematic nature. For the art historian and philosopher Hans Heinz Holz, isolation, he calls it “individualization” of the geometrical forms thus reactivates the original meaningfulness of ornamental forms: “The admittance of the ornamental as a pictorial form thus effectuates a curious sudden change: by abandoning the representation of contents and surrendering to the strictest form of decoration, painting regains a content, albeit a coded one.” A look back at the history of the ornament shows that ornamental structures by no means only fulfilled decorative functions, but played a central role within a system of magic rites and incantation practices in early cultures. According to Ernst Gombrich, the origins and purpose of all ornaments is probably to be seen in an apotropaic function (4). It has been shown to the present day that ornamental forms develop a particularly suggestive power and for this reason they are regularly used for the representation of profane or secular powers (5). Dieter Balzer can also be counted among the members of the above-mentioned generation of artists as he also reinterprets the existing repertory of Concrete and Constructive Art and places it in a new context. He enriches the known vocabulary of form with an uncommon colorfulness, works with grid structures, complex interferences that result in a dynamization, and develops new strategies in the face of a loud, rapidly acting media aesthetic. As can be easily seen in his recent works, Dieter Balzer makes use the geometrical repertory in its abstractness as well as in its emblematic nature. He uses the principals of geometry together
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with the predefined variations and employs it as a simple and simultaneously most fundamental form of a (signal) language that utilizes the classic coding of the elements. Balzer has worked with geometrical elements since the beginning of his artistic activities. He fashioned constructions out of slabs of clay and later, when the dimensions grew, out of plywood. MDF board has been his preferred material since the nineteen nineties. He turned to painting in an intermediary period. He examined the potential of diverse color values in the striped pictures from this time, the color neighborhoods of the individual hues, their spatiality and dynamics. The combinational principle was already an attribute of the striped pictures developed by the artist to assemble various options for the multi-part panels, in order to enable pictorial variations. Two of Balzer’s central formal principles from this time are still valid today: the principle of variation and feed back as well as the significance of the linear that particularly plays a central role in the recent works. The artist proved himself to be a constructor in the following series of works for which color belongs to the indispensable moment of crafting. The formalization of the artistic repertory – the work with geometrical surface forms, particularly the preference for the square or the rectangle, respectively, the use of pasted color transparencies instead of paint applied with the brush – was consequently joined by the formalization of his working method. After this time, the artist “built” according to preformulated rules, according to a plan in order to verify the whole as a rationally comprehensible combination of individual elements. Balzer developed a modular system that allows for a multitude of combinations of identical elements. This system contains the potential of a wide variational range of diverse objects, be it boxes, reliefs, or sculptures. For the artist, the realized works – for which the computer supplied the design sketches, which is also a part of the system – only represents the vertexes of a virtual series. The goal of making a rational production process subject to a construed forming – here following a basic principle of classical Constructivism – consequentially led the artist to forego a personal handwriting. This working approach logically led to the exclusive use of industrial materials such as MDF sheets and color transparencies. For Balzer, it is important that his works, through this formalized procedure, identify themselves as if they principally could be made by anyone. The logic, clarity and objectivity of the procedure demand the foregoing of subjective interventions. Balzer’s objects, too, are located in an intermediate space between surface and space. The individual elements optically belong to two-dimensionality, but become spatial forms, become reliefs or sculptures, through the type of assembly. A strict for-
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Floor-Tile, Palermo Sicily, Monreale Cathedral
