3 minute read

Hinterlassenschaften des Kolonialismus

Die koloniale Stadt

Segregation Die Kolonialvergangenheit von Subsahara-Afrika wirkt sich bis heute blockierend auf Stadtentwicklungsprozesse aus. Zum Beispiel in Kenias Hauptstadt Nairobi.

Die ersten Missionare waren bereits Mitte des 19. Jahrhunderts ins Gebiet des heutigen Kenia gekommen, die Engländer besetzten das Gebiet im Zuge der Errichtung des Protektorats Britisch Ostafrika ab 1895. Vor mehr als hundert Jahren wurde dann Nairobi als Transitpunkt für die UgandaEisenbahn der britischen Kolonialverwaltung gebaut, um Mombasa an der Küste des Indischen Ozeans mit dem Viktoriasee im Inneren Ostafrikas zu verbinden. Das Ziel war, Bodenschätze zu fördern. Die Inder kamen als Arbeitskräfte des britischen Empires für den Eisenbahnbau nach Ostafrika.

Ab 1907 löste Nairobi Mombasa als Hauptstadt des Protektorats ab, das 1920 zur britischen Kronkolonie Kenia wurde. Die Hauptstadt Nairobi wurde von Anfang an als entwickelte sich zur archetypische Kolonialstadt gebaut, die Wohngebiete konsequent nach ethnischer Zugehörigkeit trennte. In den grünen Hügeln im Westen wohnten die Europäer, gleich etwas unterhalb und näher zur Innenstadt war das «asiatische Wohnquartier» mit dem Bahnhof. Im zentralen Geschäftsviertel lebten die Inder*innen, unweit der Bazare und Tempel. Im Osten Nairobis, in den heutigen Eastlands, wurden die Behausungen für die wenigen Afrikaner*innen errichtet.

Seit 1936 wuchs die Bevölkerung Nairobis von knapp 50000 auf 119000 Einwohner*innen im Jahr 1948, als die erste gesamthafte Volkszählung in Kenia durchgeführt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann auch zum ersten Mal ein Stadtplan publiziert. Dieser konsolidierte das Prinzip der Segregation, das sich bis heute im Stadtbild manifestiert. In die Wohlstandsquartiere der ehemaligen weissen Siedler zog nach der Unabhängigkeit von 1963 die neue einheimische politische Elite. Die geografischen, wirtschaftlichen und politischen Ausschlussmechanismen – durchaus vergleichbar mit jenen des südafrikanischen Apartheidstaates – wirken bis heute nach: zum Beispiel in der rasanten Bildung von informellen Siedlungen, den Slums.

Bis heute ist Nairobi eine stark segregierte Stadt, die Ungleichheit hat weiter zugenommen. Die grosse Mehrheit der Bevölkerung lebt in dicht besiedelten Vierteln mit schlechter Grundversorgung und oft unter dem Existenzminimum. Gleichzeitig riss eine neue politische Elite auf illegale Weise Landstriche und Grundstücke an sich; öffentlicher Raum kam immer mehr in die Hände von Privatleuten.

Korrupte Strukturen

Die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank der 1980er-Jahre förderten eine weitgehende Privatisierung von staatlichen Serviceleistungen, die viele Entwicklungsländer wirtschaftlich nachhaltig destabilisiert hat. Die städtische Armut stieg ab den 1990er-Jahren im gesamten globalen Süden massiv an. Die wirtschaftliche Liberalisierung, die Globalisierung und das NichtEngagement des Staates in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens führten zu ungeregelten Entwicklungen, die auch das rasante Wachstum von Slums vorantrieben. Je geringer die Macht der staatlichen Institutionen ist, desto eher bilden sich korrupte Strukturen heraus. Das geschieht zum Beispiel, wenn staatliche oder kommunale Leistungen in private Hände übergehen,

Nairobi wurde von Anfang an als archetypische Kolonialstadt gebaut, die Wohngebiete konsequent nach ethnischer Zugehörigkeit trennte.

wenn öffentlicher Verkehr, Müllentsorgung, Wasser- und Stromversorgung nur noch nach dem Kriterium der Profitabilität funktionieren. In den Quartieren entstanden privat betriebene Mülldeponien auf öffentlichem Grund, und der öffentliche Nahverkehr gelangte unter die Kontrolle von Kartellen.

Stadtgestaltung von unten – also die Beteiligung der Bevölkerung an planerischen Entscheidungsprozessen und die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse – ist ein vergleichbar junges Phänomen in Kenia. Erst in der neuen föderalistischen Verfassung von 2010 wurde die Teilhabe der Bevölkerung in der Stadtplanung erwähnt. Tief verankerte Klassenunterschiede sowie überkommene, revisionsbedürftige Gesetze und eine Top-Down-Politik behindern weiterhin partizipative Ansätze. Es fehlt bis heute an einer städtebaulichen Gesamtstrategie, was Planung und Nutzung betrifft. So gibt es immer noch kein staatliches Gesetz, das den öffentlichen Raum und seine Nutzung definiert und reguliert. Manche Verordnungen stammen noch aus der Kolonialzeit. So kann «Fehlverhalten» im öffentlichen Raum bestraft werden, wozu auch «Herumlungern» zählt.

Auch wenn dieses Gesetz kaum mehr zur Anwendung kommt, hat sich der Gedanke erhalten, dass ein unproduktiver Aufenthalt im öffentlichen Raum unerwünscht sei. Diese latente Kriminalisierung von Bürger*innen vermittelt den Leuten, dass ihnen der öffentliche Raum gar nicht zustehe.

Seit einigen Jahren entstehen vermehrt zivilgesellschaftliche Bestrebungen, die Stadtplanung zu demokratisieren und stärker auf die Bedürfnisse aller Bewohner*innen abzustimmen. Doch nach wie vor haben die städtischen Planungsinstrumente die Mittel- und Oberschicht im Blick und schliessen damit den Grossteil der Bevölkerung aus. Ein positiver Trend zeichnet sich seit Kurzem in der Gestaltung von Parkanlagen und Naherholungsgebieten ab: Nach Jahren der Vernachlässigung hat die Regierung jetzt ein umfassendes Aufwertungsprogramm von städtischen Parks sowie die Sanierung der Flüsse angeordnet.

This article is from: