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Wer klagt, gewinnt

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SurprisePorträt

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Das Gesetz schützt vor Überschuldung. Banken profitieren von unscharfen Formulierungen. Doch wer vor Gericht zieht, hat gute Chancen.

TEXT ANDRES EBERHARD

«Wenn ein neues Auto Sinn macht» – Christa Rigozzi, ehemalige Miss Schweiz und Moderatorin, lächelt neben einem Paar mit Baby, das sich gerade einen neuen Kombi geleistet hat. Auf solchen Plakaten sowie in TV-Werbungen wirbt Rigozzi seit Jahren für Kleinkredite. Alles einfach, alles unkompliziert, und in manchen Lebenssituationen einfach nötig, so die Aussage.

Wer schnelles Geld leiht, landet meistens bei der Cembra Money Bank oder der Bank now (einer Tochter der Credit Suisse). Die auf das Kreditgeschäft spezialisierten Banken haben zusammen einen Marktanteil von über 50 Prozent. Sie verlangen einen Jahreszins zwischen 7 und dem gesetzlichen Maximum von 10 Prozent. Dafür stehen sie unter dem Verdacht, Kredite grosszügig zu vergeben. Im Gegensatz dazu ist die Migros Bank mit Zinsen um 5 Prozent günstiger, stellt aber viel höhere Anforderungen an die Kund*innen, was deren finanzielle Situation angeht.

Hohes Risiko, hohe Rendite: Für die Cembra Money Bank und Bank now scheint dieses Geschäft aufzugehen. Zwar sind sie nur in der Schweiz tätig und die Anzahl Barkredite ist über die Jahre relativ stabil geblieben. Doch pro Kund*in verdienen die Banken viel Geld. Mit einem über sieben Jahre laufenden Barkredit von 30 000 Franken beispielsweise streichen sie bei einem Zinssatz von 9,5 Prozent einen Gewinn von 11 000 Franken ein. Betrachtet man die Jahresgewinne der Finanzinstitute in Relation zu ihrer Grösse, sind sie gar profitabler als Grossbanken wie die UBS.

Für Konsument*innen hingegen können Kleinkredite zu einem gefährlichen Bumerang werden: In vielen Fällen verschärfen sie bestehende Geldprobleme. Naturgemäss werden Kredite von Menschen aufgenommen, die knapp bei Kasse sind. Kalkulieren sie falsch, geraten sie erst recht in Schwierigkeiten. Nun müssen

So rechnen die Banken

Bei Barkrediten gilt die Regel: Konsument*innen müssen theoretisch in der Lage sein, den Kredit innerhalb von 36 Monaten zurückzuzahlen. Mit dieser gesetzlichen Bestimmung soll verhindert werden, dass der Schutz vor Überschuldung umgangen wird. Schuldenvertreter*innen und Banken legen die Regel unterschiedlich aus. Erstere rechnen mit der totalen Schuld, also dem Kredit inklusive aller Zinsen über die gesamte Laufzeit. Geteilt durch 36 erhalten sie so den «Freibetrag» im Budget, der wiederum die maximale Höhe des Kredits bestimmt. Die Banken hingegen rechnen ausschliesslich jene Zinsen zum Kredit hinzu, die in den ersten 36 Monatsraten anfallen. Durch diesen Trick wird der «Freibetrag» im Budget kleiner – es ist der Bank also möglich, einen höheren Kredit auszugeben. Welche Auslegung rechtlich korrekt ist, ist umstritten. Im bisher wohl bedeutendsten Urteil stützte das Berner Obergericht 2016 die Sicht der Schuldenvertreter*innen: Es seien die Zinsen über die gesamte Laufzeit zu berücksichtigen. EBA die Kreditnehmer*innen neben anderen Verpflichtungen auch noch die monatlichen Raten für den Barkredit zurückzahlen, plus happige Zinsen. Das schnelle Geld, eigentlich als Problemlösung gedacht, wird so selbst zum Problem.

Aus diesem Grund sieht das Konsumkreditgesetz Massnahmen vor, die Konsument*innen vor Überschuldung schützen sollen. Es regelt nicht nur Barkredite, sondern auch Kreditkarten, Kontoüberzüge und Leasingverträge. Grundsätzlich dürfen Banken Kredite nur an jene vergeben, die sie auch zurückzahlen können. Dazu müssen sie ein Haushaltsbudget für die Konsument*innen aufstellen. Sie errechnen, wie viel Geld nach Abzug aller Fixkosten sowie allgemeinen Lebenskosten übrigbleibt. Dieser «Freibetrag» gibt die Höhe der maximal möglichen monatlichen Kreditrate vor. Dass die Banken bei diesen Berechnungen Fehler machen, ist gemäss Schuldenberatungsstellen eher die Regel als die Ausnahme (siehe Seite 10). Sie monieren, dass die Banken häufig die monatlichen Fixkosten markant zu tief einschätzten, was zur Folge habe, dass sie am Ende einen höheren Kredit vergeben könnten. Zusätzlichen Spielraum würden sie sich durch einen Trick verschaffen (siehe Kasten).