Alexander Rodchenko, Line, circa 1920/21, oil on canvas, 58.5 x 35.5 cm, private collection
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mal linearity is combined with surprising polychromatic effects and developed into complex forms through such procedures as overlapping, twisting, and mirror symmetry. Since about 2003, Balzer layers multiple complex, frame-like modules on top of each other. They are serial elements constructed according to the self-similar principle, comparable to fractal geometry. The artist builds differentiated grid structures out of these modules that follow a quadratic classification system or construct a seemingly ornamental regularity by altering squares and rectangles of different sizes. Calculated overlapping effects that in part also include torsional moments and reflections charge the starting figure with new contents. These grid objects are consciously conceived as open systems. They symbolize the lightness and openness of a linear structure that interacts with the wall behind it by means of real openings and enter into a dialog with the entire space.(6) In this way, they reveal Balzer’s artistic concerns: to develop geometrical constructions on the basis of a series principle as ornamental forms. The individual frame forms are covered with a pattern of parallel strips of color that support, but also break up the grid’s linear effect. The gaudy colors, usually contrasted by means of a dominating black and white, recalls the provocative colors of video games. The color structures, often applied dually, have a dissecting quality; the materiality of the frame seems to dissolve. Pictograms of a new ornamental order come about which set accents through super signs such as the cross, developing new figure-ground relationships. Surprised, the viewer recognizes that the change of color orders, from black and white to colorful stripes, evokes the mental picture of the rapid change of virtual velocities, particularly in the Hybrids group of works that suggest associations to mother-board. Dieter Balzer plumbs the depths of linear structures’ potential movement here, a topic that, by the way, was of central importance for the Russian Suprematists,(7) and exponentiated it with that of the colors. A virtual back and forth in space, substantiated in terms of color dynamic as well as in terms of reality by means of the visual integration of the wall that is perceived as a background, as a static element, rhythmizing the composition. Because the openings of the grid structure are perceived as a part of the work, the movement and velocity of the linear geometries alternate with the standstill of the wall. This inner pictorial rhythm that pulses through the work seems comparable with the rapport pattern of the classic ornament and it develops a compositional framework based on ornamental form mentalities. Friedrich Nietzsche already recognized the decisive importance of rhythm for the ornament: “... Rhythm is a compulsion producing an insurmountable desire to give in, to join in; not only the footsteps, the souls themselves follow the beat – probably the
souls of the gods, too!” (8) For Hans Zitko, who studied the interplay between the serial and the ornamental, this is the cause of the extraordinary effect of ornamental configurations: “Ornaments often quality a specific suggestivity. The stylization of forms inherent in them, the domination of certain order parameters (symmetry, rapport, etc.) and particularly the recurrence of similar or identical set pieces has a compulsive effect on the perceiver.”(9) Balzer’s complex pictorial structure is the result of a strictly regulated classification system whose complexity veers into the ornamental because it is organized by means of seriality, rhythm, and pictograms. The ornamental structures intensify the sensuous force of the reliefs by means of their aesthetically effective potential, but also function as classification factor and assume structurizing functions in his work that has been released from its mimetic tasks. Particularly the new reliefs have a vortex-like effect. They convey the notion of an extraordinary velocity, of something flowing that takes the eye along with it. The immanent time sequences and breaks in the pictorial rhythm communicate themselves directly to the viewer. He becomes conscious of the timeliness of sight and recognizes his own rhythms within his own lines of perception. One could describe the effect with the term “Distance/Vitesse” taken from a text by Paul Virillo. Virillo captures the essential characteristics of Western industrial societies here in this respect. Dieter Balzer’s works are also about the reflection of our environment in a society dominated by increasing codification and repetitive structures.
