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SchuldenSerie – Teil 4
Schulden-Serie: In der Schweiz gibt es immer mehr Arme – auch weil es immer mehr Schulden gibt. Wir wollen wissen, was das mit den Leuten macht, wer davon profitiert und was sich ändern lässt.
Teil 4: Weniger Schulden, weniger Armut
TEXT ANDRES EBERHARD ILLUSTRATION MARCEL BAMERT
Mehr, immer mehr: Die Wirtschaft hängt vom Wachstum ab, und damit auch unser Wohlstand, unsere Renten sowie Sozialversicherungen. Fürs Wachstum können Schulden förderlich sein. Erst konsumieren, später bezahlen – Hauptsache heute noch, damit die Maschine am Laufen bleibt. Kritiker*innen bezweifeln, ob das ewig so weitergehen kann, und fordern auch wegen der Klimakrise ein Umdenken (siehe Surprise 505).
Wohlgemerkt, nicht alles an Schulden ist schlecht und böse. Zum Beispiel haben Schulden etwas Sozialintegratives: Wer sich ein rauschendes Hochzeitsfest, den netten Kombi, das neueste Handy oder einen Flug nach Australien nicht leisten kann, pumpt sich Geld. Jedoch ist der Preis für die soziale Teilhabe hoch. Die Zinsen für solche Kredite betragen bis 10, teilweise sogar 12 Prozent. Spezialisierte Banken betreiben ein gutes, aber auch fragwürdiges Geschäft (ab Seite 11 in dieser Ausgabe). Solche Schulden können für manche Konsument*innen fatale Konsequenzen haben. Dann nämlich, wenn ihnen etwas Unvorhergesehenes passiert – ein Jobverlust, eine schwere Krankheit, eine Trennung. Plötzlich wird die monatliche Leasingrate fürs Auto oder die Abzahlung des Barkredits zum Problem. Nicht selten geraten Betroffene auf diese Weise in eine belastende und gesundheitsschädliche Schuldenspirale, aus der sie ein Leben lang nicht mehr herausfinden. Es sind also die Armen unserer Gesellschaft, welche die unerwünschten Nebenwirkungen des Schuldensystems zu spüren bekommen (siehe Surprise 502).
Es genügt aber nicht, die Probleme, die Betroffenen sowie die Profiteure dieses Systems zu benennen. Dies könnte zum verheerenden Gefühl führen, einem «bösen System» hoffnungslos
Schulden – Eine Serie in 4 Teilen
Teil 1/Heft 500: Das Geschäft mit den Schulden Teil 2 /Heft 502: Rechnungen, die krank machen Teil 3/Heft 505: Wohlstand dank Schulden
Teil 4/Heft 507: Weniger Schulden, weniger Armut
ausgeliefert zu sein. Dem ist nicht so. Als Gesellschaft gestalten wir dieses System, und bereits kleine Änderungen im Gesetz können für Betroffene Grosses bewirken. Aus diesem Grund haben wir nach konstruktiven Lösungsvorschlägen gesucht, die gangbare Auswege aus der viel zitierten Schuldenfalle aufzeigen. Ein Beispiel: Bis heute gibt es in der Schweiz für Menschen ohne oder mit geringen Einkünften und Vermögen keinen Weg aus der Schuldenfalle. Wer arm und verschuldet ist, bleibt oft arm und verschuldet, eine zweite Chance gibt es nicht. Damit ist die Schweiz in Westeuropa ein Ausnahmefall. Der Bundesrat arbeitet derzeit an einer Lösung, dem Entschuldungsverfahren. Expert*innen weisen aber darauf hin, dass es entscheidend sein wird, wie dieses ausgestaltet sein soll. Die Gefahr besteht, dass es von der Wirtschaftslobby verwässert und damit nutzlos wird. Armut ist in der reichen Schweiz real – die Zahl der Betroffenen steigt seit Jahren auf heute über 700 000. Weitere 600 000 Menschen leben nur knapp über der Armutsgrenze. Als Folge der Pandemie könnten es noch mehr werden. Viele dieser armutsbetroffenen Menschen haben Schulden. Heisst: Wer etwas gegen Armut tun will, setzt sich dafür ein, die Wege in die Schuldenfalle zu blockieren oder Auswege zu schaffen. Schuldenprävention ist ein wirksamer und gangbarer Weg, um Armut zu bekämpfen. EBA
Hintergründe im Podcast: Radiomacher Simon Berginz redet mit Andres Eberhard über die Hintergründe der Recherche. surprise.ngo/talk