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Die Sozialzahl

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Keine Entwarnung

Freude herrscht. Das Ende vieler pandemiebedingter Einschränkungen ist da. Die Wirtschaft entwickelt sich positiv. Die Arbeitslosenquote sinkt, die Zahl der Sozialhilfebeziehenden an vielen Orten ebenfalls. Darf man auch auf dem Arbeitsmarkt Entwarnung geben?

Es war schon erstaunlich, wie rasch die Sozialpolitik auf die Corona-Krise reagierte. In kurzer Zeit kam es zu einem massiven Ausbau der Kurzarbeitsentschädigung. Es wurde sogar ein minimaler Betrag festgelegt, um einer Überlastung der Sozialhilfe entgegenzuwirken. Dazu kamen Massnahmen im Rahmen der Erwerbsersatzordnung, mit denen Selbständigerwerbenden unter die Arme gegriffen wurde.

Trotzdem ist die soziale Lage in der Schweiz von einer beunruhigenden Grundstimmung geprägt. Die Corona-Krise hat an verschiedenen Orten bedenkliche Lücken und Konstrukte aufgezeigt, die gefüllt und geändert werden müssen. Für Sans- Papiers fehlt eine minimale Existenzsicherung. Die Menschenschlangen vor den Abgabestellen für Nahrungsmittel bleiben in Erinnerung. Viele Armutsbetroffene mit Migrationshintergrund meiden die Sozialhilfe, um ihren Aufenthaltsstatus nicht zu gefährden. Die Zeichen mehren sich, dass sie sich stattdessen in gravierendem Ausmass verschuldet haben. nicht ganz die Hälfte von ihnen 50 Jahre und älter. Oder anders formuliert: Mehr als ein Drittel aller über 50-jährigen Stellensuchenden ist inzwischen langzeitarbeitslos.

Die Aussichten, dass diese Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zurückfinden, sind mehr als durchwachsen. Die Wirtschaft von heute ist nicht mehr die gleiche wie jene vor Corona. Die forcierte Digitalisierung hat ihre Spuren auch auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Einmal mehr zeichnet sich ein «mismatching» zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage ab. Die Unternehmen suchen durchaus nach Arbeitskräften, finden diese aber kaum im Kreis der Langzeitarbeitslosen und schon gar nicht unter den Älteren. Zu sehr klaffen die Anforderungen, die mit neuen Arbeitsplätzen verbunden sind, und die Fähigkeiten und Erfahrungen, die ältere Langzeitarbeitslose mitbringen, auseinander.

So droht die Zahl der Ausgesteuerten weiter zu steigen. Wenige werden dann Übergangsleistungen beziehen können. Manche werden den Weg in die Sozialhilfe finden. Doch den meisten wird nichts anderes übrigbleiben, als mit sehr viel weniger Geld über die Runden zu kommen. Sei dies, weil die Lebenspartnerin oder der Lebenspartner erwerbstätig ist, sei dies, weil man aus den obengenannten Gründen keine Sozialhilfe beziehen will.

Ein weiteres Indiz für die labile Situation ist die Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit. Die Zahl der Betroffenen hat sich im Vergleich zur Zeit vor Corona nahezu verdoppelt. Rund 30 000 Personen beziehen seit mehr als einem Jahr Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Waren 2019 nur 13 Prozent der Stellensuchenden langzeitarbeitslos, ist es heute knapp ein Viertel aller bei den RAVs gemeldeten Personen. Davon ist

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Langzeitarbeitslose, Stand jeweils Januar des angegebenen Jahres

Anzahl Langzeitarbeitslose Anteil der über 50-Jährigen an allen Langzeitarbeitslosen

16 116 14 030 30 666 29 076

3739 (23,2%) 2876 (20,5%) 8249 (26,9%) 10264 (35,3%)

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