1) Translated from Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt 1995, p. 349 2) Translated from Markus Brüderlin, Ornamentalisierung der Moderne - Malerei der 80er und 90er Jahre, in: Cat. Ornament und Abstraktion, Fondation Beyeler, Riehen/Basel, DuMont Verlag Cologne 2001, p. 206 3) On the thematic see the exhibition catalog “Ornament und Abstraktion” (note 2). 4) Ernst Gombrich, The Sense of Order: A Study in the Psychology of Decorative Art, 2nd edition, London, 1994, p. 173. 5) See Hans Zitko, Rationalisierung im Dienste der Tradition. Ornament und Serie in der Kunst der Moderne, in: Cat. Ornament und Abstraktion (note 2), pp. 57ff. 6) The fashioned follows the idea of a principal openness so consequently that the modules lying on top of each other are separated by means of bar spacers in order to emphasize the linear conception. 7) Brüderlin wrote about the significance of the line for Rodchenko, “In 1921, the Russian Constructivist Alexander Rodchenko elevated the line to the foremost means of design in the service of progress and the overcoming of painting.” In: Cat. Ornament und Abstraktion (note 2), p. 99 8) Translated from Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, in: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, ed. G. Colli, M. Montinari, Munich/Berlin/New York 1980, vol. 3, p. 440, Aphorism No. 84 9) See note 5, p. 59
Translation: Dr. Michael Wolfson
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Ein wesentliches Element, das mein gesamtes künstlerisches Werk begleitet, ist der Untersuchung des Momentes gewidmet, in dem eine Ordnung gerade begonnen hat zu kippen oder noch nicht ganz den höchsten Punkt ihrer Reinheit erreicht hat. Dass dies so ist, hat sicher mit einem in mir gewachsenen Misstrauen in geschlossene (Erkenntnis)Systeme zu tun. Ich hege den Verdacht, dass die vollkommene Symmetrie, das gänzlich gleichförmige Raster, die Abwesenheit der Farbe oder ihre Unterwerfung unter eine enge Systematik eine Sehnsucht bedienen, die zwar legitim aber nicht mehr ganz zeitgemäß ist. Meine Arbeit unterliegt einer grundsätzlichen und sich verfeinernden Methodik. Dies ist innerhalb des von mir gewählten künstlerischen Diskurses nahe liegend, fast zwingend. Einzelne Grundelemente vereinigen sich mit anderen, erreichen neue Qualitäten, bilden Einheiten, die mit anderen Einheiten in Beziehung treten. Es haben sich unterschiedliche Stränge entwickelt und verdichtet, die sich mehr oder weniger offensichtlich durch die einzelnen Werke oder Werkgruppen ziehen. Dabei konzentrierten sich meine Bemühungen der letzten Jahre auf ein zwar dreidimensionales, aber weitgehend flächiges Format. Dieter Balzer
A central element of my work is dedicated to research into that moment when order has not reached its purest form or when order itself starts to topple. This is so because of my mistrust of closed (perceptual) systems. I suspect that total symmetry, completely uniform pattern, the absence of color or its submission to a rigid system fulfill legitimate needs, but are no longer contemporary. My work is subject to fundamental and ever-refining methods. Within my chosen artistic discourse, this is almost compulsory. Basic elements combine, creating new qualities, building unities, which themselves build relationships with other unities. Different lines have developed and strengthened; these are more or less obvious in the individual works and series of works. In recent years, my work has focused on a three-dimensional, but almost flat, format. The work is hung on the wall and is basically perceived frontally. Dieter Balzer
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DEKONSTRUKTION Dieter Balzer, Interview mit Annegret Laabs und Ulrich Gellner
Sie verwenden industrielle Farbfolien, in einem Text über Sie wird die Subjektivierung ihrer Methode betont. Industriematerialien sind als Farbe doch eher abstrakt?
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Es existiert eine Tradition in der Kunst mit Industriematerialien auf die ich abziele, die ich ein bisschen dekonstruiere. Dieses Donald Judd’sche Kastenmodell, da schneide ich rein, verändere die Proportionen und setze mich auseinander. So ergab sich für mich sehr schnell die Idee Farbfolien zu nehmen. Wobei die Tradition an sich noch weiter zurückgeht, die geht sicher auf Josef Albers zurück, der die reinen Farben aus der Tube verwendet hat. Er hat auch dieses Farbenmischen, sagen wir mal, diese subtile Auseinandersetzung mit einem bestimmten Farbton abgelehnt, so habe ich ihn verstanden. Er hat vorgefertigte Farbe genommen. Ob sie das in der Tube kaufen, flüssig, oder bereits als Klebefilm, macht keinen Unterschied. Was sie hier haben ist nichts anderes als trockene Farbe mit einem Kleber. Wenn ich mir vorstelle, ich würde von einem Bild oder einer Fläche die aufgetragene Farbe, meinetwegen auch verspritzte Farbe, abziehen, wenn das praktisch möglich wäre, dann hätte ich genau dasselbe. Bloß hier verwende ich halt homogene Farben, dieselbe Dicke, dieselbe Oberfläche und natürlich kein Pinselduktus. Ich denke, meine Art von Subjektivität hat in der Maltradition des 20. Jahrhunderts bedeutende Vorläufer.
