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Moumouni
… und Stress ohne Grund
Immer wenn ich in den Ausgang gehe, gibt es Stress ohne Grund. Ein falscher Blick – Stress: «Was schaust du so?», frage ich, ab und zu ist es auch einfach ein böser Blick mit aggressiver Handgeste. Es kommt jemand zu nah: Stress. Ich erobere mir meinen Raum zurück, mache meine Schultern breit. Ich schaue auf meine Hände. Ich trage keine Ringe. Schade, denn ich habe das Gefühl, das hätte nützlich sein können. Meine Freundin leert jemandem ein Bier übers Shirt, die Person denkt, ich war’s und wird sauer, lässt aber von mir ab, weil ich so überzeugend überrascht bin und beteuere, dass ich es nicht war.
Manchmal frage ich mich, warum ich in den Ausgang gehe. Adrenalin? Kampfeslust? Zum Tanzen komme ich kaum.
Ich komme mit dem ersten oder zweiten Zug heim und mir fällt der Songtitel «Stress ohne Grund» von Bushido und seinem Ghostwriter Shindy ein. Ich will nachschauen, wie der Track eigentlich geht, vielleicht passt er ja zu meinem Abend oder lässt sich beim nächsten Ausgang zum Einheizen summen. Fehlanzeige, der Refrain ist nicht zu gebrauchen, es sind nur heruntergepitchte, wiederverwertete Zeilen aus anderen Songs, kein Reim, keine Melodie. Mir fällt wieder ein, warum der Song so bekannt wurde: Er landete auf dem Index der deutschen Bundesstelle für jugendgefährdende Medien wegen seiner Verse, die als Morddrohungen gegen deutsche Politiker*innen verstanden wurden.
Einzig passend ist wohl die Homophobie im Songtext. Die erinnert mich an die im Club verbrachte Nacht. Ich war mit einer Gruppe queerer, Schwarzer Menschen im Ausgang. Grosse Halle, Konzert, danach legte eine gemeinsame Freundin auf. In der Gruppe mit dabei war ein sehr gutaussehender schwuler Mann, der ein Outfit anhatte, in das sich die meisten Heteromänner nicht trauen würden.
Was sich einige solche aber sehr wohl trauten, waren Grapscher im Vorbeigehen, so schnell, dass wir als Gruppe kaum hinterher kamen – es war ein bisschen wie chillen am See ohne Mückenschutzmittel und leicht bekleidet. Jagt man der einen Mücke nach, ist die andere schon dabei, das Bein auszusaugen. Der Typ, der unseren Kollegen im Vorbeigehen erst süffisant anschaut, ihm dann einen Nippeltwist gibt, grapscht und weitereilt, bekommt später eben das Bier aufs Hemd. Als wir zurückkommen, wird unser Kollege schon von zwei weiteren Männern bedrängt, die erst neugierig sind, dann aber plötzlich aggressiv werden. Ein Beobachter geht dazwischen und verhindert gerade noch, dass einer der beiden zuschlägt. Unser Kollege reagiert fast gewohnheitsmässig abgeklärt.
Die Bilanz des Abends: drei Situationen, die hätten gefährlich werden können, durch zumindest unserem Kollegen angedrohte physische Gewalt. Den Rest der Zeit: starrende Blicke, übergriffige Berührungen, dumme Sprüche, die uns allen galten. Ich frage mich, ob wir dem Ärger aus dem Weg hätten gehen können, die Halle war schliesslich voll mit anderen Menschen, die es auch schafften, ausgelassen Spass zu haben. Doch sich gar nicht zu wehren, wäre sicher nicht witziger gewesen.
Ich frage mich auch, ob ich wegen Covid vergessen habe, wie Partys in grossen Clubs so sind, oder ob die Leute, in diesem Fall Männer, wegen der Covid-Massnahmen aggressiver sind: hungrige Schwärme, die nach Stress lechzen, um Druck abzulassen. Es fällt mir wieder ein: Ich war auch vorher kaum mehr an Orten Party machen, die kein explizites Sicherheitskonzept hatten. Zu viel Stress. Kein Ort für mich und meine Leute.
FATIMA MOUMOUNI
überlegt sich, für den Sommer eine elektrische Fliegenklatsche zu kaufen.