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Buch
NELLY RODRIGUEZ BILD(3): MAGALI DOUGADOS, BILD(2): PHILIP FROWEIN, BILD(1):
besitzt und was einem nah ist, den eigenen Körper eben. «Pantsula zum Beispiel ist eine Tanzform, die in den Fünfziger, Sechzigerjahren in Südafrika in Zeiten der Apartheid als Kampf gegen das System entstanden ist», sagt Beghetto. Nun nutzt der Choreograf Jeremy Nedd die Kraft, die darin liegt, wiederum an den Swiss Dance Days in seinem Stück «The Ecstatic». Den Tanz als Mittel des Protests findet man auch andernorts auf der Welt. «In der Schweiz gibt es meines Wissens nichts Vergleichbares, wir haben es schon oft gesucht», sagt Beghetto. «Bei uns haben die Bewegung und der Körper als Ausdrucksmittel einen relativ kleinen Stellenwert. Und es kommt hinzu, dass wir nie eine solche Unterdrückung erlebt haben wie andere Länder. Es ist spannend zu beobachten, wo auf der Welt der Körper an erster Stelle steht. Ich denke da auch an die Proteste der Frauen in Südamerika gegen Femizide, gegen die Unterdrückung. Sie gehen immer als Erstes mit ihrem Körper auf die Strasse. Er ist das erste Medium.»
Der Schweizer Körper ist da eher funktional. Wir benutzen ihn, um vor dem Computer zu sitzen, zum Staubsaugen und Kochen oder zum Joggen. Selbst in der Disco wippen wir gerade so mit, wie wir es halt etwa kennen. Wenn Menschen auf der Bühne nun plötzlich ganz andere Bewegungsmuster finden, kann das auf die einen fremd wirken, auf die anderen faszinierend. Sich verbiegende und sich dehnende, ruhige oder übermütige Körper: Wer den Kopf im Foyer lässt, lernt sie irgendwann lesen.
Die Swiss Dance Days wurden 1996 gegründet. Vorbild waren die Rencontres chorégraphiques de Seine-Saint-Denis in Paris, ein Festival, das sich seit 1969 dem zeitgenössischen choreografischen Schaffen widmet. Die Swiss Dance Days sind eine Plattform zur Förderung der Schweizer Choreografie und finden alle zwei Jahre in einer anderen Stadt statt. Swiss Dance Days, Mi, 2. bis So, 6. Februar, Basel, diverse Spielorte. swissdancedays.ch
Ein Ding der Unmöglichkeit
Buch Markus Orths’ «Picknick im Dunkeln» erzählt von einer undenkbaren Begegnung.
Einerseits: Stan Laurel (1890–1965), Filmkomiker und autor, Regisseur, Produzent und als Filmpartner von Oliver Hardy («Stan & Ollie» aka «Dick & Doof») eine Legende. Ein begnadeter Gagschreiber, dem die Ideen zufliegen. Ein Perfektionist, der nach dem Dreh noch stundenlang im Schneideraum rumfeilt. Und ein Lebemann mit etlichen Ehen, Affären und Scheidungen. Andererseits: Thomas von Aquin (1125–1274), der bedeutendste katholische Theologe der Geschichte. Ein fest im Glauben verankerter Denker, dessen Argumentationen so sprudeln, dass er manchmal vier Sekretären gleichzeitig diktiert. Und ein Mönch mit zwei Leidenschaften: dem «Fressen» und dem Denken.
Sieben Jahrhunderte Weltgeschichte liegen zwischen den beiden. Dass diese historischen Gestalten je hätten aufeinandertreffen können, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Doch gerade darauf lässt sich der Autor Markus Orths in seinem Roman «Picknick im Dunkeln» ein und entführt uns in ein spannendes Gedankenexperiment, in dem nicht nur die Protagonisten, sondern auch wir Lesenden buchstäblich im Dunkeln tappen.
Denn es ist ein finsterer, vollkommen lichtloser Tunnel, in dem sich Stan Laurel erst allein wiederfindet, bis er wortwörtlich über Thomas von Aquin stolpert. Ein rätselhafter Unort mit fugenlosen Wänden, durch den sie sich gemeinsam tasten, auf der Suche nach einem Ausgang, nach Licht und nicht nur nach der Antwort auf die Frage, wo um Himmels willen sie eigentlich sind, sondern auch, was ausgerechnet sie beide hier zusammengeführt hat.
Sich zu verständigen, ist nicht ganz einfach. Stan Laurel versteht mehr von Intuition als vom Denken und hat sein Leben damit verbracht, die Menschen zum Lachen zu bringen. Thomas von Aquin hat noch nie vom Film oder von Amerika gehört und hat das letzte Mal mit fünf Jahren gelacht, vor dem Eintritt ins Kloster. Danach nie wieder.
Reden hilft. Vor allem auch die Erinnerungen, von denen sie einander erzählen. Und so entdecken sie in ihren Biografien Gemeinsamkeiten und Gegensätze, die Licht in das Warum ihrer Begegnung bringen. Grosse Fragen kommen dabei zur Sprache. Zu Leben und Tod, zu Wahrheit und Erkenntnis. Da sie gezwungen sind, sich einander verständlich zu machen, sind ihre Gespräche gut nachvollziehbar und machen den Roman zu einem Lesevergnügen.
Das Ende, so viel sei hier verraten, ist selbst ein Ding der Unmöglichkeit. Ein filmreifes Rätsel, das ebenso zum Lachen wie zum Denken anregt. CHRISTOPHER ZIMMER
ZVG
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Markus Orths: «Picknick im Dunkeln»
Roman. Hanser 2020. CHF 33.90