Donald Judd - Werk /MoMa, NY ©Art Judd Foundation. Licensed by VAGA, NY /VG Bild-Kunst, Bonn 2008
Aber bei der Farbwahl sind Sie angewiesen auf das, was die Industrie liefert und was sie nicht für die Kunst produziert? Ich meide alle anderen Farben. Gut, meine Farben sind nicht direkt Künstlerfarben. Ich bin eigentlich ganz froh darüber, weil ich sozusagen Fehlentscheidungen gar nicht treffen kann, d. h. ich reduziere mich von Anfang an auf bestimmte farbliche Zusammenhänge, da treffe ich eine Auswahl. Und dann habe ich noch das, was ich Farbdifferenzen nenne, das ist meinetwegen der Unterschied von diesem Grün zu jenem Grün. Für mich ist das ein ganz fester und klarer Wert, über den ich nicht weiter nachdenken muss. Ich besitze durch diese Reduktion von Farben auch eine große Freiheit, mich mit anderen Dingen zu beschäftigen, wie mit der Konstruktion. Wir haben ja vorhin darüber gesprochen, dass die Gefahr des Ausuferns oder Entgrenzens im Umgang mit Farben sehr nahe liegen kann, wenn man ohne System vorgeht. Ich kann die Anzahl im Moment nicht sagen, wie viele Farben das Auge auseinander dividieren kann, die ist extrem hoch. Also, wenn man das wirklich nutzen wollte, da käme man in einen Bereich, der mich völlig verwirren würde. Diese unglaubliche Vielzahl von Mög-
Josef Albers, Homage to the Square: Apparition, 1959 Solomon R. Guggenheim Museum ©The Josef and Anni Albers Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2008
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lichkeiten schließe ich aus. Meine eigentliche Farbwahl ist in der Tat subjektiv, das kann gar nicht anders sein. Es gibt Künstler im konkreten Bereich, die ihre Farbwerte mathematisch festlegen und eine Kontrolle im weiteren Vorgehen ablehnen. Für mich wäre das uninteressant. Verbinden sich in ihren Arbeiten die Farben und Formen? Ich gehe ja so vor. Bevor ich meine Arbeiten umsetze, müssen sie sehr genau geplant werden. Sie sind ja am Rechner millimetergenau konstruiert in den verschiedenen Ebenen und ich habe auch die Farben schon codiert, wobei das nie ganz genau so funktioniert. Meine Objekte setzen sich aus zwei Bestandteilen zusammen, dem architektonischen Aspekt aus dem konstruierten Körper aus MDF einerseits und diesem Farbaspekt andererseits. Die Farben sind in der Art und Weise eingesetzt, dass sie die Architektur mitformulieren. Grundsätzlich ist es natürlich so, dass ich die Farbe immer auch als etwas begreife, was die Konstruktion unterlaufen kann. Dass es gewissermaßen zwei Kräfte gibt, die gegeneinander wirken, d. h. das Durchorganisierte, Konstruierte und das Subjektive der Farben, das sehe ich als Spannungseffekt. Das sind zwei Modelle, die gegeneinander operieren? Zwei Kräfte sind das und die sind auch ganz bewusst so gegeneinander eingesetzt. Mich interessiert das, wenn aus verschiedenen Gründen Ordnung anfängt zu kippen. Die perfekte Symmetrie, was man vielleicht als höchste Form von Ordnung bezeichnen kann, wird man nicht finden in meiner Arbeit. Gibt es eine Gefahr schematisch zu werden? Wenn man mehrere Stränge gleichzeitig bearbeitet, wie ich mir das angewöhnt habe, dann gewinnt man auch ganz andere Schlüsse und hat ganz andere Befruchtungsmöglichkeiten. Ich denke z. B. diese neuen Entwürfe knüpfen an ältere Arbeiten an, aber die Richtung ist jetzt verändert, so ein bisschen dialektisch auch. Aber ich lebe hier in einer Stadt und ich weiß, dass mich die unendliche Vielzahl, ihre Eindrücke, ihre Farben und Veränderungen in meiner Wahrnehmung bei der Arbeit beeinflusst. Sie arbeiten mit diesen Folien nun schon ein paar Jahre. Sie kennen ihre Farben ja in- und auswendig. Gibt es Entwicklungen in der Verwendung der Farben oder so ein Warnsignal wie, das kann ich jetzt nicht machen?