Angst vor dem Gericht

Frisieren Banken also systematisch Budgets, um mehr Kredite zu vergeben? Das vermutet die Caritas. Vor einigen Jahren fiel ihr bei der Analyse von 200 Budgets auf, dass die Fehler stets dieselben Posten im monatlichen Budget betreffen: die Berufsauslagen. Essenskosten ignorierten die Banken oft ganz und bei den Fahrten zum Arbeitsplatz setzten sie immer denselben Betrag ein: 100 Franken. Gerade für Autopendler*innen ist das zu wenig.

Das Berner Obergericht kam vor einigen Jahren zum Schluss, dass die falsche Berechnung der Berufsauslagen einen schwerwiegenden Fehler darstellt. Für die Banken war das Urteil ein Schock, denn es bedeutet, dass Konsument*innen das Geld nicht zurückzahlen müssen. Theoretisch haben diese gar das Recht, bereits bezahlte Raten zurückzufordern. In der Praxis begnügen sich Schuldenvertreter*innen in der Regel mit einem Deal. Sie schlagen etwa vor, dass die Bank auf die noch nicht bezahlten Raten verzichtet. Die Chancen, dass die Bank einwilligt, stünden gut, sagt Olivia Nyffeler, Anwältin bei der Berner Schuldenberatung: «Kreditinstitute scheuen den Richter wie der Teufel das Weihwasser.» Der Grund dafür: Sollte das Bundesgericht einst zum selben Schluss kommen wie die Berner Richter*innen, würde dies ihr Geschäftsmodell gefährden. Solange dem nicht so ist, profitieren sie von der gesetzlichen Unschärfe. Die juristisch strittige Frage ist, wie weit die Banken gehen müssen, um die Angaben ihrer Kund*innen zu überprüfen. An einer Stelle im Gesetz heisst es zwar klipp und klar, dass die Banken die Verantwortung für die Kreditprüfung tragen. Andernorts jedoch steht, dass sich die Kreditinstitute auf die Angaben der Antragsteller*innen verlassen können.

Diese Stelle ist der Strohhalm, an den sich die Kreditinstitute klammern. Beim Thema der strittigen Berufsauslagen verweist die Cembra Money Bank allgemein auf das nicht in allen Belangen explizite Gesetz und «unterschiedliche Interpretationen». Die Bank now wird konkreter und teilt mit, dass im Antragsformular nach Kosten für «erhöhten Nahrungsbedarf, Auslagen für auswärtige Verpflegung» gefragt werde. Bei den Kosten für die Fahrten zum Arbeitsplatz werde eine Monatspauschale «in dreistelliger Frankenhöhe» eingesetzt. Antragsteller*innen könnten Beträge einsetzen oder erhöhen. Dies erklärt, warum die Berufsauslagen in den Budgets der Banken systematisch zu tief kalkuliert sind. Wer das Formular ausfüllt, übernimmt in der Regel die voreingefüllten Beträge: Essenskosten 0 Franken, Fahrtkosten 100 Franken. Naheliegend ist, dass Konsument*innen dies nicht aus Absicht tun, sondern weil sie nicht wissen, wie hoch diese Ausgaben sind und wie sie sie berechnen sollen. Oder nicht auf die Idee kommen, im Voraus ausgefüllte Zahlen zu ändern.

«Ein besseres Standardformular für Kreditanträge wäre ein guter erster Schritt», sagt Olivia Nyffeler. Ungenauigkeiten gibt es nämlich auch andernorts. Zum Beispiel wird nach «weiteren festen monatlichen Verpflichtungen» gefragt. Darunter können sich die wenigsten etwas vorstellen – im Gegensatz zu Fragen wie: Fahren Sie mit dem Auto zur Arbeit? Wie werden die Kinder betreut? Benötigen Sie Sehhilfen? Bezahlen Sie Militärersatz? Anwältin Nyffeler hat mit Berufskolleg*innen Standards für eine korrekte Budgetberechnung in einem Handbuch ausformuliert. «Mein Eindruck ist aber, dass es die Banken gar nicht so genau wissen wollen», sagt sie. Dies müssten sie aber, da sie und nicht ihre Kund*innen die Verantwortung dafür tragen, dass die Kreditfähigkeitsprüfung korrekt ist.

Im TV-Werbespot sagt die lächelnde Christa Rigozzi: «Heute will ich erfahren, warum es so unkompliziert ist, bei der Cembra Money Bank einen Kredit zu beantragen.» Der Kunde, dem sie begegnet, antwortet: «Man bringt seine Idee mit, die letzte Lohnabrechnung, das war’s. Schon kann man den Kredit beantragen. Das ist wirklich einfach.» Er lacht breit, freut sich. Dabei würde man ihm wünschen, es wäre nicht ganz so einfach. Denn wo der Spot endet, fangen für die Schuldner*innen die Schwierigkeiten oft erst an.

Fachbuch «Konsumkreditgesetz» (online verfügbar): www.konsumkreditgesetz.ch

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