Es gibt natürlich Vorlieben und ich kann sagen, dass die wechseln, also dass es da Entwicklungen gibt. Die Entwicklung hat mit der Auseinandersetzung zu tun, mit meinen Erfahrungen. Ich habe einfach auch gemerkt, in der Vergangenheit, dass bestimmte Favoriten, bestimmte Renner, Folien die ich so am Anfang ganz viel bestellt hatte, dass die auf einmal nicht wieder auftauchen. Dass die für mich unwichtig wurden. Ich hatte mich z. T. stark auf Komplementärkontraste konzentriert, habe ganze Arbeiten nur aus bestimmten Rottönen und bestimmten Grüntönen gemacht. Das war auch unheimlich spannend, aber das Interessante war, als ich das dann realisiert hatte, merkte ich, dass dieses Thema damit beendet war. Es war eine sehr subjektive Sache, es war etwas, was ich vielleicht machen musste, um eine bestimmte Vorstellung in eine Erfahrung umzuwandeln. Aber danach hatte ich das Interesse daran verloren. Ich finde, es steckt etwas Ornamentales in ihren Arbeiten. Könnte man sie als Ornamente dieser Zeit verstehen, als Ausdruck von Vielschichtigkeit und Verwandlung, die Sie, wie Sie sagen, aus der Stadt erfahren? Ornament ist ja etwas unglaublich Spannendes. Nur, es hatte als visuelle Kommunikationsform einen schlechten Start in die Moderne, mit Recht, wenn man sich die Auswüchse des 19 Jahrhunderts anschaut. Zeichen, Chiffre oder Codierung sind weitere Begriffe, die im Zusammenhang mit meiner Arbeit verwendet werden. Aber das führt vielleicht zu sehr von unserem Thema Farbe weg und es bedarf wahrscheinlich mehr Raum, um diesen Aspekt sinnvoll zu erläutern.
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DECONSTRUCTION Dieter Balzer, Interview with Annegret Laabs and Ulrich Gellner
You use industrial coloured plastic film, in an essay on you and your work emphasis is put on the intense subjectivity of your method. But aren’t industrial materials somewhat abstract when it comes to colour?
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There is a tradition in art with materials taken from industry and that is what I have as my target, but I do deconstruct that tradition a little. The Donald Judd box is where I myself cut in, change the proportions and get to work. Thus within a short space of time I took up the idea of using coloured plastic sheets. But the tradition itself of doing this goes back quite a long way, certainly back to Josef Albers, who used his paints straight out of the tube. He also rejected the idea of mixing colours; let’s call it this subtle wrangle with a specific hue, that’s how I understood him. He used paints that were ready-made. Whether you buy the stuff that flows straight out of a tube, or as a strip of adhesive film, makes no difference. What you have here is nothing more than dry paint with an adhesive. If I imagine I was stripping it off from a picture or a surface the paint that had been applied or even sprayed on, if that were really possible in practice, I would then have exactly the same thing. The only difference is that I just happen to be using homogeneous paints, the same thickness, the same surface, and of course the strokes of my brush. I think my kind of subjectivity has important forerunners in twentieth-century painting. But when you come to select the paints aren’t you dependant on whatever the industry can provide and not on what is produced specifically for art? I avoid all other paints. Good, my paints are not strictly speaking artists’ paints. Actually I am quite pleased about that, because I cannot make what you might call wrong decisions, that is I restrict myself from the very start to specific colour relationships, that’s where I make my choice. And then I also have what I call colour variations – that is, let’s just say, the difference between this shade of green and that shade. As far as I am concerned that is a quite definite and clear value about which I don’t need to think any further. The result of this reduction of colours is that I also have a great deal of freedom in being able to occupy myself with other things, for example with design. We have already spoken earlier about the danger of losing a grip or crossing boundaries in using paints is not that far away, if you work without any kind of system. I can’t give you any number just now, as to just how many colours our eyes can distinguish between, but the number is very high. So if that is really going to be put to use, you would be getting into an area that would
Donald Judd, Untitled , 1984 - Privatsammlung Schweiz © Art Judd Foundation. Licensed by VAGA, NY / VG Bild-Kunst, Bonn 2008
Josef Albers, To Mitla 1940 Oil on Masonite, 546 x 714 mm © The Josef and Anni Albers Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2008
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utterly confuse me. This unbelievable number of possibilities is what I exclude. My real choice of colours is in fact a subjective one, and that’s the only way it can be. There are some artists in the concrete area that determine mathematically the value of the colours they use and reject any control in the next stages. As far as I am concerned that’s uninteresting. Are colour and shapes brought together in your work? Well, this is the way I go about things. Before I actually produce any of my works of art, they have to be planned with the utmost care. They are designed at the computer down to the very last millimetre at different levels and I have already coded the colours, but it never quite works as it should. My objects consist of two parts, the architectural aspect from the already designed solids made of MDF on the one hand and, on the other, the colour aspect. The colours are used in such a way that that they contribute to the manner in which the architecture is formulated. As a matter of principle it’s invariably the case that I always understand colour as something that can take over the design. The fact is that there are, in a manner of speaking, two forces that work against each other in the sense that whatever has been organised through and through, whatever has been designed and the subjective element of the colours are all what I see as the suspense effect. That’s two models that operating against each other, then? That’s two forces and they are also quite consciously utilised to work against each other. What interests me is when, for different reasons, ordered structure begins to disintegrate. Perfect symmetry what could be perhaps called the supreme form of order, is something you will not find in my work.
years now. You know their colours like the back of your hand. Are there any developments in the way paints are used or a sort of alarm sounding that tells you that’s something I can’t do now? Of course people do have preferences and I must say they do change, so that there are developments going on. The development has to do with the state of conflict I am in with my experiences. I have quite simply also noticed in the past that certain favourites, certain popular trends, plastic sheets that I had in the beginning ordered in vast quantities, that these are all at once no longer around. The fact was that they became unimportant to me. I had, for example, concentrated a great deal on complementary and striking contrasts; I had produced entire works that consisted only of certain shades of red and green. That was also quite exciting, but what was really interesting was the moment I came to realise that this theme had thus reached its end. It was a very subjective thing; it was something that I perhaps just had to do in order to transform a definite idea into an experience. But then I lost all interest in the matter. I find something ornamental in the intrinsic meaning of your work. Could your work be described as decorative objects of our times, as an expression of multiple layers and transformation that you, as you put it, have experienced from living in the city? Ornamentation is really something unbelievably exciting. The only thing is that as a form of visual communication it started off badly in the world of modernism, quite rightfully, if we look at all the grotesque things that transpired in the 19th century. A character, a digit or a code are all current expressions that can apply in connection with my work.
Isn’t there a danger that you become schematic? Translation: ErText. Fachübersetzungen, Herne If you are working in a number of directions at once, which has become a habit with me, you will then reach quite different conclusions and you will have completely different sources of cross-fertilization. For example I believe that these new designs tie into previous work, but the direction has changed, so it’s also a dialectic process in some way. But I am living here in the city and I know that the infinite number of impressions, of colours and changes have some influence on the way I perceive everything as I am working. You have been working with these plastic sheets for a good few
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Hybrid, 2003, Architektur Galerie Berlin, Ulrich M端ller
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links Hybrid circular, 2003, MDF/Folie, 160 x 160 x 10 cm, rechts Hybrid linear, 2003, 320 x 100 x 10 cm
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Xeotl, 2007, MDF/Folie, 75 x 80 x 8 cm
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Palinklone 1 und 2, 2004, Metall/Folie, ca. 50 x 50 cm
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Lachesis 1 - 5, 2004, Metall/Folien, je ca. 100 x 100 cm
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Konjunktionen 1 und 2, 2004, ca. 140 x 150 x 7 cm
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